Also: Schluss mit dem eurozentrischen Blick! Katja Böhler und Jürgen Hoeren, die beiden Herausgeber, wollen ausdrücklich ....
...die Vielfalt und Vielschichtigkeit des Kontinents ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit (...) rücken und damit ein realistischeres Bild von der afrikanischen Wirklichkeit (...) skizzieren, ohne die negativen Aspekte zu verschweigen.
Man stolpert allerdings über den Untertitel "Mythos und Zukunft" - so, als handele die Veröffentlichung zwar von der Entstehung afrikanischer Mythen und beschreibe Szenarien, was aus Afrika werden könne, spare aber die Gegenwart aus. Das aber ist - zum Glück - nicht der Fall.
Zwei der 19 Autorinnen und Autoren sind Afrikaner; die europäischen Mitarbeiter sind Wissenschaftler, Afrika-Praktiker und Journalisten. Kodjo Attikpoe, ein junger, in Frankfurt am Main lebender Literaturwissenschaftler, untersucht die "Afrika-Bilder in weißen Köpfen". Sein Fazit ist beschämend:
Das Image Afrikas ist im kollektiven Bewußtsein der Weißen im Kern ungebrochen negativ geblieben.
Der so genannte "Afrika- und Negermythos" sei von europäischen Entdeckern und Missionaren geprägt und mit pseudowissenschaftlichen Theorien unterfüttert worden, bei denen afrikanische "Primitivität" und europäische "Zivilisation" einander unversöhnlich gegenüber gestellt werden. Es ist in der Tat entlarvend, dass Heroen der europäischen Aufklärung wie Montesquieu sich zu Urteilen über Afrikaner verstiegen wie:
Man kann sich nicht vorstellen, dass Gott, der doch ein allweises Wesen ist, eine Seele, und gar noch eine gute Seele, in einen ganz schwarzen Körper gelegt habe.
Viele Beiträge zeichnen ein durchaus lebendiges und naturgemäß widersprüchliches Bild afrikanischer Wirklichkeit. Es wird deutlich, dass Politik in Afrika keineswegs ihre Gestaltungsmöglichkeiten verloren hat. Beispiel: AIDS. Täglich sterben in Afrika 6000 Menschen an der Immunschwäche. Aber der Umgang mit AIDS ist von Land zu Land unterschiedlich.
In Uganda hat Präsident Museveni die Herausforderung angenommen. Dort, wo Zeitungen und Radio die Bevölkerung nicht erreichen, ziehen Theatertrupps mit Liedern und Sketchen zum Thema AIDS durchs Land. Die Folge: In Uganda sank die HIV-Rate innerhalb von fünf Jahren auf mehr als die Hälfte. Anders in Südafrika.
Die südafrikanische Regierung stellt sich nicht den Fakten und der größten Herausforderung dieses jungen Landes...
...kritisiert Dagmar Wittek, ARD-Korrespondentin in Johannesburg.
Mbeki leugnet sogar nach wie vor den direkten Zusammenhang zwischen dem HI-Virus und AIDS. Die Folge: Es gibt (...) kein staatliches Programm, die drohende AIDS-Katastrophe aufzuhalten. Zyniker vermuten, Mbeki hoffe, dass sich die akuten Probleme des Post-Apartheid-Staates Südafrika durch die Killerkrankheit AIDS von selber lösen.
Auch aktuelle Reportagen enthält der Band. Da ist von der unregierbar erscheinenden 15-Millionen-Stadt Lagos die Rede oder von den wie Pilze aus dem Boden schießenden Sektenkirchen. Mut macht eine Bildungsoffensive der neuen Regierung Kibaki in Kenia. Der Afrika-Sammelband ist übrigens hervorgegangen aus dem Schwerpunkt "Afrika" im Kulturprogramm des Südwestrundfunks, wo Mitherausgeber Jürgen Hoeren als Redakteur arbeitet. Insgesamt:
ein aktueller, in weiten Teilen gut lesbarer Überblick für Afrika-"Einsteiger".
Unter einem Afrika-Korrespondenten kann man sich sehr unterschiedliche Journalisten vorstellen. Entweder einen, der in Bermuda-Shorts am Swimmingpool liegt und gemütlich die Zeitungen der Region nach verwertbaren Meldungen durchblättert. Oder einen agilen Paparazzo in kugelsicherer Weste, der rastlos im Jeep unterwegs ist, um reißerische Stories über Krise, Krieg und Katastrophe zu liefern.
