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Karriereleiter in fester weiblicher Hand

Was hilft Frauen, außer fachlicher Kompetenz, beim beruflichen Aufstieg? Wissenschaftlerinnen der Universitäten Hamburg und Leipzig haben sich dem Thema von vielen Seiten genähert. Sie untersuchten, was die sogenannte Aufstiegskompetenz von Frauen hemmt - und was sie fördert.

Von Isabell Fannrich | 12.07.2012
    "Setzen Sie sich einmal aufrecht und bequem hin, sodass Sie das Gefühl haben, Sie können jetzt frei atmen. Ihre Arme liegen vielleicht auf dem Schoß. Und dann versuchen Sie zu spüren im Sinne von: Aha, so fühlt es sich an zu spüren, wie es ist, jetzt gerade hier zu sitzen."

    Mit dieser Übung will Nicole Pereira-Guedes einer Gruppe von Frauen die innere Anspannung nehmen. Für eine Studie der Universitäten Hamburg und Leipzig über die sogenannte Aufstiegskompetenz von Frauen hat sie weibliche Mitarbeiter von Hamburger Unternehmen, die Karriere machen wollen, gecoacht. In ihrem Projekt stand die Annahme im Vordergrund, dass mentale Blockaden Frauen bei der Karriere im Wege stehen können.

    "Die Angst zum Beispiel, wenn ich jetzt mit jemandem in ein Kritikgespräch gehe, dass ich dann denke: Oh, ich muss nett zu dem sein, ich darf den nicht verletzen, sonst ist der mir böse. Das wäre auch so eine typische Ich-muss-Vorstellung: Also ich muss nett sein, ich darf nicht gemein sein zu dem anderen. Und die dann davon abhält oder die Frau unter Umständen blockiert hat, zum Beispiel eine völlig berechtigte Kritik einem Kollegen gegenüber zu äußern."

    Ins Stocken geraten, aufgeregt sein, sich ärgern: Mentale Blockaden hemmen Gefühle und Gedanken. Ob Mann oder Frau – er oder sie handelt anders als beabsichtigt, erzählt die 35-Jährige, die freiberuflich als Coach und Dozentin an der Universität Hamburg arbeitet.

    Die Wissenschaftlerin interessierten insbesondere jene Blockaden im Job, die eine Frau nicht auflösen kann - die ihre Gedanken im Kreis laufen lassen oder ihr nachts den Schlaf rauben.

    So suchten die Frauen, die an dem Coaching der Universität Hamburg teilnahmen, nach einer Lösung, wie sie am Feierabend oder Wochenende nach einer 50-60-Stunden-Woche abschalten können. Sie wollten Konfliktsituationen besser gewachsen sein oder die eigenen Leistungen vor den anderen nicht mehr verstecken. Die Erziehungswissenschaftlerin und Psychologin Nicole Pereira-Guedes:

    "Da hatte ich auch einen Fall, wo eine Teilnehmerin eben gesagt hat: Sie hatte einen wichtigen Termin, wo sie vor Abteilungsleitern ihre Ergebnisse aus einer Arbeitsgruppe präsentieren muss. Und das ist ja eine typische Schlüsselsituation, die aufstiegsrelevant sein kann, wenn man sich da gut präsentiert. Ich habe sie dann gefragt zum Beispiel als Einstieg in das Gespräch: 'Was geht Ihnen dann durch den Kopf, wenn Sie an diese Präsentation denken?' Und dann hat sie sofort gesagt: 'Da sage ich bestimmt etwas Falsches. Und das darf mir auf gar keinen Fall passieren, dann blamiere ich mich.'"

    Mit mentalen Blockaden beschäftigt Angelika Wagner sich schon seit vielen Jahren. Sie ist Professorin für Pädagogische Psychologie an der Uni Hamburg, hat diese als Vizepräsidentin geleitet und dort das Expertinnen-Beratungsnetz gegründet. Die 67-Jährige ist davon überzeugt, dass mentale Blockaden wieder aufgelöst werden können.

    ""Wenn man eine mentale Blockade hat, einen Hund zu streicheln, dann ist das in der Regel nicht weiter schädlich, wenn man Karriere machen will in einem Wirtschaftsunternehmen. Männer und Frauen haben mentale Blockaden, die auf Sozialisation zurückzuführen sind. Der einzige Unterschied zwischen Männern und Frauen besteht darin, dass Frauen, die in immer noch überwiegend männlich dominierten Berufsfeldern vorankommen wollen, lernen müssen, sich auf die überwiegend männlich dominierten Spielregeln einzustellen, die da herrschen. Und das fällt ihnen teilweise schwer, weil sie als Mädchen andere Spielregeln gelernt haben."

