Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Katholische Kirche in den USA
Spiegel der Gesellschaft

Vielgestaltig, spannungsreich, aber zum Teil auch zerrissen - so stellt sich die katholische Kirche in den USA dar. Und das auch im sogenannten Bible Belt, zu dem auch der US-Bundesstaat Georgia gehört. Vieles ist möglich im US-amerikanischen Katholizismus, den Papst Franziskus in dieser Woche besucht.

Von Katja Ridderbusch | 22.09.2015
    Blick auf Atlanta im US-Bundesstaat Georgia
    Blick auf Atlanta im US-Bundesstaat Georgia (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    "We engage our spirits and our minds through our liturgy, but we also engage our bodies. Worshipping God is a full contact sport ..."
    Gottesdienst sei so etwas wie Sport, sagt der Dominikaner Jeffrey Ott, ein Sport, bei dem im Gebet Geist und Körper zum Einsatz kommen. Ott ist Priester in der Kirchengemeinde "Our Lady of Lourdes" in Atlanta in Süden der USA.
    "Our Lady of Lourdes" ist eine katholische Kirche im Kernland der protestantischen Baptisten, nur einen Steinwurf entfernt von der Auburn Avenue, dem Herzen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung: Hier liegen das Geburtshaus und die Grabstätte von Martin Luther King, hier befindet sich die Ebenezer Baptist Church, in der King predigte, hier wurden die großen Protestmärsche der 60er Jahre organisiert.
    "Wir sind in erster Linie eine afroamerikanische Kirche. Der Stil unseres Gottesdienstes speist sich aus der Gospel-Musik, er kommt mehr aus einer kulturellen als aus seiner konfessionellen Tradition. Für uns liegen das Sakrale und das Säkulare eng beieinander."
    Die Katholische Kirche in den USA: Wenn Papst Franziskus in Kürze zu seinem ersten Besuch in den Vereinigten Staaten eintrifft, wird er eine Kirche vorfinden, die so vielfältig und vielgestaltig, so spannungsreich und zerrissen ist wie die amerikanische Gesellschaft selbst. Phillip Thompson ist Religionswissenschaftler an der Emory-Universität in Atlanta.
    "Wenn man eine Satellitenaufnahme von der Katholischen Kirche in den USA machen würde, dann sähe man eine Kirche, die sich in viele verschiedene Richtungen bewegt. Vor allem gibt es eine riesige Einwanderungswelle, einen massiven Zustrom hispanischer Bevölkerungsgruppen."
    Viele amerikanische Gläubige sind verschreckt
    Dieser Zustrom sorgt dafür, dass die Zahl der Katholiken in den USA - immerhin etwa ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung – seit Jahren weitgehend stabil bleibt, trotz starker Abwanderungswellen.
    "There's a joke that says, the largest denomination in the United States is Catholic, and the second largest Ex-Catholic."
    Die größte Konfession in den USA, sagt Thompson und zitiert einen gängigen Witz, seien Katholiken. Und die zweitgrößte: Ex-Katholiken. Der Missbrauchsskandal, die strikte Haltung bei Fragen wie Verhütung, Frauenordination und Schwulenehe hat viele amerikanische Gläubige verschreckt.
    Besonders im liberaleren Norden des Landes beklagt die katholische Kirche einen drastischen Mitgliederschwund; viele Kirchengebäude mussten geschlossen werden. Im konservativen - und traditionell religiös geprägten – Süden verzeichnen die Katholiken dagegen rasanten Zulauf. Allein die Erzdiözese Atlanta konnte ihre Mitgliederzahlen in den vergangenen zehn Jahren vervierfachen.
    Die katholische Kirche in Amerika sei von jeher eine Einwandererkirche, sagt Thompson, und habe sich mit jeder neuen Einwanderungswelle gewandelt. Die jüngste Welle ist sichtbar, spürbar, hörbar in einem verlassenen Einkaufszentrum in Gainesville im Bundesstaat Georgia, eine knappe Autostunde nördlich von Atlanta. In einem ehemaligen Kino, das zwischenzeitlich auch als Nachtklub diente, liegt das Missionszentrum Saint John Paul II.
    Rund 3000 Gläubige, die meisten aus Mexiko, feiern hier jedes Wochenende die Heilige Messe - die Frauen mit Schleier, die Kinder in Anzügen und Organza-Kleidchen.
    "Ich mag diese Kirche, weil sie mich an die Kirche in Mexiko erinnert, in der ich aufgewachsen bin. Die katholische Kirche ist überall gleich. Wenn ich zur Kommunion gehe, fühle ich mich zu Hause, egal wo ich gerade bin."
    Ernesto ist vor 11 Jahren aus Mexiko gekommen; er arbeitet für einen der großen Geflügelproduzenten in Gainesville. Die Kirche ist für ihn, was sie für alle Einwanderer in den USA zu allen Zeiten war: eine Enklave fern der Heimat.
    "Die Gemeinde hier ist sehr lebendig, da finde ich alles, was ich brauche. Und da fühle ich mich absolut sicher."
