Donnerstag, 28. März 2024

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Katie Mitchell an der Berliner Schaubühne
Woolfs "Orlando" durch die Kamera betrachtet

Der Roman gilt als Klassiker der feministischen Literatur: Virginia Woolfs „Orlando“ aus dem Jahr 1928. Die britische Regisseurin Katie Mitchell hat das Buch nun in Berlin als filmische Zeitreise inszeniert. Herrlich satirisch, aber mit zu viel Technik.

Von Barbara Behrendt | 06.09.2019
Szene aus "Orlando" von Virginia Woolf in der Inszenierung von Katie Mitchell an der Schaubühne Berlin
Verwandlung über Nacht - Orlando in Katie Mitchells Inszenierung an der Berliner Schaubühne (Stephen Cummiskey, Schaubühne Berlin)
"Und dann erwachte Orlando. Er streckte sich. Er erhob sich. Er stand aufrecht in völliger Nacktheit vor uns. Und uns bleibt keine Wahl als zu gestehen: Er war eine Frau."
Es ist die Schlüsselszene in Virginia Woolfs Roman. Gerade noch englischer Gesandter in Konstantinopel erwacht Orlando nach einem siebentägigen Schlaf.
"Orlando stand splitternackt da. Kein menschliches Wesen seit Anbeginn der Welt sah je hinreißender aus. Orlando war eine Frau geworden, das ist nicht zu leugnen. Aber in jeder anderen Hinsicht blieb Orlando genau so, wie er gewesen war."
Auf der Bühne verdeckt die Schlafzimmerwand den Blick auf die Verwandlung. Den magischen Moment kann man nur auf der großen Leinwand darüber miterleben. Die zarte Jenny König steht mit ihrem roten, wallenden Haar nackt vorm Spiegel in der historischen Filmkulisse und lässt, herrlich kindisch, mit Entzücken die neuen Brüste wippen.
Was bestimmt das Geschlecht?
Woolf hat 1928 das beschrieben, was man heute "Gender Fluidity" nennt – ein Changieren zwischen Geschlecht und sexueller Orientierung. Ob Orlando Mann oder Frau ist, ist für die Identität völlig nebensächlich. Nur die Erwartungen der Gesellschaft verändern sich mit dem Geschlechterwechsel.
"Wissen Sie", sagt Orlando, "ich war 30 Jahre lang ein Mann. Ich hielt eine Königin im Arm. Eine andere Dame oder zwei. Und ich erinnere mich noch genau daran, wie ich als junger Mann darauf bestand, dass Frauen keusch, parfümiert, gehorsam und exquisit gekleidet sein müssen. Jetzt werde ich am eigenen Leib für diese Wünsche bezahlen."
Für die Frauenbewegung wollte sich Woolf nicht vereinnahmen lassen. Der Roman sprüht vor kühnem Witz, Ironie und dem, was man später magischen Realismus nennen sollte. Eine leichte Satire – auch auf die literarische Gattung der Biografie und auf den Literaturbetrieb, dessen Saturiertheit Woolf wunderbar giftig ausstellt.
Angesichts der Verwirrung in Orlandos Leben muss sich die Erzählerin zwischendurch ratsuchend an den Leser wenden – und umgekehrt. Dafür sitzt Cathlen Gawlich in einer Sprecherkabine und liest weite Teile des Romans vor. So wird zwar der süffisante Tonfall des Originals hörbar – dafür bleibt der Abend eine bebilderte Erzählung, die nur hier und da von der direkten Rede der Schauspieler unterbrochen wird.
"Sie war in den Künsten ihres Geschlechts noch nicht sehr bewandert. Und da sie einem Mann keins mehr über den Schädel geben oder ihm mit dem Degen den Leib durchbohren konnte..."
"Kann ich nicht?"
"Nö... Fing sie eine Schmeißfliege und quetschte ihr sanft das Leben aus dem Leib."
Zwischen Publikum und Spiel steht die Technik
Jenny König und Konrad Singer als ihr bräsiger Verehrer werfen ironisch-genervte Blicke in die Kamera. So pointiert und komödiantisch dieser Abend ist, so nah an Woolfs Sprache und Gedankenwelt – so wenig traut er doch den Mitteln des Theaters. Noch mehr als sonst bei Mitchells hoch technisierten Inszenierungen erübrigt sich der Blick auf die dunkle Bühne über weite Strecken. Kulissen werden verschoben, Kameras gerollt, fast 90 Kostüme am Bühnenrand gewechselt. Ein technisch perfektionierter Vorgang, bei dem die Spieler allerdings zu Erfüllungsgehilfen des Films werden. Sie sind nicht in Kontakt mit dem Publikum, sondern mit der Kamera.
Viele Bilder sind zudem voraufgezeichnet: Orlando, der durch Mohnblumen streift, im Laub unterm Eichbaum, Orlando vor historischen Herrenhäusern, später dann als Frau im Flugzeug und im Auto durch das verregnete London von heute. Perfekt ausgeleuchtete Bilder, die die Zeitreise der Hauptfigur detailliert illustrieren und ironisch brechen. Ein komischer, fast karikaturesker Abend, der in all seiner Technisierung aber das Schauspiel selbst, die lebendigen Menschen auf der Bühne, unlebendig wirken lassen.
Das ästhetische Konzept scheint zunächst zum Inhalt zu passen: Realität trifft auf Projektion, Schein auf Sein. Doch bald wirkt das Korsett, in das Mitchell ihre Spieler zwängt, so starr wie jenes, das den Geschlechtern auferlegt wird. Bei aller Perfektion bleibt ein Unbehagen, wie hier das mediale Bild den Körper von der Bühne verdrängt.