Freitag, 29. März 2024

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Kardinal Lehmann: Dialog mit Muslimen verstärken

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, hat sich für einen besseren Dialog zwischen Christen und Muslimen ausgesprochen. Im Vergleich zur innerchristlichen Ökumene und dem Austausch mit dem Judentum sei das Gespräch mit dem Islam bisher zu kurz gekommen. Schwierigkeiten, etwa durch unterschiedliche Strukturen der Religionsgemeinschaften, dürften nicht zur Ausrede werden, um einem Dialog auszuweichen, mahnte Lehmann.

Moderation: Bettina Klein | 16.04.2006
    Bettina Klein: Herr Kardinal, Millionen Christen feiern an diesem Sonntag das Osterfest. Für viele ist es vielleicht einfach ein Feiertag, ein verlängertes Wochenende mit schönen oder auch stressigeren Stunden. Viele finden vielleicht auch Muße zur Besinnung, und für manche bietet der Auferstehungsgedanke wirklich Hoffnung. Wenn Sie jetzt in die Welt hinein schauen in diesen Ostertagen, wenn Sie in unser Land schauen, in unsere Gesellschaft: Gibt es etwas, was Ihnen persönlich Hoffnung macht, Mut macht, und dass Sie denen vermitteln können, die ihre eigene Situation, ihre eigenen Lebensumstände im Moment vielleicht nicht so hoffnungsvoll sehen?

    Kardinal Karl Lehmann: In diesem Jahr, aber auch in den anderen Jahren geht einem natürlich in den Kar- und Ostertagen besonders die Macht der Gewalt auf in unseren menschlichen Beziehungen. Jesus ist auch durch Gewalteinwirkung äußerster Art zu Tode gekommen. Es vergeht kein Tag, wo wir nicht viel von Gewalttaten hören, aber man darf auch nicht übersehen: Es gibt auch in den verborgeneren zwischenmenschlichen Beziehungen viel Gewalt. Ostern ist für mich ein Tag, wo mir besonders deutlich wird, dass mit dem Tod Jesu am Kreuz eigentlich alle Gewalt ihre letzte Macht verloren hat und dass etwas, was wie verrückt klingt, richtig ist, nämlich dass am Ende eigentlich die Liebe die stärkste Gewalt ist. Aber das ist ein weiter Weg und geht über viele Hindernisse hinweg. Da fällt mir natürlich schon in unserer Welt ein, dass es immer schwieriger ist, gemeinsam Überzeugungen zu haben. Wahlen gehen oft so aus, dass sich zwei Lager gegenüberstehen, wie jetzt auch in Italien wieder. Es ist immer schwieriger, diese gemeinsamen Überzeugungen auch umzusetzen in konkrete Politik.

    Klein: Wo sehen Sie das Hoffnungsvolle?

    Lehmann: Das Hoffnungsvolle finde ich zunächst einmal, wenn der Mensch überhaupt mal eine Pause macht, wenn er etwas zurücktritt, wenn er sich nicht einfach gefangennehmen lässt von den unmittelbaren Emotionen, von unmittelbaren Parteien und so fort, und im Grunde genommen wieder neu ansetzen kann und vielleicht der Horizont sich dann auch weitet. Also ich denke, diese Grundhaltungen sind eigentlich das Entscheidende, um an die einzelnen Dinge dann heranzugehen. Und deswegen glaube ich, dass gerade auch nach diesem strapazierten Jahr die Politikerinnen und Politiker dann doch auch etwas Erholung finden. Was Ministerpräsident Platzeck geschehen ist, lässt ja nachdenklich werden. Und ich glaube, dass das doch auch zusammenhängt mit der notwendigen Geduld, die Dynamik nicht ausschließt oder schwere Probleme anzunehmen.

    Klein: Lassen Sie uns einen Augenblick dabei bleiben. Wenn Sie die politische Entwicklung in unserem Land ansehen: Wir werden seit einem halben Jahr von einer großen Koalition regiert. Viele Menschen waren eigentlich hoffnungsvoll und haben gesagt: Das gibt jetzt die konzertierte Aktion, die uns dazu befähigt, die wirklich großen Aufgaben zu lösen. Inzwischen macht sich ein wenig Resignation, Enttäuschung breit, weil viele das Gefühl haben, es geht nicht so richtig los. Und vielleicht entsteht schon wieder so ein Gefühl der Lähmung. Wie beurteilen Sie die Kraft, die momentan von der politischen Klasse ausgeht - jetzt mal jenseits der kleinen mühseligen Schritte, die in der Reformpolitik nötig sind?

