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Karadzic-Prozess
"Beklagenswert ist, dass es so lange dauert"

Der Prozess gegen den früheren bosnisch-serbischen Anführer Radovan Karadzic vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag soll heute zu Ende gehen. Der ehemalige EU-Sonderkoordinator Erhard Busek erwartet eine Verurteilung von Karadzic. Doch sei es beklagenswert, dass das Verfahren mit mehr als sechs Jahren so lange gedauert habe.

Erhard Busek im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.03.2016
    Erhard Busek, frühere EU-Koordinator für den Balkan-Stabilitätspakt.
    Erhard Busek, der frühere EU-Koordinator für den Balkan-Stabilitätspakt. (imago / SKATA)
    Für die Familien der Opfer werde die Verurteilung von Radovan Karadzic eine späte Rechtfertigung darstellen und für Bosnien werde es hoffentlich ein gewisser Schlussstrich sein, sagte Busek, Vorstand des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa. Doch seien die Probleme dort immer noch offensichtlich. Der Nationalismus sei ungebrochen. "Eine wirkliche Versöhnung ist mit Sicherheit noch nicht gelungen."
    Der Prozess werde nichts zum Versöhnungsprozess beitragen können. Er hätte aufgrund der langen Zeitdauer unter der Wahrnehmungsschwelle der Bevölkerung stattgefunden, sagte Busek.
    Prozess dauerte sechs Jahre
    Der 70-Jährige ist für Völkermord in zwei Fällen angeklagt sowie für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Bei einem Schuldspruch droht Karadzic als Höchststrafe lebenslange Haft. Der Angeklagte hatte sich in dem mehr als sechs Jahre dauernden Prozess in Den Haag selbst verteidigt.
    Karadzic war 2008 nach 13 Jahren auf der Flucht festgenommen worden. Er gilt als politischer Hauptverantwortlicher für das Massaker von Srebrenica. 1995 hatten serbische Einheiten in der bosnischen Stadt rund 8.000 muslimische Männer und Jungen ermordet.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Radovan Karadzic, der ehemalige Serben-Führer im ehemaligen Jugoslawien, er hat sich ja einen Eintrag in die Geschichtsbücher garantiert, allerdings auf eine dunkle, wenig ruhmreiche Weise. Er nämlich war eine Schlüsselfigur im Bosnien-Krieg der 90er-Jahre, der in das schlimmste Verbrechen seit Ende des Zweiten Weltkriegs mündete: in den Völkermord von Srebrenica, dem 3.000 muslimische junge Männer zum Opfer fielen, und das ausgerechnet in einer UNO-Schutzzone. Zwölf Jahre lang war Karadzic abgetaucht, bis ihn Sicherheitskräfte dann doch noch aufspürten. Und fast sechseinhalb Jahre saß Karadzic vor seinen Richtern des Weltstrafgerichts, der Vorwurf unter anderem Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wegen Srebrenica, aber auch wegen der Belagerung Sarajewos. Heute wird das Urteil erwartet und darüber können wir jetzt sprechen mit Erhard Busek, Vizekanzler a. D. der Republik Österreich. Er war von 2002 bis 2008 EU-Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa, ist jetzt Vorsitzender des Instituts für den Donau-Raum und Mitteleuropa, also immer noch schwer aktiv. Guten Morgen, Herr Busek.
    Erhard Busek: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Busek, welche Verantwortung trägt Karadzic für die Verbrechen, die ihm zur Last gelegt werden?
    Busek: Na ja, in einem hohen Ausmaß, weil er natürlich politisch gestaltend war in diesem Versuch, eine Lösung für Bosnien zu finden, wo die Volksgruppen miteinander leben können, wo er sich aber massiv dagegen ausgesprochen hat und von Hause aus dafür war, dass die Serben dominant waren, dass Jugoslawien erhalten wird und Ähnliches, wobei er das in Gemeinschaft sicher mit Mladic und der Führung in Belgrad gewesen ist. Diese trägt genauso Verantwortung.
    Heckmann: Was denken Sie? Wird der Prozess mit einer Verurteilung enden? Gibt es daran irgendwelche Zweifel?
    Busek: Nach dem, was ich weiß, nehme ich an, dass eine Verurteilung kommt. Das, was beklagenswert ist, dass es so lange dauert. Da ist eine gewisse Problematik drin, denn die Ereignisse, die uns in den letzten Tagen sehr bewegen, überholen quasi die Bedeutung dessen, wobei natürlich Srebrenica, also der eigentliche Anlass für die Verurteilung, sehr im Gedächtnis der Menschen dort ist, während es andere schon längst wieder vergessen haben.
