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Karlsruhe gegen Luxemburg

Wenige Wochen nach dem kritischen Karlsruher Urteil zum EU-Reformvertrag bahnt sich ein weiterer Streit um die Gesetzgebungskompetenz mit dem Europäischen Gerichtshof an. Kritisiert wird diesmal die altersabhängige Staffelung von Kündigungsfristen in Deutschland - als diskriminierend.

Von Tonia Koch |
    Kündigungsfristen sind in Deutschland nach Betriebszugehörigkeit gestaffelt. Sie reichen je nach Dauer der Beschäftigung von einem bis sieben Monaten. Dagegen hat der EuGH, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, nichts einzuwenden. Allerdings ist er nicht damit einverstanden, dass die Kündigungsfristen zusätzlich nach Alter gestaffelt werden. Der Deutsche Gesetzgeber fängt erst ab dem
    25. Lebensjahr an zu zählen. Das bedeutet: Wer mit 20 im Betrieb angefangen hat und mit 30 gekündigt wird, dem steht lediglich eine verkürzte Kündigungsfrist zu, weil die Beschäftigungszeit bis zum 25. Lebensjahr nicht mitgerechnet wird. Für den Generalanwalt des EuGH verstößt dies gegen die europaweit geltenden Antidiskriminierungsregeln. Und ernsthaft bestreitet dies in der Bundesrepublik auch niemand, sagt Reinhold Mittag, Rechtsberater des DGB, des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

    "Die bisherige Vorschrift ist Europa-rechtswidrig, das sehen auch die Arbeitgeberjuristen nicht anders, da sind wir uns einig.""

    Die Arbeitgeberseite verteidigt die historisch gewachsene Regelung zwar noch, aber nicht so sehr deshalb, weil die Betriebe in Deutschland großen Schaden nehmen könnten, wenn die Altersbeschränkung wegfällt, sondern vielmehr deshalb, weil sie finden, dass die Europäischen Richter ihre Kompetenzen überschreiten. Außerdem mischten sie sich zu Unrecht in die deutsche Gesetzgebung ein, sollten sie die Regel kippen. Die Arbeitgeber setzen daher auf das Bundesverfassungsgericht, das sich aus ihrer Sicht gegen die Eingriffe des EuGH zur Wehr setzten sollte. Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

    "Das Bundesverfassungsgericht steht - gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung zu Lissabon - vor der Frage, was geht noch und was geht nicht mehr, ohne dass die Rechtsordnung in der Bundesrepublik Deutschland vom Kopf auf die Füße gestellt wird."

    Darüber ob der deutsche Kündigungsschutz geändert werden muss, entscheidet der EuGH endgültig erst in ein paar Monaten. Aber in einem ähnlich gelagerten Fall hat er bereits entschieden und für mächtig viel Wirbel gesorgt. Und zwar hat er geltendes deutsches Recht für unwirksam erklärt, ohne dass er Parlament und Regierung die notwenige Zeit eingeräumt hatte, die Vorschriften anzupassen. Quasi über Nacht hatte der EuGH im Jahr 2005 die Beschäftigungssituation tausender Arbeitnehmer in Deutschland verändert, in dem er ihre befristeten Arbeitsverhältnisse in unbefristete ungewandelt hatte. Mit entsprechenden Folgen für die Wirtschaft, Professor Stephan Weth, Arbeitsrechtler an der Universität Saarbrücken.

    "Die Arbeitgeber hadern zu Recht mit dieser Entscheidung des EuGH. Denn wer sich darauf einstellt, dass er für eine bestimmte Zeit einen Arbeitnehmer beschäftigt, der sich dafür auf ein Gesetz stützt, sich also völlig gesetzestreu verhält, und dann seiht, dass er seine Dispositionen nicht verwirklich kann, der beschwert sich zurecht."

    Ein betroffenes Unternehmen, das plötzlich viel mehr Arbeitnehmer beschäftigte als geplant, hat sich beschwert und zwar direkt beim Bundesverfassungsgericht. In der Hoffnung, das höchste deutsche Gericht möge den EuGH in die Schranken weisen. Und mit Spannung wird erwartet, ob Karlsruhe sich dieser Konfrontation stellt. Professor Stephan Weth:

    "Es gibt mehrere Auffassungen, die eine, die dem Bundesverfassungsgericht rät, endlich aufzustehen unter dem Motto: Stoppt den EuGH. Besonnene Stimmen raten dazu, dies nicht zu tun. Was das Bundesverfassungsgericht machen wird, darüber darf gerätselt werden, sie können aber, wenn sie wollen, Wetten darauf abschließen."

    Keine Wetten sollten jedoch darauf abgeschlossen werden, dass das Bundesverfassungsgericht zu der Auffassung gelangen könnte, die vom EuGH beanstandeten Regeln im Rahmen der deutschen Sozialgesetzgebung, seien doch im Einklang mit europäischem Recht. Dafür spricht herzlich wenig, so Professor Weth.

    "Fest steht jedenfalls, dass der deutsche Gesetzgeber seine Hausaufgaben nicht ordnungsgemäß gemacht hatte."

    Allerdings muss auch vom EuGH nicht jedes Mal ohne Vorwarnung die rote Karte gezogen werden. Vielleicht belässt er es beim Kündigungsschutz bei einer Verwarnung in gelb. Regierung und Parlament verbliebe dann ausreichend Zeit, die Regeln an europäische Normen anzupassen.