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Kampfsport gegen Anfeindungen im Netz

Meinungsäußerungen von Lesern gehören für die großen Online-Nachrichtenportale inzwischen zum Alltag. Sie können für die Redaktionen nützlich sein. Andere können auch sehr verletzend sein; die Schreiber verbergen sich in der Anonymität. In den Redaktionen sorgt das auch für Frust.

Von Johannes Nichelmann | 21.10.2013
    "Es ist eine echte Qual, diesen Beitrag zu lesen. Ich freue mich aber sehr, wenn Sie alle Kommentare dazu durchgehen lassen, also auch diesen hier." - schreibt User "TangoGolf" auf "Spiegel-Online". Kein gutes Zeugnis wird außerdem einer "Zeit-Online"-Autorin ausgestellt. Jemand, der sich "Zaitberg" nennt, schreibt: "Das Beste wäre, das Buch (...) zu ignorieren. Und diese sowohl handwerklich, wie sprachlich misslungene Rezension ebenfalls."

    Zu Gast im Großraumbüro von "Zeit-Online" in Berlin. Die Website ist unter den Top10 der meistgeklickten Nachrichtenseiten. Annika von Taube kümmert sich um den Kontakt zu den Usern. Jeder aus der Community, der kommentieren will, muss sich mit seiner E-Mail-Adresse anmelden. Partizipation, als Beitrag für eine gelungene Demokratie.

    "Ganz grundsätzlich sind es immer wieder Themen, von denen man gar nicht glaubt, dass sie besonders intensiv diskutiert würden."

    Durchschnittlich, erzählt die Journalistin, werden im Monat um die 15.000 Kommentare registriert. Bei besonders emotionalen Themen würden um die 20 Prozent der Texte gelöscht. Vor allem Stammtischgerede werde entfernt, sagt Annika von Taube, besonders dann, wenn es sich zu weit vom Thema entfernt.

    "Es gibt zum Beispiel den Pedanten, der auch immer droht sein ‘Zeit‘-Abo zu kündigen, wenn er noch mal einen Tippfehler findet. Es gibt den Fahnenträger für die Meinungsfreiheit, der seine Kommentare immer schon einleitet: ‘Dieser Kommentar wird mir wahrscheinlich auch gleich wieder zensiert, aber ich bleibe dabei!‘. Wir sprechen von einer gewissen Typologie der Kommentatoren. Es gibt aber nur eine wirklich grundsätzliche Regel, weshalb man auch davon ausgehen muss, dass die Kommentatorenschaft nicht identisch ist mit der Leserschaft. Grundsätzlich kommentieren eher Leser, die eine gewisse Disposition, charakterliche Disposition, mitbringen. Die sind eher forscher, in ihrem Ausdruckswillen, eher kritisch. Es werden ja eher negative Dinge kommentiert, als positiv."

    Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können Plattformbetreiber belangt werden, sollten bösartige oder diffamierende Kommentare ihrer Nutzer einfach so stehen bleiben. Bei "Zeit-Online" halten jeden Tag mehrere sogenannte Moderatoren im Schichtdienst die Seiten "sauber". Meistens erledigen das Studierende. Sie sollen anonym bleiben. Anders als natürlich die Redakteure und Autoren.

    "Viele der Kommentatoren sind, ist mein Eindruck, wütend. Einer hat mir mal bescheinigt, dass ich ja für eine Feministin halbwegs anschaulich aussehe. Das ist ja eigentlich ein verstecktes Kompliment. Grundsätzlich greifen die einen daran an, dass sie journalistische Qualifikation infrage stellen."

    Tina Groll, Ressort "Karriere", beschäftigt sich mit oft mit dem Thema Gleichberechtigung. Sie erzählt, dass sie begonnen hat, Kampfsport zu machen - unter anderem wegen harscher Anfeindungen im Netz.

    "Also, wir haben erst gedacht, so typisch Klischee, also die feinen ‘Zeit-Online‘-Redakteure denken, das sind irgendwelche frustrierten Hartz-IV–Empfänger, die ihr Leben nicht auf die Kette kriegen und nichts Besseres zu tun haben, als den ganzen Tag ihre Wut bei uns darüber auszukotzen. Ne, gar nicht. Wenn man einige Leute dann kennenlernt oder Anhaltspunkte bekommt, was das für Menschen dahinter sind, dann sind das hoch seriöse Bürgermeister, irgendwelche engagierten Unternehmer. Wo man irgendwie denkt, okay."

    Die Redakteurin Tina Groll ärgert sich hin und wieder über sich selbst, wenn sie durch Leserinnen und Leser auf Fehler aufmerksam gemacht wird. Aber findet das natürlich hilfreich. Und die Redaktion sei schon oft auf Themen hingewiesen worden, die ihr vielleicht sonst nicht aufgefallen wären. Dass ihre Arbeit ein direktes Feedback auslöst, dieser Gedanke verändere den Prozess des Schreibens.

    "Bei mir ist das immer so, dass ich dann schon denke: Ja, hm. Wie das wohl bei den Lesern ankommt? Also, ich weiß, wenn ich einen Gleichstellungsartikel schreibe, der sehr pro Frauen ist, dann weiß ich, es wird definitiv wieder heiß hergehen. Es kommen wieder die üblichen Verdächtigen, die mir das Übliche vorwerfen. Dadurch, dass das Negative überwiegt, kann das, glaube ich, schon zu einer Schere im Kopf führen."

    Vielleicht würde es etwas fairer zugehen, wenn alle mit vollem Namen an der Community teilhaben würden, sagt Tina Groll. Dann wäre die Wut im Netz womöglich weniger schmerzhaft.

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