    Lehmann: Ich habe den Eindruck, dass die Bundeskanzlerin eigentlich sehr rasch auf Tempo gedrückt hat, weil - ich denke, alle die die letzten Jahre mitbekommen haben, die haben ja gemerkt, dass bei den letzten zwei, drei Legislaturperioden vor allen Dingen am Anfang zu viel Zeit vergangen ist, bis man wirklich gestartet ist. Und als dann bei schwierigen Reformvorhaben einigermaßen Ergebnisse dalagen, war schon wieder der nächste Bundestagswahlkampf vor der Tür.- dass die Zeit in den vier Jahren zu knapp wird, wenn man nicht sofort startet. Und da glaube ich eigentlich, dass wir im Moment noch keinen Anlass haben für große Enttäuschung, denn im Grunde ist eigentlich mit dem Januar/Februar, als die Regierung richtig angetreten ist, schon auch klar gewesen: Sie muss die Probleme der Rentenversicherung, sie muss die Gesundheitsreform sofort anpacken. Sie tut das, und jeder weiß auch, dass das schwerwiegende Aufgaben sind. Ich will aber auch natürlich nicht verschweigen, dass es für eine große Koalition bei zwei großen Volksparteien, die da und dort einfach unterschiedliche Konzeptionen haben, also etwa bei der Gesundheitsreform, da ist es nicht so einfach, einen gemeinsamen Weg zu finden.

    Klein: Wir sprechen viel über Werte wieder in diesen Tagen und Wochen, unter anderem auch entzündet an der Problematik der Gesundheitsreform, also der Reform der Krankenversicherung. Wir diskutieren über die Frage, welche Werte brauchen wir für unsere Gesellschaft grundlegend, welche müssen wir neu entdecken. Sind Sie im Zuge dieser gesellschaftlichen Debatte eigentlich auch neu zum Nachdenken über diese Fragen gekommen, oder sagen Sie: Wir predigen Euch seit langem, wir, die katholische Kirche, was Ihr eigentlich braucht, Ihr müsst das eigentlich nur umsetzen?

    Lehmann: Es ist ja etwas tragisch und lähmend, dass alle drei Jahre, vor allen Dingen auch dann im Zusammenhang mit Wahlen, wieder so ein kleiner Höhepunkt kommt, wo man die Wertedebatte wieder anfängt, und dann geht alles wieder mehr oder weniger bergab, und es ist kein Interesse mehr da. Und das ist natürlich für diese Frage eigentlich tödlich. Wir werden jetzt vielleicht doch stärker gezwungen, gerade auch von der großen Koalition her, der Frage uns stärker zuzuwenden, weil damit ja doch das Problem gegeben ist, welche verlässlichen geistigen, ethischen Grundüberzeugungen gibt es in unserem Land, auf die man sich einigen kann. Und die Leitlinien sind für die Ausarbeitung von Gesetzen.

    Klein: Welche Werte wären für Sie zentral?

    Lehmann: Also zunächst einmal sind natürlich von der Französischen Revolution her die drei großen Werte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - "Geschwisterlichkeit" würde man heute vielleicht sagen - leitende Themen. Ich selber denke aber, dass zum Beispiel die Gerechtigkeit, die hier fehlt, ein ganz entscheidendes Grundprinzip also ist, dass natürlich auch mit Freiheit dann also wieder zu tun hat. Aber man kann ja nicht bei diesen Werten stehenbleiben, sondern man muss sich ja fragen: Wie werden sie eigentlich begründet, und mit welcher Verlässlichkeit werden sie begründet. Und auf diesem Weg muss es eine Einigungsmöglichkeit geben unter Menschen, bei denen zwar das Religiöse vielleicht eine Rolle spielt, aber in der Einigung selber ist das nicht unbedingt nötig, da kann es auch eine humane Plattform einfach sein. Aber es gibt dann eben die Frage einer Letztverbindlichkeit: Woher weiß ich eigentlich im letzten, dass ich die Menschenwürde auf gar keinen Fall verletzen darf in jedem Fall. Warum darf ich zum Beispiel auch um einen noch so hohen Preises wieder nicht foltern und dergleichen. Und da braucht man, glaube ich, dann über die Ethik doch religiöse Motive, die jeder für sich wählt.

    Klein: Uns beschäftigt in diesen Tagen auch eine Problematik, in der die Wertefrage immer wieder durchscheint. Und das ist die Frage: Wie ist es uns gelungen, wie gelingt es uns, Menschen ausländischer Herkunft in unsere Gesellschaft zu integrieren. Wie kann es besser funktionieren, wie kann es vielleicht überhaupt funktionieren. Wir haben vor einigen Monaten schon über Parallelgesellschaften gesprochen, dann ebbte das wieder ab. Dieses Mal ist der Anlass der Hilferuf aus einer Berliner Hauptschule, von Lehrern dort artikuliert. Worin sehen Sie die Ursache dafür, dass wir jetzt "ganz plötzlich" - in Anführungsstrichen - über diese Fragen und über offenbar viele nicht gelöste Probleme stolpern?

    Lehmann: Die Frage ist alt. Irgend jemand hat einmal gesagt, wir haben Gastarbeiter gerufen und gekommen sind Menschen. Und da scheint mir schon ein Problem zu liegen, für beide Seiten. Aber so skeptisch mit Blick auf die Integration würde ich auf die ganze Breite doch nicht sein. Wir haben zum Beispiel von der Kirche aus natürlich uns mit den Menschen, die zu uns gekommen sind aus Portugal, aus Spanien, aus Italien, aus Kroatien doch sehr intensiv beschäftigt. Wir haben etwa in einem Bistum wie Mainz zwölf Prozent der Katholiken, die Katholiken in einer anderen Muttersprache sind. Wir haben fast an die 30 ausländische Gemeinden. Und da hat zum Beispiel bei diesen Nationen eine relativ starke Integration stattgefunden. Ein großes Problem - und das ist, denke ich, schon länger der Fall - sind einfach die gut drei Millionen Türken und die Muslime, die überhaupt sonst noch dazu kommen, wo eben aus manchen Gründen die Isolierung etwas stärker war. Da fehlte natürlich auch ein bisschen der gesellschaftliche Partner, wie wir das etwa für die genannten südeuropäischen Länder gewesen sind. Also, ich würde sagen, man muss differenziert urteilen. Wichtig ist mir eigentlich immer wieder nicht nur das, was wir tun - da können wir nachher noch drauf kommen -, sondern auch die Absicht und der Willen der Emigranten. Haben sie zum Beispiel vor, entschieden für eine längere Zeit hier zu bleiben, dann hat das viel zu tun mit dem Bildungswillen für ihre Kinder. Dann ist auch klar, dass die Kinder deutsch lernen müssen. Dann ist auch klar, dass sie so gute Abschlüsse bekommen müssen, dass sie eine zukunftsvolle berufliche Ausbildung bekommen können. Ich mache immer wieder so die Erfahrung, es gibt immer, auch heute noch, Leute, die verschieben von Jahr zu Jahr ihre Rückkehr in ihre Heimat und leben dann im Grunde im Niemandsland. Hier sind sie noch nicht zuhause, und zuhause nicht mehr, und sitzen dann mehr oder weniger mit ihren Kindern auf der Straße. Wenn die Kinder nach Italien kommen und mit den Altersgenossen spielen, dann heißt es "du Deutscher" und hier heißt es "du Italiener" und so weiter. Und deswegen ist es ganz wichtig, das sehe ich auch so an praktischen Erfahrungen, dass, wenn Eltern diesen erklärten Bildungswillen haben, sie für ihre Kinder zunächst mal auch dann alles tun. Da liegt eine Sache, wo wir alle wahrscheinlich zu wenig getan haben. Und sonst, denke ich, muss man gerade auch mit Blick auf die Muslime, unabhängig vom religiösen Dialog, vor allen Dingen in dreierlei Hinsicht, auf drei Feldern stärker - und fast kann man sagen neu - tätig werden. Das erste ist die Sprache. Die Sprache ist einfach das Fundament jeder Kommunikation. Und das zweite ist die Arbeit. Und die Arbeitswelt ist eigentlich ein großes Feld, wo die Menschen sich kennenlernen können, soundso viele Stunden am Tag. Da ist aber oft Schweigen, und da fehlt es halt auch an der Sprache. Da bleibt oft eine große Fremdheit. Und ich denke, es ist drittens auch der Alltag der Nachbarschaft in der Straße und so fort. Da haben wir eigentlich durchaus Möglichkeiten bei Straßenfesten, bei Pfarrfesten, bei allen möglichen Dingen. Man darf auch nicht vergessen, dass der Sport ein enormes Feld ist, wo diese Integration stattfinden kann. Also, deswegen muss man, glaube ich, die Sache grundsätzlich neu anfangen in der Konzeption und in den Rahmenbedingungen. Aber es geschieht Gott sei Dank eigentlich auch schon viel.

