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Katajun Amirpur und Reinhard Witzke: Schauplatz Iran

Der Iran ist der erste Staat, in dem Ernst gemacht wurde mit der Devise "der Islam ist die Lösung". Wie aber sieht diese Lösung aus? Im Land rumort es, insbesondere die jungen Leute sind unzufrieden. Und auch außenpolitisch steht der Iran unter Druck - wegen seines Atomprogramms und seiner Einflussnahme im Irak. Schauplatz Iran - unter diesem Titel legen die Iranisten Katajun Amirpur und Reinhard Witzke im Herder Verlag eine historische und politische Analyse vor. Es ist der dritte und letzte Teil einer Reihe, über die inzwischen sprichwörtliche "Achse des Bösen": Nordkorea - Irak - und nun also der Iran.

Von Brigitte Baetz |
    Seit 25 Jahren gibt die Islamische Republik Iran. Das Land, das größer ist als Spanien, England, Frankreich und Deutschland zusammen, ist fest in der Hand einer Gruppe von konservativen Theokraten, die allen Reformversuchen frühzeitig die Luft abdrehen. Und doch behaupten die Autoren Katajun Amirpur und Reinhard Witzke, dass die Reformkräfte auf lange Sicht gewinnen müssen.

    Katajun Amirpur: Weil die Menschen extrem unzufrieden sind mit diesem System. 70 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre. Die verbindet eigentlich wenig mit der Revolution, bzw. mit dem Regime, das vorher bestand, mit dem Regime des Schahs, gegen das dann eine Revolution gemacht würde. Und selbst offiziellen Umfragen zufolge sind einfach unglaublich große Teile der Bevölkerung nicht zufrieden mit diesem System, weil es ihnen wenig gebracht hat. Es herrscht nach wie vor keine Meinungsfreiheit, es herrscht keine Pressefreiheit. Es herrscht Zensur, Folter, Unterdrückung. Es herrscht jede Menge Korruption, Misswirtschaft. Die Inflation ist sehr hoch. Die jungen Leute finden keine Arbeit, die jungen Studenten finden keine Studienplätze.

    Der islamischen Herrschaft der Geistlichen kommt langsam, aber sicher die Gesellschaft abhanden, so die Iranisten Amirpur und Witzke. Wer glaubt, dass gerade in Iran eine besondere Frömmigkeit herrschen müsse, der täuscht sich. Weil eine sehr repressive Islamdeutung den Menschen die kleinsten Freuden des Alltags, wie zum Beispiel das Musikhören im Auto, verleiden will, kehren immer mehr der Religion den Rücken. Mehr noch: die immer wieder von konservativen Kräften abgeblockten politischen Reformversuche und die wirtschaftlich marode Lage führen zu Depressionen, die nicht nur einige wenige heimsuchen, sondern gleich einer Epidemie weite Schichten erfasst haben. Beim Drogenkonsum und der Selbstmordrate von Frauen liegt Iran deshalb in der Welt an erster Stelle.

    Die staatliche iranische Organisation für Wohlfahrt gibt Zahlen heraus, die kaum zu glauben sind. Sie schätzt, dass in den vergangenen drei Jahren etwa 1,7 Millionen Frauen und junge Mädchen wegen sozialer Probleme, die meist in der Drogenabhängigkeit der Eltern oder des Ehemannes begründet liegen, weggelaufen sind. Manche von ihnen mussten sich als Dealerinnen verdingen oder wurden ständig geschlagen. Andere wurden von den Eltern an ältere Ehemänner verkauft. Die Eltern sind froh, ein hungriges Maul loszuwerden und bekommen noch etwas Geld für die nächste Opiumration. Vor den Ehemännern, die oft älter sind als die Väter oder selber drogenabhängig, flüchten viele junge Frauen in die Hauptstadt. Sie erträumen sich ein besseres Leben, doch meist landen sie in den Fängen von Zuhälterbanden.

