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Kannibalistische Bakterien

Mikrobiologie. – Gehen den Bakterien vom Stamm Bacillus subtilis die Nährstoffe aus, schalten sie auf den Überlebensmodus als Spore mit extrem eingeschränkten Lebensfunktionen um. Zuvor allerdings versuchen sie, auf Kosten ihrer Mitbakterien weiterzukommen. US-Forscher haben entdeckt, dass sie sie zerstören, um ihre Bestandteile zu verwenden. In der aktuellen Ausgabe von "Science" berichten sie darüber.

    Von Volker Mrasek

    Was der US-Mikrobiologe Richard Losick von seinen Untersuchungsobjekten erzählt, das hätte man Bakterien nicht unbedingt zugetraut:

    Sie werden zu Kannibalen! Sie vergreifen sich an der eigenen Verwandtschaft, bringen ihre Schwesterzellen zum Platzen und ernähren sich dann von den freiwerdenden Nährstoffen, um selber weiter wachsen zu können.

    Losick hat ein Labor an der Harvard-Universität in Cambridge in den USA. Dort forscht die Arbeitsgruppe des Professors an Bakterien, die wir als "Heubazillen" kennen. Bacillus subtilis heißt die Art streng wissenschaftlich. Sie ist weit verbreitet, verdirbt schon 'mal Lebensmittel, fällt als Krankheitserreger aber nicht besonders auf. Dennoch ist die Heubazille alles andere als gewöhnlich. Losick:

    Spektakulär am Heubazillus ist, dass er in ein Ruhestadium übergehen kann. In eine Dauer-Spore, die außerordentlich robust ist. Es ist die vielleicht widerstandsfähigste Spore in der ganzen belebten Welt. Sie kann Jahrzehnte überleben, selbst bei starker Strahlung und großer Hitze.

    Die Rekord-Mikrobe ist aber nicht nur ein geschickter Überlebenskünstler. Losicks Laborbefunde verschaffen ihr jetzt auch den Ruf, ein skrupelloser Killer zu sein. Losick:

    Das Bakterium braucht Stunden und viel Energie, um sich in eine Spore zu verwandeln. Es ist eine Art letzte Rettung in der Not, wenn keine Nahrung mehr zur Verfügung steht. Deswegen zögert die Zelle diese Entscheidung so lange wie möglich hinaus. Wir haben nun entdeckt, dass sie dabei zum Kannibalen werden kann. Sie produziert dann eine tödliche Waffe, ein Antibiotikum, und eine molekulare Pumpe in ihrer Zellhülle. Damit schleust sie das Antibiotikum nach außen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Ihre Schwesterzellen aber können sich nicht schützen, sie werden durch die Substanz getötet.

    Der Lohn für den Killer ist eine Extraration Nahrung: Die attackierten Schwesterzellen brechen auf, ihr Zellinhalt quillt ins Freie. Darunter sind verwertbare Nährstoffe. Ein schwerer Fall von Leichen-Fledderei! Aber sie hilft dem kannibalistischen Bakterium, sein normales Leben weiterzuführen, statt sich in eine quasi scheintote Dauerspore verwandeln zu müssen, die auf bessere Zeiten hofft. Doch welche Zellen mutieren zu Familien-Killern, und welche nicht? Es drängt sich eine Vermutung auf: Unter den Heubazillen setzt sich nicht der Stärkere durch, sondern der Schwächere. Die Zelle, die schon halbverhungert ist und deshalb ihr Kannibalismus-Programm als erste einschaltet. Losick:

    Ich würde sagen: Der Schnellste gewinnt! Denn die Bakterienzellen sind ja alle genetisch identisch. Es sind Zwillingsbrüder und -schwestern, wenn man so will. Nur setzt die Sporenbildung bei ihnen nicht unbedingt gleichzeitig ein. Eine Zelle hat da die Nase vorne. Sie schaltet dann als erste um und wird zum Kannibalen, der die langsameren Zellen tötet.

    Bacillus subtilis wird damit seinem Namen gerecht. Das Bakterium geht bei seiner Wandlung zum Kannibalen sogar noch subtiler vor, als bisher geschildert. Es fabriziert nicht nur das Antibiotikum, sondern auch noch eine zweite Substanz. Richard Losick spricht von einem "Signalmolekül". Auch dieser Eiweißstoff wird von der molekularen Pumpe nach außen befördert. Wie die Mikrobiologen herausfanden, verstärkt er als Ko-Faktor die Wirkung des Antibiotikums. Er sorgt dafür, dass die anderen Bacillus-Zellen besonders empfindlich auf das Zellgift reagieren. Auf dieses Signalprotein will sich der US-Forscher nun konzentrieren:

    Es könnte ja sein, dass auch bekannte Krankheitserreger unter den Bakterien auf ein solches Signalmolekül reagieren. Dann könnte man daran denken, es als Medikament nachzubauen. Es würde dann die Wirkung von Antibiotika in der Therapie verbessern.