Die letzten Handgriffe. Zwei Arbeiter schrauben ein riesenhaftes mit bunten Federn geschmücktes Rad auf einen Umzugswagen. Nachher beim "Défilé" wird es die "Mama Afrika", die Königin von Afrika, umkränzen.
"Die letzten beiden Nächte haben wir kaum geschlafen, um das fertig zu kriegen. Na ja, wir halten uns mit Zitrusfrüchten fit - die haben viele Vitamine, die Zitronen und die Orangen!"
Ein kleiner, kräftiger Mann kommt dazu, wirft auf einen Blick auf das Kunstwerk, nickt anerkennend. Auch er sieht müde aus. Völlig normal: Alain Delaboudinière ist der Dirigent des Fête de citron, er koordiniert die technische Vorarbeit:
"Was mir dieses Jahr besonders gefällt: die Anspielung auf die Vergangenheit. In den Biovès-Gärten haben wir einen argentinischen Tango-Pavillon aufgebaut - er ist ganz auf die traditionelle Art gestaltet: mit Buchsbaum und Früchten. Dieser Wink in Richtung Vergangenheit ist sehr sympathisch."
In den Parkanlagen der Biovès-Gärten - am Rande der Karneval-Umzugsroute ragen außerdem russische Babuschka-Puppen ganz in gelb und orange in den knallblauen Himmel. Und auch ein Raddampfer aus Louisiana, das Moulin Rouge und afrikanische Trommeln - alle mit Zitronen und Orangen umhüllt: Musik aus aller Welt ist dieses Jahr Thema des Fête du citron. Gleich beginnt der Korso. Gigantische Menschenmengen strömen schon in Richtung Strandpromenade
Emile, 74 Jahre, auf dem Kopf die Baskenmütze, steht am Rand der Menschenflut, studiert mit gerunzelter Stirn die Riesenskulpturen im Biovès-Park und packt seine Geschichtskenntnisse aus
"Früher war das nicht so großartig wie heute: da waren in einem Garten Orangen und Zitronenbäume ausgestellt, 1929 haben sie damit angefangen. Später hat man aus den Zitrusfrüchten Skulpturen gemacht. Und seit 1934 gibt es die Umzüge mit Figuren aus Zitronen und Orangen, seitdem heißt das Ganze 'La fête du citron'. Nach und nach kamen diese großen Konstruktionen, wie Sie sie jetzt sehen. Wenn die Alten, die das damals veranstaltet haben, sehen würden, was heute daraus geworden ist! Würden sie das grandios finden? Oder wären sie ein bisschen verblüfft, oder beleidigt? Würde ihnen das heute gefallen? Nicht unbedingt."
Nun, Emile gefällt es jedenfalls - für ihn ist nichts zu großartig, um die Zitrone zu feiern: Sie ist das Wahrzeichen von Menton, sagt Emile, weil hier dank des milden Klimas die besten Zitronen der Welt wachsen...
Es geht's los. Der Umzug startet, und auch Emile drängt sich nach vorne, um einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern
Überdimensionale brasilianische Trommeln - mit Zitrusfrüchten umhüllt - kommen angerollt, gefolgt von Brasilianerinnen, die frenetisch tanzen, auf ultrahohen Plateauschuhen, sie tragen knappste Bikinis und sind mit Federn geschmückt...
Alle sind so, wie man's erwartet, auch die orientalischen Tänzerinnen, mit ihren wendigen Bäuchen und den vielen kleinen Glöckchen und Schellen an der Hüfte, die Russen mit Pelzmützen und wilden Bärten, und die Flamenco-Tänzerinnen: temperamentvoll stampfend umrunden sie die gelb-orangefarbene Gitarrenskulptur auf ihrem Umzugswagen.
Wendet man sich aber dem - auch - multikulturellen Publikum zu, dann geraten die weltweiten Klischees doch etwas ins Wanken. Das Savoir-vivre, der unbeschwerte Lebensgenuss der Franzosen? Auf die Frage, was sie am meisten beeindruckt, antworten sie:
"Diese immense Arbeit. All diese Gummibänder anzubringen, mit denen die Zitronen und Orangen an den Metallstrukturen befestigt sind."
