Sie war 1935 die erste in Kunstgeschichte habilitierte Frau in Polen. Und trat im selben Jahr ihre Privatdozentur an der Jan-Kazimierz-Universität in Lwów, ehemals Lemberg, an. Lange indes dauerte ihre Lehrtätigkeit nicht. Denn nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 und dem Einmarsch der sowjetischen Truppen zwei Wochen später von Osten her schwebte Karolina Lanckoronska (wie die gesamte intellektuelle und wirtschaftliche Elite Polens) in Lebensgefahr. Hitler und Stalin, die unmittelbar zuvor ihren Nichtangriffs-Pakt geschlossen hatten, erklärten Polen gemeinsam als rechtlich nicht mehr existent. Karolina Lanckoronska, die Tochter eines Großgrundbesitzers, hätte emigrieren können. Doch sie weigerte sich, das besetzte Polen zu verlassen. Und legte im Januar 1940 ihren Eid im Lwowsker Verband Bewaffneter Kämpfer ab. Vier Monate lang leistete sie konspirative Arbeit, bis sie der Verhaftungswelle infolge der immer bedrohlicher werdenden Denunziationen gerade noch rechtzeitig entkam und (mit gefälschten Papieren) nach Krakau floh. Ihre Erinnerungen, die sie 1945/46 nach ihrer Befreiung aus der deutschen Gefangenschaft niederschrieb, beginnt Karolina Lanckoronska mit jener brutal-verbrecherischen Zeit: Tausende von polnischen Gutsbesitzern und Fabrikanten, Ärzten, Juristen, Wissenschaftlern und Geistlichen waren damals auf Befehl von SS und Gestapo ermordet worden. Zugleich wurden in den von den sowjetischen Machthabern okkupierten östlichen Provinzen rund eine Million polnische Bauern verschleppt - die meisten nach Kasachstan. Lwow firmierte nun als "Hauptstadt der (West-)Ukraine". Soldaten der Roten Armee patrouillierten in der Stadt, "schmutzig, unrasiert, schäbig uniformiert", wie Karolina Lanckoronska schreibt.
Wir hörten aus dem Rundfunk von Massenerschießungen in unseren westlichen Provinzen, erfuhren schließlich von der Verhaftung der Professoren der Jagiellonen-Universität und ihrem Abtransport ins Konzentrationslager. Diese letzte Information traf uns natürlich wie ein Blitz. Ihr folgten nunmehr pausenlos Rundfunksendungen über die Zerschlagung sämtlicher kulturellen Zentren, über die planmäßige Vernichtung von Bibliotheken und Archiven, sämtlicher Spuren unserer historischen Vergangenheit.
Karolina Lanckoronska nahm auch in Krakau sofort wieder Kontakt mit dem Verband Bewaffneter Kämpfer auf. Übersetzte Aufrufe an die Deutsche Wehrmacht vom Polnischen ins Deutsche, die an Hausfassaden und Stadtmauern geklebt wurden. Hauptsächlich aber engagierte sie sich beim Polnischen Roten Kreuz: Alle Häftlinge des Generalgouvernements (also jener Osthälfte des deutschen Besatzungsgebietes) unterstanden ihrer Pflegschaft.
In jenen heißen Sommertagen des Jahres 1940 kamen in Krakau Gerüchte auf, dass irgendwelche großen Vorbereitungen an der Grenze zu Schlesien getroffen würden, es schien sich um Barackenbauten zu handeln oder Blöcke - alles mit Drahtverhauen umgeben und streng geheim gehalten. Selbst wenn alles offen und zugänglich gewesen wäre, von uns wäre damals noch niemand zu begreifen imstande gewesen, um was es hier eigentlich ging: Die Deutschen bauten Auschwitz.
Karolina Lanckoronskas Erinnerungen sind von einer bedrückenden Schlichtheit. Sich selbst nimmt sie völlig zurück. Keine klagenden Worte. Kein Opferblick. Für die unfassbaren Greuel, die Polen erleiden musste und die sie oft genug mit eigenen Augen sah, findet sie nüchterne, unprätentiöse Worte. Ihren ersten Besuch in Warschau "nach Ausbruch des Krieges" schildert sie ohne Pathos: Dass es auf den Straßen viel weniger Deutsche gab als in Krakau und viel weniger Lokale auch mit dem Hinweis "Nur für Deutsche", empfand sie als wohltuend. Deprimierend hingegen die Zerstörung der Stadt. Kaum eine Straße war erhalten geblieben, alle "architektonischen Zierden", wie sie schreibt, die prächtigen Palais, das Schloss, für immer ausradiert. Dann im Zug zurück Richtung Krakau: Von den 16 Waggons waren 13 "Nur für Deutsche" bestimmt. Häufig indes saß keine einzige Person darin. Die "Polenwaggons" hingegen waren überfüllt. Karolina Lanckoronska wagte sich auf den Gang eines "deutschen" Waggons. Sofort kam der deutsche Schaffner. Und schlug sie. Kommentarlos berichtet Karolina Lanckoronskas davon in ihren Erinnerungen. An anderer Stelle erst, als sie von den Hunderten polnischen Kriegsgefangenen erzählt, die mit Schwindsucht, Lungenentzündung und Tuberkulose aus deutscher Gefangenschaft in die Lazarette des Polnischen Roten Kreuzes gelangten, sagt sie (und diesmal sich mit einbeziehend), dass die Polen spüren sollten, "slawische Untermenschen" zu sein.
