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Karura-Wald
Nairobis grüne Lunge

Der Karura-Wald im Herzen der kenianischen Hauptstadt Nairobi ist eine grüne Oase mit spannender Geschichte. Doch die Idylle muss geschützt werden. Die Regierung vernachlässigte das Land jahrelang, Räuberbanden machten es zur Sperrzone für die normale Bevölkerung. Ein Verein kümmert sich nun um das vielfältige Stück Natur.

Von Vivien Leue | 18.05.2014
    Sonntagsspaziergang durch den Karura-Wald in Narobi.
    Sonntagsspaziergang durch den Karura-Wald in Narobi. (Deutschlandradio / Vivien Leue)
    "Wenn Du hier bist, dann fühlt es sich an, als seist Du weit weg von der Stadt, dann gibt es keinen Lärm mehr, es ist nur noch friedlich und schön."
    Brenda, eine kenianische Journalisten-Freundin, und ich laufen durch den Karura-Wald in Nairobi. Um uns herum: 1000 Hektar Grün - in allen Schattierungen - von dunklem Tannengrün bis zum saftigen Grün des Zahnbürstenbaums, einer kleinen aber breit wuchernden Spezies. Dazwischen schlängeln sich Wanderpfade aus ziegelsteinroter Erde, die den ganzen Wald durchqueren. Vier Flüsschen fließen durch das Gebiet, die den Durst der Pflanzen stillen.
    Friedliche Ruhe umgibt uns. Bunte Schmetterlinge kreuzen lautlos unseren Weg. Nur die Vögel durchbrechen die Stille mit ihrem fröhlichen Zwitschern, hier und da rascheln Äffchen in den Baumkronen über uns. Welch' Erholung vom Trubel der Großstadt – und das mitten in der Großstadt
    Brenda und ich recherchieren gemeinsam an einem Projekt, das uns zu Interviewpartnern in ganz Nairobi führt. So wie viele Bewohner der Stadt, verbringen wir teilweise Stunden in den verstopften Straßen der Metropole. Unser Taxifahrer Daniel witzelt:
    "Es ist, als ob ich im Stau wohnen würde!"
    Der viele Verkehr macht sich nicht nur auf der Straße, sondern auch in der Luft bemerkbar.
    Diesen Geruch kann Brenda selbst gar nicht mehr beschreiben. Es ist eine Mischung aus braun-schwarzen, unkatalysierten Abgasen, staubigen Bürgersteigen und in der Sonne liegen gelassenem Müll. Die Feinstaubbelastung in der 3,1 Millionen-Stadt übersteigt häufiger Mal die von der Weltgesundheitsorganisation festgelegten Grenzwerte. Warum? Neben den viel zu vielen alten Fahrzeugen fehlen größere Grünflächen, die für saubere Luft sorgen. Grünflächen, wie der Karura-Wald.
    Wald sich selbst überlassen
    Aber auch er wäre beinahe verschwunden.
    "Die Regierung wollte das Land hier Ende der 90er still und heimlich verkaufen - an gut zahlende Investoren. Aber unsere Umweltaktivistin Wangari Maathai mobilisierte die Bürger, um gegen den Landraub zu protestieren."
    Als Truppen mit Bulldozern und Kettensägen quasi in einer Nacht- und Nebelaktion anrückten, um Fakten zu schaffen, stellten sich ihnen hunderte Menschen mit Stöcken und Macheten in den Weg.
    "Wir kamen hierher, um neue Bäume zu pflanzen, aber wie man sieht, wollen uns die bewaffneten Sicherheitskräfte nicht in den Wald lassen. Es ist sehr traurig, dass unsere Regierung nichts dagegen tut, dass Wälder zerstört werden und uns öffentliches Land geraubt wird."
    Tatsächlich hatten die Proteste der Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai Erfolg. Die privaten Investoren sprangen ab, die Regierung nahm Abstand von ihrem Projekt. Der Wald war gerettet, aber er wurde sich selbst überlassen.
    Bald übernahmen Räuberbanden das Kommando. Sie versteckten sich in dem verwucherten Stück Natur, außerdem ihr Diebesgut und Leichen - noch bis vor wenigen Jahren fanden Forstarbeiter immer wieder mal menschliche Skelette im Unterholz. Der Karura-Wald wurde zur Sperrzone für die normale Bevölkerung Nairobis.
