Der Gesichtsausdruck: wie versteinert, das Lächeln verflogen. Nur gelegentlich ein leichtes Kopfschütteln: Fast regungslos hatte Thomas Middelhoff seiner Urteilsbegründung zugehört. Zweieinhalb Stunden lang. Dann sagte der Vorsitzende Richter, er habe noch einen Beschluss zu verkünden: Sofortige Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr, Festnahme noch im Saal. Es war der Moment, der den früheren Topmanager endgültig erstarren ließ.
Noch in seinem Schlusswort hatte der 61-jährige seine Unschuld beteuert. So wie während des gesamten Prozesses:
"Ich stehe hier als Angeklagter mit dem absoluten Gefühl innerer Überzeugung, auch nach kritischster Prüfung: Du hast dir hier nichts vorzuwerfen. Du hast hier nicht unkorrekt gehandelt."
Um seine Ehre wollte er kämpfen, hatte Middelhoff immer wieder betont. "Doch Ehre hat mit Ehrlichkeit zu tun, und Sie waren an entscheidenden Stellen nicht ehrlich" – hielt ihm der Richter schonungslos entgegen. Und ergänzte: "Vielleicht auch nicht ehrlich mit sich selbst."
Middelhoffs Auftreten im Prozess strotzte vor Selbstbewusstsein. Frei von Selbstzweifeln erklärte er bis zum Schluss, alle seine als Chef abgerechneten Reisen – auch die zu seinen Nebenjobs – seien im Interesse von KarstadtQuelle, später Arcandor gewesen.
Und dass man seine Hubschrauberflüge ins Büro kritisiert, wegen eines Staus auf der Autobahn, das konnte er schwerlich nachvollziehen. Eine Linie, die er schon 2013 in einem Interview vertreten hatte:
"Wie stellen sie sich das eigentlich vor? Wissen sie, wie durchgetaktet mein Terminkalender war? Ich sollte Geld ranschaffen für den Konzern, Investoren ranschaffen für den Konzern. Die schaffe ich doch nicht ran, wenn ich mit dem Nahverkehrszug von Bielefeld nach Essen unterwegs bin!"
Nein, aber bei einer Dauerbaustelle auf der Autobahn muss man eben eher aufstehen und losfahren, statt ohne Genehmigung einen Hubschrauber zu ordern und von der Firma bezahlen zu lassen, urteilte die Große Wirtschaftsstrafkammer.
Und was die bis zu 91.000 Euro teuren Privatjetflüge zu Nebenjobs anging, schickte sich ein Signal an andere Firmenlenker: Wenn eine Firma Nebenjobs erlaubt, so urteilten die Richter, heiße das noch lange nicht, dass sie auch die Kosten dafür übernimmt.
26 solcher Helikopter- und Privatjet-Reisen, dazu eine 180.000 Euro teure Festzeitschrift für einen Freund: Am Ende brachte das Middelhoff drei Jahre Gefängnis wegen Untreue ein. Ein gerechtes Urteil, findet so mancher Karstadtmitarbeiter:
"Er hat sich ja bereichert an uns, das heißt, wir haben also Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld gegeben. Und dieser Herr lässt sich dann mit dem Privatjet durch die Gegend fliegen. Und das alles zeitgleich."
Jede vierte der 83 Karstadt-Filialen scheibt rote Zahlen
Sagt etwa Gerhard Löpke, Betriebsrat bei Karstadt, zu seinem früheren Chef:
"Aber egal, was da passiert um Herrn Middelhoff: Es hilft jetzt momentan keinem einzigen Karstadt-Mitarbeiter mehr. Nur noch die Befriedigung, dass so was bestraft wird. Aber finanziell werden wir überhaupt nichts davon haben."
Tatsächlich kämpft Karstadt wie zu Middelhoffs Zeiten ums Überleben, wieder wird gekürzt und gespart.
"Das war ein dunkler Tag für die Beschäftigten von Karstadt."
Meinte der müde aussehende Chef des Gesamtbetriebsrats, Hellmut Patzelt, als er Ende Oktober kurz vor Mitternacht die Karstadt-Hauptverwaltung in Essen verließ. Ergebnis der achtstündigen Sitzung: Sechs Standorte werden Mitte 2015 dicht gemacht; weitere 2.000 Stellen in der Verwaltung gestrichen.
"Ist eine bittere Entscheidung, die da getroffen wurde. Und ich glaube, wir können uns sehr gut vorstellen, was da gerade in den Köpfen der Menschen vorgeht, die gerade eben die Nachricht bekommen haben, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren."
Doch das könnte erst der Anfang sein: Jede vierte der 83 Filialen schreibt rote Zahlen, räumte der neue Karstadt-Chef Stephan Fanderl in einem Interview ein. Intern heißt es, etwa 10 weitere Häuser sollen auf der Kippe stehen.
Weniger Weihnachts- und Urlaubsgeld, dazu eine höhere Wochenarbeitszeit für die 20.000 verbliebenen Mitarbeiter. Dazu ein neues Sanierungskonzept, das sich wieder auf die klassische Klientel besinnt. Erlebnishäuser in den Groß-, Nahversorger in Kleinstädten – mit diesem Konzept will Karstadt 2015 überleben.
Doch bei den Mitarbeitern bleibt die Unsicherheit über die Zukunft der Traditionsmarke, genau wie zu Middelhoffs Zeiten:
"Das ist ganz furchtbar. Wenn man das nicht erlebt, kann man das gar nicht beschreiben. Geht es weiter. Welche Häuser überleben. Was ist mit dem Standort, in dem man beschäftigt ist. Man weiß es eben nicht."