Michael Groth: Herr Kauder, im Irak sind abermals zwei Deutsche entführt worden. Haben die Merkwürdigkeiten und Indiskretionen im Fall Osthoff möglicherweise den Eindruck verbreitet, die Bundesrepublik sei erpressbar und damit die Gefahr für deutsche Staatsbürger vergrößert?
Volker Kauder: Zunächst einmal gilt unsere ganze Sorge den beiden Geiseln, das Mitgefühl den Angehörigen. Und wir wissen, dass der Irak ein schwieriges Feld ist, und deswegen muss man leider Gottes immer damit rechnen, wenn Ausländer im Irak sind, dass da etwas passiert. Und mit dem Fall Osthoff und mit dem, was dort geschehen ist, hat das überhaupt nichts zu tun.
Groth: Aus der Unionsfraktion werden Forderungen laut, die Firma der beiden Entführten solle sich an den Kosten beteiligen, die den deutschen Steuerzahlern in dem Fall entstehen. Können Sie sich solchen Forderungen anschließen?
Kauder: Im Augenblick habe ich wirklich nur den Gedanken daran, dass wir diese beiden Deutschen frei bekommen müssen, dass alles getan werden muss, damit sie lebend nach Deutschland zurück kommen können. Sie haben immerhin in einer ganz bestimmten Notsituation Menschen helfen wollen. Und deswegen beteilige ich mich an solchen Diskussionen nicht, für die ich auch im Augenblick kein Verständnis habe.
Groth: Einen Untersuchungsausschuss über die Rolle, die der Bundesnachrichtendienst im Irak spielte, wird es wohl nicht geben. Die Regierung will Ende Februar einen Bericht vorlegen, der die Fragen der Opposition beantwortet. Sollte darin nach Ihrer Ansicht auch der Fall el-Masri berücksichtigt werden, also der von den Amerikanern nach Afghanistan verschleppte Deutsch-Libanese, sowie die Befragungen von Verdächtigen, etwa in Syrien oder Guantanamo, die in Gefängnissen sitzen, wo Folter nicht auszuschließen ist?
Kauder: Das parlamentarische Kontrollgremium hat die Aufgabe, die Arbeit der Dienste in der Bundesrepublik Deutschland zu kontrollieren und die Dienste der Bundesrepublik Deutschland zu kontrollieren. Deswegen wird es einen Bericht geben über das, was der Bundesnachrichtendienst im Irak getan hat. Und der Bericht wird, so wie ich die Dinge im Augenblick sehe und wie ich informiert bin, keinerlei Anhaltspunkte dafür geben, dass rechtswidrig gehandelt wurde. Die anderen Fragen, die Sie angesprochen haben, die sind einer allgemeinen politischen Diskussion bereits jetzt zugänglich, weil wir wissen, was in Guantanamo passiert und weil wir auch wissen, dass Leute vom Bundeskriminalamt an Verhören teilgenommen haben. Darüber kann man jetzt in den zuständigen Ausschüssen diskutieren, ob dies in Zukunft möglich sein soll oder nicht. Ich kann nur sagen, die Sicherheitslage in unserem Land erfordert notwendige Maßnahmen. Eines ist für mich aber auch klar. Erstens: In einem demokratischen System darf es keine rechtlosen Menschen geben. Zweitens: Wir dürfen uns nicht an Folter beteiligen, Folter ist zu ächten, Folter darf nicht zum Mittel der Politik werden. Und deswegen lehne ich dies auch radikal ab. Eine ganz andere Frage ist natürlich – und da sieht man, auf welchem schmalen Grat man sich bewegt –, wenn man Informationen bekommt, dass irgend jemand gesagt hat, an diesem oder jenem Tag wird ein Anschlag dort oder dort passieren und man weiß, dass diese Aussage unter Folter heraus gekommen ist, dürfte es sehr schwer werden zu sagen, deswegen mache ich überhaupt keine Sicherheitsmaßnahmen, ich nehme das nicht zur Kenntnis.
Groth: Glauben Sie, dass der Bericht die Opposition zufrieden stellen wird, oder anders herum gefragt: Ist der Untersuchungsausschuss endgültig vom Tisch?
Kauder: Ich glaube schon, dass der Bericht all die Fragen klären kann, die die Opposition hat. Ob der Untersuchungsausschuss endgültig vom Tisch ist, muss die Opposition entscheiden. Ich sehe aber nach wie vor für einen solchen Ausschuss keine Notwendigkeit.
