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''Katzelmacher''

Mit dem 20. Jahrhundert erhob sich der Siegeszug des Kinos und des Fernsehens; am Ende wurde er total. Keine Kunst, es sei denn in kleinen Nischen, kommt mehr an ihren Pioniertaten und ästhetischen Errungenschaften vorbei. Naheliegend war, dass die sehr viel ältere Kunstform Oper, von deren Dramaturgie der Film erhebliche Erbschaften antrat, auf die so stark erwachsene Konkurrenz reagiert: dass das Musiktheater sich also filmischer Techniken bedient. Video-Opern etablierten sich als ein inzwischen eigenständig gewordenes Genre. Auch die Filmgeschichte gibt Stoff für neues Musiktheater her: Giorgio Battistelli komponierte schon vor Jahren nach Fellinis wunderbar chaotischem Film "Prova d'orchestra" für Strasbourg eine neue Oper. Und unlängst erwachten in Schwetzingen durch die Fortschreibungen des jungen Stuttgarter Komponisten Fredrik Zeller mit "Irma Vep" Louis Feuillades "Vampires"-Stummfilm-Szenen zu einem durchaus originellen neuen Bühnen-Leben.

Frieder Reininghaus berichtet |
    Nun ziehen die Wuppertaler Bühnen nach. Präsentiert wird in Oberbarmen mit "Katzelmacher" der Rekurs auf ein sozialkritisches Kammerspiel von 1968, das der Autor Rainer Werner Fassbinder selbst verfilmte. Kurt Schwertsik, ein notorisch verqueren Meister der neuen und neutonalen Musik aus Wien, verpasste der Folge kurzer harter Szenen aus der Nachkriegszeit eine nostalgietriefende Tonspur: gekonnt der Rekurs auf die 60er Jahre, hübsch "prollig" und richtig schön schräg.

    Kurt Schwertsik hat mit dem ihm eigenen Witz und mit Verve die Liebesbedürfnisse und den Sexualneid der jungen Leute in einer süddeutschen Kleinstadt à la Kurt Weill pointiert. Jede Nummer folgt einem musikalischen Gedanken, konstituiert sich aus einer (mitunter gebrochenen) Geste und einem Affekt – schematisch wie bei Barockmusik minderen Rangs. Intendiert ist damit, gewiss, die Fortschreibung des "gestischen Theaters" aus der Mitte des 20. Jahrhunderts – tief moralisch begründet und höchst eindeutig zielgerichtet.

    Der Wuppertaler Generalintendant Gerd Leo Kuck lässt Franz, Erich, Paul und ihre wechselnden Mädchen die große Langeweile, Nichtigkeit und Naivität richtig öde an der Wartestange der Bushalte ausstehen. "Einen Durst hab' ich", erklärt einer der eigentlich ganz netten jungen Männer in die Leere hinein, in die er mit seinen Kumpels hinausglotzt. Außer Durst, gegen den das Bier aus den Flaschen mit dem klassischen Schnappverschluss hilft, hat er auch eine Lohnkürzung bekommen; gegen die gibt es keine rasche Abhilfe wie gegen die Frustrationen, bei denen Ingrid gegen eine Aufbesserung ihres Taschengelds Erleichterung verschafft. Nonverbal. Mit ihrer Kehle will sie, in Kombination mit der Beinarbeit, in der Stadt reüssieren – als Sängerin.

    Rainer Werner Fassbinders Stück folgt einer simplen, unerbittlichen Mechanik. Die Leute im wirtschaftsboomenden Deutschland, dessen gesellschaftlicher Hauptstrom sie rechts liegen lässt, mögen keine "Hereingeschmeckten". Und Jorgos, den sie zuerst für einen Italiener halten, irritiert sie besonders, weil er – wie durch seinen Zimmer-Mitbewohner und dann durch die Überläuferin Marie bekannt wird – "besser gebaut ist – am Schwanz". Man macht Front gegen den "Katzelmacher". Der steht allerdings unter der besonderen Protektion der aufstrebenden Jungunternehmerin Elisabeth Platter, deren Dynamik, Souveränität und Weltläufigkeit sich vom Puppendorfhintergrund positiv abhebt. Die jungen Männer aber schaukeln sich in ihren Aversionen gegen den Gastarbeiter aus Griechenland hoch: "Kastrieren sollte man ihn – und sonst gar nichts". Sie verspotten sein unbeholfenes, gebrochenes Deutsch. Und irgend wann schlagen sie ihn zusammen. Gerd Leo Kucks Inszenierung in Herbert Kapplmüllers historistisch genauer Kostümierung hebt den Lehrstückcharakter hervor. Die guten Absichten des neuen Wuppertaler "Katzelmachers" waren nicht zu überhören und zu übersehen. Doch Dumpfdeutschland ist heute keine solche Idylle mehr.

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