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Kapitän von Beust geht von Bord

Amtsmüdigkeit muss sich Hamburgs erster Bürgermeister Ole von Beust seit Wochen vorwerfen lassen - und immer wieder beschwichtigt er. Aber die Gerüchte werden hartnäckiger: Am Sonntag ist womöglich Schluss. Sein Nachfolger ist beim Wahlvolk aber längst nicht so beliebt wie er.

Von Verena Herb | 15.07.2010
    "Wenn Sie lange dabei sind, heißt es immer, der ist amtsmüde. Ich will ja nicht ausschließen, dass man mal nen Tag hat, wo man müde ist oder müde wirkt. Aber hier liegen wichtige Aufgaben vor uns, und ich bin nicht amtsmüde."

    Hamburgs erster Bürgermeister Ole von Beust - vor knapp zwei Wochen. Da wurde ihm bereits "Amtsmüdigkeit" attestiert. Vor wenigen Tagen machten dann die Spekulationen die Runde, er werde schon bald sein Amt aufgeben.

    Während der Freiherr sich zurzeit einige Tage auf seiner Lieblingsinsel Sylt erholt, brodelt es in der heimischen Gerüchteküche: Am Sonntag werde Ole von Beust seinen Rücktritt erklären – so mancher Beobachter schließt das nicht mehr aus. Auch wenn der Bürgermeister bis zuletzt dementiert:

    "Gequatscht und getratscht wird immer. Dann sabbeln sie und reden sie – aber es gilt das, was ich immer gesagt habe: Ob ich noch mal antreten werde 2012, muss zu einem richtigen Zeitpunkt entschieden werden. Rechtzeitig vor der nächsten Wahl."

    Beobachter gehen davon aus, dass Ole von Beust Sonntag seiner Partei bereits am Sonntagnachmittag seinen Rücktritt verkünden wird, nicht mit sofortiger Wirkung, sondern zur nächsten Bürgerschaftssitzung am 25. August. Dafür spricht, dass die Sitzung des CDU-Landesvorstandes, die ursprünglich für den Abend angesetzt war, kurzfristig auf 16 Uhr vorverlegt wurde. Sollte von Beust da seinen Rücktritt bekannt geben, könnte er kurze Zeit später der Öffentlichkeit seine Entscheidung mitteilen.

    Wichtig dabei: vor Bekanntwerden der Abstimmungsergebnisse. Denn nur, wenn er vor Schließung der Wahllokale seinen Rückzug erklärt, kann von Beust bei seiner Interpretation bleiben: Seine Entscheidung steht in keinem Zusammenhang mit dem Ergebnis des Volksentscheids. Von der CDU will sich öffentlich niemand zu den Rücktrittsspekulationen äußern. Der Parteivorsitzende Frank Schira ist nur telefonisch erreichbar und verkündet:

    "Wir haben eine gute Stimmung. Wir haben auch einen Bürgermeister, den wir noch lange im Amt haben wollen. Das ist sowohl was die Partei angeht, aber auch natürlich Fraktionsmeinung."

    Viele in der Partei sprechen indes nicht von "guter Stimmung". Der Unmut ist groß, man will wissen, wie geht es weiter? Mit oder ohne Ole von Beust? Marcus Weinberg, der stellvertretende Landesvorsitzende, wird konkreter:

    "Für uns als CDU muss nun mal wichtig sein, dass wir tatsächlich im Herbst ein klares Gerüst haben. Klare Strategie, klare Kommunikation nach außen - und das heißt dann auch, dass Personalspekulationen beendet werden sollten. Denn wir brauchen natürlich auch 'ne Sicherheit als CDU..."

    Denn die CDU steckt in der Krise: Die Umfragewerte sinken, derzeit liegen die Christdemokraten bei 36 Prozent, rund sieben Prozent unter dem Ergebnis der letzten Bürgerschaftswahl vor zwei Jahren. Die Partei muss wieder Vertrauen in der eigenen Wählerschaft schaffen, muss die traditionellen Kompetenzfelder der CDU - innere Sicherheit, Wirtschaft und Finanzen - schärfen, sonst laufen die Wähler davon.