    Heckmann: Sie haben mir gerade im Vorgespräch auch noch mal erzählt, Sie sind Karadzic selbst begegnet. Was war das für ein Mann? Was war das für eine Begegnung?
    Busek: Es war eine Konferenz, die in Wien stattgefunden hat, über die Situation in Jugoslawien damals, und die Hauptakteure der späteren Zeit waren da. Es war Izetbegovic, ein späteres Präsidiumsmitglied von Bosnien-Herzegowina, und Karadzic. Wobei das wirklich Schreckliche war, dass Karadzic den Griff zu den Waffen angekündigt hat. Es hat das aber niemand so ernst genommen. Da hat man gesagt, na ja, das ist halt so typisch Balkan und Ähnliches, Drohgebärden und dergleichen. Dass es dann so bitter ernst wurde, konnte sich damals niemand so recht vorstellen.
    Der Bosnische Serbenführer Radovan Karadzic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal im Gerichtssaal im Den Haag
    Der Bosnische Serbenführer Radovan Karadzic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal im Gerichtssaal im Den Haag (AFP / Michael Kooren)
    Heckmann: Haben Sie es ernst genommen?
    Busek: Ernst genommen schon. Nur haben wir alle geglaubt, dass sozusagen das Level des Humanen hier schlicht und einfach höher ist. Wir waren schon sehr lange nach Kriegen und daher konnten wir uns damals nicht vorstellen, dass so was wieder möglich ist.
    "Er ist ein sehr selbstbewusster Mann gewesen, in dem Sinne zunächst einmal gar nicht sehr politisch"
    Heckmann: Noch mal zu Ihrer Begegnung. Was hatten Sie für einen Eindruck von Herrn Karadzic? Wie wirkte er auf Sie?
    Busek: Er ist ein sehr selbstbewusster Mann gewesen, in dem Sinne zunächst einmal gar nicht sehr politisch, sondern er war mehr als Schriftsteller ausgegeben sozusagen mit einer sehr stark romantischen Note, durchaus aber nicht sehr gesprächsfähig.
    Heckmann: Gehen wir mal davon aus, dass es heute vor dem UNO-Tribunal zu einer Verurteilung von Karadzic kommt. Welche Bedeutung hat dieses Urteil für das politische Klima auf dem Balkan heute?
    Busek: Es ist für die Familien der Opfer natürlich eine späte Rechtfertigung in ihrem Verständnis, dass die internationale Gemeinschaft hier etwas macht. Für die Situation in Bosnien selber ist es hoffentlich ein gewisser Schlussstrich, wobei ja die Probleme dort nach wie vor sehr offen sind. Denn: Sehr konstruktiv wird in diesem Staat nicht zusammengearbeitet.
    Heckmann: Kürzlich - das wurde vor wenigen Tagen gemeldet - ist ein Studentenwohnheim in Pale in der Nähe von Sarajewo nach Karadzic benannt worden. Welches Verhältnis haben die Serben zu ihm heute? Wie würden Sie das einschätzen, wenn man von den Serben überhaupt sprechen kann?
    Busek: Pale liegt in der Republika Srpska, also im serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina, und ist eine typische Manifestation einer serbischen nationalistischen Einstellung. Wenn sie das machen, das hat aber gewisse Tradition. Das beginnt von den Vorfällen, die zum Ersten Weltkrieg geführt haben, bis heute. Dieser Nationalismus ist dort ungebrochen und ist eigentlich ein Protest gegen den Rest der Welt.
    "Die wirkliche Versöhnung ist mit Sicherheit noch nicht gelungen"
    Heckmann: Ungebrochen, dieser Nationalismus. Wie erklären Sie sich das, dass nach diesen unglaublichen Vorgängen, die ja die Welt zu sehen bekamen, dieser Nationalismus immer noch fröhliche Urständ feiert?
    Busek: Ja, das wird sehr deutlich gepflegt, und zwar durchaus nicht nur von der Politik, sondern auch über Literatur und so weiter, in der Erziehung. Das spielt eine große Rolle. Die wirkliche Versöhnung ist mit Sicherheit noch nicht gelungen.
    Heckmann: Karadzic gilt als einer der Hauptverantwortlichen für die Verbrechen, für die er sich jetzt vor Gericht verantworten muss. Sind denn die anderen - Sie sagten, es gibt auch noch andere Verantwortliche in der Tat - ebenso der Gerechtigkeit zugeführt worden? Slobodan Milosevic beispielsweise, der starb ja, bevor ein Urteil überhaupt gesprochen werden konnte, in seiner Zelle.