    Klein: Sie sprechen vom Bildungswillen der Eltern. Sie sprechen vom Kern, den die Sprache für die Möglichkeit der Integration bildet. Bedeutet das auch, wenn Sie sagen, wir brauchen eine neue Konzeption, zum Beispiel diesem Bildungswillen mit einer gewissen Pflicht, also mit Gesetzen nachzuhelfen?

    Lehmann: Also, realistischerweise wird es in unseren Gesellschaften ohne einen Nachdruck nicht gehen. Die Freiwilligkeit allein wird das nicht schaffen. Gesetze allein sind für mich aber dann doch das letzte, was unter Umständen eingesetzt werden kann. Es müsste auch ein paar stärkere Anreize geben, damit man die Leute selbst in Bewegung bringt und in Fahrt bringt. Bei Gesetzen sehe ich eigentlich nur eine Chance, wenn es durch andere Dinge gut vorbereitet ist, gerade in diesen Dingen, wo ja ein inneres Mitgehen mit Gesetzen eigentlich verlangt wird, da hat der Buchstabe allein wenig Chancen. Und da glaube ich auch, dass es nicht genügt, bestimmte formale Kenntnisse einfach abzufragen. Und dann ist die Sache der Einbürgerung und der Integration sozusagen klar. Aber auch keine Drohungen, dass man sagt, wer das und das nicht schafft und so fort, den schieben wir ab und dergleichen. Ich glaube, es geht schon drum, dass wir vor allem auch Vertrauen schaffen, und wenn es ein minimales Vertrauen ist. Aber es gibt natürlich schon kleinere Minderheiten auch unter den Zuwanderern, etwa fundamentalistisch eingestellte Leute. Ich habe zum Beispiel etwas Erfahrung vor Ort, wo ich also weiß, es gibt fundamentalistische Muslime. Da gibt es drei Gebote: Der Mann darf am Arbeitsplatz nicht sprechen, die Frau darf nicht alleine einkaufen, Mädchen dürfen nicht in die Schule.

    Klein: Müssen wir das hinnehmen?

    Lehmann: Nein, das kann man auf Dauer nicht hinnehmen, denn diese Leute, die finden ja keine Heimat, es wird immer hier fremd bleiben, vielleicht sogar feindlich sein, denn was man gar nicht versteht und was völlig fremd ist, das lehnt man dann unter Umständen auch entschieden ab und da ist dann auch vielleicht mal Gewalt nicht so weit weg. Also, da gibt es sicher auch ein paar Grenzlinien, die man ziehen muss.

    Klein: Sehen Sie da auch die katholische Kirche gerufen? Also, das Stichwort 'interreligiöser Dialog' fiel schon. Was können Sie dazu beitragen?

    Lehmann: Also, als Weltkirche waren wir natürlich immer schon genötigt, mit anderen und fremden Religionen ins Gespräch zu kommen, in den Kolonien zum Beispiel. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Arbeit ganz zentral gemacht und hat ja auch eine Erklärung über das Gespräch mit den nichtchristlichen Religionen und hat dafür auch eine eigene Einrichtung geschaffen. Wir haben in Deutschland nach meinem Empfinden nicht so zur Kenntnis genommen, dass vor allem im Pontifikat von Johannes Paul II ein sehr starkes, breites Programm aufgelegt worden ist für den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen. Es gibt ein Band mit 1000 Seiten, wo im Pontifikat von Johannes Paul II die Dokumente allein von Rom aus gesammelt sind, die in diese Richtung eigentlich zielen. Und da haben wir natürlich zunächst einmal bei uns im Land die innerchristliche Ökumene als ein Feld des Dialogs, das Gespräch mit dem Judentum, das gerade in unserem Land besondere Bedeutung hat. Da ist dann der Dialog vor allen Dingen mit den Muslimen doch etwas zu kurz bekommen.

