Zur 57. Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden hatten etwa 200 geladene Gäste im runden und sehr imposanten Anbau des Grandhotels Bellevue auf dem Petersberg bei Bonn Platz genommen. Draußen herrschte strahlendes Sommerwetter. Der Veranstaltungsort bot eine wunderbare Aussicht ins Rheintal, während drinnen diverse Redner am Podium standen.
Gewonnen hat das Hörspiel "Karl Marx: Das Kapital, Band 1" von der Gruppe "Rimini Protokoll". In ihrer Laudatio ordnete die Juryvorsitzende Anna Dünnebier das Hörspiel in die Entwicklungsgeschichte der Protokoll-Literatur ein:
"Wunderbar ist, wie leicht und spielerisch das Ganze daherkommt. Es sind ja eben keine Schauspieler, die hier vortragen, sondern es sind Menschen, 'die ihr Leben lang geprobt haben'. Das ist das Prinzip der Theatergruppe 'Rimini Protokoll', sie arbeiten nicht mit Schauspielern, sondern mit Menschen, mit ihren Erfahrungen und Erinnerungen.
Alle sind aus unserem Lebensumkreis, auch wenn einige sonst nicht sichtbar werden. Das erinnert an einen künstlerischen Ansatz aus den sechziger und siebziger Jahren und ihr Name stößt uns drauf. Sie heißen ja 'Rimini Protokoll'. Ach ja, das gute alte Protokoll. Es machte Furore, als Alice Schwarzer Tonbandprotokolle von Frauen zusammenstellte und veröffentlichte, in denen sie über Sexualität und deren Rolle im Geschlechterkampf gesprochen haben, über heimliche Wahrheiten und öffentliche Lügen.
Menschen, die sonst in der Öffentlichkeit keine Stimme hatten, sprachen über Themen, die in der Öffentlichkeit tabu waren. Die Protokollliteratur fand andere Gruppen der Gesellschaft, andere Themen, andere Autoren. Damals stand stets ein politischer Impuls dahinter, eine Haltung, eine Absicht. Die Protokolle dienten der Unterfütterung einer These. Es standen nicht die befragten Personen im Mittelpunkt. Sie blieben anonym, waren Beispiel oder Fall, tauchten auf als 'Gisela M., verheiratet, zwei Kinder', als 'Erika S., Alkoholikerin' oder als 'Helmut K., Lehrling'. Helmut K. ist eine Person aus einem Hörspiel von Frank Göhre. Die Protokolle eroberten das Radio als O-Ton-Hörspiel.
1972 bekam zum ersten Mal ein O-Ton-Hörspiel den Hörspielpreis der Kriegsblinden, 'Das Preislied' von Paul Wühr. Er sagte über seine Arbeitsweise: 'Das ist klar, individuelle Aussagen und Meinungen wurden durch Kombination verändert.' Mit der freimütigen Übergabe ihrer Stimmen ermöglichten also die Beteiligten dieses Spiel. Aussagen von Menschen als Spielmaterial oder Aussagen von Menschen als Beleg für eine politische These. Beides führte nach spannenden Anfängen in eine künstlerische Sackgasse.
Bei 'Rimini-Protokoll' übernehmen die Protagonisten selbst die Rolle der Reflexion. Sie müssen ja mit Hilfe der Regisseure ihre Berichte in eine Form bringen, die sich wiederholen lässt. Sie lernen sozusagen sich selbst auswendig. Sie müssen zwangsläufig eine Distanz zu sich und ihren Berichten entwickeln. Da stellt sich eine zweite Ebene von Wirklichkeit her. Das Hörspiel ist aus dem Bühnenstück entstanden. Und da entsteht nun wieder eine neue und dritte Ebene."
Lag es an der schönen Aussicht, am guten Wetter oder einfach an der guten Stimmung? Auffällig übereinstimmend jedenfalls beschäftigten sich die Redner mit der Zukunft des Radios und auch des Hörspiels. Als richtungweisend nicht nur für die Gattung Hörspiel ordnete Matthias Strässner, Hauptabteilungsleiter Kultur beim Deutschlandfunk und auf das Podium gebeten als Vertreter der Rundfunkanstalt, die das Siegerstück federführend produzierte, die Arbeitsweise von Rimini Protokoll ein. Und Staatsminister Bernd Neumann
äußerte sich zur Zukunft des Hörfunks:
"Im Rahmen der künftigen Frequenzneuvergabe, die ja im Wesentlichen in Brüssel vorentschieden wird, muss es auch weiterhin für die Hörfunkprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland eine Bestands- und Entwicklungsgarantie geben. Ich trete dafür ein, dass das Radio als eigenständige Mediengattung mit unverwechselbarem Profil erfolgreich bleibt und Gewinn aus der technischen Entwicklung ziehen kann. Der hervorragende Beitrag, den die öffentlich-rechtlichen Sender gerade im Bereich der Hörspielkunst leisten, verdient dabei besondere Anerkennung. Die Enquete-Kommission des deutschen Bundestages 'Kultur in Deutschland', die Ende des vergangenen Jahres ihren Schlussbericht vorgelegt hat, fordert sogar die Stärkung der Produktion von Hörspielen in die Programmleitlinien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzunehmen. Qualität muss der Maßstab für den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein."