Nichts von beidem ist Michael Bitala, der seit 1999 von Kenias Hauptstadt Nairobi aus für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Einige Jahre hatte er für die Münchner Kultur- und Medienseiten des Blattes geschrieben. Dann kam der Vorschlag, nach Nairobi zu gehen. Kenias chaotische Hauptstadt erlebte Bitala als Kulturschock. Die Unübersichtlichkeit der wuchernden ostafrikanischen Metropole, die krassen sozialen Gegensätze stachelten seine Neugier an. Er sagte sich: Was ich wissen möchte, müsste auch die Leser interessieren.
Man erfährt eigentlich in der Berichterstattung sehr wenig über das Alltagsleben oder wie ein Kenianer denkt oder wie ein Kongolese denkt. Insofern dachte ich mir: Ich möchte sehr viele Alltagsgeschichten machen, Hintergrundgeschichten machen.
In seiner ersten Reportage berichtete Bitala über die "Matatu"-Fahrer in Nairobi:
Matatu sind die Minibusse hier, die wirklich völlig überladen sind mit dreißig, vierzig Leuten und keiner einzigen Anforderung des Straßenverkehrs entsprechen. Die Matatu-Fahrer haben einen sehr negativen Ruf, dass sie sich an überhaupt keine Gesetze halten, und dass das so eine Mafia ist.
Der frisch gebackene Afrika-Korrespondent entschloss sich, ein paar Tage lang einen Matatu-Fahrer zu begleiten.
Nein, nicht der Dicke! Der Minibus ist doch schon voll! In den rechten Oberschenkel bohrt sich das Steißbein eines dürren Schülers, der auch noch seinen Freund auf dem Schoß hat, auf dem linken liegt das Einkaufsbündel der Nachbarin, die mit ihrem Ellbogen verzweifelt gegen den Typen kämpft, der sich gerade neben sie gezwängt hat - und jetzt schiebt sich noch einer rein, ein Mann, so korpulent, dass er schon Mühe hätte, in den leeren Fond des Busses zu steigen.
Diese Reportage und 17 weitere Geschichten sind nun in einem Büchlein nachzulesen: "Der Löwe im Keller des Palastes". Hier geht es nicht um Staatsbesuche, Konferenzen und Parteiprogramme, sondern um den ostafrikanischen Alltag: Michael Bitala nimmt uns mit in Mama Winnie´s Hair Salon. Dessen Kundinnen sind ganz wild auf Packungen, die "Hell und schön" oder "Prinzessin" heißen - hochgiftige quecksilberhaltige Bleichmittel, um eine hellere Haut zu bekommen.
Die Leute verzichten eher aufs Abendessen als auf diese Cremes.
... erklärt ein Ladenbesitzer. Wir erfahren, warum man in Nairobis Spielcasino besser nicht zu viel gewinnt - eine Menge neidischer Augen nämlich haben den glücklichen Gewinner beobachtet, und die Chance, die Beute unversehrt nach Hause zu bringen, ist nicht besonders hoch. Und falls wir jemals von einem kenianischen Polizisten gefragt werden:
Wir wäre es mit einem kleinen Tee?
Dann wissen wir nun: Dies ist keine freundliche Einladung, sondern eine unverhohlene Drohung: Der Mann will Geld.
Neben solchen Alltags-Episoden heftet sich Michael Bitala auch an die Fersen von prominenten Europäern in Afrika. Etwa, um Gutes zu tun wie Karlheinz Böhm mit seiner Stiftung "Menschen für Menschen" in Äthiopien. Aber: Brauchen Journalisten denn immer wieder diese weißhäutigen Protagonisten, um das Leserinteresse für den vernachlässigten Kontinent zu wecken?
Ich glaube, dass so prominente Personen, die in Afrika tätig sind, natürlich immer ein Vehikel sind, dass man eine Geschichte transportieren kann aus Afrika, die nicht darauf hinaus läuft: Wir müssen jetzt wieder wahnsinnig viel Geld für die armen Äthiopier spenden, sondern auch mal ein bisschen Hintergrund bringt: Was ist das für ein Land, was wird da für eine Politik betrieben, warum sind die Leute so arm, wie sie immer noch sind?
Einmal Gott sein können, das wäre was. Zum Beispiel hier im äthiopischen Erer-Tal (...) Karlheinz Böhm steht da und sagt, dass er es nicht ertragen kann, so viel Leid zu sehen und zu wissen, wie reich und wohl behütet andere Menschen leben (...). Er küsst den Jungen, legt ihm die Hand auf den Kopf und verkündet der versammelten Dorfgemeinschaft: "Ich verspreche hiermit, dass Mumad in Deutschland operiert wird. Schon bald wird er laufen können.
Wer nicht nur wegen der schönen Strände und des majestätischen Kilimandscharo nach Ostafrika reisen will, ist gut beraten, Michael Bitalas Reportagen ins Reisegepäck zu stecken.