Groth: Die Debatte über die Familienpolitik beherrscht seit Wochen die Schlagzeilen. Aus dem auf der Kabinettsklausur in Genshagen beschlossenen 25-Milliarden-Investitionspaket sind 460 Millionen Euro als Steuererleichterung für die Kinderbetreuung von Familien vorgesehen. Nach dem Wunsch der Bundesregierung sollte dies von einem Sockelbetrag von 1000 Euro an geschehen und maximal bis 4000 Euro reichen. Kaum war der Beschluss gefasst, da wurden Forderungen nach Korrekturen laut, etwa vom SPD-Vorsitzenden Platzeck. Der wünscht sich mehr Verteilungsgerechtigkeit. Die CSU schließt sich an. Streit gab es dann auch darüber, ob die Regelung nur für Doppelverdiener gelten soll oder auch für Familien, in denen nur ein Partner den Lebensunterhalt verdient. Seither wird diskutiert, wird nachgebessert. Ist das eine Vorschau darauf, wie die große Koalition auch in Zukunft ihre Kompromisse schmiedet?
Kauder: Die große Koalition hat in Genshagen und auch in den Fraktionen in großer Einmütigkeit das 25-Milliarden-Investitionsprogramm auf den Weg gebracht. Sie hören nirgendwo Diskussionen über die Frage der zusätzlichen Investitionen in der Wissenschaft, über die zusätzlichen Investitionen im Straßenbau, bei der Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen, Dienstleistungen hören Sie überhaupt nicht. Also es ist ein Beispiel dafür, wie eine Regierung perfekt arbeitet. Es gibt bei einem Thema tatsächlich Diskussionen, und das ist ein sehr sensibles Thema und ein auch grundsätzliches und mit Werten besetztes Thema. Man muss wissen, was man will. Die Bundesregierung wollte, dass zusätzliche Arbeit geschaffen wird, damit wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen, und da soll der Haushalt ein Arbeitgeber sein. Und da hat man dann gesagt: Okay, wer im Haushalt einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz schafft, soll Kosten in einem bestimmten Umfang auch von der Steuer absetzen können. Da man Grenzen einziehen musste, damit es nicht zu viel kostet, hat man gesagt, es soll vor allem dort geschehen, wo beide Eltern berufstätig sind, weil sie ja auch in besonderer Weise Betreuungsbedarf haben und in den Familien, wo nur einer berufstätig ist, könne die Betreuung ja auch leichter in der Familie selbst organisiert werden. Nach dem Beschluss wurde dann darüber diskutiert, dass der Eigenbehalt von 1000 Euro zu hoch sei, damit könnten Kindergartenbeiträge nur begrenzt abgesetzt werden. Das war die SPD, die diese Diskussion geführt hat. Damit ist sie schon auf eine familienpolitische Fährte gebracht worden. Es ging nicht darum, Kindergartenbeiträge von der Steuer abzusetzen, sondern es ging darum, Arbeit im Haushalt zu schaffen. Nach dieser von der SPD begonnenen Diskussion begann die Diskussion auch innerhalb der Union und auf einmal hatten wir eine familienpolitische und keine arbeitspolitische Debatte mehr. Bei einer familienpolitischen Debatte ist natürlich immer die Frage, muss man dort hin verteilen, wo weniger ist – was die SPD jetzt vor hat – oder muss man alle Familien gleich behandeln – in der Diskussion befinden wir uns. Ich kann nur dringend raten, dass wir uns wieder auf das besinnen, worum es ging: Zusätzliche Arbeit zu schaffen. Dazu braucht man jetzt noch etwas Zeit, es müssen noch Berechnungen angestellt werden. Aber diese Diskussion, die im übrigen auch deswegen gar nicht so problematisch ist, wie manche sehen, zeigt ja, dass wir uns mit Familie und mit den verschiedenen Lebensformen der Familie sehr intensiv auseinandersetzen. Und darüber kann es ruhig mal Diskussionen geben. Es ist ja ein wichtiges Thema, das sehr viele Menschen, fast alle in unserem Land, betrifft.
Groth: Kann es sein, dass dieser oder jener Spitzenpolitiker da auch in einen Konflikt zwischen Sachpolitik und Profilierungszwängen gerät?
Kauder: Diese Gedanken habe ich nicht. Das sehe ich auch nicht, sondern es geht hier wirklich ernsthaft um verschiedene gesellschaftspolitische Ansätze. Und an diesem Thema wird deutlich, dass die Union, CDU/CSU, und SPD zwei verschiedene Parteien sind.
