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Kannibalismus im Atlantik

Ökologie. - Plankton ist die Grundlage allen Lebens im Meer. Dennoch geben die winzigen, im Wasser treibenden Pflanzen und Tiere den Forschern immer noch Rätsel auf. Einem davon sind Forscher vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven auf der Spur: der Nachwuchslücke bei Ruderfußkrebsen.

    Mitten in der Nordsee, auf halbem Weg zwischen Schottland, Norwegen und Island geht regelmäßig das Wetterschiff "Mike" vor Anker. Außer einer sturmerprobten Stammmannschaft hatte "Mike" in diesem Winter auch Gäste aus Bremerhaven an Bord. Studenten des AWI warfen ihre Netze aus und untersuchten den eingeholten Krill genauestens. "Mir tun die Studenten heute noch leid, die in dieser Zeit nicht nur Netze gezogen, sondern dann auch am Binokular die lebenden Weibchen aussortiert haben, um Eiproduktionsversuche zu machen", berichtet AWI-Forscher Hans-Jürgen Hirche.

    Die Studenten suchten nach Individuen der Art Calanus finmarchus, gemeinhin als Ruderfußkrebse bekannt. Sie wollten ihre Fortpflanzungsrate bestimmen, denn die winzigen Krebstiere spielen eine bedeutende Rolle in der Nahrungskette der Meere. Die Untersuchungen förderten überraschende Ergebnisse zu Tage. Zum einen begannen die Krebsweibchen bereits sehr früh im Jahr mit der Eiablage, auch wenn die Legerate nur rund ein Viertel der Maximalrate betrug. Die eigentliche Überraschung aber war, dass aus diesen Eiern sehr viel weniger Jungtiere schlüpften, als zu erwarten war. "Die Zahlen schwankten zwar, aber es waren in der Regel immer wesentlich weniger Larven im Wasser, als wir erwarten konnten", so Hirche.

    Eine mögliche Erklärung ist Kannibalismus unter Ruderfußkrebsen. Die Tiere fallen am Ende des Winters, wenn die Nahrung noch knapp ist, über die Eier her. Die Ergebnisse aus dem Nordatlantik sollen jetzt durch Messungen in der Deutschen Bucht ergänzt werden. "Wir versuchen mit verankerten Geräten kontinuierlich die Vorkommen zu messen", so Hirche. Zum Einsatz soll beispielsweise ein Videoplanktonrecorder kommen, der die vorbeischwebenden Ruderfußkrebse filmen soll.

    [Quelle: Klaus Herbst]