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Kampfmaschine und Märchenwesen

Eine staunend selbstbewusste Märchenfee will Frankreich mit der Fahne und dem Schwert retten - am Berliner Ensemble hat Claus Peymann die "Jungfrau von Orleans" aufgeführt. Auf der Bühne ist alles klar und sauber: Blut, Schweiß und Tränen kommen nicht vor, dafür aber viel theatralische Kunststücke.

Von Hartmut Krug | 16.09.2006
    Mit Schillers "Jungfrau von Orleans" tut sich das deutsche Theater seit langem schwer, das haben zuletzt die wenigen Inszenierungen von Schillers romantischer Tragödie im vorjährigen Schillerjahr gezeigt. Pathos und Größe, Unbedingtheit und Märchenhaftigkeit einer bäuerlichen Jungfrau, die, göttlicher Verheißung folgend, Frankreich auf dem Schlachtfeld rettet, finden auf dem zeitgenössischen Theater erstaunlicher Weise keine Form mehr.

    Vielleicht, weil man diese Figur weder ironisieren darf noch gründlich dekonstruieren kann, hat doch Schiller seiner scheinbar so eindeutigen und standhaften Heldin zugleich alle Brüche und Zweifel bereits eingeschrieben. Wer diese Johanna auf die Bühne bringt, muss ihrer Unbedingtheit vertrauen. Er muss sie nicht unbedingt völlig erklären, doch muss er sich ihr stellen. Deshalb könnten Überlegungen zu und Festlegungen von einer Haltung dieser Frau nicht schaden, die mit einem geträumtem Kampfauftrag zur Kampfmaschine wird.

    Bei Schiller kommt Johanna als Jungfrau, die keinen Menschen oder Mann lieben kann und darf, die aber bedingungslos tötet, um ihr Frankreich und die Liebe zu ihm zu retten, als zielbewusstes wie zartes Märchenwesen daher, das entsprechend göttlicher Forderung jeder Liebe entsagt, bis sie dieser im Feindeslager begegnet und an ihr fast zerbricht.

    Im vergangenen Jahr wurde Schillers Tragödie um die Jungfrau von Orleans am Theaterhaus Jena konsequent als eine zugleich historische wie aktuelle Geschichte von Kampf und Krieg gezeigt, bei der die Titelfigur in dreifacher Ausfertigung auf die Bühne gelangte: als Johanna die Gläubige, Johanna die Naive und Johanna die Kämpferische. Claus Peymann lässt jetzt am Berliner Ensemble seine Johanna-Darstellerin Charlotte Müller als staunend selbstbewusste Märchenfee einen mit sich selbst ziemlich einverständigen Weg gehen.

    Keine Fragen, keine Zweifel, keine Irritationen. Weder bei Johanna noch beim Regisseur. Karl-Ernst Hermann hat eine spitz in den Zuschauerraum ragende Spielfläche gebaut, auf der die Menschen in märchenhaft komischen, wie die Bühne zeichenhaft vor allem nur von den Farben weiß und schwarz bestimmten Kostümen eine ferne Geschichte als Märchen-Theater erzählen. Hier ist alles klar und sauber, Blut, Schweiß und Tränen kommen nicht vor, dafür aber viel theatralische Kunststücke. Claus Peymann erklärt uns nicht, warum er Schillers Stück spielt und was er uns mit ihm erzählen will, sondern er erklärt uns durch die überdeutliche gestische und mimische Eindeutigkeit seiner Darsteller nur immer den Fortgang der Stückgeschichte.

    Johanna ist am Berliner Ensemble eine enorm selbstsichere Schwärmerin, die weit die Arme ausbreitet und die Augen aufzureißen versteht und in Charlotte Müllers überzeugender Darstellung von einer anrührenden Emotionalität bestimmt wird. Diese Johanna flieht nicht vor fleischlichen Begierden, ob fremden oder eigenen, und dem Zwang zum Erwachsenwerden, sondern allein, weil ein Traum ihr eingab, Frankreich mit der Fahne und dem Schwert zu retten.

    Diese ihr bestimmte Bestimmtheit wird in ihren Begründungen und Folgen nie richtig untersucht, sondern als Spielvoraussetzung genommen. Dabei könnte man Johanna durchaus kritisch befragen, - als eine Frau unter Einfluss und als eine Figur, die von einer Ideologie oder einem intellektuell nicht durchdachtem religiösen Fanatismus in ihrer Identität zugleich geschaffen wie verbogen wird. Doch Claus Peymann inszeniert weder die Freiheitsdichtung, noch das Historiendrama, noch das metaphysische Märchen, - er macht vor allem Theater.

    Ein Theater-Theater, das die Fabel übersichtlich aufblättert und dabei die Figuren so einsichtig wie platt macht. Jede Emotion bekommt ihre Augenbrauen-Bewegung, jedes Wort sein hinweisendes gestisches Zeichen, und Theatermittel werden mit Donner und Licht reichlich eingesetzt. So wird uns das Stück ganz nah gebracht und bleibt uns in seiner plötzlichen didaktischen Plakativität doch wieder völlig fremd. Die Schauspieler dürfen virtuose Nummern abliefern: an ihrer Spitze die famose Corinna Kirchhoff als grell heftige und böse, leidenschaftliche Königin Isabeau und Thomas Wittmann als fast neurotisch greinender, verzweifelter Karl der Siebente.

    Man schaut dem Virtuosentum der beiden durchaus gern zu. Wie auch den tapsigen, in scheppernde Rüstungen ironisch unbeweglich gemachten Rittern, die in ihren Aktionen mit Schwertern und Speeren direkt aus Peymanns legendärer Inszenierung der Hermannsschlacht heraufgestiegen scheinen.

    Die Inszenierung stellt die Geschichte in drei immer länger werdenden Stunden einfach als ein buntes, schönes und schön fremdes Geschehen aus und hält sich die Zumutungen und Aggressivitäten des Stoffes mit viel absichtlicher oder unabsichtlicher Komik ganz locker vom Leibe. Es ist dies ein Theater, das es dem Zuschauer leicht macht. Nichts wird verrätselt, alles wird überdeutlich vorbuchstabiert, und zugleich bleibt es Theater. So macht es uns etwas vor, geht uns letztlich aber nichts an.