Groth: Am Freitag gab es Meldungen, dass neben Doppelverdienen und Alleinerziehenden auch Alleinverdiener den Steuervorteil für Kinder unter 14 Jahren nutzen können. Darüber hinaus hieß es, dass der Sockelbetrag von 1000 auf 750 bis 700 Euro gesenkt werde. Stimmt das?
Kauder: Bei so vielen, sich auch zum Teil widersprechenden Meldungen wird es gut sein, wenn der Vorsitzende der größten Fraktion im deutschen Bundestag sich dann äußert, wenn wir zu Ergebnissen gekommen sind.
Groth: Wann wird das sein, Herr Kauder?
Kauder: Das wird im Laufe der nächsten Woche so sein.
Groth: Steht hinter dieser öffentlich geführten Debatte auch eine Auseinandersetzung über ein neues Familienbild?
Kauder: Ich habe ja gesagt: Familie ist ein sehr sensibles Thema. Jeder hat eine Vorstellung davon, weil jeder in einer Familie lebt und aus einer Familie kommt. Jeder hat ganz bestimmte Vorstellungen, wie er Familie gestalten will. Ich glaube, dass wir zwei Dinge sehen sollten. Erstens: Junge Leute müssen ihre Familie so gestalten können, wie sie es wollen. Der Staat hat sich in die Gestaltung der Familie, in das Privatleben von Menschen nicht einzuschalten. Zweitens: Der Staat muss Bedingungen schaffen, dass möglichst viele Menschen ihr vielfältiges Familienbild auch tatsächlich gestalten können. Das heißt, wir müssen einmal Möglichkeiten schaffen, dass Familie und Beruf vereinbar ist. In der Altersgruppe um die 30 Jahre herum, wo sehr viele Frauen ihr erstes Kind bekommen, haben wir eine Frauenerwerbstätigkeit, die liegt über 80 Prozent. Da hat sich radikal etwas verändert zur Zeit meiner Mutter. Das heißt, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sehr viele Frauen dann, wenn sie ihr erstes Kind bekommen, im Beruf sind. Jetzt gibt es Frauen, die sagen, da bleibe ich zuhause, die ganz bewusst sagen, ich will ausschließlich mich meinem Kind in den ersten Jahren zumindest widmen. Und es gibt Frauen, die sagen, ich möchte in meinem Beruf weiter machen. Jede dieser Entscheidungen ist für mich gleichwertig, und jede muss möglich sein. Da darf nicht diejenige Frau, die in den Beruf zurückgeht, scheel auf die gucken, die zu Hause ihre Kinder betreut, und auch die andere nicht. Und jede Frau muss dann dafür auch die Konsequenzen tragen für das, wie sie sich entschieden hat. Aber wir müssen es beiden ermöglichen, so zu leben wie sie leben wollen. Das heißt, ich muss Betreuungsangebote machen für die Frauen, die in den Beruf zurück wollen und ich muss auch Angebote machen in den Familien über diese Betreuungsangebote hinaus, in den Familien Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und die Betreuung in der Familie zu organisieren. Beides muss ich tun und natürlich muss ich auch noch den Familien finanzielle Möglichkeiten geben, dass sie ihre Entscheidung auch wirklich leben können.
Groth: Die große Koalition regiert jetzt bald 100 Tage, geprägt bislang von Friedfertigkeit zwischen Union und SPD. Gehen die Flitterwochen langsam zu Ende, auch mit Blick auf drei Landtagswahlen, die jetzt im März stattfinden werden?
Kauder: Die große Koalition hat ja einen bemerkenswerten Start, der natürlich auch mit der Arbeit der Bundeskanzlerin zusammenhängt, wie sie auch zusammenführt und wie sie auch mit schwierigen Partnern, beispielsweise Russland, umgeht. In der Innenpolitik fangen wir jetzt an mit der Umsetzung. Wie gesagt, wir haben ja bereits doch schon viel erreicht mit dem 25-Milliarden-Paket, das weitgehend geräuschlos bis auf die schwierige Familienfrage gegangen ist. Wir haben jetzt schwierige Fragen vor uns. Da geht es um die Arbeitsmarktpolitik, dann kommt die Gesundheitsreform. Es gibt im Leben nicht nur Freudenfeste, sondern es gibt auch harte Arbeit, wo man auch mal das Ächzen und Stöhnen derjenigen hört, die diese Arbeit machen müssen. Das darf man nicht gleich als Ende der Flitterwochen betrachten. Aber wenn Sie das Beispiel schon so nehmen wollen, ja, es zieht überall, auch nach schönen Erlebnissen, Alltag ein. Alltag ist nicht immer nur eine durchweg fröhliche Geschichte.