    Die Studie beleuchtet die "Aufstiegskompetenz von Frauen" von vielen Seiten und mit verschiedenen Methoden. Per Interview, Fragebogen und Coaching untersuchten die Wissenschaftlerinnen die "Entwicklungspotenziale und Hindernisse" des weiblichen Karriereweges.

    Zwei Fragen standen dabei im Mittelpunkt: Welche Kompetenzen benötigen Frauen (und Männer), um sich Führungspositionen zu erschließen? Und welche Chancen haben sie, im Berufsalltag diese Fähigkeiten zu entwickeln und diese Kenntnisse sich anzueignen?

    Die Psychologin Sabine Korek, 36 Jahre alt, forscht an der Uni Leipzig über Frauen in Führungspositionen:

    "Das ist schon eine neue Fragestellung, denn man hat relativ häufig, gerade wenn es darum geht, warum Frauen nicht so häufig in Führungspositionen sind, immer nach den Rand- und Rahmenbedingungen geschaut, also: Was hat das mit dem Geschlecht zu tun? Was hat das mit der Familiensituation zu tun? Mehr Arbeit, Kinder usw. Und wir schauen jetzt wirklich: Was muss man denn in der Arbeit lernen, um sich wirklich Führungspositionen zu erschließen?"

    Das neue wissenschaftliche Konstrukt Aufstiegskompetenz erweist sich als facettenreich. Kenntnisse und Fähigkeiten müssen karriereorientierte Frauen demnach auf den verschiedensten Gebieten beweisen. So zeige eine Frau erst dann soziale Kompetenz, wenn sie innerbetriebliche Netzwerke knüpft oder die Spielregeln durchschaut - und mitspielt.

    "Personale Kompetenz" dagegen attestiert die Studie derjenigen, die ihre Karriereziele im Auge behält und durchsetzt. Handlungskompetenz könne beanspruchen, wer aus eigener Initiative den Finger hebt und sagt: "Ich will aufsteigen." Wer sich selbst gut darstellen und selbstbewusst sagen kann: "Diese Arbeit habe ich gemacht." Sabine Korek:

    "Und wir haben gefunden, dass sich Frauen insgesamt in all diesen Kompetenzen geringer einschätzen als Männer. Das kann zwei Ursachen haben: Zum einen schätzen sich Frauen häufig in Kompetenzen etwas geringer ein, und Männer überschätzen sich da vielleicht ein bisschen häufiger. Aber zum Zweiten kann das auch daran liegen, dass sie gar nicht die Chancen haben, diese Kompetenzen in ihrer Arbeitstätigkeit zu erwerben."

    Ob und wie eine Frau sich beruflich weiter entwickle, hänge stärker vom Verhalten der Vorgesetzten ab als bislang vermutet, lautet eines der Ergebnisse. Zum Beispiel von dem entgegengebrachten Vertrauen, erzählt einer der befragten Männer:

    "Ihm war auch wichtig das Ergebnis, nicht wie man hingekommen ist. Und er sagte immer, wenn irgendwas auch mal schwieriger war und er hat einem auch durchaus auch anspruchsvolle Aufgaben übertragen. Da sagte er immer: Jung', mach was draus! Das ist bei mir so im Hinterkopf geblieben, weil es sehr motivierend war und der Ehrgeiz wurde geweckt. Sozusagen, denn ich will ja was abliefern, denn das Vertrauen in meine Person war ja da."

    Sabine Korek und ihre Kolleginnen befragten rund 5000 Mitarbeiter aus verschiedenen Betrieben. Dabei zeigte sich, dass insbesondere die Frauen auf den unteren Hierarchieebenen sich von ihren Chefs beruflich weniger gefördert fühlten als die männlichen Kollegen.

    "Da scheinen Frauen insgesamt weniger zu bekommen und das kann dazu führen, dass sie auch geringere Werte in den Aufstiegskompetenzen dann haben. Sie bekommen einfach nicht dieselben Chancen, diese Kompetenzen zu erwerben, weil sie nicht so viele herausfordernde Aufgaben delegiert bekommen und auch nicht so viel Feedback bekommen und auch insgesamt nicht so stark gefördert werden wie Männer."

    "Das sind regelmäßige MA-(Mitarbeiter)Gespräche, regelmäßiges Feedback, was man bekommt. Die ständige Möglichkeit zu sagen, was einem fehlt oder welche Probleme man hat und dann wirklich auch das regelmäßige Abstecken von Zielen, um zu gucken, wenn es ein Ziel ist, was ich ohne eine Weiterbildung, ohne ein nächstes Seminar oder, ich sag mal, eine Schulung, nicht erreichen kann, dass man dann an solchen Sachen teilnimmt. An solchen Fortbildungsmaßnahmen."

