Freitag, 19. April 2024

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Katholische Kirche
"Die Menschen kommen in emotionale Not"

"Richter Gottes" heißt das neue Buch der Journalistin Eva Müller. Eines ihrer Hauptthemen sind die katholischen Gerichte für Eheannullierung. Vor allem Mitarbeiter der Kirche wählen diesen Weg aus Angst, nach einer Scheidung den Arbeitsplatz zu verlieren. "Es ist ein Bereich, der der Öffentlichkeit entzogen ist", kritisiert Müller im Deutschlandfunk.

Eva Müller im Gespräch mit Levent Aktoprak | 12.10.2016
    Ein Brautpaar wirft einen Schatten auf den Asphalt der Arkaden im Hofgarten in München.
    Sind Menschen zum zweiten Mal verheiratet, können Sie bei einem katholischen Arbeitgeber ihren Job verlieren. Aus Angst wählen viele deswegen das Eheannullierungsverfahren der Kirche. (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Levent Aktoprak: Eva Müllers Buch "Gott hat hohe Nebenkosten", das 2013 erschien und zu einem Bestseller wurde, gewährte einen Blick hinter die Kulissen des zweitgrößten Arbeitgebers, nämlich der Kirche. Der Einfluss der konfessionellen Arbeitgeber auf ihre Angestellten ist groß, sie reglementieren sogar in einem eigenen Arbeitsrecht das Privatleben, besonders in der katholischen Kirche. Die Zahl der katholischen und evangelischen Einrichtungen steigt, obwohl die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt. In ihrem neuen Buch "Richter Gottes" geht die Kölner Fernsehjournalisten und Autorin Eva Müller auf ein anderes umstrittenes Thema ein: die kircheneigene Gerichtsbarkeit. Die katholische Kirche unterhält eine eigene Gerichtsbarkeit für Eheverfahren, Arbeitsrecht und Strafrecht. Ist dieses Eigenleben ein Skandal?
    Eva Müller: Das Eigenleben, wenn man es so nennen will, an sich noch nicht. Es ist im Grundgesetz verankert, dass die Kirche ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln darf, und da gehören eigene Gerichte und die Möglichkeit, eigene Gesetze zu schaffen, dazu. Problematisch ist meiner Meinung nach, wenn das in unser Recht, also ins staatliche, weltliche Recht hineinreicht. Es gibt eine eigene Strafjustiz der katholischen Kirche, und da gibt es an der einen oder anderen Stelle brisante Überschneidungspunkte. Und darum geht es in dem Buch. Aber auch um diese sehr intimen, sehr privaten und wie manche Menschen finden, sehr belastenden Eheverfahren der katholischen Kirche.
    Die Autorin Eva Müller
    Die Autorin Eva Müller (version-foto.de)
    "Es gibt einen Kniff"
    Aktoprak: Sie beschreiben in ihrem Buch sehr detailliert ein Eheannullierungsverfahren aus Köln. Eine geschiedene Frau lebt mit einem Mann zusammen, der bei der Kirche beschäftigt ist. Um heiraten zu können, müsste sie ihre erste Ehe annullieren lassen. Wie läuft so ein Verfahren ab?
    Müller: Der Hintergrund ist erst mal ein ganz dramatischer, denn wenn sie nicht ihre erste Ehe annullieren lässt und dann ihren Partner heiratet, verliert er seinen Job. Das ist der Hintergrund der meisten Verfahren, die geführt werden vor den Kirchengerichten: dass es um die Existenz geht. Wenn man in einem kirchlichen Beschäftigungsverhältnis in bestimmten Positionen keine ordentliche Ehe führt, ist der Job in Gefahr. Dafür ziehen dann entweder die Menschen selber oder eben die neuen Partner, die dann im Zweifelsfall schon eine erste Ehe hinter sich haben, vor solch ein Kirchengericht und beginnen einen Prozess. Das kann man nicht Scheidung nennen, wie das im weltlichen Leben ist, denn das akzeptiert die katholische Kirche nicht. Es gibt, wenn man so will, einen Kniff. Und der Kniff besteht darin, dass man seine erste Ehe für ungültig, für nichtig erklären lässt. Man muss beweisen, dass diese erste Ehe nicht den Ansprüchen genügt hat, die die katholische Kirche an eine solche Beziehung stellt. Und wenn einem das gelingt, wird die erste Ehe für ungültig erklärt. Dieser Prozess kann schon mal mehrere Jahre dauern.
    Aktoprak: Was kritisieren Sie daran?
    Müller: Ich habe ein Paar durch so einen Prozess begleitet, habe sehr viel mit den beiden gesprochen, um zu verstehen, was da die Nöte sind. Was man ja auch immer sagen muss ist: Viele Menschen, die diese Prozesse führen vor den Gerichten, sind tiefgläubig. Die arbeiten bewusst bei der Kirche. In diesem Fall organisiert der Mann hier in Köln das Hoevi-Land, eine ganz anerkannte Ferienfreizeitgeschichte für Kinder. Es ist natürlich wichtig. Solche Jobs müsste man erhalten in der katholischen Kirche. Und er ist jemand, der nun in solch einer Notsituation ist. Ich fand es wichtig zu begreifen, dass es eben nicht Menschen sind, die die Kirche ablehnen, sondern Menschen, die sich gerne in der Kirche engagieren würden. Und die kommen dann in so eine Not, in eine emotionale psychische Not hinein. Das ist etwas, wo man hinschauen muss. Es ist nämlich das Problem, dass es unglaublich abgeschieden abläuft, ohne Öffentlichkeit. Man hört über diese Verfahren sehr wenig, denn alle Beteiligten werden auch zur Geheimhaltung verpflichtet.
    "Es ist ein großes Leid gewesen, dass die Verfahren so lange gedauert haben"
    Aktoprak: Wer nimmt die Eheannulierungsverfahren in Anspruch?
    Müller: Meine Meinung nach betrifft es vor allen Dingen die Menschen, deren Job in Gefahr ist, wenn sie nicht ordentlich katholisch, gültig katholisch verheiratet sind. Und sobald man dann in einer, so heißt das, sagte mir ein großer katholischer Arbeitgeber – "irregulären Lebenssituation" lebt, nämlich eine zweite Beziehung hat in seinem Leben, muss man das klären. Und das das gerade in der katholischen Kirche 700.000 Menschen in Deutschland betrifft, sind das eben die jenigen, die aus Not dazu gezwungen sind diese Verfahren zu führen. Das ist meiner Meinung nach das, wo man draufschauen muss: Führen die Menschen die Verfahren freiwillig oder aus Jobangst?
    Aktoprak: Papst Franziskus hat das Eheannullierungsverfahren vereinfacht, ist das ihrer Ansicht nach der richtige Weg?
    Müller: Er hat es vor allen Dingen verkürzt. Es ist ein großes Leid für viele Betroffene gewesen, dass die Verfahren teilweise zwei bis drei Jahre oder mehr gedauert haben. Was das Interessante an dieser Annullierung ist: Dass er die Verfahren vereinfacht, weil er darauf setzt. Das ist ja zu einem ganz interessanten Zeitpunkt passiert, nämlich vor der Familiensynode 2014, wo eigentlich darüber diskutiert werden sollte, ob es Neuerung in diesem Feld gibt. Gibt es vielleicht tatsächlich echte Reformbereitschaft, was diese Frage betrifft, die Ehe und die Wiederheirat? Franziskus hat aber gesagt: Wir haben hier doch eine Möglichkeit und machen die sogar noch einfacher. Geht an die Kirchengerichte, lasst eure Ehen annullieren! Das ist meine Meinung nach die Botschaft dieser Vereinfachung gewesen. Und was dafür spricht ist, dass die Zahlen der Prozesse seit der Vereinfachung in Deutschland drastisch steigen. Allein in Münster, sagte man mir, seit dieser Vereinfachung kommen die Leute und sagen, sie wollen das machen, sie wollen diese Chance nutzen. Oder auch in Rothenburg, wo es ein großes Kirchengericht gibt, hat sich die Zahl im ersten Halbjahr 2016 im Vergleich zum letzten Jahr sogar verdoppelt. Das muss man ja auch ehrlich sagen: Welche Möglichkeit gibt es denn sonst, wenn man sich trennt und eine zweite Beziehung leben möchte? Da hat die katholische Kirche keine andere Möglichkeit außer diese Kirchenverfahren.
    Missbrauchstäter kommen davon
    Aktoprak: Worum geht es kirchlichen Ehegerichten: um die Eherettung, um Strafe oder um die, wie manch die Annullierung auch nennen, "Scheidung auf Katholisch"?
    Müller: Das Spannende ist: Wie viele Menschen lassen sich heute noch von dem Moralvorstellungen der katholischen Kirche lenken? Lassen sich Katholiken noch davon beeinflussen? Also wer sagt allen Ernstes noch, das ist die katholische Vorstellung, dass man eben einen Lebenspartner bis zum Tod hat und deswegen trenne ich mich nicht? Die Kritik, die es in den letzten Jahren schon immer gab, ist, dass die katholische Kirche über ihr Arbeitsrecht, ihre Verträge die Moral zu den Menschen trägt. Man ist über seinen Arbeitsvertrag moralisch verpflichtet, sich daran zu halten. Die Kirchengerichte helfen bei der Umsetzung und können das durchsetzen, denn hier ist die Möglichkeit zu belegen, dass man eben nicht so gelebt hat, wie die katholische Kirche sich das vorstellt. Was man dann am Ende macht, wenn das Urteil gesprochen ist, was man mit dieser Aufwühlung, die ja auch passiert in den Prozessen, macht, mit dem, worüber man gesprochen hat - am Ende steht man da und was macht man dann? Auch das ist eine Frage, die im Buch aufgeworfen wird.
    Aktoprak: Die andere "Gerichtsbarkeit Gottes", deren Arbeit Sie ausführlich schildern, ist die Strafgerichtsbarkeit. Sie beschreiben einen Missbrauchsfall aus Hildesheim, der der Kirche bekannt ist, über den aber die weltliche Staatanwaltschaft erst spät und unvollständig unterrichtet wird. Ist das ein Einzelfall?
    Müller: Es ist der prominenteste Missbrauchsfall, den wir in Deutschland 2010 seit dem der Skandal hier ausgebrochen ist, kennen. Es ist nämlich der "Pater R." vom Berliner-Canisius-Kolleg, wo der Missbrauchsskandal seinen Anfang nahm und dem schätzungsweise über hundert Missbrauchstaten angelastet werden. Das macht diesen Fall so dramatisch, denn als das dann passierte, als dieser nicht verjährte Fall auftauchte, hat das Bistum Hildesheim, den so bekannten Täter noch ein weiteres mal davon kommen lassen. Bis zu dem Moment, in dem sich die Familie selbst eingeschaltet hat und gesagt hat, der muss vor Gericht, der muss verurteilt werden. Das ist einer der heikelsten Bereiche dieser eigenen kirchlichen Gerichtsbarkeit, wenn nämlich das eigene Strafrecht ins weltliche Strafrecht hineinreicht und wenn, wie es in diesem Fall geschehen ist, die Strafverfolgungsbehörden nicht so ordentlich arbeiten können, wie sie es eigentlich müssten, weil die Kirche Informationen zurückhält. Es ist ganz klar, dass die Kirche an dieser Stelle nicht schnell genug gehandelt hat und der Täter so einer weltlichen Strafe entgangen ist.
    Die Ansprüche sind zementiert - hält man sich daran?
    Aktoprak: Ich höre raus, dass Sie für eine Anzeigepflicht sind.
    Müller: Es gibt eine Anzeigepflicht innerhalb der katholischen Kirche. Man hat sich in den Leitlinien ganz klar darauf verständigt, dass, sobald so etwas auftaucht in den eigene Reihen, sobald jemand "Täter" wird, die Behörden informiert werden, es sei denn es gibt vehementen Widerspruch der Familien. Darauf hatte man sich 2010 geeinigt, und trotzdem konnte dieser Fall danach passieren.
    Aktoprak: Missbrauchsskandale wurden mit großer Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit verfolgt. Was hat die katholische Kirche daraus gelernt?
    Müller: Man muss sagen, dass die katholische Kirche eigentlich mit den Konsequenzen, die sie daraus gezogen hat, nämlich die Leitlinien, die dann in Gesetze übergegangen sind, eigentlich genau das getan hat, was die Öffentlichkeit von ihr erwartet hat. Dass man eben sagt: Wir wollen aufklären, wir wollen schonungslos hingucken, wollen diejenigen im staatlichen System der gerechten Strafe zuführen. Das heißt, die Ansprüche sind zementiert und da. Die Frage ist nur: Hält man sich daran? Und wer kontrolliert das?
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Eva Müller: Richter Gottes. Die geheimen Prozesse der Kirche. Paralleljustiz mitten in Deutschland. Kiepenheuer&Witsch. 256 Seiten, 14.99 Euro.