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Kasachstan
Angst vor Terror macht sich breit

Kasachstan, autoritär regiert von Präsident Nursultan Nasarbajew, galt lange Zeit als Hort der Stabilität. Doch kürzlich haben Bewaffnete im Nordwesten des Landes Waffengeschäfte und eine Militäreinheit überfallen, es gab Tote und Verletzte. Ein islamistischer Anschlag wird vermutet. Zudem keimen soziale Proteste auf.

Von Gesine Dornblüth | 11.06.2016
    Kasachstans Präsident Nurzultan Nazarbajew, älterer Mann im Anzug sitzt an einem Tisch auf einem goldenen Stuhl, vor einem Mikro, im Hintergrund bunte Flaggen
    Kasachstans Präsident Nurzultan Nazarbajew (imago/stock&people/ITAR-TASS)
    Ein Amateurvideo, aus einer Wohnung heraus aufgenommen, zeigt die Terroristen von Aktobe. Junge Männer in Straßenkleidung, einige in Shorts, bewegen sich mit Waffen in der Hand scheinbar ungeordnet über einen Bürgersteig. Bei ihren Überfällen auf zwei Waffengeschäfte und eine Militäreinheit kamen nach Behördenangaben sieben Menschen ums Leben, mehr als 30 wurden verwundet. Kasachische Sicherheitskräfte töteten 13 der Angreifer, neun wurden festgenommen, mindestens sechs konnten fliehen und waren auch Tage später noch nicht gefasst. Arat Narmanbetow, Ex-General des kasachischen Geheimdienstes, sagte dem Sender Radio Svoboda:
    "Mir ist aufgefallen, wie geschickt die Gruppe abgezogen ist. Das zeigt, wie gut sie vorbereitet war. Ich denke, sie wollten noch schwerere Waffen erbeuten, womöglich Granatwerfer und Munition."
    "Befreiungsarmee Kasachstans" bislang unbekannt
    Kasachstans Staatspräsident Nursultan Nasarbajew machte "Anhänger radikaler pseudoreligiöser Strömungen" verantwortlich. Ihre Anleitungen, so Nasarbajew in einer Erklärung, hätten sie aus dem Ausland bekommen. Im Internet bekannte sich eine "Befreiungsarmee Kasachstans" zu dem Überfall. So eine Bewegung war bisher auch Fachleuten nicht bekannt.
    Für den unabhängigen Politologen Dosym Satpajew aus dem kasachischen Almaty kam der Überfall nicht unerwartet. Im Deutschlandfunk warnte er schon vor einem guten Jahr vor einer Radikalisierung der Jugendlichen durch den Islam:
    "Jugendliche stellen etwa 27 Prozent der Bevölkerung Kasachstans. Viele von ihnen, besonders auf dem Land, sehen für sich keine Zukunft. Sie haben keine gute Ausbildung und kein Geld, um in eine große Stadt zu ziehen, dort eine Wohnung zu kaufen und eine Familie zu gründen. Viele suchen schon jetzt Zuflucht in der Religion. Es gibt eine soziale Basis für islamistischen Extremismus. Und sie wird wachsen."
    Nährboden für Radikale
    Der Oppositionspolitiker Amirdschan Kosanow spricht von einem Schock für ganz Kasachstan. Auf das ganze Land bezogen spielten islamistische Strömungen zwar keine Rolle, die Menschen seien sehr tolerant; in einzelnen Regionen hätten die Radikalen aber durchaus eine Chance:
    "Wir haben schon früher gesagt: Die Regierung tut zu wenig für die religiöse Aufklärung der Jugend, besonders in den ländlichen Regionen. Im Westen Kasachstans wird Öl gefördert. Die jungen Leute dort sehen, wie die Ölbarone leben und wie ihre Eltern. Bei so einer sozialen Kluft zwischen den Superreichen und den ganz Armen findet jede radikale Strömung, ob religiös oder nicht, ihre Anhänger."
    Sozialer Protest und Kritik an Bodenreform
    Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew regiert seit 26 Jahren und wurde zuletzt im Frühjahr 2015 mit 97,7 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Offiziell nennt er sich "Führer der Nation". Er sieht sich nun nicht nur Terror gegenüber, auch der soziale Protest steigt. Im Frühjahr gingen in zahlreichen Städten Kasachstans tausende Menschen auf die Straßen. Anlass war eine Bodenreform, die es Ausländern erlaubt, Land in Kasachstan zu erwerben. Die Menschen fürchten einen Ausverkauf an chinesische Investoren, der sie benachteilige.
    Bei den Protesten wurde aber auch eine allgemeine Unzufriedenheit artikuliert. Kasachstans Wirtschaft stagniert. Die nationale Währung hat im Laufe eines Jahres die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. Die Preise sind gestiegen.
    Bierbrauer Tuleschow soll Machergreifung planen
    Im Mai nahm die Polizei dutzende Demonstranten und mehrere Journalisten fest. Anfang dieser Woche nun, nur einen Tag nach dem Überfall in Aktobe, gab der Geheimdienst bekannt, wer angeblich hinter den sozialen Protesten in den anderen Städten stecke: der Unternehmer Tochtar Tuleschow, ein Bierbrauer aus dem Süden Kasachstans. Behördensprecher Ruslan Karasew:
    "Die Ermittler haben vollständige Informationen darüber, dass Herr Tuleschow seit dem letzten Jahr konkrete Schritte unternommen hat, um eine gewaltsame Machtergreifung vorzubereiten. Sein Plan sah vor, die Lage im Land zu destabilisieren, Spannungsherde im Land zu schaffen, Protestaktionen und Massenunruhen zu organisieren."
    Die Behörden hätten am Wochenende fünf Komplizen Tuleschows festgenommen, so der Sprecher weiter. Allesamt hochrangige Beamte aus Justiz, Militär und Polizei. Tuleschow selbst sitzt bereits seit Monaten in Untersuchungshaft, allerdings wegen angeblichen Drogenbesitzes. Er engagiert sich unter anderem für bessere Beziehungen Kasachstans zu Russland. Seine Anhänger sagen, deshalb sei er verhaftet worden.
    Steht Kasachstan vor einem Wandel?
    Ob und wie die beiden Ereignisse, der bewaffnete Überfall in Aktobe und die Erklärungen über einen angeblich geplanten Staatsumsturz, zusammenhängen, ist bisher unklar. Die Spekulationen darüber gehen weit auseinander: Einige machen den Bierbrauer Tuleschow auch für den Terror in Aktobe verantwortlich, andere glauben, der Überfall sei vom Geheimdienst inszeniert worden, um Präsident Nasarbajew einen Anlass zu liefern, die Daumenschrauben noch weiter anzuziehen. Für den russischen Diplomaten Andrej Fjodorow indes steht eines fest:
    "Dies ist der erste Versuch, die Macht in Kasachstan zu destabilisieren. Wir müssen uns ernsthaft darauf einstellen, dass sich Kasachstan von einem 'Schutzgebiet der Stabilität' in das Gegenteil verwandeln kann."