...die Vielfalt und Vielschichtigkeit des Kontinents ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit (...) rücken und damit ein realistischeres Bild von der afrikanischen Wirklichkeit (...) skizzieren, ohne die negativen Aspekte zu verschweigen.
Man stolpert allerdings über den Untertitel "Mythos und Zukunft" - so, als handele die Veröffentlichung zwar von der Entstehung afrikanischer Mythen und beschreibe Szenarien, was aus Afrika werden könne, spare aber die Gegenwart aus. Das aber ist - zum Glück - nicht der Fall.
Zwei der 19 Autorinnen und Autoren sind Afrikaner; die europäischen Mitarbeiter sind Wissenschaftler, Afrika-Praktiker und Journalisten. Kodjo Attikpoe, ein junger, in Frankfurt am Main lebender Literaturwissenschaftler, untersucht die "Afrika-Bilder in weißen Köpfen". Sein Fazit ist beschämend:
Das Image Afrikas ist im kollektiven Bewußtsein der Weißen im Kern ungebrochen negativ geblieben.
Der so genannte "Afrika- und Negermythos" sei von europäischen Entdeckern und Missionaren geprägt und mit pseudowissenschaftlichen Theorien unterfüttert worden, bei denen afrikanische "Primitivität" und europäische "Zivilisation" einander unversöhnlich gegenüber gestellt werden. Es ist in der Tat entlarvend, dass Heroen der europäischen Aufklärung wie Montesquieu sich zu Urteilen über Afrikaner verstiegen wie:
Man kann sich nicht vorstellen, dass Gott, der doch ein allweises Wesen ist, eine Seele, und gar noch eine gute Seele, in einen ganz schwarzen Körper gelegt habe.
Viele Beiträge zeichnen ein durchaus lebendiges und naturgemäß widersprüchliches Bild afrikanischer Wirklichkeit. Es wird deutlich, dass Politik in Afrika keineswegs ihre Gestaltungsmöglichkeiten verloren hat. Beispiel: AIDS. Täglich sterben in Afrika 6000 Menschen an der Immunschwäche. Aber der Umgang mit AIDS ist von Land zu Land unterschiedlich.
In Uganda hat Präsident Museveni die Herausforderung angenommen. Dort, wo Zeitungen und Radio die Bevölkerung nicht erreichen, ziehen Theatertrupps mit Liedern und Sketchen zum Thema AIDS durchs Land. Die Folge: In Uganda sank die HIV-Rate innerhalb von fünf Jahren auf mehr als die Hälfte. Anders in Südafrika.
Die südafrikanische Regierung stellt sich nicht den Fakten und der größten Herausforderung dieses jungen Landes...
...kritisiert Dagmar Wittek, ARD-Korrespondentin in Johannesburg.
Mbeki leugnet sogar nach wie vor den direkten Zusammenhang zwischen dem HI-Virus und AIDS. Die Folge: Es gibt (...) kein staatliches Programm, die drohende AIDS-Katastrophe aufzuhalten. Zyniker vermuten, Mbeki hoffe, dass sich die akuten Probleme des Post-Apartheid-Staates Südafrika durch die Killerkrankheit AIDS von selber lösen.
Auch aktuelle Reportagen enthält der Band. Da ist von der unregierbar erscheinenden 15-Millionen-Stadt Lagos die Rede oder von den wie Pilze aus dem Boden schießenden Sektenkirchen. Mut macht eine Bildungsoffensive der neuen Regierung Kibaki in Kenia. Der Afrika-Sammelband ist übrigens hervorgegangen aus dem Schwerpunkt "Afrika" im Kulturprogramm des Südwestrundfunks, wo Mitherausgeber Jürgen Hoeren als Redakteur arbeitet. Insgesamt:
ein aktueller, in weiten Teilen gut lesbarer Überblick für Afrika-"Einsteiger".
Unter einem Afrika-Korrespondenten kann man sich sehr unterschiedliche Journalisten vorstellen. Entweder einen, der in Bermuda-Shorts am Swimmingpool liegt und gemütlich die Zeitungen der Region nach verwertbaren Meldungen durchblättert. Oder einen agilen Paparazzo in kugelsicherer Weste, der rastlos im Jeep unterwegs ist, um reißerische Stories über Krise, Krieg und Katastrophe zu liefern.
