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Kate Tempest
"Ich kann mich in meine Texte fallen lassen"

Kate Tempest, Singer-Songwriterin und Rapperin, bringt ihr erstes Soloalbum heraus. "Everybody Down" heißt es und jeder Song dreht sich um die Protagonisten Becky und Harry. Um sie herum gesellen sich Familienmitglieder und andere Gestalten. Tempest schreibt über ihre Generation. Hilflosigkeit und Zukunftsängste zwingen die jungen Menschen in England dazu, sich in Kriminalität zu verlieren.

Von Dennis Kastrup | 17.05.2014
    Ein Mikrofon liegt auf einem aufgerollten Kabel
    Kate Tempest rappt über die Zukunftsängste ihre Generation (picture alliance / dpa)
    "Ich habe vor den Poetry Slams und dem Schreiben für das Theater mit dem Rappen angefangen. Für mich ist es ein aufregendes Gefühl, wieder mit dem Beat im Rücken hinter dem Mikrofon zu stehen."
    Kate Tempest ist eine kleine, zurückhaltende und fast schüchterne Frau. Wenn man zum ersten Mal mit ihr redet, fällt es schwer, sie sich lautstark in vorderster Reihe auf einer Demonstration vorzustellen. Doch genau dort hat die 27-Jährige gelernt, auf Konfrontation zu gehen. Als Jugendliche trieb sich die Londonerin in der ansässigen linken Szene herum, lebte in besetzten Häusern und ging regelmäßig auf die Straße. Ihren Frust hat sie auch mit Musik und Rap rausgelassen. Die ersten Erfahrungen als Poetry Slammerin folgten später.
    "Ich mag es auch, meine Texte, ohne Unterstützung vorzutragen. Ich kann mich darin wirklich sehr fallen lassen. Ich spüre, wie es in meiner Brust anwächst, rauskommt und dann den Raum füllt. Manchmal fühlt man sich ein bisschen eingeschränkt, wenn man über Musik rappt. Das gilt auch für die Mitspieler, weil sie auf dich reagieren müssen. Wenn zwei Künstler versuchen, dieselbe Position einzunehmen, dann verlieren leider beide."
    Diese Erfahrung hat sie in ihrer Band "Sound Of Rum" aber nicht gemacht. Mit ihr als Rapperin spielte das Trio vor zwei Jahren ein mitreißendes Album ein. Jetzt folgt ihr Soloalbum "Everybody Down". Für die musikalische Umsetzung ist Produzent Dan Carey zuständig. Zwei Wochen lang verkrochen sich die beiden in sein Studio. Er programmierte die Beats. Sie rappte die Worte. Alles ist ineinander verwoben. Jeder Song ist ein Teil des großen Konzepts: eine Geschichte in zwölf Kapiteln, beziehungsweise Songs. Wie bei der Suche eines Täters in einem Mordfall wurde die Handlung vorher akribisch visualisiert.
    "Wir haben eine große Skizze an die Wand des Studios gemalt. Es ging darum, zu erkennen, wann alles stattfindet, wer die Personen sind, was in jedem Kapitel passiert und wie das zusammen hängt. Ich arbeite parallel aber auch an einem Buch, das zu dem Album gehört. Ich hoffe, dass es all die unterschiedlichen Konzepte, Themen und Charaktere des Albums erweitert und mehr ins Detail geht."
    Jeder Song handelt von den Protagonisten Becky und Harry. Um sie herum gesellen sich Familienmitglieder und andere Gestalten. Die Beiden sind ein Paar. Sie arbeitet in einer Bar, er geht täglich vor ihren Augen zur Arbeit. Sie glaubt, er hat einen normalen Job. Er ist aber tief im Sumpf der Drogengeschäfte involviert. Dieses Scheinleben geht nur eine Zeit lang gut. Dann bricht das Konstrukt auseinander.
    "Harry ist allerliebst und brillant. Er ist einfach so ein guter Mensch, aber handelt nun mal so, dass viele Menschen denken, es sei böse. Und dasselbe gilt für Becky. Alle Charaktere sind gute Menschen. Sie tun aber nun mal Dinge, die manche Leute wahrscheinlich als schlecht empfinden. Hoffentlich sagt das Album aber, dass Menschen nun mal Menschen sind. Sie stecken voller Schönheit, Liebe und Schmerz. Sie machen schlimme Sachen, aber sind im Grunde ihres Herzens wunderschön, interessant, zerbrechlich, verletzlich und stark."
    Tempest schreibt über ihre Generation. Hilflosigkeit und Zukunftsängste zwingen die jungen Menschen in England dazu, sich in Kriminalität zu verlieren.
    "Ich glaube schon, dass wir tief in uns drin gute Menschen sind. Wir fühlen uns aber so verloren, nicht nur auf persönlicher, sondern globaler Ebene. Das sieht man daran, wie wir uns gegenseitig behandeln und was wir uns erlauben. Grundsätzlich steckt in uns allen aber eine Gutmütigkeit. Ich meine aber nicht, dass wir alle total rein sind und niemals schlechte Gedanken haben. Selbstachtung und die Achtung der Anderen sind uns generell schon wichtig. Wir wissen alle, dass wir Glück erreichen wollen."
    Diesen tiefen Glauben an das Gute im Menschen verinnerlicht Tempest bei jedem Auftritt. Sie lebt die Kämpfe ihrer Protagonisten, filtert wie ein Katalysator die positiven Seiten aus ihnen heraus und leidet mit ihren Charakteren. Zwischen den Zeilen und beim Gespräch mit ihr bricht immer wieder ein lautes Ausatmen aus ihr heraus, entweder aus Erschöpfung oder Erleichterung. Und dann ertappt man sich, auch ihr alles Gute auf ihrem steinigen Weg zu wünschen.
    "Ich kann mir 70 Minuten Text merken, aber nicht daran denken, meine Sachen bei mir zu behalten. Ich vergesse, genug Essen zuhause zu haben, um zur richtigen Zeit zu essen. Ich scheitere daran, ein menschliches Wesen zu sein. Ich bekomme es gerade noch so hin, über einen langen Zeitraum Worte auszusprechen, die sich reimen. Das ist dann aber auch schon alles."