    Klein: Das würde mich zu der Frage bringen: Was bringt uns ein Band mit 1000 Seiten für den Alltag hier zwischen Muslimen und Christen?

    Lehmann: Also, immerhin ist es ein Zeichen, eine Ermutigung, dass dieser Dialog überhaupt installiert wird, dass man sich nicht mit Ausreden begnügt. Es gibt ja gewisse Schwierigkeiten, zum Beispiel den richtigen Ansprechpartner zu finden, weil jede Gemeinde da relativ autonom ist und eigentlich kein Dach über sich hat und dergleichen. Aber das darf nicht zur Ausrede werden, dass man dem Dialog ausweicht.

    Klein: Wie könnte der in der Praxis vonstatten gehen, der Dialog, den Sie meinen?

    Lehmann: Also, wir haben ja diesen Dialog immer wieder, auch regelmäßige Treffen etwa mit dem Zentralrat der Muslime, oder es gibt sonst gemeinsame Auftritte in den Medien, nicht zuletzt auch bei den Katastrophen und dergleichen. Wir haben auch gemeinsame Veranstaltungen. Ich war an mehreren Universitäten und habe mit Dr. Elias zum Beispiel gesprochen. Dann will ich etwas nicht vergessen: Wir haben als Bischofskonferenz schon über 30-40 Jahre ein Zentrum in Frankfurt zur Begegnung von Islam und Christentum, ein Begegnungszentrum. Das haben wir jetzt der Jesuitenhochschule in Frankfurt, St. Georgen, angegliedert. Und da ist zum Beispiel ein eigener Studiengang in einem Block, wo man also den Islam mehr kennen lernt, gerade auch für den Dialog. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir den ersten Ausbildungsgang vor zwei Jahren mit 28 Leuten begonnen haben. Das sind nachher wichtige Leute um zum Beispiel in den Bistümern Referent zu sein für diese Gespräche. Aber es ist natürlich auch nicht so ganz leicht. In einer Stadt wie Mainz sind vier oder fünf Moscheen, davon ist die Mehrzahl fundamentalistisch, wo unter Umständen ein Dialog von vorneherein abgelehnt wird.

    Klein: Herr Kardinal, wenn hierzulande so genannte Ehrenmorde begangen werden, wenn zum Beispiel Mädchen und Frauen Rechte verweigert werden in den Familien mit Bezug auf den Islam, Rechte, die wir als unerlässlich empfinden in Demokratie und Freiheit, muss die Kirche da stärker intervenieren?

    Lehmann: Also, das ist natürlich nicht primär eine Sache der Kirche, wenn es da um konkret angewendete Gewalt geht. Aber es ist keine Frage, dass wir noch lauter und noch deutlicher, wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen auch, die Ächtung solcher Praktiken deutlich machen müssen. Und ich bin einfach auch überzeugt, dass wir Mittel und Wege finden müssen, zunächst einmal die Menschen zu bewegen, sich schließlich stärker auf unsere Lebenswelt und auch die rechtlichen Verhältnisse einzulassen. Wenn das nicht der Fall ist, also Heiratszwang für junge Frauen und dergleichen, dann können solche Leute eigentlich auf Dauer nicht bleiben.

    Klein: Was schlagen Sie der Politik vor?

    Lehmann: Ich schlage zuerst vor, dass wir eben alles tun, um durch bessere Bildung, durch bessere Ausbildung und so fort, durch Veranstaltungen auch in der nächsten Lebenswelt, Nachbarschaft und so fort, die Leute etwas mehr an unser Leben heran zu führen, denn oft sind sie weit weg. Es gibt ja auch da unendlich viele positive Beispiele. Wenn ich zu meinem Zahnarzt gehe, wenn ich zum Frisör gehe, dann sind da junge türkische Frauen, die sind professionell hervorragend, die sprechen perfekt deutsch und so fort. Es geht also. Und warum nützen wir uns eigentlich nicht viel mehr die Erfahrung zum Beispiel dieser jungen Leute. Wenn es bei denen geht, dann müsste es doch bei den anderen auch gehen. Und von daher möchte ich also nicht so kraftmeierische Rezepte anbieten, dann schieben wir die eben ab. Das ist eigentlich eine Verzweiflungstat und in einzelnen Fällen muss das sicher der Fall sein, aber ein Rezept ist das nicht.

