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Kapitalisten unter Beobachtung

Im Vorfeld der zum Theaterstück umgewidmeten Daimler-Hauptversammlung musste "Rimini Protokoll" sich erstmal Aktien des Konzerns besorgen. Denn nur Aktionäre haben Zutritt. Dann versicherte man sich der wohlwollenden Zustimmung der Konzernleitung. Doch ist das wirklich "Theater extrem", einfach zu beobachten, was passiert? Oder vielleicht doch eher die Verwechslung von Wirklichkeit und Theater?

Von Eberhard Spreng | 08.04.2009
    Beim Eintritt in die Berliner Messehallen sind verschiedene Sicherheitskontrollen zu überwinden. Und auch der Zugang zum Saal kann dauern. Wenn man überhaupt einen Platz findet in der Halle mit dem imposanten Hauptversammlungsdekor, der Rednertribüne, die zwei Automobile der neuen E-Klasse flankieren. Viele der rund 8000 Besucher müssen sich mit der Videoübertragung in einen anderen Saal zufrieden geben und können den Vorstandsvorsitzenden und all die anderen Redner nicht wirklich live erleben. Aber dafür wird der Ton auch noch in die entlegendste Toilette übertragen. Diese Hauptversammlung ist eine Veranstaltung für ein Massenpublikum, ähnlich wie Sport, oder ein Popkonzert.

    Die 200 Gäste, die die Dokumentartheatertruppe Rimini Protokoll eingeschleust hat, fallen da überhaupt nicht auf. Und stören auch die Show nicht, mit der sich der Konzern hier präsentiert. Diese sei eine Inszenierung, wie kein Regisseur sie je ins Theater bringen könnte, meint Rimini und nennt nicht sich selbst, sondern die Daimler Investor Relations-Abteilung des Konzerns den Regisseur und postiert den Vorstandsvorsitzenden, Dr. Dieter Zetsche, an die Spitze auf der Liste der Hauptrollen. Was für Vorstand und Aufsichtsrat, für Fondsmanager und Bankenvertreter, für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsanwälte, für Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger und all die anderen Alltag ist, soll sich in den Augen einer kleinen Minderheit in Theater verwandeln.

    Vor Jahren wollte Rimini so etwas in Düsseldorf zusammen mit Henkel machen, aber der verunsicherte Konzern lehnte dann doch die als Kooperation gedachte Fusion von Kunst und Wirtschaft ab. Jetzt versucht es die Gruppe mit der parasitären Variante. Noch bis in den Abend können auch Rimini-Mitmacher kritische Fragen stellen, auch unsinnige, und der Vorstand muss antworten, so will es das Aktienrecht. Und in den von Rimini vorbereiteten, sogenannten Nischengesprächen kann man sich von Experten in die Hintergründe jenseits der großen Daimler-Show einführen lassen.

    Aber reicht das für die feindliche Übernahme der Wirklichkeit durch die Kunst? Oder rächt sich die Realität dafür, von Rimini in Theater umfunktioniert zu werden damit, dass sie das Theater im großen Nichts der Erscheinungen auflöst? Wer mitmacht im Mitmachtheater verliert das Privileg des unbeteiligten Zuschauens und gerät in eine dieser früher einmal avantgardistischen Rituale in der Folge von Futurismus und Situationismus. Was hier aber überzeugt, ist die Chance der jungen Rimini-Zuschauer, sich selbst in der ungewohnten Rolle des Aktionärs und in der unbekannten Situation einer Hauptversammlung wahrnehmen zu können, und dabei Happening im Happening zu werden.

    Rimini hat das Theater nun definitiv verlassen, um eine Wahrnehmungsgrenze innerhalb unserer fragmentierten Wirklichkeitserfahrung zu überwinden. Die Gruppe macht eine Exkursion in die Realität eines Dax-Konzerns. Theater ist das nicht mehr, sondern eher ein Crashkurs in Aktienrecht.