Nichts von beidem ist Michael Bitala, der seit 1999 von Kenias Hauptstadt Nairobi aus für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Einige Jahre hatte er für die Münchner Kultur- und Medienseiten des Blattes geschrieben. Dann kam der Vorschlag, nach Nairobi zu gehen. Kenias chaotische Hauptstadt erlebte Bitala als Kulturschock. Die Unübersichtlichkeit der wuchernden ostafrikanischen Metropole, die krassen sozialen Gegensätze stachelten seine Neugier an. Er sagte sich: Was ich wissen möchte, müsste auch die Leser interessieren.
Man erfährt eigentlich in der Berichterstattung sehr wenig über das Alltagsleben oder wie ein Kenianer denkt oder wie ein Kongolese denkt. Insofern dachte ich mir: Ich möchte sehr viele Alltagsgeschichten machen, Hintergrundgeschichten machen.
In seiner ersten Reportage berichtete Bitala über die "Matatu"-Fahrer in Nairobi:
Matatu sind die Minibusse hier, die wirklich völlig überladen sind mit dreißig, vierzig Leuten und keiner einzigen Anforderung des Straßenverkehrs entsprechen. Die Matatu-Fahrer haben einen sehr negativen Ruf, dass sie sich an überhaupt keine Gesetze halten, und dass das so eine Mafia ist.
Der frisch gebackene Afrika-Korrespondent entschloss sich, ein paar Tage lang einen Matatu-Fahrer zu begleiten.
Nein, nicht der Dicke! Der Minibus ist doch schon voll! In den rechten Oberschenkel bohrt sich das Steißbein eines dürren Schülers, der auch noch seinen Freund auf dem Schoß hat, auf dem linken liegt das Einkaufsbündel der Nachbarin, die mit ihrem Ellbogen verzweifelt gegen den Typen kämpft, der sich gerade neben sie gezwängt hat - und jetzt schiebt sich noch einer rein, ein Mann, so korpulent, dass er schon Mühe hätte, in den leeren Fond des Busses zu steigen.
Diese Reportage und 17 weitere Geschichten sind nun in einem Büchlein nachzulesen: "Der Löwe im Keller des Palastes". Hier geht es nicht um Staatsbesuche, Konferenzen und Parteiprogramme, sondern um den ostafrikanischen Alltag: Michael Bitala nimmt uns mit in Mama Winnie´s Hair Salon. Dessen Kundinnen sind ganz wild auf Packungen, die "Hell und schön" oder "Prinzessin" heißen - hochgiftige quecksilberhaltige Bleichmittel, um eine hellere Haut zu bekommen.
Die Leute verzichten eher aufs Abendessen als auf diese Cremes.
... erklärt ein Ladenbesitzer. Wir erfahren, warum man in Nairobis Spielcasino besser nicht zu viel gewinnt - eine Menge neidischer Augen nämlich haben den glücklichen Gewinner beobachtet, und die Chance, die Beute unversehrt nach Hause zu bringen, ist nicht besonders hoch. Und falls wir jemals von einem kenianischen Polizisten gefragt werden:
Wir wäre es mit einem kleinen Tee?
Dann wissen wir nun: Dies ist keine freundliche Einladung, sondern eine unverhohlene Drohung: Der Mann will Geld.
Neben solchen Alltags-Episoden heftet sich Michael Bitala auch an die Fersen von prominenten Europäern in Afrika. Etwa, um Gutes zu tun wie Karlheinz Böhm mit seiner Stiftung "Menschen für Menschen" in Äthiopien. Aber: Brauchen Journalisten denn immer wieder diese weißhäutigen Protagonisten, um das Leserinteresse für den vernachlässigten Kontinent zu wecken?
Ich glaube, dass so prominente Personen, die in Afrika tätig sind, natürlich immer ein Vehikel sind, dass man eine Geschichte transportieren kann aus Afrika, die nicht darauf hinaus läuft: Wir müssen jetzt wieder wahnsinnig viel Geld für die armen Äthiopier spenden, sondern auch mal ein bisschen Hintergrund bringt: Was ist das für ein Land, was wird da für eine Politik betrieben, warum sind die Leute so arm, wie sie immer noch sind?
Einmal Gott sein können, das wäre was. Zum Beispiel hier im äthiopischen Erer-Tal (...) Karlheinz Böhm steht da und sagt, dass er es nicht ertragen kann, so viel Leid zu sehen und zu wissen, wie reich und wohl behütet andere Menschen leben (...). Er küsst den Jungen, legt ihm die Hand auf den Kopf und verkündet der versammelten Dorfgemeinschaft: "Ich verspreche hiermit, dass Mumad in Deutschland operiert wird. Schon bald wird er laufen können.
Wer nicht nur wegen der schönen Strände und des majestätischen Kilimandscharo nach Ostafrika reisen will, ist gut beraten, Michael Bitalas Reportagen ins Reisegepäck zu stecken.