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Karl Kraus in Frankreich

Auf dieser Bestenliste des französischen Buchmagazins "Lire" befindet sich ein hierzulande fast vergessenes Buch von Karl Krauss, nämlich: "Die dritte Walpurgisnacht", in frischer französischer Übersetzung. Auch in Deutschland sollte man wieder mehr Krauss lesen, findet Wilhelm Hindemith.

Von Wilhelm Hindemith |
    Bereits im August -dieses Jahr- erschien in le Monde ein großer Essay zur französischen Übersetzung der "dritten Walpurgisnacht" von Karl Kraus. Alain Accardo erkennt in Kraus Schrift gegen die Herrschaft der Dummheit, dass diese nicht verschwunden ist, sondern sich nur ein neues Kleid übergezogen hat, das Kleid der modernen Medien, in welchem la bêtise schon wieder von der großen Mehrheit in Europa akzeptiert und gefeiert wird.

    Jetzt im Dezemberheft Lire des Magazine littéraire, auf einer für Frankreich maßgebenden Bestenliste, wurde die 300 Seiten starke Schrift gegen Hitlerdeutschland, die erst posthum 1952 herauskam, zu den wichtigsten 20 Büchern des Jahres erwählt und auf Platz 16 gesetzt.
    In der dritten Walpurgisnacht, das Buch ist hierzulande so gut wie unbekannt, beschreibt Karl Kraus die "Hirnpest", das "elektrisch beleuchtet Barbarentum", den Zivilisationsbruch der Nazi, kurz er versucht das Unsägliche, das Ungeheuerliche und Unverständliche zu verstehen. Mit Hilfe Goethes und Shakespeares gegen eine Linke, die in Österreich und im Pariser Exil von ihrer "Waffe als Wort" prahlt und hemmungslos Phrasen drischt. Gegen diese linken Maulhelden, erscheint dem Satiriker der erzkonservative Kanzler Engelbert Dollfuß wie ein Held, der handelt und kämpft gegen den Drachen vor der Tür. Der die Juden unter seinen besonderen Schutz stellt, der die Nazipartei im eigenen Land Österreich verbietet und verfolgt.

    Doch das Skandalon der Schrift besteht nicht nur in der Anerkennung Dollfußscher Tapferkeit. Kraus zitiert aus deutschen Reichszeitungen alles, was man offenen Sinnes bereits 1933 wissen konnte. Er legt präzise dar, was die Stunde geschlagen hat, als die alten Metaphern vom Salz, das man in die Wunde streut, ihre Bannkraft plötzlich verloren haben und real wieder geschehen konnte, wovon die Metapher warnend erzählt. Der Satiriker ringt verzweifelt um die Nenn -und Bannkraft der Sprache, um das Unsägliche, das geschieht, zu bezeichnen und resigniert, verstummt, gibt seine Schrift als Flaschenpost auf für irgendeinen Nachkriegsstrand.

    Was nach dieser Katastrophe der Selbstzerstörung Europas noch kommen könnte, bleibt ihm unerfindlich. Die " dritte Walpurgisnacht" ist ein Denkmal der ungeheuerlichsten Anstrengung Davids gegen Goliath, ein letzter verzweifelter Versuch, dem ausgebrochenen Kollektiv-Wahn rechts und links als einzelner zu trotzen. Freilich ist es auch bis heute beschämend für die Deutschen und Österreicher, die nach dem Krieg erzählten, dass sie ja nicht wußten, was sie hätten wissen können, denn Karl Kraus schrieb es nieder , er hat buchstäblich alles bereits 1933 gewußt. Die Schrift ist ein Buch der Schande, der Pein und der Dummheit, das Buch erscheint den Franzosen deshalb so aktuell.

    Denn auch heute haben wir es mit einer europaweiten Epidemie der Dummheit zu schaffen, die sich Medienwirklichkeit nennt, die sich in den Medien versteckt und austobt zugleich. Karl Kraus beobachtete das Phänomen des Massenwahns bereits im ersten Weltkrieg und zeichnete den Verlauf der gräßlichen Krankheit minutiös auf in der Tragödie "Die letzten Tage der Menschheit". Auch damals schon in den zwanziger Jahren wurde Kraus von den Franzosen für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, während er hierzulande als Vaterlandsverräter galt.

    Kraus ist hierzulande anders, aber ähnlich wirksam verfemt worden wie Martin Heidegger, Ernst Jünger und Nietzsche, die alle drei ebenfalls über die schöpferische Rezeption und Anerkennung, die sie in Frankreich erfuhren, in den deutschen Sprachraum zurückkehren konnten. Kommunisten wie Sozialdemokraten und Sozialisten unter den Mächtigen des Literaturbetriebs im kalten Krieg tabuisierten Kraus’ Bücher, weil er ihre Widerstandsgestern gegen Hitler lächerlich machte. Deshalb ist der aktuelle Fall, dass man in Frankreich Karl Kraus wieder entdeckt und zwar an der heikelsten hierzulande tabuisiertesten Stelle, ein sehr gutes Zeichen.

    Wenn wir wieder lernten Karl Kraus zu lesen.

    Täte das uns und unseren ideologisch noch immer verfinsterten und verbiesterten Breiten nur gut.