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Kanadas Parlament im Zwangsurlaub

Der Parlamentsbetrieb in Kanada wird erst Anfang März wieder aufgenommen, hat Premierminister Stephen Harper entschieden. Die Opposition wirft ihm deswegen Drückebergerei vor. Harper sieht in der verlängerten Sitzungspause reine Routine.

Von Thomas Schmidt |
    Wenn nicht die unerschütterlichen Touristen wären, könnte man den Parliament Hill, den trutzigen Parlamentskomplex in Ottawa, für eine Geisterstadt halten. Kanadas Premier Stephen Harper hat die Abgeordneten des kanadischen Unterhauses in Zwangsurlaub geschickt: Statt am 25. Januar soll der Parlamentsbetrieb erst Anfang März, nach Abschluss der Olympischen Winterspiele in Vancouver wieder aufgenommen werden. Die Opposition spricht von Drückebergerei. "Er hat es heimlich gemacht, weil er etwas zu verbergen hat", heißt es in Rundfunkspots der kanadischen Liberalen. Sie sind Kanadas größte Oppositionspartei.

    Harper, der eine konservative Minderheitsregierung führt, weist die Kritik entschieden zurück. Es sei ein reiner Standardvorgang, so Harper, und es mache keinen Sinn, eine Sitzungsperiode immer weiterlaufen zu lassen, ohne dass die Regierung von Zeit zu Zeit ihr Gesamtprogramm überprüfe. Tatsächlich hat es die sogenannte Prorogation, die Vertagung des Parlaments, in der jungen kanadischen Geschichte immer wieder gegeben, wenn Regierungen eine neue Agenda beraten wollten - allerdings legt Harper das Unterhaus in Ottawa nun schon zum zweiten Mal in etwas mehr als einem Jahr still: Im Dezember 2008 hatte Harper damit verhindert, dass ihn die vereinte Opposition - aus Liberalen, Sozialdemokraten und frankofonen Separatisten - mit einem Misstrauensvotum zu Fall brachte.

    Um es klar und deutlich zu sagen - diese Regierung legt eine Art und Weise an den Tag, die für die Kanadier völlig unakzeptabel ist, sagt der liberale Abgeordnete Marc Garneau. Aber trotz der starken Worte - seine Partei tut sich schwer mit Stephen Harper: Als sich die Liberalen nach zwölf Jahren an der Macht im Januar 2006 von dem als rechts denkend und neokonservativ typisierten Spitzenkandidaten der Tories geschlagen geben musste, gab man seiner Minderheitsregierung nur ein geringe Überlebenschance. Man hielt ihn für einen politischen Apparatschik, einen Mann ohne Eigenschaften und damit für eine politische Fehlbesetzung.

    Vier Jahre später sind es die Liberalen, die angesichts von Harpers Taktieren und seiner Gerissenheit noch immer nach einem wirksamen Gegenkandidaten suchen. Nachdem der unbeholfene Stefan Dion nach einer neuerlichen Wahlniederlage der Liberalen im Oktober 2008 zurücktreten musste, ruhen die Hoffnungen nun auf dem smarten Michael Ignatieff. Aber der Spross einer russischen Diplomantenfamilie, der vor seinem Einstieg in die Politik als BBC-Kommentator und als Professor an der Eliteuniversität Cambridge tätig war, konnte den noch immer deutlichen Abstand zu den Konservativen bislang nicht wesentlich verringern. Das steigert Harpers Selbstbewusstsein - bis hin zu verhaltenem Spott. Er lade die Opposition ein, die Parlamentspause zur Entwicklung eigener Ideen zu nutzen, so der Premier.

    Harper kann sich auch deswegen selbstsicher geben, weil die kanadische Öffentlichkeit in der Vergangenheit wenig Anteil an der Prorogation genommen hatte. Die Menschen haben ganz andere Dinge auf dem Schirm - unsere Wirtschaftslage zum Beispiel, hatte er kürzlich in einem Interview gesagt.

    Aber es gibt Anzeichen, dass er damit nicht ganz auf dem neuesten Stand ist: "Wir sind überzeugt, dass dies Vorgänge sind, gegen die wir uns stellen und sagen müssen: Foulspiel!", sagt Daniel Weinstock, er gehört zu einer Gruppe von 75 Universitätsprofessoren, die Harper in einem offenen Brief Machtmissbrauch vorgeworfen haben. Und im Zeitalter von Facebook und Twitter, wo Proteste mit einem Mausklick manifestiert werden können, lassen sich schnell Massenproteste organisieren: Seit kurzem gibt es eine Facebook-Gruppe unter dem Namen "Canadians against proroguing Parliament".

    "Das Ganze beruht auf der Annahme, dass die Kanadier es nicht merken und sich nicht darum kümmern", sagt Alex Hill, der Organisator der Onlineproteste und kommt zu dem Schluss: Besonders schlau war das nicht. Kein leichtfertiges Urteil: In seiner Gruppe kamen innerhalb weniger Tage mehr als 140.000 Mitglieder zusammen.