Ich weiß, dass damals ein genau festgesetztes Kontingent bestand, d.h. eine vorgeschriebene Anzahl von Polen, die sich ständig in Gefängnissen oder Konzentrationslagern befinden mussten. Wenn diese Zahl aus irgendeinem Grund (erhöhter Sterblichkeit zum Beispiel) zu einem gewissen Zeitpunkt geschrumpft war und es momentan keinen Anlass zu Massenverhaftungen gab, wurden Menschenjagden veranstaltet. Darum war es häufig nicht möglich, die Ursachen für die Festnahme bestimmter Personen ausfindig zu machen; man hatte sie einfach dem Kontingent zugeschlagen.
Tapferkeit, Nationalstolz und eine gehörige Portion Selbstvertrauen prägen Karolina Lanckoronskas Erzählton. Und unübersehbar ist ihre Herkunft aus großbürgerlichem Milieu, ihre europäisch orientierte Bildung, die ihr zeitlebens eine Menge Privilegien bescherten. 1898 wurde sie in der Nähe von Wien geboren. Die Familie ihres Vaters Karol besaß in der Steiermark (wie auch in Kongresspolen und Galizien) ausgedehnten Grundbesitz. Das Palais Lanckoronski in Wien (im Buch auf mehreren schwarz-weiß Fotos abgebildet) beherbergte eine der damals kostbarsten privaten Gemäldesammlungen. Durch seine zwei Ehen mit Österreicherinnen war Karol Lanckoronski eng mit der höchst exklusiven Aristokratie der Donaumonarchie verbunden. Er wurde sogar zum Oberhofmarschall unter Kaiser Franz Joseph I. ernannt. Trotzdem blieb immer eine enge Bindung an die polnischen Wurzeln, die Karol Lanckoronski dann auch seiner Tochter Karolina vermittelte. Sie wuchs in der Donaumetropole auf, immatrikulierte sich nach der Matura 1920 an der Wiener Universität in Kunstgeschichte und reiste anschließend nach Rom, um sich ihrer wissenschaftlichen Leidenschaft, der italienischen Renaissance, zu widmen. In der römischen Dependance der Polnischen Akademie der Wissenschaften leitete sie die kunsthistorische Abteilung - bis 1933 ihr Vater starb. Noch im selben Jahr zog die inzwischen 35-jährige nach Lwow, das sie zu ihrem neuen ständigen Wohnsitz wählte. In Karolina Lanckoronskas "Erinnerungen an den Krieg 1939-1945" ist von diesen biografischen Hintergründen immer nur sporadisch die Rede. Eine Kurzchronik ihres Lebens findet sich im vorzüglichen Nachwort, verfasst von den Kunsthistorikern Lech Kalinowski und Elzbieta Ormann. Erst durch die Ausführungen dieser beiden langjährigen Vertrauten Karolina Lanckoronskas lässt sich historisch einordnen, warum beispielsweise jene Intervention der italienischen Königsfamilie 1942 das Todesurteil außer Kraft setzte, das der berüchtigte Gestapochef Hans Krüger gegen die unbeugsame Kämpferin für Polen verhängt hatte. Detailgenau gibt sie in einem Gemisch aus Tagebucheintrag und romanähnlicher Darstellung mit Dialogen in direkter Rede ihre stundenlangen Verhöre wieder, ihre Dunkelhaft und nicht zuletzt ihren Abtransport 1943 ins KZ Ravensbrück.
Raus! Brüllte ein bis an die Zähne bewaffneter Polizist beim Öffnen unserer Käfige. Wir krochen mühevoll heraus, unsere Beine waren wie abgestorben. Am Hauptgebäude der kleinen Bahnstation prangte die Aufschrift "Fürstenberg, Mecklenburg". Ich musste an Krüger denken, wie er diesen Namen aussprach. Im Schnee, auf dem Perron standen zwei Frauen in aschgrauen Uniformen mit Totenkopf an der Feldmütze. Jede hielt einen Polizeihund an kurzer Leine. Wir mussten antreten.