Von den Italienern wiederum würde man eine gewisse Chaos-Toleranz erwarten. Von wegen:
"Was für ein Durcheinander. Wunderschön, aber zu viele Menschen, die sich auf der Strasse drängten, man konnte kaum was sehen. Die Organisation ließ ein bisschen zu wünschen übrig."
Auch die als nüchtern bekannten Schweizer überraschten:
"Das Publikum macht zu wenig mit. In der Schweiz ist das brutal. Die machen mit und schreien und klatschen und pfeifen, das ist wunderbar."
Als Werwölfe sind sie verkleidet, die Schweizer, und ihre Musik geht so...
"Wie geht Guggamusik? Laut spielen, falsch spielen."
Auffallend auch, dass die Bewohner von Menton ausnahmslos die vorherrschenden Temperaturen von 12 bis 15 Grad als kalt empfinden, während für die Angereisten eindeutig der Frühling ausgebrochen ist.
"Hier ist es schön warm: Frühling!"
Frühling oder nicht ist also Ansichtssache - eines steht aber fest: die Zitrone sucht sich jedes Jahr genau diesen Moment aus, um zu voller Pracht heranzureifen...
Gleich ist der Umzug vorbei... Das - für Schweizer Verhältnisse - zu ruhige Publikum kommt doch noch in Fahrt, applaudiert begeistert einer Gruppe Hip-Hop-Tänzern und ruft den Provence-Foklore-Mädchen enthusiastisches Lob entgegen:
Höhepunkt und Schluss des Korsos bildet eine Gruppe wunderschöner Spanierinnen, die in gelben Federsonnen vorüber tanzen... Die Menge zerstreut sich langsam. Eine Brasilianerin posiert für ein Foto, flankiert von zwei stolz lächelnden älteren Herren. Die beiden Gattinnen knipsen eifrig. Von irgendwoher taucht eine Fanfare auf, unermüdlich spielt sie weiter...
Einheimische haben an allen Ecken Campingtische aufgestellt und verkaufen Zitrusfrüchte aus dem eigenen Garten.
Aber auch professionelle Zitrusanbauer haben - in den Jardins Biovès - ihre Stände: Laurent Gannac vom Maison du Citron zum Beispiel, er verkauft außerdem Konfitüren, Zitronenlikör, Orangenwein und vieles mehr. Gannac erklärt, alle Skulpturen hier seien mit Früchten aus Spanien dekoriert, denn die Zitrone aus Menton sei zu schade dafür: Sie sei so rar und außerordentlich, dass sich die größten Chefköche Frankreichs um sie reißen:
"Eine solche Frische und Qualität finden sie auf dem Markt nicht so schnell. Folglich wollen sie alle Zitronen aus Menton: Ducasse, Bocuse und so weiter...Unsere Zitrone gehört zu den Produkten, die Sterneköche in ihre Küche haben müssen."
Catherine Choquier, einer der Veranstalterinnen des Fête du citron, gesellt sich dazu und nickt zustimmend. Zitronen wie die aus Menton gebe es auf der ganzen Welt nicht noch mal. Schließlich, weiß Catherine Choquier, kommt die hiesige Zitrone direkt aus dem Paradies, dem richtigen, dem von Adam und Eva:
"Adam und Eva sind aus dem Paradies vertrieben worden. Eva - schelmisch wie sie ist, hat eine Zitrone mitgenommen. Da hat Adam Angst bekommen und gesagt: ‚Eva, ich flehe dich an, wirf diese Frucht weg. Wir haben schon wegen des Apfels Probleme bekommen!' Und Eva hat geantwortet: ‚Ich werfe die Zitrone erst dann weg, wenn wir in eine Gegend kommen, die mich an das Paradies erinnert.' Sie sind durch die ganze Welt gereist. Schließlich hat Eva die Bucht von Garavan entdeckt, ein Stadtviertel von Menton. Dort hat sie die Zitrone weggeworfen, weil sie dieser Ort an das Paradies erinnert hat. Sehen Sie: Wir leben hier im Paradies!"
Und wenn auf den deutschen Karnevals-Schauplätzen längst wieder Ruhe eingekehrt ist, macht Menton noch eine ganze Weile weiter: Umzüge, Lichterspektakel, Konzerte und Fanfaren gibt es dort noch bis zum 4. März!