    Erst als sich 2007 der Verein "Friends of Karura" gründete, änderte sich etwas. Er sorgte dafür, dass die Wege wieder freigemacht, Müll entsorgt und Kriminelle vertrieben wurden. Außerdem errichtete der Verein Zäune rund um das Naturgebiet - nur so konnte das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit wieder hergestellt werden.
    "Kenianer sind sehr skeptisch. Wenn sie einmal denken, ein Ort ist unsicher ist es schwer, sie vom Gegenteil zu überzeugen."
    Die Geschichte der Mau Mau
    Mittlerweile beschäftigen die "Friends of Karura" bis zu 20 Waldführer, sogenannte Scouts. Sie zeigen Anwohnern, Schulen und Touristen die Natur und erklären, wie wichtig es ist, sie zu schützen. Auch uns begleitet auf unserem Spaziergang ein Scout - er heißt Bennard, ist 24 Jahre alt und seit fünf Jahren dabei.
    Ein schwarzer Mann geht einen roten Weg umsäumt von Bäumen entlang auf die Kamera zu
    Unser Waldführer Bennard (Vivien Leue/Deutschlandradio)
    Gerade will Bennard uns etwas von den Eukalyptus-Hölzern erzählen, da werden wir unterbrochen...
    "Wie ist das Holz des Eukalyptus-Baums? "
    "Es eignet sich gut für Möbel, aber auch zum Heizen..."
    "Was ist das? "
    "Hier im Wald wird gerade ein Film gedreht. Ein historischer Film über die Kämpfer der Mau Mau."
    Die Mau Mau. Von denen habe ich schon einmal etwas gehört. Das waren Freiheitskämpfer, glaube ich. Aber was haben sie mit dem Karura-Wald zu tun? Bevor ich Bennard das fragen kann, stehen wir schon am Filmset.
    Knapp ein Dutzend, mit zerrissenen Lumpen bekleidete Männer recken Macheten und Gewehre in die Luft, schreien und rennen durch Wald. Sie freuen sich offenbar. Vielleicht haben sie eine Schlacht gewonnen?
    Ja - erzählt Bennard später. Die Mau Mau waren Mitte der 1950er-Jahre eine Art Guerilla, die gegen die englischen Kolonialherren kämpfte. Brenda weiß noch mehr:
    "Sie versteckten sich hier vor den britischen Soldaten, teilweise wochenlang. Wenn wir weiter in den Wald gehen kommen wir zu einer Höhle und einem Baum, der ist bestimmt 200 Jahre alt und er ist hohl - dort versteckten sie sich und ihre Waffen."
    Das hört sich spannend an. Diesen Baum und die Höhlen will ich sehen. Wir gehen noch tiefer hinein in den Wald. Weit entfernt sehe ich eine kleine Antilope, die aber scheu davon läuft, als wir näher kommen. Die Pfade werden schmaler, die Sonne bleibt in den dichten Kronen der Bäume stecken und kommt nur noch selten bis zu uns.
    Wir kommen an einem Fluss vorbei, er ist schmal, vielleicht zwei Meter breit und trägt ... hat? helles braunes Wasser. Über eine wackelige Holzbrücke geht es weiter, hinauf auf eine kleine Anhöhe und dann wieder hinunter und plötzlich wird es laut: Wir stehen vor einem Wasserfall. Knapp zwanzig Meter fällt der Karura-Fluss an dieser Stelle über dunkle Felsen hinunter.
    Das braune Wasser probieren? Ich? Nun, hier am Wasserfall ist es nicht mehr ganz so trüb. Vielleicht probiere ich es... Aber Bennard will nur, dass ich meine Hand hinein halte.
    Kalt sei das Wasser... Nun ja, zehn, zwölf Grad hat es vielleicht. Ob es wohl auch Fische gibt?
    Nein, sagt Bennard. Die Fische könnten hier nicht überleben. Das Wasser sei viel zu kalt. Ich denke kurz an die Fische in deutschen Flüssen im Winter, aber belasse es lieber dabei.
    Weiter geht's. Die Höhlen warten auf uns.
