Hier also veranstaltete das Europäische Forum, das die europäische Einigung nicht den Politikern überlassen, sondern sie zu einem anspruchsvollen Intellektuellenthema machen will, seine dritte Podiumsdiskussion. Viel Publikum, vor allem Deutsche und Polen - wobei an den polnischen Damen und Herren wieder auffiel, dass sie eleganter, wenigstens sorgfältiger gekleidet sind als die Deutschen. Am Anfang und Ende rahmte Musik zeremoniell die Diskussion, Anne Bärenz und Frank Wolff, Klavier, Gesang, Cello; vom Wein und den Häppchen hinterher zu schweigen.
Ob das sich einigende Europa seinen Bürgern Heimat biete, war also das Thema, und Klaus Harpprecht beschrieb liebevoll das südfranzösische Dorf, das zwischen all seinen Reisen Heimat ist. Wie ihm die europäische Integration erlaubt, dort an der Lokalpolitik teilzunehmen, demnächst neben der deutschen die französische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Er könnte sogar als Dorfbürgermeister kandidieren! - Neben Harpprechts französischem Dorf rückte Maarten Brands, nicht weniger weit gereist, sogleich seine niederländische Kleinstadt, in zurückzukehren ihm - bei aller Liebe zu New York City - immer wieder wohl tut.
Diese Art Heimat kennt jeder - sogar als Vertriebener: als Heimweh. Adam Michnik, Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, hatte das passende Bild: Heimat ist wie Sauerstoff für das Atmen, man bemerkt Heimat erst, wenn sie fehlt. Jahrhunderte lang kannten sich die Polen gut aus mit diesem Luftmangel, als geteilte, inexistente Nation; deshalb, so Michnik, sei für ihn ein Europa ohne Nationalstaaten undenkbar - eine Selbstverständlichkeit vielleicht erst für seinen Sohn, jetzt 15 Jahre alt. Dass ein Teil der polnischen Nation dieselbe nur als katholische und kirchentreue anerkannt, das haben die anders gesonnenen Fraktionen gut unter Kontrolle. Das Publikum glaubte es dem durchtrainierten Bürgerrechtler aufs Wort. Er erzählte auch so gute Witze - aber dafür ist jetzt keine Zeit.
Die Dichterin Herta Müller, schon 1987 aus Ceausescus, Rumänien entkommen, hat noch jenen repressiven Heimatbegriff vor Augen, der mit dem Nationalismus und seinen fürchterlichsten Exzessen verknüpft ist. Zweifach konnte man sie unter Druck setzen: als Deutsche, die halt den Sitten und Traditionen der Rumänien-deutschen Heimat genau zu entsprechen habe; und gleichzeitig beäugte sie Rumänien misstrauisch, ob sie auch dessen Loyalitätsverpflichtungen einhalte, obwohl sie einer Minderheitensprache angehörte. Herta Müller schilderte eindrucksvoll, wie sie die Bundesrepublik noch immer fassungslos mache, insofern sie all das nicht von ihr verlangt, keine Heimattreue, keine nationale Loyalitätserklärung bei jeder passenden Gelegenheit. Immer noch kann sie es kaum glauben, dass es auch so bleiben wird.
So ist Europa, da waren sich alle einig, ein höchst angenehmer Ort zum Leben. Aber wenn Heimat das zwanglos Selbstverständliche dieses Orts bezeichnet, kann man mehr dazu eigentlich nicht sagen, und so verlor sich die Diskussion - von Ulrike Ackermann prägnant moderiert - in die großen Fragen jenseits des Horizonts. Osterweiterung? Europäische Verfassung? Ein europäischer Außenminister? Das Verhältnis zu den USA, das sich mit der Bush-Administration so konflikthaft gestaltet. Das Publikum hörte gern zu.
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Ob das sich einigende Europa seinen Bürgern Heimat biete, war also das Thema, und Klaus Harpprecht beschrieb liebevoll das südfranzösische Dorf, das zwischen all seinen Reisen Heimat ist. Wie ihm die europäische Integration erlaubt, dort an der Lokalpolitik teilzunehmen, demnächst neben der deutschen die französische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Er könnte sogar als Dorfbürgermeister kandidieren! - Neben Harpprechts französischem Dorf rückte Maarten Brands, nicht weniger weit gereist, sogleich seine niederländische Kleinstadt, in zurückzukehren ihm - bei aller Liebe zu New York City - immer wieder wohl tut.
Diese Art Heimat kennt jeder - sogar als Vertriebener: als Heimweh. Adam Michnik, Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, hatte das passende Bild: Heimat ist wie Sauerstoff für das Atmen, man bemerkt Heimat erst, wenn sie fehlt. Jahrhunderte lang kannten sich die Polen gut aus mit diesem Luftmangel, als geteilte, inexistente Nation; deshalb, so Michnik, sei für ihn ein Europa ohne Nationalstaaten undenkbar - eine Selbstverständlichkeit vielleicht erst für seinen Sohn, jetzt 15 Jahre alt. Dass ein Teil der polnischen Nation dieselbe nur als katholische und kirchentreue anerkannt, das haben die anders gesonnenen Fraktionen gut unter Kontrolle. Das Publikum glaubte es dem durchtrainierten Bürgerrechtler aufs Wort. Er erzählte auch so gute Witze - aber dafür ist jetzt keine Zeit.
Die Dichterin Herta Müller, schon 1987 aus Ceausescus, Rumänien entkommen, hat noch jenen repressiven Heimatbegriff vor Augen, der mit dem Nationalismus und seinen fürchterlichsten Exzessen verknüpft ist. Zweifach konnte man sie unter Druck setzen: als Deutsche, die halt den Sitten und Traditionen der Rumänien-deutschen Heimat genau zu entsprechen habe; und gleichzeitig beäugte sie Rumänien misstrauisch, ob sie auch dessen Loyalitätsverpflichtungen einhalte, obwohl sie einer Minderheitensprache angehörte. Herta Müller schilderte eindrucksvoll, wie sie die Bundesrepublik noch immer fassungslos mache, insofern sie all das nicht von ihr verlangt, keine Heimattreue, keine nationale Loyalitätserklärung bei jeder passenden Gelegenheit. Immer noch kann sie es kaum glauben, dass es auch so bleiben wird.
So ist Europa, da waren sich alle einig, ein höchst angenehmer Ort zum Leben. Aber wenn Heimat das zwanglos Selbstverständliche dieses Orts bezeichnet, kann man mehr dazu eigentlich nicht sagen, und so verlor sich die Diskussion - von Ulrike Ackermann prägnant moderiert - in die großen Fragen jenseits des Horizonts. Osterweiterung? Europäische Verfassung? Ein europäischer Außenminister? Das Verhältnis zu den USA, das sich mit der Bush-Administration so konflikthaft gestaltet. Das Publikum hörte gern zu.
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