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Kanzlerinnen-Rückzug
Die Raute bleibt

Kanzlerin Angela Merkel zieht sich schrittweise zurück - und als Bild von ihr wird vor allem ihre bekannteste Geste bleiben, meinte Medienwissenschaftler Jochen Hörisch im Dlf. Die "Merkelraute" stehe für Feinjustierung in der Politik. Die Zeiten des "Heroismus" seien dagegen vorbei.

Jochen Hörisch im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Hände zur Raute aneinandergelegt
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Hände zur Raute aneinandergelegt (picture alliance /dpa /Michael Kappeler)
    Doris Schäfer-Noske: Die FAZ zeigt heute eine fast erleichtert lächelnde Kanzlerin, die Welt hat ein Bild von ihr mit skeptischem Blick ausgewählt – den Fokus unvorteilhaft auf die Falten gerichtet. Die Süddeutsche hat ein Schwarz-Weiß-Foto auf der Titelseite und der Tagesspiegel hat ein Bild von 1991 ausgewählt, als Merkel Jugendministerin war unter dem Titel "Merkel macht Schluss". Die Frankfurter Rundschau zeigt schließlich Merkel von hinten. War das die letzte Gelegenheit, bevor ihr Denkmal ohnehin gestürzt worden wäre? Oder hat Angela Merkel den Zeitpunkt für einen glanzvollen Abgang längst verpasst? Der angekündigte Rückzug von Angela Merkel vom Parteivorsitz der CDU ist ganz unterschiedlich und zum Teil auch widersprüchlich interpretiert worden. Frage an den Medienwissenschaftler Jochen Hörisch: Ist das ein Ausdruck unserer gespaltenen Gesellschaft?
    Jochen Hörisch: Ja, ganz gewiss! Wir haben Gott sei Dank ja absolute Meinungsfreiheit und wir haben den Konsens darüber, dass wir Dissens haben dürfen, dass wir andere Meinungen haben dürfen in der Bewertung von Ereignissen. Insofern merken wir, dass eine Person vorhanden ist, die man sehr unterschiedlich in ihrem Handeln interpretieren kann, und von dem Recht, es unterschiedlich zu interpretieren, machen wir Gebrauch. Sie sprechen mit einem Literaturwissenschaftler und der glaubt zu wissen, dass der Unterschied zwischen dem, der den Roman schreibt, und dem, der den Roman interpretiert, gewaltig ist. Aber wir können nicht alle begeisterte Romanschreiber sein, die machtvoll die Feder schwingen, aber immerhin können wir uns dann im Interpreten-Milieu tummeln und sagen, ich hab‘s aber so verstanden, und der andere sagt, nein, ich hab‘s anders verstanden.
    "Der Signalwert dieser Finger"
    Schäfer-Noske: Interessant ist in dem Zusammenhang ja auch die Deutung der Person Merkel selbst, zum Beispiel durch die Fotos, die von den Zeitungen ausgewählt wurden. Ich habe das eingangs schon angesprochen. Da ist ja alles dabei: die lächelnde Kanzlerin, die skeptische, die Jugendministerin, oder Merkel in Schwarz-Weiß, Merkel von hinten. Welches Bild wird von ihr bleiben?
    Hörisch: Es wird das Bild bleiben, glaube ich, sehr präzise von ihren Händen, dass sie diese berühmt berüchtigte Raute-Figur macht. Und der Signalwert dieser Figur – das muss man ja erst mal hinkriegen, dass man so eine Art Markenzeichen wird als Person -, der Signalwert dieser Finger, dieser Handfigur ist, glaube ich, sehr deutlich: Ich bin die Gestalt, die alle möglichen Probleme in einen bestimmten Rahmen hineinbringen kann, und in diesem Rahmen kann ich als gelernte Physikerin für Ordnung sorgen, ich analysiere das, das ist der Fokus meiner Aufmerksamkeit, da habe ich das Spiel in der Hand. Ich denke, von Merkel werden die Hände bleiben, die eine allegorische, eine bedeutungsschwangere Figur abgeben.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält am 29.06.2017 im Deutschen Bundestag in Berlin eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat und dem G20-Gipfel.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält am 29.06.2017 im Deutschen Bundestag in Berlin eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat und dem G20-Gipfel. (dpa / picture-alliance)
    Schäfer-Noske: Die Frau, die alles in der Hand hat im Grunde?
