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Karneval bei klirrender Kälte

Die Kleinstadt Naoussa ist eine Karnevalshochburg in Griechenland. "Apokries" wird dortso traditionell wie eh und je gefeiert: Ein Straßenfest mit Sournás, dem Holzblasinstrument, der traditionellen Pauke und den Jianitsaren in ihrer aufwendigen Tracht.

Von Marianthi Milona | 19.02.2012
    Ein eiskalter, aber sonniger Montagmorgen im griechischen Bergstädtchen Naoussa. Die Wettervorhersage hatte Schneesturm angekündigt, doch bisher ist davon weit und breit nichts zu sehen. Dennoch wäre es kein Wunder, wenn das Wetter sich schlagartig ändern würde. Hier oben, umgeben von zwei mächtigen Bergketten, mit Skizentren, die als die "Drei-bis-fünf-Quellen" und "Seli" von den Einheimischen genannt werden, sind plötzliche Wetterschwankungen keine Seltenheit.

    In diesen frühen Morgenstunden herrscht turbulentes Treiben auf den Straßen und die Cafés sind überfüllt. Und aus den Gassen fordert hier und da der Klang des Sournás, eines orientalisches Blasinstruments mit schrägen Tönen, vollste Aufmerksamkeit. Für Anfang Februar ist dieses Straßenbild in Naoussa nichts Ungewöhnliches. Die Naoussioten treibt es hinaus, trotz klirrender Eiseskälte. In den Orten an der Küste, würde an einem solchen Tag kaum jemand sein wohliges Heim verlassen wollen. Doch die hier in Naoussa können die niedrigen Temperaturen und die lange Kälteperiode den Menschen nichts anhaben.

    Außerdem bereitet sich die ganze Stadt auf Karneval vor, das hier "Apokries" heißt und das übersetzt genau dasselbe bedeutet wie das italienische "Carnevalo". Auch die Griechen werden in der Fastenzeit auf den Verzehr von Fleisch verzichten.

    Und sie werden vorher ein unglaubliches Spektakel auf den Straßen inszenieren. "Apokries", also Karneval, wird in Naoussa so traditionell, wie eh und je gefeiert. Ein Straßenfest mit dem Sournás, dem Holzblasinstrument und der traditionellen Pauke. Ganze zehn Tage. Von Weiberfastnacht, das hier eine ganze Woche vor dem deutschen einsetzt und an Rosenmontag zu Ende geht.

    Jiorgos Sachariadis ist der Leiter des Karnevalsvereins von Naoussa, der mich in einem restaurierten Fachwerkhaus, dem Vereinszentrum der Karnevalisten empfängt.

    "Unser Karneval besteht außer den Musikern aus den Jianitsaren und den Boúles. Boúles, das sind die als Frauen verkleideten Männer, die die Jianitsaren bei ihrem Lauf durch die Stadt begleiten. Der Karneval in Naoussa ist ein reiner Straßenkarneval, der zu Fuß veranstaltet wird. Ohne einen organisierten Karnevalszug. Die Verkleideten sind nur Männer. Die Jianitsaren wiederrum haben nichts mit den osmanischen Jenitsaren zu tun. Das Wort ist eine Ableitung von Dionyssos, Jánousos, Janísaros, Jianitsaros. Somit knüpft Naoussa an die antiken dionysischen Festlichkeiten an, die die Vorboten des Frühlings sind. "

    So beginnt also der Lauf der Jianitsaren und der Boúles: Der erste Mann zieht los und holt den zweiten von Zuhause ab, dann den dritten und so weiter. Wenn sich alle Verkleideten eingefunden haben, dann geht es gemeinsam zum Gemeindehaus. Dort erhalten die Karnevalisten traditionell die offizielle Erlaubnis zur Ausübung ihres Festes.

    Wenn eine Frau einen Jianitsaren zu kleiden hat, dann ist das in Naoussa etwas ganz Besonderes. Im Fall von Soula Mitropoulou fiel die Ehre gleich vier mal aus. In ihrem Woll- und Knopfgeschäft ist die Aufregung groß. Sie wühlt in einem Ordner bis sie auf das richtige Foto stößt:

    "Schauen Sie, drei Söhne, drei Jianitsari", meint sie mit stolzer Stimme und zeigt anschließend auf den vierten, ihren Gatten. Für die junge Frau gibt es nichts Wichtigeres in Naoussa als den Karneval. Schließlich hat sie ihren ersten Jungen bereits mit neun Monaten als Jianitsar verkleidet. Der Faltenrock ihres Babys war nur so groß wie ihre Handinnenfläche, erinnert sie sich sichtlich gerührt.

    "Seit meiner Jugendzeit laufe ich den Jianitsaren und den Boúles hinterher, weil ich in dieses Ritual verliebt bin. In meiner Nachbarschaft gab es Jungs, die sich zum Jianitsar verkleideten. So war es für mich fast eine natürliche Schlussfolgerung, mich in einen Jianitsar auch zu verlieben. Ein wichtiger Grund, warum ich mich in meinen Mann verliebt habe war, dass er im Karneval ein Jianitsar wurde. Damals war ich 18 Jahre alt. Heute mit meinen 47 Jahren hat sich an diesem Gefühl nichts geändert. Sie halten mich sicher für verrückt, aber das Erste, worum ich meine Schwiegermutter gebeten hatte war, den Faltenrock meines Mannes zu bügeln."
    Soula lernte später auch noch die gesamte Tracht eines Jianitsaren zu nähen, was sich in Naoussa als lukrative Tätigkeit erwies. Aber was ein Betsves, Bothetes, Kondela, Fustanella, Slim, Siliachi, Slimia, Mafesi, Palla, Prosopos und Tarbolo ist, nun, das alles ist zugegebenermaßen viel zu kompliziert, um es sich zu merken. Wenn man aber das Glück hat, einmal einem Jianitsaren zu begegnen, dann ist man von seinem Minifaltenrock und der freundlich bemalten Gesichtsmaske aus Honigwachs durchaus beeindruckt.

    Und sollte man sich am Ende auch daran nicht mehr erinnern können, eines haben die griechischen Jecken mit den deutschen gemeinsam: Wenn sie tagelang ihr Unwesen in den Gassen, zum Beispiel in der Kölner Domstadt treiben, dann rufen sie die Frühlingsgeister genauso energisch herbei, wie die Jianitsaren und die Boúles im griechischen Naoussa.

    Die gesamte Tracht des Jianitsaren besteht aus:

    Betsves - die lange weiße Wollstrumpfhose
    Bothetes - schwarzes Band mit Bommel, das unterhalb des Knies befestigt wird
    Kondela - weißes Hemd
    Fustanella - weißer Minirock
    Slim - eine Weste, mit leichten Seitenflügeln hinter dem Rücken
    Siliachi - ein Lederband, auf dem früher die alten Griechen ihre Patronen hinlegten
    Slimia - die Münzenkette vorne auf der Brust
    Mafesi - Tücher, die um die Hüfte gebunden werden
    Palla - das gebogene Schwert des Jianitsaren
    Prosopos und Tarabolo - die aus Honigwachs hergestellte Gesichtsmaske und das bunte karierte Kopftuch
    der aus Pferdehaaren hergestellte Schnurrbart
    Holzschuhe mit einer schwarzen Bommel an den Zehenspitzen