Archiv

Karl Amadeus Hartmanns Kriegs-Oper in Bremen
Simplicius Simplicissimus

Vordergründig erzählt sie von den Schrecken des 30jährigen Krieges: allerdings handelt Karl Amadeus Hartmanns 1935 vollendete Oper "Simplicius Simplicissimus" indirekt auch von der Diktatur der Nationalsozialisten. Das erst 1949 uraufgeführte Werk ist selten zu sehen; jetzt hatte es am Theater Bremen Premiere.

Von Elisabeth Richter |
    Der Komponist Karl Amadeus Hartmann 1960 in München
    Vom NS-Regime unterdrückt: Karl Amadeus Hartmann (picture alliance / dpa / Goebel)
    Kein Orchestergraben: Die Musiker spielen auf derselben Ebene direkt vor den Zuschauern. Keine "normale" Bühne: Publikum, Sänger und Musiker sitzen gewissermaßen im selben Boot, der Chor ist im Parkett verteilt. Die holzvertäfelten Wände des Zuschauerraums gehen nahtlos in den Bühnenraum über und schließen sich zu einem Halbrund an der Stirnwand, die – etwas erhöht - ein riesiges kreisrundes Loch hat. Hier, in diesem Fokus findet die kleine Welt des "Simplicius Simplicissimus" statt. Darunter ein großes rechteckiges Fenster. Ein Schaukasten, in dem das Geschehen mit Bildern und Symbolen kommentiert und ergänzt wird: Da rollen etwa Totenköpfe oder man sieht Stadt und Land in Miniaturform. Eine Bühne, die Assoziationen ermöglicht, hat Bühnenbildner Klaus Grünberg da erfunden.
    Drei Teile hat Karl Amadeus Hartmanns Oper "Simplicius Simplicissimus" nach dem barocken Schelmenroman von Grimmelshausen, jeder Teil endet mit dem Tod. Es ist großes Sterben im 30jährigen Krieg, nur ein kleiner einfältiger Junge überlebt. Zuerst morden Landsknechte alles nieder, was ihnen in den Weg kommt, dann trifft Simplicius auf den Einsiedel, der ihn das Leben lehrt und vor seinem Tod – in Tatjana Gürbacas Bremer Inszenierung – noch seine Brille gibt, damit er alles besser sehen kann. Am Hof des Gouverneurs entgeht Simplicius schließlich auch als Narr dem Metzeln der Bauern:
    "Das Stück ist viel mehr als ein Antikriegsstück, das natürlich auch, aber darüber hinaus ist es ein riesiges Mementum mori. Ein ganz großer Appell an uns zu begreifen, wie kostbar das Dasein ist, das wir hier auf der Erde haben, und auch, dass wir wirklich etwas damit machen müssen und Verantwortung dafür haben, es zu gestalten. Weil es eben so schnell vorbei geht auch."
    Regisseurin Tatjana Gürbaca hat sich sowohl von mittelalterlichen Totentanzbildern inspirieren lassen als auch von Karl Amadeus Hartmanns holzschnittartiger, expressiver Musik. Im ersten und dritten Teil des Stücks arbeitet sie mit Mitteln der Groteske und der Revue. Sie stellt die Typen klar vor, mittelalterliche Figuren geigen schon mal auf einem Knochen, im dritten Teil frönen Variete-Künstler der 1930ger Jahre exzessiv den Freuden des Lebens. Simplicius, eine Hosenrolle, trägt nur schwarz-weiß, er ist ein Mensch von heute. Die Handlung spult sich in schnellem Tempo ab.
    "Der erste Teil ist ganz anti-psychologisch, das ist fast wie im Kasperletheater. Der Bauer tritt auf und singt ein Lied über den Bauernstand, oder der Landsknecht tritt auf und singt ein Lied darüber, wie ungerecht und gewaltsam die Welt ist und speziell die Landsknechte sind."
    Im zweiten Teil wird das Tempo ruhig. Während die Musik zuerst in ihrem grotesken, sachlichen Ton zum Beispiel an einen Expressionismus a la Strawinsky erinnert und hier – wie auch im letzten Teil – von Bach bis Jazz pfiffig zitiert, setzt Karl Amadeus Hartmann im Mittelteil Trauer und Schmerz, aber auch Mitmenschlichkeit und Mitleid-Fähigkeit mit stilistischen Anklängen an die zweite Wiener Schule um.
    "Der Eremit ist eine Figur, bei der Simplicius nicht nur Bildung erlangt, sondern auch wirklich Herzensbildung, was vielleicht viel mehr ist und viel wichtiger, also eine ganz warme, wichtige, väterliche Figur in diesem Stück. Eigentlich ist das die Utopie in dem Ganzen."
    Dass Simplicius in der Einsamkeit bei dem Eremiten eine Schule des Lebens erfährt, hat Karl Amadeus Hartmann zweifellos angesprochen. Er zog sich während des Nationalsozialismus in die innere Emigration zurück. Seine Oper wurde erst nach dem Krieg uraufgeführt. Die Welt, schrieb Hartmann damals, sei beklagenswerter Weise in einem Zustand, der die Unruhe, die Ängste und die Trauer der Zeit des 30jährigen Krieges wieder nachfühlen lasse. Tatjana Gürbaca sieht einen Bezug zu heute. Sie lässt in ihrer Inszenierung in riesigen Lettern über die Bühnenwand ein Gedicht von Andreas Gryphius laufen, der barocke Dichter beklagt, dass die Menschen ihren "Seelen Schatz", also ihre Seele verlieren.
    "Seelenschatz bedeutet noch viel mehr. Wir leben ja auch in einer Zeit, in der wir auch durch die neuen Medien und die sozialen Netzwerke immer mehr dazu gebracht werden, einfach nur noch eindimensionale Konsumenten zu sein. Wir klicken einen like-button und meinen uns damit schon politisch betätigt zu haben. Aber das reicht bei weitem nicht, ich finde, dass das Theater oder gerade die Oper mit diesen vielen verschiedenen Ebenen uns auf wunderbare Art dazu auffordert, aktiv über die Welt nachzudenken und wirklich am Geschehen ganz direkt beteiligt zu sein."
    Dazu trägt gerade bei dieser Inszenierung die Idee eines fließenden Übergangs von Zuschauerraum und Bühne bei.
    Auch musikalisch hatte diese eindrückliche Produktion des Bremer Theaters ein sehr gutes Niveau. Man spielt die kammermusikalische Fassung der Oper mit 14 solistischen Orchestermusikern. Sie wurden souverän, sensibel und präzise von Clemens Heil geleitet. Die Gesangssolisten empfahlen sich mit einer darstellerisch und sängerisch beeindruckenden Ensembleleistung, besonders jedoch Tenor Luis Olivares Sandoval als Einsiedel durch seine lyrischen Qualitäten. Ein Glücksfall war Marysol Schailit als Simplicius. Ihr runder, klarer und facettenreich leuchtender Sopran bezauberte, sie verkörperte die Unschuld des Protagonisten mit berührender Authentizität.