    Hörisch: Ja! Und der man das gar nicht so sehr zutraut. Das ist keine kräftige Männerhand, mit harter, mit eiserner Hand regieren, die Faust schwingen und dergleichen mehr, sondern es ist eine sehr filigrane Figur, feine Fingerarbeit zu machen, statt grob zuzuklotzen. Das wollen wir Trump überlassen. Da ist das Signal, Regierungsgeschäft ist ein Geschäft der Feinjustierung, und da kann Merkel wahrscheinlich in ihrem Selbstverständnis zustimmen und sagen, genau das habe ich gemacht: keine große, hochgeschaukelte Politik, wo die Fäuste sprechen müssen, weil es um ultimative Letztentscheidungen geht, sondern in der postmodernen beruhigten Gesellschaft, da kommt es auf fingerfertige Kleinarbeit an.
    "Merkel ist keine Mutter"
    Schäfer-Noske: Bei Twitter wird unter dem Hashtag #Merkel-Dämmerung geschrieben. Da denkt man an Wagner. Und wenn die niederländische Zeitung de Volkskrant schreibt, nach 18 Jahren hält die angeschlagene Mutti Merkel ihre Kinder für erwachsen genug, um über die Zukunft der Partei zu bestimmen, und sie nimmt in Kauf, dass sich dabei eines ihrer Kinder als Muttermörder entpuppen könnte, dann fühlt man sich ja irgendwo zwischen Soap Opera und antiker Tragödie oder Shakespeare. In welchem Genre sind wir gerade, Herr Hörisch?
    Hörisch: Wir sind, glaube ich, genau in dem Genre, wo dieses große Pathos Muttermörderin, antikes Drama und dergleichen mehr nicht greift. Das Seltsame an den Merkel-Jahren war ja ihre absolute Ruhe. Die Zeiten waren bewegt und wir hatten immer das Gefühl, da ist eine Frau, die ist cool, die ist nicht erregt, die lässt sich nicht aus der Bahn bringen, die ist gerade nicht tauglich für diese mythologischen Überhöhungen. Das wäre jetzt wirklich interpretatorische Projektion hinein in eine Figur, die sagt, genau das will ich nicht sein. Ich hoffe, ich bin nicht zu indezent, wenn ich sage, Merkel ist ja auch keine Mutter, sondern sie ist eine kinderlose Frau. Wenn man das im Kontrast sieht zu Ursula von der Leyen, dann merkt man das ganz unterschiedliche Image, das die haben. Ihr Kind ist die Politik, ihr Kind, das was sie freigesetzt hat, was sie der Welt gegeben hat, ist genau dies, bestimmte Eskalationen, bestimmte Zuspitzungen, bestimmte Militanzen zu verhindern. Das hat natürlich auch für viel Irritation gesorgt. Merkel hat natürlich die SPD, die Alternative zu ihr, in die CDU reinkopiert. Sie hat gewissermaßen die CDU brutal sozialdemokratisiert. Die SPD hat sich zu Tode gesiegt. Aber das sind ja lauter Metaphern, die weit unter dem Niveau von Muttermord, von großer Revolte, von großem antiken Drama liegen.
    "Der Habitus der Merkel-Politik wird sich fortsetzen"
    Schäfer-Noske: Die Ankündigung ihres Rückzugs war ja gestern auch sehr unheroisch. Nüchtern und knapp hat sie ihren Fahrplan bis zur nächsten Bundestagswahl vorgestellt. Wann wird der erste Mann so ohne Bohei den Rückzug ankündigen?
    Hörisch: Das würde ich auch gerne mal wissen. Die Frage ist in der Tat, wird die Politik weiter weiblich sein, mit feiner, gliedernder Hand gestaltet, oder werden wir wieder Figuren haben, die für große Sprüche tauglich sind. Der Heroismus ist auch vorbei, und das ist wohl auch gut so. Insofern wäre meine These die, dass unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit sich der Gestus und der Habitus der Merkel-Politik in Deutschland fortsetzen wird.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Hände zu einer Raute geformt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Hände zu einer Raute geformt. (dpa picture alliance/ Michael Kappeler)
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.