    Drogensucht, Prostitution - die Laster des gottlosen Westens sind im Land der islamischen Ordnung allgegenwärtig. Doch nicht nur die soziale Realität hat mit den eigenen Ansprüchen nichts zu tun. Auch theologisch steht das von Ayatollah Chomeini gegründete Regime auf wackeligen Füßen. Die Vorstellung, dass ein Geistlicher das Land regieren solle, war eine These Chomeinis, die bei den Schiiten nie Mehrheitsmeinung war, so Katajun Amirpur:

    Das ist eine relativ neue, relativ revolutionäre Theorie und darauf baut also das iranische Herrschaftssystem auf. Nun ist es relativ peinlich, dass, nachdem Irak "befreit" worden ist, man wieder Zugang hat zu Ayatollah Sistani, der augenblicklich die größte Autorität ist innerhalb des schiitischen Islams inzwischen, der ranghöchste Geistliche. Und dieser Geistliche nun steht in einer völlig anderen Tradition und sagt, dies sei alles eben kompletter Unsinn.

    Eine Demokratisierung des Nachbarlandes Irak könnte also, wenn sie denn vollzogen würde, durchaus Auswirkungen auf den Iran haben. Sie könnte zeigen, dass Islam und wirkliche Demokratie doch zusammen existieren können. Bislang haben die Iraner zwar ein gewähltes Parlament und einen Präsidenten, aber die wirkliche Macht liegt woanders.

    Dem Parlament ist der Wächterrat übergeordnet, er muss die Gesetze bestätigen. Deshalb konnten die reformorientierten Abgeordneten in den letzten vier Jahren kaum eines ihrer über 50 Reformgesetze durchbringen. Insgesamt wurden 90 Prozent aller Gesetze vom Wächterrat abgelehnt, weil sie angeblich gegen die islamischen Prinzipien des Staates verstoßen. Doch was die islamischen Prinzipien sind, ist ein sehr dehnbarer Begriff.

    Die Starrheit des Systems, das Amirpur und Witzke beschreiben, die depressive Stimmung im Land - das alles spricht eigentlich gegen die Hauptthese der Autoren, dass die Reformer irgendwann gewinnen müssen, weil die jungen Leute den Konservativen nicht mehr folgen. Denn die vergeblichen Versuche, eine liberalere Gesellschaftsordnung auf den Weg zu bringen, haben ja gerade zur Depression und der weitgehenden Enthaltung bei der letzten Wahl geführt. Statt Aufruhr also Resignation. Auch das wieder aufgenommene Atomprogramm Irans scheint dafür zu sprechen, dass die Machthaber eher den äußeren als einen inneren Feind fürchten.

    Eine Logik könnte tatsächlich sein, dass sie sich denken, wenn man keine Atomwaffen hat wie der Irak, wird man angegriffen, und wenn man sie hat, wie Nordkorea, wird man nicht angegriffen.

    Wie geht es also weiter in Iran, einem Land, dem aufgrund seiner Größe, seiner strategischen Lage und seiner kulturellen Bedeutung die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sicher ist? Die Autoren konstatieren selber, dass bislang eine charismatische Führerpersönlichkeit fehlt, um den Unmut im Land in eine entscheidende Richtung zu lenken. Die Frage ist zudem, ob wirtschaftliche Reformen, wie sie die Konservativen durchaus durchführen wollen, auf Dauer ohne politische Reformen möglich sind. Eine Art oppositionelle Zivilgesellschaft ist in Ansätzen entstanden, auch weil es in Iran traditionell eine breite und gut ausgebildete Mittelschicht gibt.

    Aber ob dies ausreicht, um das Land von innen her eines Tages zu demokratisieren? Ein Blick in die Geschichte, die im ersten Teil des Buches ausführlich behandelt wird, gibt keine ausreichende Antwort. Die Analyse der heutigen Lage im zweiten Teil ist lebendiger geschrieben und spannender zu lesen - sie hätte ruhig etwas ausführlicher sein können. Trotzdem wird jeder, der das Buch liest, einen umfassenden Eindruck von der Geschichte des modernen Iran, seiner religiösen und historischen Grundlagen gewinnen und einen interessanten Einblick bekommen in die Realität der Islamischen Republik Iran von heute.

    Katajun Amirpur und Reinhard Witzke:
    Schauplatz Iran. Ein Report.
    Erscheint am 21. Oktober, Herder Verlag Freiburg
    160 Seiten, 8 Euro 90.