Groth: Sie haben die hohen Zustimmungswerte für die Kanzlerin angesprochen. Andererseits ist die SPD in Umfragen weiter auf Talfahrt. Muss das nicht Auswirkungen auf die Koalition haben?
Kauder: Es sollte keine Auswirkungen auf die Koalition haben. Wir haben uns eine Arbeitszeit von vier Jahren verordnet und dafür einen Vertrag unterschrieben. Und in vier Jahren kann sich viel ändern. Also, wenn man schon zum Start dadurch ein bisschen in Straucheln gerät, weil jetzt die Meinungsumfragen nicht ganz so optimal laufen, da kann ich nur daran erinnern: Was haben uns Meinungsforscher im Jahr 2005 alles vorausgesagt und wie kam es dann? Da würde ich mal zu mehr Gelassenheit raten. Im Übrigen kann ich nur sagen: Wer jetzt in der großen Koalition Sand ins Getriebe streut – das werden die Menschen ja sehen, die erwarten ja, dass wir arbeiten –der wird in den Meinungsumfragen nicht nach vorne kommen.
Groth: Sie kommen aus Baden-Württemberg. Auch da wird im März gewählt. Wie können sich Ihre Parteifreunde dort profilieren einerseits, ohne andererseits – ich greife Ihre Worte auf – Sand ins Getriebe des Berliner Betriebes zu werfen?
Kauder: Also, in Baden-Württemberg ist die Argumentation auch für einen, der in der großen Koalition mit arbeitet, einfach. In Baden-Württemberg können wir sagen, da haben wir eine von der CDU geführte Landesregierung, die eine hervorragende Arbeit macht. Und in Berlin haben wir eine jetzt von der CDU geführte Regierung. Gleich bessert sich die Stimmung. Es ist also gut, wenn die CDU-Regierung führt. Dort, wo sie es schon jetzt tut, soll es so bleiben, und dort, wo es noch nicht so ist, soll es so werden.
Groth: Herr Kauder, jede Regierung ist gut beraten, die schmerzhaften Entscheidungen zu Beginn der Legislaturperiode zu treffen. Roland Koch hat während der Koalitionsberatungen Heulen und Zähneklappern angekündigt. Nun herrscht überall Frieden und Freude. Ist das angesichts der Probleme des Landes wirklich der richtige Weg?
Kauder: Die Menschen wissen doch ganz genau, dass es ohne Veränderungen nicht gehen wird. Wir haben den Menschen ein Investitionsprogramm angekündigt und setzen es um. Wir haben ihnen aber auch gesagt, dass wir ohne Belastungen nicht auskommen. Wir müssen deshalb die Verbrauchssteuer, die Mehrwertsteuer ab dem 1.1.2007 erhöhen. Dafür versprechen wir, die Absenkung in fast gleicher Höhe bei den Lohnzusatzkosten und Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Also, wir haben den Menschen klar gesagt, was wir vorhaben. Solche martialischen Begriffe wie Heulen und Zähneklappern sind nicht so meine Sprache. Wir werden in kleinen Schritten vorankommen, weiterkommen, die Arbeitslosigkeit bekämpfen, unser Land modernisieren und reformieren. Wenn wir dieses nicht tun, dann könnte es ein böses Erwachen geben.
Groth: Noch vor einem halben Jahr war die SPD Ihr großer politischer Gegner. Die können es nicht, hieß es in der Union und vice versa in der SPD. Nun können es offenkundig alle. Was ist da passiert? Wie ist die Stimmung in der Fraktion?
Kauder: Also, natürlich haben wir uns im Jahr 2005 auf eine ganz andere Regierungskonstellation vorbereitet. Wir haben auch eine andere Konstellation erwartet. Und das Wahlergebnis hat uns dann schon zunächst einmal Probleme gemacht, mir auch. Ich als Generalsekretär war doch zunächst enttäuscht über das Wahlergebnis. Aber dann ist man als in die Verantwortung gestellter Politiker ja aufgerufen, zunächst das Land, die Menschen und dann die Interessen der eigenen Partei und dann vor allem ganz zum Schluss seine eigenen zu sehen. Und diese Sichtweise hat erfordert, dass wir dem Land eine Regierung stellen, eine Regierung, die das Land voran bringen kann. So sind wir aufeinander zugegangen. Und wir haben jetzt ein Zweckbündnis, mit dem wir vier Jahre lang versuchen wollen, das Land voran zu bringen und bis jetzt lässt es sich ganz gut an. Die Unterschiede sind nach wie vor da. Ich habe es ja vorhin schon bei der Familienpolitik gesagt. Wir fusionieren ja nicht, wir werden auch keine Einheitspartei, sondern es bleiben unterschiedliche Parteien, die sich für eine ganz bestimmte Zeit mit einem ganz konkreten Auftrag – Arbeitslosigkeit bekämpfen, Land modernisieren, neue Chancen schaffen – auf den Weg gemacht hat.
