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Karin Kneffel-Ausstellung in Bremen
Verschachtelte Welten

Einst malte Karin Kneffel riesige Äpfel, Pfirsiche und Trauben. Heute interessiert sich die Künstlerin für Räume - und erforscht die menschliche Wahrnehmung. In der Bremer Kunsthalle können sich Besucher jetzt in Kneffels vielschichtige Welten versenken.

Von Barbara Bogen | 23.06.2019
Die Malerin Karin Kneffel.
Beschäftigt sich in jüngeren Werken mit der Wahrnehmung: die Malerin Karin Kneffel (Eberhard Knauber)
Das Thema der Wahrnehmung, der Betrachtung oder auch des Voyeurismus hat es Karin Kneffel bei ihren neueren Bildern angetan. Es zieht sich wie ein Leitmotiv durch ihr hochkomplexes Werk und durch viele der rund einhundertfünfzig Arbeiten, der großformatigen Gemälde und kleinen Aquarelle, die jetzt in den hellen schmucklos gehaltenen Räumen der Kunsthalle Bremen zu sehen sind. Eine Ausstellung, die sich auf die letzten zehn, zwölf Jahre im Werk der Künstlerin konzentriert.
Eins ihrer faszinierenden Gemälde zeigt eine Reihe von Zuschauern in einem Theaterraum oder Kinosaal. Doch während die Blicke der meisten Zuschauer noch erwartungsvoll nach vorn gerichtet sind, zieht sich vom rechten Bildrand ein grünblauer Vorhang über die Szene, der die Leinwand zu zwei Dritteln dominiert. "The End" ist darauf ist in Spiegelschrift zu lesen: Das Ende. Die Zuschauer betrachten eine Vorführung, der Museumsbesucher betrachtet die Betrachtenden. Dabei ist der Blick des Museumsbesuchers auf die Szene verstellt, verschwommen, schemenhaft, unwirklich, nicht ganz real, so, als sähe man sie wie durch eine Scheibe oder unsauberes Glas. Unklar ist auch, ob die Menschen im Bild nun ihrem eigenen Untergang entgegen blicken oder dem Ende präziser Wahrnehmung, oder ob hier allein das Ende eines Films angekündigt wird. Aber ohnehin spielt das keine Rolle, denn Karin Kneffel mag keine Bilderklärungen, keine Geschichten, sagt sie:
"Ich denke, ich habe meine eigene Geschichte bei den Bildern. Aber ich will eigentlich nicht, dass Sie dieser Geschichte nachgehen. Ich versuche auch nicht, durch Titel so Fährten zu legen… Der Grusel oder das Unangenehme oder das Unheil, das sind eigentlich alles Dinge, die Sie vielleicht dazugeben, wenn Sie sie anschauen."
Gebrochene Wirklichkeiten
Es sind in jeder Hinsicht ebenso ironische wie irritierende, in jedem Fall schwer gebrochene Wirklichkeiten, die die Malerin Karin Kneffel auf ihren Leinwänden behauptet, Welten wie Artefakte mit ihren Spiegelungen, Lichteffekten, zerfließenden Farben und Formen, optischen Täuschungen und Verschachtelungen. Dabei sind Karin Kneffels Bilder wie ganz im Nebenbei subtile Exkurse über die vielfach gebrochene Wirklichkeit, die den Menschen des 21. Jahrhunderts bestimmt. Zugleich sind es in Zeiten digitaler Manipulation undogmatische Aufforderungen zu konzentrierterer Wahrnehmung.
Daneben finden sich persönliche Erkundungen der Künstlerin, Rekonstruktionen von Räumen, den Häusern "Esters und Lange" in Krefeld etwa, die um 1930 vom Architekten Ludwig Mies van der Rohe entworfen wurden und heute als Museum für zeitgenössische Kunst eingerichtet sind. Der Betrachter blickt hier in ein Interieur, das Kneffel als Triptychon konstruiert. Die Grenzen zwischen Außen- und Innenraum aber werden aufgehoben. Die übergroßen bunt sich in einer Glasscheibe spiegelnden Regentropfen erscheinen ebenso wirklich oder unwirklich wie das Interieur selbst.
Bilder mit Tiefgang
Oder das Lehmbruck-Museum in Duisburg, das Kneffel, im Vordergrund diverse Skulpturen des Bildhauers, als einen Glaspavillon auf der Leinwand platziert, über den gerade eine Putzkolonne herfällt. Ein Bild ist für sie ein "Denkzusammenhang" sagt Karin Kneffel, in dem der Betrachter allerdings gezielt auf Distanz gehalten wird:
"Ja, deshalb sind mir die Scheiben auch ganz lieb. Dadurch kann ich den Betrachter unter anderem - nicht nur, dass ich dadurch eine Farbstimmung habe - ich kann ihn ein bisschen auf Distanz halten. Mir war das früher oft immer ein Graus, wenn Leute sagen, sie können sich in Bildern verlieren. Das wollte ich eigentlich nie. Für mich ist ein Bild immer so ein Denkzusammenhang, mit dem man sich auseinandersetzt."
Karin Kneffels Bilder besitzen Tiefe, in jeder Hinsicht. Nicht von ungefähr arbeitet sie in komplexen Malprozessen in zwei, drei, manchmal vier Ölschichten übereinander. Wobei sie Motive niemals "übermalt" wie ihr einstiger Lehrer Gerhard Richter. Jedes Motiv erscheint und ist scheinbar doch nie schlussendlich deutbar. Die Wirklichkeit ist eine Welt der Schichten und Schichtungen, so könnte man vielleicht die Bilder der virtuosen Malerin Karin Kneffel dann doch interpretieren, oder auch: Die Wirklichkeit beginnt weit hinter dem Sichtbaren, aber auch da ist sie ungewiss.