    Klein: Ein Problem haben andere Länder nicht - wir schon. Das ist die Tatsache, dass wir einen starken Geburtenrückgang zu verzeichnen haben hierzulande, um auf diesen Punkt einmal einzugehen. Das Thema ist jetzt auf der Agenda. Wir diskutieren darüber. Man hat so ein bisschen den Eindruck, dass die gesellschaftliche Verantwortung für diesen Umstand die Frauen tragen, insbesondere die jungen, gut ausgebildeten. Ist das auch die Haltung der Katholischen Kirche?

    Lehmann: `Nein, ganz und gar nicht. Ich bin überhaupt sehr überzeugt, dass heute ein Gelingen von Ehe, erst recht dann auch von Familie, auch unbedingt zur Voraussetzung hat, dass es eine klare, gute, beide Teile in Pflicht nehmende Vereinbarung sozusagen gibt, gerade auch zwischen den Eheleuten, wo auch die Aufgaben sozusagen verteilt sind. Und da kann nie nur eine Seite in Anspruch genommen werden. Natürlich macht mich schon auch nachdenklich, dass es in jedem Jahr 130.000 Abtreibungen zum Beispiel gibt und dass man also noch sehr viel stärker sich fragen muss, wie man Frauen, in welcher Lage sie immer sind, helfen kann. In den allermeisten Fällen wollen sie ja eigentlich das Kind im Grunde auch behalten. Es ist natürlich auch die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die ist genug diskutiert in den letzten Jahren. Ob schon genug dafür getan ist, ist eine andere Frage. Aber es ist natürlich auch ein Problem, ob eine Gesellschaft den jüngeren Generationen Mut machen kann für eine menschenwürdige Zukunft. Insofern glaube ich, dass der Mut zur Zukunft eben auch von den Lebensbedingungen abhängig ist. Das ist eigentlich das Entscheidende. Und das betrifft Mann und Frau genau so, und erst recht das Miteinander, denn sie müssen miteinander eine Zukunft entdecken. Und natürlich leben wir auch in einer völlig anderen Welt, als Konrad Adenauer, von dem gesagt worden ist, man müsse sich doch später für Rentenversicherung und ihre Zukunft einsetzen und so weiter. Man hatte demographische Probleme, obwohl er etwas angesprochen hat. Er hat gesagt: Kinder bekommen die Leute immer. Aber Kinder bekommen die Leute nicht immer, zumindest gibt es Möglichkeiten der Empfängnisregelung und der Familienplanung, wo das eben nicht mehr so selbstverständlich ist. Also ist die Ermutigung und eben auch die Unterstützung viel, viel wichtiger, als das jemals war.

    Klein: Die Sie worin sehen würden, die Ermutigung?

    Lehmann: Die sehe ich eben nicht nur in den notwendigen familienpolitischen finanziellen Maßnahmen. Da ist es gut, dass manches gemacht worden ist. Aber ich finde zum Beispiel immer, es gibt noch viele Dinge, zum Beispiel muss einfach die Familienzeit besonders, aber nicht nur für die Frauen eine ganz andere Berücksichtigung und Anerkennung finden. Und ich sage mir das auch ganz persönlich und habe es immer wieder auch in Predigten gesagt: Wir brauchen einfach auch viel mehr Anerkennung für das, was zum Beispiel Frauen, ob sie vorher oder nachher berufstätig sind oder nicht, in den Familien leisten, dass sie auch bereit sind, Kinder auf die Welt zu bringen, dass sie 13 Jahre lang Kinder zu begleiten, oft dabei auch allein gelassen sind, das braucht eine ganz andere Form der Anerkennung. Und ich bin überzeugt, dass das auf die Dauer auch eine gute Wirkung tut.

    Klein: Herr Kardinal, ich danke Ihnen für das Gespräch.