Karolina Lanckoronska, die im August 2002 im Alter von 104 Jahren in Rom als Comtessa und Mäzenin geehrt starb, wollte ihre Erinnerungen erst nach ihrem Tod veröffentlichen, um eine deutsch-polnische Versöhnung oder zumindest Annäherung nicht zu stören. Denn den Grund für die "moralische Katastrophe Deutschlands" sah sie stets im Wegschauen, im Verdrängen und Tabuisieren. Ihr Buch, ungeheuer dicht und facettenreich, ist ein erschütterndes und lehrreiches Zeitdokument über jenes bis heute (zumindest hierzulande) weithin übergangene Kapitel im historischen Gedächtnis.
Karolina Lanckorónska: Mut ist angeboren, Erinnerungen an den Krieg 1939-1945. Aus dem Polnischen von Karin Wolff. Im Böhlau Verlag ist das Buch erschienen, hat 312 Seiten für 29.90 Euro.
Wir hörten aus dem Rundfunk von Massenerschießungen in unseren westlichen Provinzen, erfuhren schließlich von der Verhaftung der Professoren der Jagiellonen-Universität und ihrem Abtransport ins Konzentrationslager. Diese letzte Information traf uns natürlich wie ein Blitz. Ihr folgten nunmehr pausenlos Rundfunksendungen über die Zerschlagung sämtlicher kulturellen Zentren, über die planmäßige Vernichtung von Bibliotheken und Archiven, sämtlicher Spuren unserer historischen Vergangenheit.
Karolina Lanckoronska nahm auch in Krakau sofort wieder Kontakt mit dem Verband Bewaffneter Kämpfer auf. Übersetzte Aufrufe an die Deutsche Wehrmacht vom Polnischen ins Deutsche, die an Hausfassaden und Stadtmauern geklebt wurden. Hauptsächlich aber engagierte sie sich beim Polnischen Roten Kreuz: Alle Häftlinge des Generalgouvernements (also jener Osthälfte des deutschen Besatzungsgebietes) unterstanden ihrer Pflegschaft.
In jenen heißen Sommertagen des Jahres 1940 kamen in Krakau Gerüchte auf, dass irgendwelche großen Vorbereitungen an der Grenze zu Schlesien getroffen würden, es schien sich um Barackenbauten zu handeln oder Blöcke - alles mit Drahtverhauen umgeben und streng geheim gehalten. Selbst wenn alles offen und zugänglich gewesen wäre, von uns wäre damals noch niemand zu begreifen imstande gewesen, um was es hier eigentlich ging: Die Deutschen bauten Auschwitz.
Karolina Lanckoronskas Erinnerungen sind von einer bedrückenden Schlichtheit. Sich selbst nimmt sie völlig zurück. Keine klagenden Worte. Kein Opferblick. Für die unfassbaren Greuel, die Polen erleiden musste und die sie oft genug mit eigenen Augen sah, findet sie nüchterne, unprätentiöse Worte. Ihren ersten Besuch in Warschau "nach Ausbruch des Krieges" schildert sie ohne Pathos: Dass es auf den Straßen viel weniger Deutsche gab als in Krakau und viel weniger Lokale auch mit dem Hinweis "Nur für Deutsche", empfand sie als wohltuend. Deprimierend hingegen die Zerstörung der Stadt. Kaum eine Straße war erhalten geblieben, alle "architektonischen Zierden", wie sie schreibt, die prächtigen Palais, das Schloss, für immer ausradiert. Dann im Zug zurück Richtung Krakau: Von den 16 Waggons waren 13 "Nur für Deutsche" bestimmt. Häufig indes saß keine einzige Person darin. Die "Polenwaggons" hingegen waren überfüllt. Karolina Lanckoronska wagte sich auf den Gang eines "deutschen" Waggons. Sofort kam der deutsche Schaffner. Und schlug sie. Kommentarlos berichtet Karolina Lanckoronskas davon in ihren Erinnerungen. An anderer Stelle erst, als sie von den Hunderten polnischen Kriegsgefangenen erzählt, die mit Schwindsucht, Lungenentzündung und Tuberkulose aus deutscher Gefangenschaft in die Lazarette des Polnischen Roten Kreuzes gelangten, sagt sie (und diesmal sich mit einbeziehend), dass die Polen spüren sollten, "slawische Untermenschen" zu sein.