Gewonnen hat das Hörspiel "Karl Marx: Das Kapital, Band 1" von der Gruppe "Rimini Protokoll". In ihrer Laudatio ordnete die Juryvorsitzende Anna Dünnebier das Hörspiel in die Entwicklungsgeschichte der Protokoll-Literatur ein:
"Wunderbar ist, wie leicht und spielerisch das Ganze daherkommt. Es sind ja eben keine Schauspieler, die hier vortragen, sondern es sind Menschen, 'die ihr Leben lang geprobt haben'. Das ist das Prinzip der Theatergruppe 'Rimini Protokoll', sie arbeiten nicht mit Schauspielern, sondern mit Menschen, mit ihren Erfahrungen und Erinnerungen.
Alle sind aus unserem Lebensumkreis, auch wenn einige sonst nicht sichtbar werden. Das erinnert an einen künstlerischen Ansatz aus den sechziger und siebziger Jahren und ihr Name stößt uns drauf. Sie heißen ja 'Rimini Protokoll'. Ach ja, das gute alte Protokoll. Es machte Furore, als Alice Schwarzer Tonbandprotokolle von Frauen zusammenstellte und veröffentlichte, in denen sie über Sexualität und deren Rolle im Geschlechterkampf gesprochen haben, über heimliche Wahrheiten und öffentliche Lügen.
Menschen, die sonst in der Öffentlichkeit keine Stimme hatten, sprachen über Themen, die in der Öffentlichkeit tabu waren. Die Protokollliteratur fand andere Gruppen der Gesellschaft, andere Themen, andere Autoren. Damals stand stets ein politischer Impuls dahinter, eine Haltung, eine Absicht. Die Protokolle dienten der Unterfütterung einer These. Es standen nicht die befragten Personen im Mittelpunkt. Sie blieben anonym, waren Beispiel oder Fall, tauchten auf als 'Gisela M., verheiratet, zwei Kinder', als 'Erika S., Alkoholikerin' oder als 'Helmut K., Lehrling'. Helmut K. ist eine Person aus einem Hörspiel von Frank Göhre. Die Protokolle eroberten das Radio als O-Ton-Hörspiel.
1972 bekam zum ersten Mal ein O-Ton-Hörspiel den Hörspielpreis der Kriegsblinden, 'Das Preislied' von Paul Wühr. Er sagte über seine Arbeitsweise: 'Das ist klar, individuelle Aussagen und Meinungen wurden durch Kombination verändert.' Mit der freimütigen Übergabe ihrer Stimmen ermöglichten also die Beteiligten dieses Spiel. Aussagen von Menschen als Spielmaterial oder Aussagen von Menschen als Beleg für eine politische These. Beides führte nach spannenden Anfängen in eine künstlerische Sackgasse.
Bei 'Rimini-Protokoll' übernehmen die Protagonisten selbst die Rolle der Reflexion. Sie müssen ja mit Hilfe der Regisseure ihre Berichte in eine Form bringen, die sich wiederholen lässt. Sie lernen sozusagen sich selbst auswendig. Sie müssen zwangsläufig eine Distanz zu sich und ihren Berichten entwickeln. Da stellt sich eine zweite Ebene von Wirklichkeit her. Das Hörspiel ist aus dem Bühnenstück entstanden. Und da entsteht nun wieder eine neue und dritte Ebene."
Lag es an der schönen Aussicht, am guten Wetter oder einfach an der guten Stimmung? Auffällig übereinstimmend jedenfalls beschäftigten sich die Redner mit der Zukunft des Radios und auch des Hörspiels. Als richtungweisend nicht nur für die Gattung Hörspiel ordnete Matthias Strässner, Hauptabteilungsleiter Kultur beim Deutschlandfunk und auf das Podium gebeten als Vertreter der Rundfunkanstalt, die das Siegerstück federführend produzierte, die Arbeitsweise von Rimini Protokoll ein. Und Staatsminister Bernd Neumann
äußerte sich zur Zukunft des Hörfunks:
"Im Rahmen der künftigen Frequenzneuvergabe, die ja im Wesentlichen in Brüssel vorentschieden wird, muss es auch weiterhin für die Hörfunkprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland eine Bestands- und Entwicklungsgarantie geben. Ich trete dafür ein, dass das Radio als eigenständige Mediengattung mit unverwechselbarem Profil erfolgreich bleibt und Gewinn aus der technischen Entwicklung ziehen kann. Der hervorragende Beitrag, den die öffentlich-rechtlichen Sender gerade im Bereich der Hörspielkunst leisten, verdient dabei besondere Anerkennung. Die Enquete-Kommission des deutschen Bundestages 'Kultur in Deutschland', die Ende des vergangenen Jahres ihren Schlussbericht vorgelegt hat, fordert sogar die Stärkung der Produktion von Hörspielen in die Programmleitlinien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzunehmen. Qualität muss der Maßstab für den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein."