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Katharina von Ankum (Hrsg.): Frauen in der Großstadt. Herausforderung der Moderne?

Um die Emanzipation der Frauen ist es etwas stiller geworden, die einen möchten gerne glauben, sie sei nahezu vollendet, andere sehen in Zeiten scharfer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wenig Bedarf an Frauen, die es aus der Häuslichkeit herausdrängt. Gerne dagegen wird ein Blick zurück in die Anfänge einer breiteren Bewegung für Gleichberechtigung geworfen, in die zwanziger Jahre. Eine Reihe von Buchveröffentlichungen hat es zu diesem Thema bereits gegeben. In der Dortmunder edition ebersbach erschien nun ein weiteres, diesmal mit Studien aus den USA. Frauen in der Großstadt heißt es und Kristine von Soden hat es für uns gelesen.

Kristine von Soden |
    Um die Emanzipation der Frauen ist es etwas stiller geworden, die einen möchten gerne glauben, sie sei nahezu vollendet, andere sehen in Zeiten scharfer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wenig Bedarf an Frauen, die es aus der Häuslichkeit herausdrängt. Gerne dagegen wird ein Blick zurück in die Anfänge einer breiteren Bewegung für Gleichberechtigung geworfen, in die zwanziger Jahre. Eine Reihe von Buchveröffentlichungen hat es zu diesem Thema bereits gegeben. In der Dortmunder edition ebersbach erschien nun ein weiteres, diesmal mit Studien aus den USA. Frauen in der Großstadt heißt es und Kristine von Soden hat es für uns gelesen.

    Schon das Titelblatt verrät, dass hier nicht jenes Klischee der wilden 20er mit ihrem vermeintlich zügellosen Sex, Glanz und Glitter im Zentrum steht, wie man das zur Zeit bis zum Überdruss auf dem Büchermarkt beobachten kann. Das Foto von Vicki Baum im (nicht gerade erotischen) Sportdress beim Boxtraining auf dem Umschlag deutet vielmehr darauf hin, dass es um die Neue Frau geht. Sie war der Inbegriff von Aufbruch und intellektueller Neugier in der Weimarer Republik, der Inbegriff eines neuen Weges jenseits der konventionellen Rollenmuster. Die feministische Historiografie bundesdeutscher Prägung befasst sich seit langem schon mit diesem Thema. Im Unterschied allerdings zu den Genderstudies aus dem angelsächsischen Raum, insbesondere den USA, neigen die Forscherinnen hierzulande zu Verklärungen der weiblichen Lebenssituationen damals. Denn Widersprüche oder gar subjektive Irritationen, die aus dem Aufeinanderprallen von Konvention und deren Bruch resultieren, kommen nur gelegentlich in den Blick. Pauschal fallen daher oft die Resümees aus - gerade auch in Publikationen der edition ebersbach, jenem kleinen Dortmunder Frauenverlag, der seit geraumer Zeit eifrig die 20er-Jahre-Modewelle mitmacht. Wohltuend hebt sich nun aus dem ebersbach-Programm der Sammelband "Frauen in der Großstadt" ab - nicht zufällig eine Übersetzung aus dem Amerikanischen. Katharina von Ankum, Literaturwissenschaftlerin an der Columbia University in New York, verfolgt als Herausgeberin eine doppelte Intention: Die Beiträge ihrer sieben Co-Autorinnen sollen "die weibliche Erfahrung der Moderne und Verstädterung in den Lebensgeschichten von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen aufspüren (...) und die kulturellen Diskurse untersuchen, die sich entwickelten, um die in dieser Zeit entstehenden Manifestationen von Weiblichkeit mit Sinn zu füllen und zu regulieren." Mit anderen Worten: Der Band stellt nicht nur Aspekte aus dem veränderten Frauenalltag zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg dar, sondern auch männliche Hoffnungen und Ängste, "die stets in die kulturelle Konstruktion der Frau" eingehen.

    Interessant ist vor diesem Hintergrund gleich das erste Kapitel. Darin analysiert Lynne Frame, Germanistin an der University of California, die in der Weimarer Republik vieldiskutierten Frauentypen: Gretchen, Girl, Garconne. Die Tageszeitungen wurden damals nicht müde, schreibt sie, sich im Rahmen des allgemeinen "Systematisierungswahns" mit immer neuen Definitionen (samt Abbildungen) hervorzutun: So galt das Gretchen nicht bloß als Symbol für die deutsche Jungfrau "mit Zöpfen und Strickstrumpfhorizont", sondern auch als "heldisch und militärisch sich gebärende Faschistin"; für das Girl, entstanden aus dem amerikanischen Siedler- und Einwandererkind, war charakteristisch, dass es sich sportlich und kühn "überall durchsetzt"; der Garconne-Typ schließlich, der dem Ideal der Neuen Frau am ehesten entsprach, vereinte Kreativität und männlichen Geschäftssinn mit weiblicher Verführungskunst. "Gelingt diese Synthese", zitiert Lynne Frame aus einem zeitgenössischen Kommentar, wachse die Frau aber gerade hierdurch "ihrem geliebten Manne" über den Kopf, "dass sie ihm unbequem wird." Die steigenden Scheidungsraten in der Weimarer Republik sprachen hier eine deutliche Sprache, zumal die treibende Kraft bei Trennungen von Tisch und Bett in der Mehrheit nicht die Männer waren. Daran hat sich bis heute übrigens nichts geändert.

    Hinweise für die enormen Spannungen, die aus den veränderten Realitäten in der Weimarer Republik erwuchsen (man denke nur an die Debatte über die Abtreibung), liefern Briefe und Tagebücher. Solche Quellen wertet Maria Makela von der University of Pittsburgh in ihrem glänzenden Beitrag über die Berliner DaDa-Künstlerin Hanna Höch und deren Liaison mit Raoul Hausmann aus. Zugleich bietet sie eine neue Betrachtungsweise der in den Foto-Collagen von Hanna Höch implizierten Technologiekritik. So deutet sie etwa im Werk "Das schöne Mädchen" die abgebildete Schwimmerin mit einer Glühbirne als Kopf nicht (wie sonst oft in der Literatur) als Hymne auf die "erleuchtete" Neue Frau. Bedrängt von Autoreifen und einer Kurbel, Synonymen für Lärm, Tempo und wachsenden Verkehr, sieht Maria Makela hier vielmehr die Frau, "die sich von der Technologie hat überwältigen lassen und dabei nicht nur den Kopf verloren hat", die Frau in ihrer weiblichen "Eigendynamik". Der kritische Blick auf die Schattenseiten von technischem Fortschritt, den Weg zahlloser Frauen in die Produktion und nicht zuletzt auf eine bahnbrechende Rationalisierung auch im Haushalt - dieser Blick, der für alle Autorinnen des Sammelbandes kennzeichnend ist, lässt auch derartiges Denken aus der Weimarer Zeit zu Wort kommen: so zum Beispiel die New York Korrespondentin des Trendmagazins Uhu, Maria Leitner; schonungslos beschrieb sie 1925 den Arbeitsalltag einer jungen Sächsin, die als Kellnerin in der Wolkenkratzermetropole ihr Glück gesucht hatte, am Ende aber desillusioniert nach Deutschland zurückgekehrt war. Das Mißverhältnis zwischen Traum und Wirklichkeit, Befreiung und erneuter Ausbeutung wurde damals schon deutlich sichtbar "Im Spiegel der Mode" - so der Titel des Beitrages von Sabine Hake. "Das Verlangen der Frauen nach neuen Selbstbildern", erklärt die Hochschullehrerin für Germanistik an der University of Pittsburgh, habe zu einer starken Abhängigkeit "von massenproduzierten Phantasien" geführt, die wiederum die alten Geschlechterunterschiede in rasch wechselndem Gewand reproduzierten. Die Mode unterlief und bestätigte gleichzeitig somit jene kulturelle Revolution, die in der Weimarer Republik gerade auch Moral und Sitten ergriff. Dass der Bubikopf (ein Import aus den USA) für heftige Debatten etwa bei Erich Fromm, Heinrich Mann oder Walter Benjamin sorgte, kann darum kaum verwundern. Ebensowenig, dass eine Asta Nielsen, Pola Negri, Valseka Gert oder Tilla Durieux den radikalen Abschied von verstaubten Zöpfen der wilhelminischen Ära einleiteten. Die Modeindustrie witterte dann in dem Look aus kniekurzen Röcken, Pumps und Seidenstrümpfen ein florierendes Geschäft. Und: brach damit der einstigen Aufsässigkeit ihre Spitze ab (ganz übrigens, wie es Siegfried Kracauer in seinen soziologischen Studien prophezeit hatte).

    Schade (und ärgerlich zugleich) bleibt am Ende der höchst anregenden Lektüre nur, dass der Originaltitel des Buches Women in the Metropolis mit Frauen in der Großstadt übersetzt wurde. Die Vermutung liegt nahe, dass eine "Berlinlastigkeit" vermieden werden sollte. Tatsächlich aber beziehen sich die Inhalte des Sammelbandes samt und sonders auf Phänomene einer Metropole, nicht einer Großstadt, was etwas völlig anderes ist. So hatte die Neue Frau das Flair in der Metropole Berlin geprägt; umgekehrt konnte diese nirgendwo idealtypischer als hier entstehen: in einer Stadt (ganz anders als München, Köln, Dresden oder Hamburg), die schon am Ende des Kaiserreiches von Gegensätzen beherrscht wurde: zwischen preußischer Strenge und übermütigen avantgardistischen Ideen, zwischen Monarchisten und illustren Gesellschaftsveränderern, von den Reformpädagogen bis hin zu den Sexualaufklärern. Das großgeschriebene Neu wurde zu einem Haupterkennungsmerkmal der ersten deutschen Republik: Neues Bauen, die Neue Küche, die Neue Sexualmoral und eben: die Neue Frau. Sie war ökonomisch unabhängig, nicht mehr so schnell aufs Heiraten erpicht, hatte trotzdem Lust auf Liebe (für die meisten Zeitgenossen ein Skandal!), vor allem aber war die Neue Frau entschlossen, in die Welt der Männer einzudringen. Der politische Zündstoff, der damals aus der Neuordnung der Geschlechter herrührte, ließ die privaten Beziehungen natürlich nicht unberührt. Jeder, ob Mann oder Frau, verkörperte das eigene Experiment.

    Kristine von Soden besprach: Frauen in der Großstadt. Herausforderung der Moderne? Herausgeberin ist Katharina von Ankum, erschienen ist der Band in der edition ebersbach, hat 252 Seiten und kostet 58 DM. Mit dieser Rezension geht die Sendung Politische Literatur für heute zu Ende. Am Mikrophon war Karin Beindorff, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.