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Kategorischer Widerstand

Es gibt auch eine gute Nachricht für den Sport aus Garmisch-Partenkirchen: Die olympische Kandidatenstadt 2018 und die dortigen Grundstücksbesitzer stehen vor einer Einigung. Der Zielhang der Kandahar-Abfahrt wird freigegeben für ein großes Sportspektakel - allerdings nur für die alpine Ski-WM, die im Februar 2011 dort stattfinden.

Von Thomas Kistner | 19.12.2010
    Definitiv aber nicht für die Winterspiele 2018, sollten sie nach München und Garmisch vergeben werden, das betont Rechtsanwalt Ludwig Seitz unmissverständlich.

    Grundstücksexperte Seitz vertritt 59 Garmischer Bauern, die der Münchner Bewerbungsgesellschaft ihre Besitztümer verweigern. Diese fünf Dutzend haben der bayerischen Staatskanzlei ein Ultimatum bis nächsten Mittwoch gestellt, die Bewerbung zurückzuziehen. Andernfalls wollen die Widerspenstigen das Internationale Olympische Komitee (IOC) direkt aufklären, dass sie ihre Grundstücke für die Spiele keinesfalls hergeben.

    Natürlich wiegeln Politiker und Bewerber ab und verweisen auf alternative Pläne. Natürlich machen sich Kanzlerin Angela Merkel und sogar Bundespräsident Christian Wulff erneut stark für deutsche Spiele im Oberland. Das ändert nur nichts daran, dass die Bewerbung mit dem kategorischen Widerstand in Garmisch einen schweren Rückschlag erlitten hat.

    Die Bewerber geraten enorm unter Druck: Das Bid Book, das offizielle Bewerbungsbuch, muss dem IOC bis 11. Januar vorliegen. Und es enthält schon genug frappante Änderungen im Vergleich zum Mini-Bid-Book, das dem IOC seit Frühjahr vorliegt. Dort wird noch ein Gelände für Biathlon und Ski Nordisch ausgewiesen, das es wegen der Bürgerproteste in Oberammergau gar nicht mehr gibt und mittlerweile bei Ohlstadt liegt. Jetzt argwöhnt Anwalt Seitz, dass die Bewerbungsgesellschaft "Probleme verschleiern" wolle, um ihr Bid Book irgendwie durchzupeitschen. Sogar die Vertragsentwürfe seien unvollständig, die er eingesehen habe.

    Das verstärkt den peinlichen Eindruck des Kandidaten aus dem organisationsstarken Deutschland. Denn ob es einen Plan B gibt oder nicht, der Rückschlag zeigt, dass die Bewerber nie imstande waren, mit den Garmischer Partnern umzugehen. Stattdessen wurden im Herbst eilig Allianzen mit Kommunalpolitikern und neun Ortsvereinen geschmiedet, in der Hoffnung, dass diese ihre renitenten Bauern und Grundbesitzer irgendwie gebändigt kriegen. Eine Fehlspekulation: Auch in Vereinen regt sich Widerstand.

    Deshalb klingt es wie das Pfeifen im Walde, wenn Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Kanzleichef Siegfried Schneider beteuern, auch der neue Rückschlag sei keine Bedrohung, es ginge ja nur um wenige relevante Flächen. Tatsächlich liegen die Grundstücke der Bauern in der Zieleinfahrt der Kandahar-Abfahrt, in der Nähe des Skistadions am Gudiberg und am Hausberg der Gemeinde, andere werden als Park- oder Sicherheitszonen benötigt. Womöglich müssten die Abfahrtsrennen ganz verlegt werden. Anwalt Seitz sagt: "Alle Grundstücke liegen innerhalb des Sicherheitszauns, den das IOC rund um die Olympiaanlagen verlangt." Ohne sie sei eine Bewerbung unmöglich. Ahnungsvoll hat Seitz bereits das Schreckensszenario einer Enteignung entworfen. Seehofer schließt so eine Zwangsmaßnahme aus, kein Wunder: Viele alte Garmischer erinnern sich verbittert an die Nazi-Spiele 1940, die nie stattfanden, für die aber ganze Familien enteignet wurden. Einige wären erneut betroffen.

    Als ultima ratio erscheint im renitenten Oberland jedoch nichts mehr undenkbar. Das bayerische Gesetz zur "entschädigungspflichtigen Enteignung" darf angewendet werden, um "Einrichtungen zu schaffen oder zu verändern, die der Gesundheits- oder Wohlfahrtspflege oder der Körperertüchtigung dienen". Und die Protestler haben weitere Gründe, den Bewerbern zu misstrauen. Angeblich legten diese nie konkrete Planungen vor - da mag sich mancher schon ausgegrenzt fühlen.
    Es brodelt in der Marktgemeinde. Trotz der Proteste beschloss der Landtag am Dienstag das Olympiagesetz, das den rechtlichen Rahmen für die Bewerbung setzt und den Grundbesitzern ihre Flächen nach den Spielen im ursprünglichen Zustand garantiert. Im Gegenzug wird das Bündnis NOlympia wieder aktiv. Ein Sprecher des Garmischer Protest-Netzwerkes sagt, sie hätten die Idee eines Bürgerentscheids nie aufgegeben. Jetzt wollen sie sich Rechtsberatung dafür einholen.