    Die Forscherinnen widersprechen damit der in Politik und Unternehmen weitverbreiteten Meinung, flexible Arbeitszeiten und -orte seien das A und O für den beruflichen Aufstieg von Frauen.

    "Also Flexibilisierung alleine reicht überhaupt nicht aus oder ist teilweise sogar kontraproduktiv. Weil die Frauen, die Flexibilisierung in Anspruch nehmen, wahrscheinlich gar nicht mehr so für eine Führungskarriere in Frage kommen. Denn es herrscht ja bei uns immer noch diese sehr männlich geprägte Arbeits- und Führungskultur vor, dass man sehr lange arbeiten muss, dass man vor allen Dingen abends noch da ist und dass man viele Netzwerke hat und viele Kontakte außerhalb der Arbeitszeiten pflegt. Und das sind einfach Verhaltensweisen, die Frauen, die vielleicht flexible Arbeitszeiten haben oder einfach um drei gehen müssen, die können das gar nicht mehr mitmachen."
    Frauen sollen bei ihren Vorgesetzten einfordern, dass sie anspruchsvolle Arbeitsaufgaben übertragen bekommen und soweit wie möglich eigenständig entscheiden und handeln können, betonen die Wissenschaftlerinnen. Denn vor allem jene Frauen und Männer, die bereits bei der ersten Befragung gute Arbeitsbedingungen angaben, hatten bei der zweiten schon einen Karriereschritt hinter sich.

    Dass allerdings auch die Frauen selbst ihren Handlungsspielraum entscheidend beeinflussen können, untersuchten Sozialwissenschaftlerinnen der Uni Hamburg. Die Sozialökonomin Doris Cornils hat mikropolitische Forschungen erstmals auf Frauen angewandt:

    "Jene kleinen Techniken, also Machttechniken, die eingesetzt werden, um die eigenen Interessen zu vertreten und durchzusetzen und um den eigenen – und das ist für unsere Studie wichtig – den eigenen Handlungsspielraum auf der Position, die besetzt wird, hier sind es ja Führungspositionen, um diese Handlungsspielräume zu erweitern. Es geht also um kleine Taktiken und Strategien."

    Das Unternehmen gilt hier als Arena, in der unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen und ausgehandelt werden. Welche Strategien führen auf den Weg nach oben?

    Die Befragung von Top-Managern und das Coaching von Nachwuchskräften zeigten, wie wichtig es sei, die Unternehmenskultur zu kennen – neben den offiziellen Regeln auch die inoffiziellen Werte. Doris Cornils über eine Coachee:

    "Sie hatte immer das Problem, dass sie sich zerrieben fühlte zwischen ihrer Chefin und einer anderen Abteilung, aus der sie ursprünglich kam. Und sie musste aber in ihrer Position mit beiden Abteilungen zusammenarbeiten. Und als sie in das Coaching kam, hat sich durch das Coaching herausgestellt, da wirken zwei sehr unterschiedliche Unternehmenskulturen, nämlich eine sehr alte, von ihrer Chefin vertretene, die besagte: Wir schieben uns hier die Jobs zu oder die Projekte per Vetternwirtschaft. Und die neue Unternehmenskultur, die von einer anderen Abteilung vertreten wurde, sagte aber: Nee, wir machen das per Leistung und Kompetenzen."

    Wichtig, so Doris Cornils, sei insbesondere für eine Frau zu klären, welches Verhältnis sie zu Macht hat. Wie sie mit ihren Gefühlen umgeht. Wie sie auf Sexualisierung reagiert.

    Oder inwieweit sie beim Networking mitmacht. Vor allem Frauen, die in männerdominierten Unternehmen arbeiten, müssten Verbündete gewinnen für ein Projekt oder für den eigenen Aufstieg. Wer ist wichtig? Mit wem lässt sich eine Allianz schmieden? Wer sollte die Arbeitsergebnisse hören?

    Häufig aber würden Frauen aus strukturellen Gründen aus den Netzwerken ausgeschlossen, stellt Doris Cornils fest:

    "Uns hat zum Beispiel eine Frau erzählt: Da geht eine Gruppe ihrer Kollegen immer joggen und danach gehen die noch gemeinsam was trinken. Und bei diesem gemeinsamen Umtrunk am Abend noch besprechen die wichtige Informationen, also informelle Informationen, die so nicht offiziell ausgetauscht werden, die beruflich sehr relevant sind, wo zukünftige Projekte auch usw. besprochen werden. Nun gibt es das Problem, dass es für Frauen da keine Dusche gibt. Das heißt, wenn sie teilnehmen würde, wenn sie reinkommen würde in die Gruppe, mitjoggen würde, könnte sie sich danach nicht duschen."

