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Kascha für den Leib, Katjuscha für die Seele

Mit Wodka, Kascha, Obst und Bier wird in Russland der 9. Mai begrüsst. Er ist Gedenktag für die Opfer des Zweiten Weltkrieges, aber auch ein patriotischer Festtag. Die sowjetischen Farben und Symbole glänzen auf Plakaten und bunte Fähnchen und Wimpel flattern im Wind, während das Lied von Katjuscha erklingt.

Von Gesine Dornblüth und Thomas Franke |
    Helles Sonnenlicht fällt durch das zarte Grün der Birken auf die Wiese neben der Gedenkstätte. Es ist Mittagszeit. Ein offenes grünes Zelt ist aufgebaut, darin eine Feldküche. Das Zelt soll die Erdhöhlen symbolisieren, in denen viele Menschen hier den Krieg überdauert haben. Freiwillige Helferinnen teilen Kascha, Gurken, ein Stück Weißbrot und für jeden ein Glas Wodka aus.

    Für die Veteranen ist das an diesem Tag kostenlos. Kascha, das ist Graupenbrei, ist bis heute ein in Russland verbreitetes Gericht, besonders unter Rentnern, denn die können sich andere Mahlzeiten oft nicht leisten. Rund herum werden Schokoriegel, Piroggen, Kekse, Obst und Bier verkauft. Fähnchen und Wimpel flattern im Wind. Mannshohe Schilder sind an die Birken gelehnt, darauf glänzen in frischen Farben die immer gleichen sowjetischen Symbole: Ein Soldatenhelm, eine rote Nelke, der rote Sowjetstern. In roter Schreibschrift wird der 9. Mai begrüßt.

    Die Frauen in der Feldküche füllen einen Blechnapf nach dem anderen, geduldig stehen die alten Menschen an. Dann suchen sie sich einen Platz. An einem Tisch sitzen ausschließlich Männer. Einer hat einen ausgebeulten braunen Anzug an, eine blaue Baseballkappe auf dem schütteren Haar. Rotweiß karierte Tischdecken. Köpfe schwerhöriger Männer neigen sich einander zu. Die Männer lächeln.

    Einen Tisch weiter haben sich sangesfreudige Frauen zusammengefunden, auch sie trinken Wodka, ein Akkordeonspieler sitzt bei ihnen.

    Apfelbäume blühten und der Flieder,
    leichter Nebel zog den Fluss entlang,
    und Katjuscha ging jetzt immer wieder
    an den hohen, steilen Uferhang.

    Kam ans Ufer und hub an zu singen
    von dem jungen, kühnen Steppenaar,
    den so weit getragen seine Schwingen,
    von dem Helden, der ihr teuer war.


    Das Liebeslied Katjuscha wurde 1938 von Michail Issakovski geschrieben. Im Krieg bekam Katjuscha eine weitere Bedeutung, die Sowjets nannten so ihren Raketenwerfer - in Deutschland besser bekannt als Stalinorgel.

    Fliegt, ach fliegt, ihr meine Mädchenlieder,
    folgt der goldnen Sonne auf dem Fuß,
    an der fernen Grenze lasst euch nieder,
    bringt dem Kämpfer der Katjuscha Gruß.

    Soll er mein gedenken in Gefahren,
    dessen, was mein Lied ihm offenbart,
    soll er wachsam unsre Heimat wahren,
    wie Katjuscha ihre Liebe wahrt.


    Apfelbäume blühten und der Flieder,
    leichter Nebel zog den Fluss entlang,
    und Katjuscha ging jetzt immer wieder
    an den hohen, steilen Uferhang.


    Zwischen den Tischen flanieren alte Frauen und Männer, die Jugendlichen amüsieren sich auf der anderen Seite vom Ehrenmal, dort sind Karrussells und Buden aufgebaut, das Lokalfernsehen filmt. Ein Mann in schwarzem Anzug steht etwas abseits. Evgenij Schumilov ist Leiter der Bezirksverwaltung und hat die Feierlichkeiten mitorganisiert.

    "Eine gewisse patriotische Erziehung gibt es überall. Wir sind daran gewöhnt, dass der Tag des Sieges bei uns begangen wird. Er ist bei uns nicht einfach nur ein Fest, sondern das Gedenken an die Menschen, die damals ihr Leben oder ihre Gesundheit gegeben haben. Ich stelle mir gerade die Frage, ob ich das auch hätte tun können, ob ich hätte kämpfen können. Wenn ich jetzt auf einmal die Zeremonien und Traditionen ändern würde, dann würden die Leute schlecht von mir denken, glaube ich."

    Und deshalb werden sie in Demjansk auch künftig genau so den Tag des Sieges feiern: Mit Tapferkeitsstunden, mit patriotischen Reden, mit einem Umzug und mit Kascha und Katjuscha, meint Schumilov.

    "Jedes Land hat seine Feiertage, die die Interessen einer anderen Nation verletzen können. Aber da ist kein Zorn dabei oder so etwas. Ich glaube, dass das russische Volk am besten ist. Die Deutschen denken wahrscheinlich, dass das deutsche Volk am besten ist. Aber "am besten" heißt nicht "höher" oder "niedriger". Wir sind doch alle von Gott gleich geschaffen, wir haben alle die gleichen Eltern, Adam und Eva. Die Leute bekunden an diesen Feiertagen einfach ihre Erinnerungen, und das sollte man nicht ändern."