Ich weiß, dass damals ein genau festgesetztes Kontingent bestand, d.h. eine vorgeschriebene Anzahl von Polen, die sich ständig in Gefängnissen oder Konzentrationslagern befinden mussten. Wenn diese Zahl aus irgendeinem Grund (erhöhter Sterblichkeit zum Beispiel) zu einem gewissen Zeitpunkt geschrumpft war und es momentan keinen Anlass zu Massenverhaftungen gab, wurden Menschenjagden veranstaltet. Darum war es häufig nicht möglich, die Ursachen für die Festnahme bestimmter Personen ausfindig zu machen; man hatte sie einfach dem Kontingent zugeschlagen.
Tapferkeit, Nationalstolz und eine gehörige Portion Selbstvertrauen prägen Karolina Lanckoronskas Erzählton. Und unübersehbar ist ihre Herkunft aus großbürgerlichem Milieu, ihre europäisch orientierte Bildung, die ihr zeitlebens eine Menge Privilegien bescherten. 1898 wurde sie in der Nähe von Wien geboren. Die Familie ihres Vaters Karol besaß in der Steiermark (wie auch in Kongresspolen und Galizien) ausgedehnten Grundbesitz. Das Palais Lanckoronski in Wien (im Buch auf mehreren schwarz-weiß Fotos abgebildet) beherbergte eine der damals kostbarsten privaten Gemäldesammlungen. Durch seine zwei Ehen mit Österreicherinnen war Karol Lanckoronski eng mit der höchst exklusiven Aristokratie der Donaumonarchie verbunden. Er wurde sogar zum Oberhofmarschall unter Kaiser Franz Joseph I. ernannt. Trotzdem blieb immer eine enge Bindung an die polnischen Wurzeln, die Karol Lanckoronski dann auch seiner Tochter Karolina vermittelte. Sie wuchs in der Donaumetropole auf, immatrikulierte sich nach der Matura 1920 an der Wiener Universität in Kunstgeschichte und reiste anschließend nach Rom, um sich ihrer wissenschaftlichen Leidenschaft, der italienischen Renaissance, zu widmen. In der römischen Dependance der Polnischen Akademie der Wissenschaften leitete sie die kunsthistorische Abteilung - bis 1933 ihr Vater starb. Noch im selben Jahr zog die inzwischen 35-jährige nach Lwow, das sie zu ihrem neuen ständigen Wohnsitz wählte. In Karolina Lanckoronskas "Erinnerungen an den Krieg 1939-1945" ist von diesen biografischen Hintergründen immer nur sporadisch die Rede. Eine Kurzchronik ihres Lebens findet sich im vorzüglichen Nachwort, verfasst von den Kunsthistorikern Lech Kalinowski und Elzbieta Ormann. Erst durch die Ausführungen dieser beiden langjährigen Vertrauten Karolina Lanckoronskas lässt sich historisch einordnen, warum beispielsweise jene Intervention der italienischen Königsfamilie 1942 das Todesurteil außer Kraft setzte, das der berüchtigte Gestapochef Hans Krüger gegen die unbeugsame Kämpferin für Polen verhängt hatte. Detailgenau gibt sie in einem Gemisch aus Tagebucheintrag und romanähnlicher Darstellung mit Dialogen in direkter Rede ihre stundenlangen Verhöre wieder, ihre Dunkelhaft und nicht zuletzt ihren Abtransport 1943 ins KZ Ravensbrück.
Raus! Brüllte ein bis an die Zähne bewaffneter Polizist beim Öffnen unserer Käfige. Wir krochen mühevoll heraus, unsere Beine waren wie abgestorben. Am Hauptgebäude der kleinen Bahnstation prangte die Aufschrift "Fürstenberg, Mecklenburg". Ich musste an Krüger denken, wie er diesen Namen aussprach. Im Schnee, auf dem Perron standen zwei Frauen in aschgrauen Uniformen mit Totenkopf an der Feldmütze. Jede hielt einen Polizeihund an kurzer Leine. Wir mussten antreten.
Karolina Lanckoronska, die im August 2002 im Alter von 104 Jahren in Rom als Comtessa und Mäzenin geehrt starb, wollte ihre Erinnerungen erst nach ihrem Tod veröffentlichen, um eine deutsch-polnische Versöhnung oder zumindest Annäherung nicht zu stören. Denn den Grund für die "moralische Katastrophe Deutschlands" sah sie stets im Wegschauen, im Verdrängen und Tabuisieren. Ihr Buch, ungeheuer dicht und facettenreich, ist ein erschütterndes und lehrreiches Zeitdokument über jenes bis heute (zumindest hierzulande) weithin übergangene Kapitel im historischen Gedächtnis.
Karolina Lanckorónska: Mut ist angeboren, Erinnerungen an den Krieg 1939-1945. Aus dem Polnischen von Karin Wolff. Im Böhlau Verlag ist das Buch erschienen, hat 312 Seiten für 29.90 Euro.