    Busek: Richtig. Schauen Sie, verantwortlich ist auch die Völkergemeinschaft, denn es war ja eine UNO-Schutzzone, und dass es dort passieren konnte, war natürlich schrecklich. Die holländischen Truppen, die dort standen, die haben sich auch sehr betroffen gefühlt, oder die holländische Regierung, aber eigentlich Konsequenzen haben wir daraus keine gezogen.
    "Versagen der Völkergemeinschaft"
    Heckmann: Eigentlich müsste die niederländische Regierung mit auf der Anklagebank sitzen, hat eine Angehörige in einem Beitrag gesagt. Würden Sie das auch so sehen?
    Busek: Ich würde das auch so sehen, wobei man das nicht allein an den Niederländern festmachen sollte, sondern es war eigentlich ein Versagen der Völkergemeinschaft. Wir hatten nicht die richtigen Vorstellungen, was man hier machen muss. Aber das setzt sich ja letztlich fort, wenn Sie wollen. Syrien ist ja dasselbe Modell, wo die Effizienz der Völkergemeinschaft sehr bescheiden ist, Frieden herzustellen.
    Heckmann: Das heißt, die Tendenz ist immer noch zu erkennen, dass die Weltgemeinschaft dann doch den Blick lieber abwendet?
    Busek: Das ist richtig, und froh ist, wenn sie über irgendetwas anderes reden kann.
    Heckmann: Schauen wir mal auf das UNO-Kriegsverbrecher-Tribunal insgesamt. Welche Bilanz würden Sie ziehen? Da gab es ja eine ganze Reihe von Prozessen und auch eine ganze Reihe von Verurteilungen.
    Busek: Die Bilanz, die ich vor allem ziehe, ist, dass es wahnsinnig lang gedauert hat. Ich glaube, Urteile müssen nicht von einem Tag auf den anderen, aber in einer absehbaren Zeit hier sein, weil die Dinge allzu sehr in Vergessenheit geraten und weil die Gerechtigkeit ja nicht etwas ist, was man lange im Warteraum stehen lassen kann. Gut war, dass es überhaupt passiert ist. Ob so was heute fortgesetzt wird in den vielen Fällen von Verbrechen, die wir haben, ist sehr die Frage. Als Beispiel ist Den Haag nicht unbedingt geeignet, ein Modell zu sein.
    "Das ist schon unter der Wahrnehmungsschwelle, weil es zu lange gedauert hat"
    Heckmann: Was heißt das Ganze, dieses Urteil, das heute gefällt wird, für den Versöhnungsprozess in Bosnien, wenn man von dem überhaupt sprechen kann?
    Busek: Offen gestanden gar nichts. Ich glaube, das ist schon unter der Wahrnehmungsschwelle, weil es zu lange gedauert hat.
    Heckmann: Das heißt, Sie denken, dass die Menschen in Bosnien sich dafür gar nicht so richtig interessieren?
    Busek: Sie haben langsam das Problem, dass eine junge Generation heranwächst, die die Ereignisse von damals gar nicht mehr so richtig weiß, und das ist das wirklich Betrübliche. Ich glaube, dass wir hier in der Frage der Bildung und Information sehr viel versäumt haben.
    Heckmann: Denken Sie, dass das noch korrigiert werden kann?
    Busek: Das ist sehr schwer. Zeit können Sie nicht korrigieren, die können Sie quasi nicht einholen. Natürlich kann man etwas machen. Ich bin auch involviert in den Prozess, in dem wir versuchen, auf die Geschichtsbücher einzuwirken und Geschichtsdarstellungen zu treffen, oder auch entsprechende Fernsehstreifen zu machen, die auf Versöhnung ausgerichtet sind, aber das geht alles sehr zäh.
    Heckmann: Stoßen Sie einigermaßen auf offene Ohren bei Ihren Gesprächspartnern auf dem Balkan?
    Busek: Die, die es eigentlich immer schon eingesehen haben, ja. Die anderen kriegt man gar nicht so richtig zu fassen.
    Heckmann: Eher düstere Aussichten für die politische Entwicklung auf dem Balkan, trotz des Urteils, das heute gegen Radovan Karadzic erwartet wird. Wir haben darüber gesprochen mit Erhard Busek. Er ist ehemaliger EU-Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Herr Busek, danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit.
    Busek: Herzlichen Dank und alles Gute.
    Heckmann: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.