"Die letzten beiden Nächte haben wir kaum geschlafen, um das fertig zu kriegen. Na ja, wir halten uns mit Zitrusfrüchten fit - die haben viele Vitamine, die Zitronen und die Orangen!"
Ein kleiner, kräftiger Mann kommt dazu, wirft auf einen Blick auf das Kunstwerk, nickt anerkennend. Auch er sieht müde aus. Völlig normal: Alain Delaboudinière ist der Dirigent des Fête de citron, er koordiniert die technische Vorarbeit:
"Was mir dieses Jahr besonders gefällt: die Anspielung auf die Vergangenheit. In den Biovès-Gärten haben wir einen argentinischen Tango-Pavillon aufgebaut - er ist ganz auf die traditionelle Art gestaltet: mit Buchsbaum und Früchten. Dieser Wink in Richtung Vergangenheit ist sehr sympathisch."
In den Parkanlagen der Biovès-Gärten - am Rande der Karneval-Umzugsroute ragen außerdem russische Babuschka-Puppen ganz in gelb und orange in den knallblauen Himmel. Und auch ein Raddampfer aus Louisiana, das Moulin Rouge und afrikanische Trommeln - alle mit Zitronen und Orangen umhüllt: Musik aus aller Welt ist dieses Jahr Thema des Fête du citron. Gleich beginnt der Korso. Gigantische Menschenmengen strömen schon in Richtung Strandpromenade
Emile, 74 Jahre, auf dem Kopf die Baskenmütze, steht am Rand der Menschenflut, studiert mit gerunzelter Stirn die Riesenskulpturen im Biovès-Park und packt seine Geschichtskenntnisse aus
"Früher war das nicht so großartig wie heute: da waren in einem Garten Orangen und Zitronenbäume ausgestellt, 1929 haben sie damit angefangen. Später hat man aus den Zitrusfrüchten Skulpturen gemacht. Und seit 1934 gibt es die Umzüge mit Figuren aus Zitronen und Orangen, seitdem heißt das Ganze 'La fête du citron'. Nach und nach kamen diese großen Konstruktionen, wie Sie sie jetzt sehen. Wenn die Alten, die das damals veranstaltet haben, sehen würden, was heute daraus geworden ist! Würden sie das grandios finden? Oder wären sie ein bisschen verblüfft, oder beleidigt? Würde ihnen das heute gefallen? Nicht unbedingt."
Nun, Emile gefällt es jedenfalls - für ihn ist nichts zu großartig, um die Zitrone zu feiern: Sie ist das Wahrzeichen von Menton, sagt Emile, weil hier dank des milden Klimas die besten Zitronen der Welt wachsen...
Es geht's los. Der Umzug startet, und auch Emile drängt sich nach vorne, um einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern
Überdimensionale brasilianische Trommeln - mit Zitrusfrüchten umhüllt - kommen angerollt, gefolgt von Brasilianerinnen, die frenetisch tanzen, auf ultrahohen Plateauschuhen, sie tragen knappste Bikinis und sind mit Federn geschmückt...
Alle sind so, wie man's erwartet, auch die orientalischen Tänzerinnen, mit ihren wendigen Bäuchen und den vielen kleinen Glöckchen und Schellen an der Hüfte, die Russen mit Pelzmützen und wilden Bärten, und die Flamenco-Tänzerinnen: temperamentvoll stampfend umrunden sie die gelb-orangefarbene Gitarrenskulptur auf ihrem Umzugswagen.
Wendet man sich aber dem - auch - multikulturellen Publikum zu, dann geraten die weltweiten Klischees doch etwas ins Wanken. Das Savoir-vivre, der unbeschwerte Lebensgenuss der Franzosen? Auf die Frage, was sie am meisten beeindruckt, antworten sie:
"Diese immense Arbeit. All diese Gummibänder anzubringen, mit denen die Zitronen und Orangen an den Metallstrukturen befestigt sind."