    Die Frau könnte einen Weg suchen, wie sie abends - ohne mit den Kollegen zu joggen - an dem Treffen teilnimmt. Denn eine Frau werde meist nicht bewusst ausgeschlossen, ist Cornils überzeugt. Vielmehr spielten die Männer nach den alten, ihnen vertrauten Regeln weiter.

    So müsse jede Frau für sich selber entscheiden, ob sie sich diese Regeln erschließen und darauf einlassen will. Wenn bei Geselligkeiten Alkohol und sexistische Witze mit im Spiel sind, stoße manche an ihre Grenzen.

    "Man muss immer den situativen Kontext berücksichtigen: Also welche beteiligten Akteure sind da zum Beispiel? Wie weit kann auch eine Frau dann gehen mit ihren Strategien. Und es ist auch die Frage – das war immer die wichtige Frage in dem Coaching - welche Strategie ist auch mit dem Selbstbild, was jede Frau von sich selber hat, integrierbar und vertretbar?"

    Welche Strategien eine Frau entwickelt, um aufzusteigen, oder mit welcher sie die ihr unangenehmen Machtspiele vermeidet, das wiederum könne eng mit mentalen Blockaden zusammenhängen, betont Angelika Wagner.

    "Die Hoffnung, die viele Frauen haben: Ich mache gute Arbeit – und Frauen machen in der Regel sehr gute Arbeit –, dass diese gute Arbeit wird wahrgenommen von den Vorgesetzten und wird berücksichtigt, wenn es dann darum geht, wer jetzt befördert wird. Und die mentale Blockade, die viele von uns aus der Kindheit mitbringen, sich nicht zu sehr in den Vordergrund zu spielen, hindert einen dann vielleicht daran zu sehen, wirklich wahrzunehmen: Wie wichtig ist es, dass der Chef auch aktuell und von mir selber auf geeignete Art und Weise kurz knackig zum Punkt mitgeteilt bekommt, was ich jetzt speziell gemacht habe, für dieses Projekt geleistet habe."
    Wie aber könnten solche Blockaden gelöst werden, die bei Frauen häufiger auftreten als bei Männern: der berufliche Selbstzweifel, die Scheu, die eigene Leistung positiv darzustellen, oder die Unklarheit über die eigenen Karriereziele?

    Die Psychologin hat über viele Jahre die Methode der Introvision entwickelt und praktisch erprobt: eine Technik der mentalen Selbstregulation, die auch in schwierigen Situationen eine Blockade auflösen und zugleich Stress abbauen soll.

    Nicole Pereira-Guedes wendet die sogenannte Introvision bei den Coachees an. In einem ersten Schritt üben sie, wertfrei zu sehen, zu hören und zu fühlen, später auch zu denken.

    "Aha, so ist das. Einfach auf sich wirken zu lassen. Im Unterschied zu: Aha, da hat jemand das und das an, das finde ich aber hässlich, das gefällt mir nicht. Oder: Aha, jetzt quietscht die Bahn ganz laut, das ist aber unangenehm. Und wieso muss das überhaupt so sein?"

    In einem zweiten Schritt finden die Frauen den Kern ihrer Blockade oder ihres inneren Konfliktes. So etwa im Fall des Kollegen, der zu jeder Verabredung zu spät kommt.

    "Was ist es, was da nicht sein darf? Also diese Soll-Vorstellung zu identifizieren. In diesem Fall wäre es: Es darf nicht sein, dass dem anderen das egal ist, dass wir verabredet sind."

    Dieser Gedanke, so die Übung, wird durch einen neuen ersetzt: Es kann sein, dass es dem Kollegen in dem Moment egal ist. Es kann sein, dass er zu spät ist. Ziel der Introvision ist nicht, dass die Frau ihr Problem ignoriert, sondern es gelassener wahrnehmen und ansprechen kann.

    Ziel des Coachings ist aber auch die Einsicht: Eine Frau darf Fehler machen. Sobald sie aufhört, sich mit den Gedanken im Kreis zu drehen, sei sie in ihrer Aufstiegskompetenz gestärkt, betont Angelika Wagner.

    "Und es hat sich gezeigt, erstens, dass schon während der Coaching-Phase das Ausmaß der mentalen Blockaden hochsignifikant zurückging. Insbesondere nahmen die Selbst- und Kompetenzzweifel hinsichtlich des eigenen Aufstiegs ab. Das war sehr erfreulich. Zweitens zeigte sich auch schon eine gewisse Verringerung des inneren sehr hohen Erfolgsdrucks. Und dann nach Abschluss des Coachings in der darauffolgenden mehrmonatigen Phase hat auch dann der Stresslevel der jungen Frauen hochsignifikant abgenommen."