    Fast täglich brennen Autos auf Hamburgs Straßen, die Haushaltslage der Hansestadt ist desaströs, und die HSH-Nordbank, die Krise um Hapag Lloyd und die Elbvertiefung sorgen weiterhin für Aufregung. Und Ole von Beust und die CDU bieten derzeit keine überzeugenden Lösungskonzepte, meint Uli Wachholtz, Präsident des Unternehmensverbandes Nord:

    "Also, von Ole von Beust erwartet die Wirtschaft eigentlich, dass er den Senat klar und deutlich führt und eine Richtung vorgibt, die für alle erkennbar und nachvollziehbar ist. Daran hat es in den letzten Monaten etwas gemangelt. Insofern sind die Zustimmungswerte auch da nach unten gegangen."
    In diesem Zusammenhang spielt die Debatte um die Schulreform eine wichtige Rolle. Viele Konservative sind entrüstet, dass sich Ole von Beust und mit ihm die gesamte Fraktion so bedingungslos hinter das grüne Projekt "Primarschule" stellt. "Da wedelt der Schwanz mit dem Hund", heißt es verächtlich von der Basis, die CDU überlasse das Agenda-Setting dem kleinen Koalitionspartner. Neue Töne für den Ersten Bürgermeister.

    Von Beust ist die Beliebtheits- und Wahllokomotive der Hamburger Christdemokraten – und das seit seinem Amtsantritt vor knapp neun Jahren. Das mag wohl auch der Grund sein, warum seine Partei ihm bei Kapriolen gerne folgt: Man erinnere sich an das Experiment mit der "Schill-Partei" Anfang des Jahrzehnts. Hier waren die Probleme vorprogrammiert. Auch Schwarz-Grün ist so ein Experiment ohne Beispiel.

    Für das bekam er Rückenwind aus Berlin - und setzte so die neue Koalition durch. Ole von Beust ist kein Machtmensch, aber ein Pragmatiker der Macht mit einem ausgeprägten Gespür für die Grenzen des Machbaren. Er hat es geschafft, aus einem konservativen und recht spröden Altherren-Verein eine liberale und offene Großstadtpartei zu formen. Das ging lange gut, jetzt wird es der Partei zum Verhängnis: Vielen konservativeren Stammwählern ist die Partei mittlerweile zu offen, zu liberal. Der Politikwissenschaftler Michael Greven:

    "Ich glaube das Grundproblem liegt darin, dass sie einerseits versucht, in der Koalition mit den Grünen eine moderne Großstadtpartei zu sein und auf der anderen Seite ein nicht unbeträchtlicher Teil ihrer Wählerschaft doch recht konservativ ist."
    Von Beusts Nachfolger - aller Voraussicht nach wird das Innensenator Christoph Ahlhaus - muss diese Wogen wieder glätten. Er repräsentiert den konservativen Flügel der CDU und verfügt über eine nötige Hausmacht. Das könnte reichen, um das konservative Profil der Partei wieder zu schärfen. Allerdings kommt der Jurist noch lange nicht an die Beliebtheitswerte seines Parteikollegen von Beust heran: Ein Grund mehr, warum die Partei Zeit braucht, den mutmaßlichen Kronprinzen "wahlkampftauglich" zu machen. Christoph Ahlhaus muss sich profilieren als geeigneter Nachfolger für Ole von Beust. Und das kann er nur "qua Amt".

    Sollte der Bürgermeister tatsächlich am Sonntag zurücktreten und Christoph Ahlhaus bei der nächsten Bürgerschaftssitzung zu seinem Nachfolger gewählt werden - dann hätte die CDU, so es nicht zu Neuwahlen kommt, zwei Jahre Zeit, ihren Spitzenkandidaten aufzubauen.