    Versteck im Baumloch
    Wir laufen auf einem schmalen Waldweg eine kleine Anhöhe entlang. Links von uns geht es etwa zwei, drei Meter tief runter - dort fließt der Fluss. Der Pfad wird noch enger, nicht mehr als zwei Füße breit ist er jetzt und ein Glück: Er ist trocken. Denn wenn es hier geregnet hat, ist der Weg matschig. Dann ist es gut, dass wenigsten ein aus schmalen, höchstens armbreiten Ästen gezimmertes Geländer die Wanderer vorm Abgrund sichert.
    Dann endlich: Wir sind da.
    "Wir sind jetzt in den Mau Mau-Höhlen. Hier am Eingang ist ein großer Baum, der hat ein riesiges Loch im Stamm. Komm hierher, von hier kannst Du es sehen. Möchtest Du da hoch klettern, um hinein zu schauen?"
    Und dann erkenne ich es. Es ist so dunkel hier, dass der Eingang in die Baumhöhle fast nicht zu sehen ist.
    "Die Menschen lebten hier, sie schliefen hier, kochten hier. Dort an der Decke, da sieht man noch den schwarzen Rauch. "
    Und die Briten haben die Mau Mau nicht gefunden?
    "Nein, das ist hier ist viel zu tief im Wald."
    Mittlerweile geht man davon aus, dass die Mau Mau-Kämpfer tatsächlich nicht länger als ein paar Tage oder eine Woche im Wald ausharrten, ohne entdeckt zu werden - und nicht ein paar Monate, wie manche Kenianer es stolz erzählen. Aber die Geschichte wurde zur Legende ausgebaut. Eine Legende, die auch den Zauber dieser Höhlen ausmacht.
    Ob ich schon mal eine Fledermaus gesehen habe, will Bennard wissen. Na klar kenne ich Fledermäuse. Sie fliegen auch in Deutschland in der Abenddämmerung umher. Aber dann sehe ich die Fledermäuse in der Höhle. Sie hängen von der Decke - und sind ganz, ganz nah!
    Brenda will die Fledermäuse fotografieren - mit Blitz, sonst sieht man sie ja nicht. Ich bin mir da nicht so sicher, ob das eine gute Idee ist.... (Dann Geschrei).
    Und tatsächlich fliegt eine Gruppe von Fledermäusen los. Ich spüre den Windzug an der Wange, als eine von ihnen noch kurz vor meinem Gesicht an mir vorbei fliegt.
    Und dann sind wir wieder draußen. Die Knie sind noch etwas wackelig, das Adrenalin kribbelt in den Gliedern.
    Das viele Grün um uns herum wirkt nach dem Dunkel der Höhle noch intensiver, noch leuchtender. Die rote Erde schimmert fruchtbar und schön. Die Sonne steht jetzt tiefer und kämpft sich am dichten Laub vorbei durch die Baumstämme bis hin zu uns. Durch das entfernte Wasserrauschen hindurch hören wir die mittlerweile vertrauten Vogelstimmen.
    Zehn-Kilometer-Touren inklusive Fledermäuse und Räuberhöhlen
    Auf unserem Rückweg erzählt Brenda, wie die "Friends of Karura" nach und nach verloren gegangene Baumsorten wieder anpflanzen, fast ausgestorbene Äffchen ansiedeln und den Bestand an Vögeln, Schmetterlingen und Rehwild pflegen.
    Und beinahe hätten wir uns am Ende doch noch verlaufen.
    Dabei sind die Wege gut ausgeschildert - es gibt nummerierte Spaziergänge mit fünf, sieben oder zehn Kilometern Länge. Bennard sagt, er zeige jemandem auch joggend den Wald, wenn er es möchte. Die Zehn-Kilometer-Runde biete sich dafür an.
    Wir sind nach unserer Fünf-Kilometer-Runde aber erst einmal geschafft. Immerhin: Nairobi liegt auf 1.700 Metern. Da gerät man schon ganz schön ins Schnaufen.
    Und außerdem ist es spät geworden, um sechs Uhr schließen hier im Karura-Wald die Tore. Als wir in Richtung Parkplatz laufen, treffen wir noch einmal auf das Filmteam. Es packt gerade ein.
    Ich habe den Tag hier im Karura-Wald wirklich genossen - und viel über Fledermäuse und Räuberhöhlen gelernt.