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Kassava-Ernte

Karonga ist eine Kleinstadt im Norden Malawis. Frauen und Kinder haben gerade die Kassava-Ernte eingebracht, sitzen im Schatten ihrer Hütten und schälen sorgfältig die weißen Wurzeln. Fünf Tage werden sie brauchen, um aus den möhrengroßen, giftigen Wurzeln die Grundlage ihrer Mahlzeiten zu machen. Die Kassava wird geputzt, zerschnitten, zerstampft und entsaftet. Der Brei wird dann gewässert, ausgedrückt, sonnengetrocknet und schließlich über dem Holzfeuer erhitzt, so dass die giftproduzierenden Verbindungen verschwinden. Der ganze Aufwand ist notwendig, um vor allem das so genannte Linamarin zu entfernen. Diese Verbindung kommt reichlich in Wurzeln und Blättern der frischen Kassava vor. Im Verdauungstrakt entsteht daraus durch einen komplizierten Prozess Blausäure. Werden die Wurzeln nicht richtig aufbereitet, hat das problematische Folgen, erläutert Richard Sayer von der Ohio-State-University:

Von Dagmar Röhrlich |
    Es gibt viele Studien über die Wirkungen von schlecht aufbereitetem Kassava. Das reicht von Magenschmerzen über Schilddrüsenstörungen bis hin zu Erkrankungen des Zentralen Nervensystems und dem Tod. Schwere Folgen treten vor allem in Hunger- und Bürgerkriegsregionen auf, denn dort haben die Leute nicht genügend Zeit, um das Kassava richtig aufzubereiten. Weil sie hungern, sind sie zudem gesundheitlich geschwächt. Das verschlimmert die Vergiftungsprobleme mit den Cyaniden.

    Damit es trotz Hungersnöten keine Kassava-Toten gibt, hat Richard Sayer die Pflanze gentechnisch manipuliert – allerdings nur die Blätter:

    Unserem derzeitigen Wissen zufolge sind mindestens drei Gene an der Bildung des Linamarins beteiligt. Bei unserer Arbeit haben wir uns auf das erste konzentriert, damit die Pflanze kein Linamarin mehr herstellt. Wir haben dieses erste Gen in den Blättern abgeschaltet. In den Blättern fanden wir daraufhin zwischen 60 und 95 Prozent weniger Linamarin. Als wir den Linamarin-Gehalt in den Wurzeln gemessen haben, war der Gehalt darin um 99 Prozent gesunken. Das war eine große Überraschung, denn die Wurzeln können durchaus auch selbst Linamarin herstellen.

    Aber sie scheinen sich lieber von den Blättern versorgen zu lassen. In den Blättern sollte noch etwa ein Drittel Linamarin erhalten bleiben, so der Forscher. Das hielte Tiere und Insekten fern, die die giftigen Kassavablätter nicht fressen.

    Dass die Wurzeln ungiftig sind, erscheint auf den ersten Blick sehr wünschenswert. Das Problem ist, dass viele Bauern skeptisch sind, weil wenig giftiges Kassava sehr viel eher gestohlen werden könnte. Sie nehmen bislang noch nicht einmal konventionell in diese Richtung gezüchtete Formen an. Hartmut Meier, Berater GTZ im Bereich biologische Sicherheit:

    Das ist wirklich ein großes Problem, ob wir hier eine Lösung produziert haben, die tatsächlich die Probleme beseitigen kann. Erstens ist es ja so, dass in vielen Gebieten solche Notfälle ja nicht regelmäßig über viele Jahre auftreten. Es ist dann relativ schwierig für Landwirte zu entscheiden, welche Sorten von Kassava sie denn nun pflanzen. Ob denn vielleicht in einem halben Jahr eine Hungernot sein wird, das ist also eine Frage der Einschätzung der Zukunft. Das heißt, es herrscht eine etwas komplexere Lage, so dass man jetzt nicht einfach sagen kann, mit einer süßen, mit einer nichtgiftigen Kassavasorten wären diese Probleme erledigt.

    Ganz abgesehen von der Frage, ob die Bauern gentechnisch veränderte Lebensmittel überhaupt annehmen. Beim genmanipulierten Kassava könnte sich das bald erweisen, denn derzeit beginnen in afrikanischen Versuchsanstalten erste Feldexperimente. Wenn diese Phase positiv abgeschlossen wird, sollen Setzlinge an die Bauern verteilt werden. Es ist also offen, ob sich die Frauen in Karonga eines Tages die aufwendige Aufbereitung sparen können. An der Ohio-State-University läuft derweil ein anderes Projekt: an Kassava, das genauso giftig ist wie das normale – in dem aber das Linamarin in nur einem Tag Aufbereitung zerstört werden kann.