Kurt Schwertsik hat mit dem ihm eigenen Witz und mit Verve die Liebesbedürfnisse und den Sexualneid der jungen Leute in einer süddeutschen Kleinstadt à la Kurt Weill pointiert. Jede Nummer folgt einem musikalischen Gedanken, konstituiert sich aus einer (mitunter gebrochenen) Geste und einem Affekt – schematisch wie bei Barockmusik minderen Rangs. Intendiert ist damit, gewiss, die Fortschreibung des "gestischen Theaters" aus der Mitte des 20. Jahrhunderts – tief moralisch begründet und höchst eindeutig zielgerichtet.
Der Wuppertaler Generalintendant Gerd Leo Kuck lässt Franz, Erich, Paul und ihre wechselnden Mädchen die große Langeweile, Nichtigkeit und Naivität richtig öde an der Wartestange der Bushalte ausstehen. "Einen Durst hab' ich", erklärt einer der eigentlich ganz netten jungen Männer in die Leere hinein, in die er mit seinen Kumpels hinausglotzt. Außer Durst, gegen den das Bier aus den Flaschen mit dem klassischen Schnappverschluss hilft, hat er auch eine Lohnkürzung bekommen; gegen die gibt es keine rasche Abhilfe wie gegen die Frustrationen, bei denen Ingrid gegen eine Aufbesserung ihres Taschengelds Erleichterung verschafft. Nonverbal. Mit ihrer Kehle will sie, in Kombination mit der Beinarbeit, in der Stadt reüssieren – als Sängerin.
Rainer Werner Fassbinders Stück folgt einer simplen, unerbittlichen Mechanik. Die Leute im wirtschaftsboomenden Deutschland, dessen gesellschaftlicher Hauptstrom sie rechts liegen lässt, mögen keine "Hereingeschmeckten". Und Jorgos, den sie zuerst für einen Italiener halten, irritiert sie besonders, weil er – wie durch seinen Zimmer-Mitbewohner und dann durch die Überläuferin Marie bekannt wird – "besser gebaut ist – am Schwanz". Man macht Front gegen den "Katzelmacher". Der steht allerdings unter der besonderen Protektion der aufstrebenden Jungunternehmerin Elisabeth Platter, deren Dynamik, Souveränität und Weltläufigkeit sich vom Puppendorfhintergrund positiv abhebt. Die jungen Männer aber schaukeln sich in ihren Aversionen gegen den Gastarbeiter aus Griechenland hoch: "Kastrieren sollte man ihn – und sonst gar nichts". Sie verspotten sein unbeholfenes, gebrochenes Deutsch. Und irgend wann schlagen sie ihn zusammen. Gerd Leo Kucks Inszenierung in Herbert Kapplmüllers historistisch genauer Kostümierung hebt den Lehrstückcharakter hervor. Die guten Absichten des neuen Wuppertaler "Katzelmachers" waren nicht zu überhören und zu übersehen. Doch Dumpfdeutschland ist heute keine solche Idylle mehr.
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