Von den Italienern wiederum würde man eine gewisse Chaos-Toleranz erwarten. Von wegen:
"Was für ein Durcheinander. Wunderschön, aber zu viele Menschen, die sich auf der Strasse drängten, man konnte kaum was sehen. Die Organisation ließ ein bisschen zu wünschen übrig."
Auch die als nüchtern bekannten Schweizer überraschten:
"Das Publikum macht zu wenig mit. In der Schweiz ist das brutal. Die machen mit und schreien und klatschen und pfeifen, das ist wunderbar."
Als Werwölfe sind sie verkleidet, die Schweizer, und ihre Musik geht so...
"Wie geht Guggamusik? Laut spielen, falsch spielen."
Auffallend auch, dass die Bewohner von Menton ausnahmslos die vorherrschenden Temperaturen von 12 bis 15 Grad als kalt empfinden, während für die Angereisten eindeutig der Frühling ausgebrochen ist.
"Hier ist es schön warm: Frühling!"
Frühling oder nicht ist also Ansichtssache - eines steht aber fest: die Zitrone sucht sich jedes Jahr genau diesen Moment aus, um zu voller Pracht heranzureifen...
Gleich ist der Umzug vorbei... Das - für Schweizer Verhältnisse - zu ruhige Publikum kommt doch noch in Fahrt, applaudiert begeistert einer Gruppe Hip-Hop-Tänzern und ruft den Provence-Foklore-Mädchen enthusiastisches Lob entgegen:
Höhepunkt und Schluss des Korsos bildet eine Gruppe wunderschöner Spanierinnen, die in gelben Federsonnen vorüber tanzen... Die Menge zerstreut sich langsam. Eine Brasilianerin posiert für ein Foto, flankiert von zwei stolz lächelnden älteren Herren. Die beiden Gattinnen knipsen eifrig. Von irgendwoher taucht eine Fanfare auf, unermüdlich spielt sie weiter...
Einheimische haben an allen Ecken Campingtische aufgestellt und verkaufen Zitrusfrüchte aus dem eigenen Garten.
Aber auch professionelle Zitrusanbauer haben - in den Jardins Biovès - ihre Stände: Laurent Gannac vom Maison du Citron zum Beispiel, er verkauft außerdem Konfitüren, Zitronenlikör, Orangenwein und vieles mehr. Gannac erklärt, alle Skulpturen hier seien mit Früchten aus Spanien dekoriert, denn die Zitrone aus Menton sei zu schade dafür: Sie sei so rar und außerordentlich, dass sich die größten Chefköche Frankreichs um sie reißen:
"Eine solche Frische und Qualität finden sie auf dem Markt nicht so schnell. Folglich wollen sie alle Zitronen aus Menton: Ducasse, Bocuse und so weiter...Unsere Zitrone gehört zu den Produkten, die Sterneköche in ihre Küche haben müssen."
Catherine Choquier, einer der Veranstalterinnen des Fête du citron, gesellt sich dazu und nickt zustimmend. Zitronen wie die aus Menton gebe es auf der ganzen Welt nicht noch mal. Schließlich, weiß Catherine Choquier, kommt die hiesige Zitrone direkt aus dem Paradies, dem richtigen, dem von Adam und Eva:
"Adam und Eva sind aus dem Paradies vertrieben worden. Eva - schelmisch wie sie ist, hat eine Zitrone mitgenommen. Da hat Adam Angst bekommen und gesagt: ‚Eva, ich flehe dich an, wirf diese Frucht weg. Wir haben schon wegen des Apfels Probleme bekommen!' Und Eva hat geantwortet: ‚Ich werfe die Zitrone erst dann weg, wenn wir in eine Gegend kommen, die mich an das Paradies erinnert.' Sie sind durch die ganze Welt gereist. Schließlich hat Eva die Bucht von Garavan entdeckt, ein Stadtviertel von Menton. Dort hat sie die Zitrone weggeworfen, weil sie dieser Ort an das Paradies erinnert hat. Sehen Sie: Wir leben hier im Paradies!"
Und wenn auf den deutschen Karnevals-Schauplätzen längst wieder Ruhe eingekehrt ist, macht Menton noch eine ganze Weile weiter: Umzüge, Lichterspektakel, Konzerte und Fanfaren gibt es dort noch bis zum 4. März!