    Enge Verbindung zwischen Sakralem und das Säkularem
    Viele katholische Kirchengemeinden bieten Einwanderern, vor allem auch illegalen Einwanderern, Schutz vor Strafverfolgung - ein Stein des Anstoßes bei vielen konservativen Katholiken und Nicht-Katholiken.
    In der Kathedrale Christ the King im Nobelviertel Buckhead im Norden von Atlanta geht es derweil gediegener zu. Christ the King liegt an der Peachtree Road, der Lebensader der Stadt, zwischen einer Methodisten-, einer Baptisten- und einer Episkopalkirche. "Amen Corner", so heißt das fromme Eck im Volksmund.
    Die Kathedrale Christ the King - deren Vertreter kein Interview geben wollten - ist Sitz des Erzbischofs von Atlanta. Die Gemeinde ist überwiegend weiß, wohlhabend und wertebewusst. Hier treffen sich Mitglieder nach der Sonntagsmesse zum Networking in der Kirchen-Lounge; wohltätige Golfturniere spülen üppige Spenden in die Kassen der Gemeinde, die zahlreiche Sozialprogramme organisiert.
    Das Sakrale und das Säkulare - auch hier gehen sie eine enge Verbindung ein. Denn Kirchen in Amerika sind niemals nur geistliche, sondern auch gesellschaftliche Zentren, sagt Religionswissenschaftler Thompson.
    "In den USA gibt es eine gesellschaftliche Erwartung, dass man sich in seiner Kirche engagiert. Hier wird Religion oft sehr öffentlich zur Schau gestellt. Das überrascht viele ausländische Besucher."
    In der Kirche "The Catholic Shrine of the Immaculate Conception", kurz: The Shrine, spielen Darstellung und Selbstdarstellung dagegen kaum eine Rolle. Hier geht es um den ganz konkreten, karitativen Dienst am Menschen.
    "Community is not just to make me feel good, or to have a good time at a cocktail party, but also to serve and help other people."
    Eine Kirchengemeinde habe nicht nur den Zweck, dass man sich wohltätig gebe und sich auf Cocktail-Partys gut fühle, sagt Pfarrer Henry Gracz. Sondern dass man helfe. The Shrine, ein roter Backsteinbau in Downtown Atlanta, ist die älteste katholische Kirchengemeinde der Stadt. Ihr Schwerpunkt lag stets darauf, Arme, Kranke und Ausgestoßene zu versorgen.
    Die katholische Kirche in Amerika ist ihren Wurzeln treu geblieben
    Während des amerikanischen Bürgerkrieges vor 150 Jahren diente die Kirche als Feldlazarett für Soldaten des Nordens wie des Südens; in den 1980er-Jahren wurde sie zum Zufluchtsort für Menschen, die an der AIDS-Epidemie erkrankt waren. Heute organisiert die Kirche Armentafeln, mobile Suppenküchen und im Winter Unterschlupf für Obdachlose.
    Wanda Paige koordiniert die Sozialprogramme der Kirche. Die junge Frau, Tochter eines amerikanischen Luftwaffensoldaten und einer Koreanerin, hat in Europa, Asien, und an vielen Orten in Amerika gelebt, bevor sie vor neun Jahren nach Atlanta kam. Auch sie war eine Fremde auf der Suche nach einem Zuhause.
    "Diese Kirche ist offen für jeden, sie ist global und lokal zugleich Es spielt keine Rolle, wo du herkommst, was deine Geschichte ist, ob du Arzt bist oder Obdachloser. Es ist eine Kirche ohne Schranken, ohne Mauern."
    Diese Kirche ohne Mauern ist bunt gemischt. Schwarze und Weiße, Asiaten und Latinos. Studenten, die das nahe College besuchen, Geschäftsleute aus den umliegenden Büros. Verheiratete, Geschiedene, Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender. Jeder sei hier willkommen, sagt Pfarrer Gracz:
    "Alle zitieren in diesen Tagen Papst Franziskus: Wer bin ich, über jemanden zu urteilen? Sicher, als Kirche sind wir dafür verantwortlich, christliche Werte zu vermitteln. Aber Homosexuelle sind ebenfalls Gottes Kinder. Und was weiß ich von den inneren Kämpfen anderer Menschen?"
    Egal ob ethnische Enklave, kultureller Ankerplatz oder sozialer Klub - die katholische Kirche in Amerika ist - durch allen Wandel hindurch - ihren Wurzeln treu geblieben. Sie will ein Ort für Menschen sein, die Zugehörigkeit suchen.
    So wie auch die Mitglieder der Kirchengemeinde "Our Lady of Lourdes". Einige von ihnen stammen aus New Orleans, wo es viele schwarze Katholiken gibt. Sie kamen vor zehn Jahren nach Atlanta, als Hurrikan Katrina Teile ihrer Stadt verwüstete. Einige blieben, so wie Béatrice Boublet und ihr Mann.
    "Wir werden New Orleans immer vermissen, egal wo wir leben. Ich vermisse das Wasser, die Sümpfe, ich vermisse es, an den Ufern des Bayou zu sitzen. Aber ein Zuhause kann man sich schaffen. Zuhause ist dort, wo man aufgenommen wird."