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Karriereplanung beginnt an der Schule

Die schlechte Lage am deutschen Arbeitsmarkt bekommen Schulabsolventen Jahr für Jahr zu spüren. Selbst wer einen Ausbildungsplatz bekommt, kann nicht davon ausgehen, hinterher auch einen Job zu bekommen. Einige Gymnasien arbeiten deshalb verstärkt mit professionellen Berufs- und Karriereberatern zusammen - eine Maßnahme, die in diesem Jahr auch am Städtischen Mädchengymnasium Essen Premiere hatte.

Von Andrea Groß | 23.06.2006
    " Mein Wunschberuf ist Journalistin für Politik und Wirtschaft. Ja und ich hoffe, dass das klappt."

    Julia Böhnke ist 18 Jahre alt und geht in die 12. Klasse des Mädchengymnasiums in Essen. Über ihren Berufswunsch hat sie sich schon umfassend informiert. Sie möchte gerne Journalistik studieren, aber wo, weiß sie noch nicht genau. Ein bisschen Zeit zu überlegen hat sie ja schließlich auch noch.

    Das Thema Berufsvorbereitung steht im Städtischen Mädchengymnasium in Essen bereits in der neunten Klasse auf dem Stundenplan: zwei einwöchige Praktika müssen absolviert werden, dazu gibt es Bewerbungstraining und einen freiwilligen Benimmkurs, bei dem der elegante Umgang mit Messer und Gabel und geübt wird. Wenn in der Oberstufe die Entscheidung über Studium oder Lehre näher rückt, so erklärt der stellvertretende Schulleiter Matthias Rink, verdichten sich die Angebote

    " Wir haben eine enge Zusammenarbeit mit ehemaligen Schülerinnen, wir haben eine enge Zusammenarbeit mit einigen Firmen im Essener Bereich, die Berufswahl betrifft, das bezieht auch die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt mit ein. Aber wir haben dabei immer wieder einen Bereich noch nicht abgedeckt, der die individuelle Beleuchtung von Möglichkeiten, Potenzialen, Schwerpunkten von Schülerinnen wirklich professionell erforscht."

    Diese Rolle übernimmt der Bildungs- und Karierreberater Lutz Thimm. Zu seinen Kunden zählen fast 70 Schulen und 30 Hochschulen in ganz Deutschland. Die Unterschiede in der Beratung zwischen Schülern und Studenten - so sagt er - sind in den letzten Jahren immer kleiner geworden.

    " Die Studenten haben sich für ein Studienfach entschieden und wissen relativ genau, wo sie später mal beruflich hin wollen. Bei Schülern ist es so, dass ich feststelle, dass die sich diesem Status stark annähern. Ein großer Druck ist da, sich frühzeitig beruflich zu orientieren: Mache ich eine Ausbildung, wenn ja, in welchem Bereich, studiere ich, wenn ja, wie baue ich mein Studium gut auf - also da sind Schüler in den letzten Jahren sicherlich viel, viel besser geworden."

    Mit den Schülerinnen in Essen hat Lutz Thimm versucht Stärken und Schwächen bei Dingen wie Kommunikationsfähigkeit, Problemlösungskompetenz oder Teamfähigkeit herauszufinden. Wie das konkret vor sich gegangen ist, erläutert die 17-jährige Christina Sauerstein.

    " Zuerst hatten wir eine kurze Vorstellungsrunde, wo wir jemanden anders vorstellen mussten, dann hatten wir einen Test, das nannte sich Postkorb. Da mussten wir unter Zeitdruck viele Aufgaben koordinieren und erledigen, also schriftlich festhalten in einem so genannten Terminkalender halt. Und als letztes war da noch eine Teamarbeit wo ein bestimmter Verlauf geplant werden musste und durchgeführt werden musste."

    Weder Christina noch ihre Klassenkameradin Julia haben bei den Tests größere Überraschungen erlebt. Aber es hätte ja sein können. Schließlich, so argumentiert Julia, sind Eltern oder die beste Freundin vielleicht nicht wirklich objektiv, wenn man sie um ein Urteil über die eigenen Problemlösungsstrategien oder Kommunikationstalente bittet. Und deshalb ist es schon wichtig, Feedback von einem Profi zu bekommen. Gut fanden die Schülerinnen, dass sie von Lutz Thimms Mitarbeitern mit Tipps versorgt worden sind, über welche Universitäten sie ihren Berufswünschen näher kommen können. Und dass sie sich mit ihren Sorgen und Unsicherheiten ernst genommen gefühlt haben, sagt Julia Böhnke.

    " Man ist sich ja der Arbeitsmarktlage bewusst, man möchte ja nichts studieren, wo man ganz genau weiß, danach sitze ich dann mit meinem Diplom auf der Straße. Man möchte ja eine gewisse Sicherheit auch haben, dass das, was man machen möchte, Zukunft hat und man möchte dann abwägen zwischen den Bedürfnissen, den eigenen, aber auch dem, was der Arbeitsmarkt momentan bietet. Und da hat man sich als Schüler doch denke ich mal, beim Herrn Thimm besser aufgehoben gefühlt, als manchmal beim Arbeitsamt."

    Ob ihre Berufswahl am Ende tatsächlich die richtige ist, kann Lutz Thimm den Schülerinnen auch nicht beantworten. Aber im Verbund mit den anderen Angeboten der Schule, den Gesprächen mit ehemaligen Schülerinnen, mit Unternehmen und mit den Praktika haben die Mädchen durch diese zusätzliche Beratung die Gewissheit, dass sie ein gutes Stück mehr Sicherheit haben, als die Abiturienten anderer Schulen.