Groth: Gibt es in der Fraktion noch Widerstandsnester?
Kauder: Die Fraktion ist in der großen Koalition wirklich angekommen. Und ich kann nur sagen, die letzten Monate habe ich eine großartige Fraktion erlebt. Also, ich kann nur sagen, diese Fraktion ist toll und ohne eine solche tolle Fraktion wären wir nicht so weit gekommen, wie wir jetzt gekommen sind. Dass natürlich bei der einen oder anderen Frage, jetzt Familienpolitik oder bei der Umsetzung von Gesetzen, die Fraktion nicht nur oder überhaupt nicht Abnickverein der Regierung sein kann, ist doch selbstverständlich. Da muss sie auch ihre eigene Identität wahren können. Das heißt also, wir diskutieren über die Gesetze, die die Bundesregierung vorlegt, und da haben wir auch unsere eigenen Vorstellungen, die dann wieder mit der SPD abgestimmt werden müssen. Also, wir zeigen, dass wir es miteinander können, aber guter Umgang, gute Stimmung, auch Harmonie heißt noch lange nicht, dass man alles einfach bloß so macht, sondern es geht schon um die Sache. Und da gibt es auch mal unterschiedliche Vorstellungen, und da darf nicht jede Diskussion gleich als Streit betrachtet werden.
Groth: Die Gesundheitsreform wurde im Koalitionsvertrag ausgeklammert, weil sich die Positionen, SPD Bürgerversicherung, Union Gesundheitspauschale, nicht zusammenbringen ließen. Wann werden in dieser Sache koalitionsinterne Gespräche beginnen?
Kauder: Also, wir haben gesagt, dass wir im zweiten Quartal dieses Jahres mit den Gesprächen beginnen wollen. Es sind noch eine ganze Reihe von Vorklärungen zu machen. Ich finde, dass man zunächst einmal alle Fakten zusammentragen soll und nicht in eine Kommission hinein gehen soll nach dem Motto, also, jetzt treffen wir uns in einer Kommission und dort machen wir uns einmal sachkundig miteinander und dann schauen wir mal, was da raus kommt, sondern man muss schon die genauen Positionen kennen. Also, im zweiten Quartal werden wir die Arbeit beginnen. Das wird eine schwere Arbeit, weil es da natürlich darum geht, unterschiedlichste Interessen zunächst einmal im Gesundheitssystem selber zusammen zu bringen. Denn unabhängig von der politischen Ausgangslage der Koalitionsparteien geht es darum, dass die Leistungsanbieter, die Ärzte, die pharmazeutische Industrie, Krankenhäuser ihre Vorstellungen haben, dass die Krankenkassen ihre Vorstellungen haben, und wir, die wir die Interessen natürlich auch der Beitragszahler und der Arbeitsplatzsituation bedenken müssen, und dann gibt es auch unterschiedliche gesellschaftspolitische Vorstellungen und dann vor allem begrenzte Mittel.
Groth: Wo sehen Sie eher einen Lösungsansatz, auf der Einnahmenseite oder auf der Ausgabenseite?
Kauder: Ich glaube, wir brauchen sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite Bewegung. Die Ausgabenseite ist dann am besten zu bewerkstelligen, wenn wir mehr Transparenz und mehr Wettbewerb bekommen. Da wäre eine Prämie, die wir zur Verfügung stellen an die Krankenkassen und die dann in den Wettbewerb treten können, ob sie mit dieser Prämie auskommen oder ob sie auch billiger sein können, wäre eine gute Lösung. Und auf der Einnahmenseite sollten wir es auf jeden Fall erreichen, dass die Kosten der Krankenversicherung nicht immer die Löhne so belasten, dass wir im Wettbewerb Schwierigkeiten haben. Das werden die großen Themen sein.
Groth: Der Finanzminister mahnt zu Haushaltsdisziplin. Demnächst wird über ein Haushaltsbegleitgesetz beraten. Stehen Sie, was den strikten Sparkurs anbelangt, unverrückbar an der Seite Steinbrücks?
Kauder: Da kann ich ein uneingeschränktes Ja sagen. Die Frage der Nachhaltigkeit ist immer bei der Umweltpolitik gemacht worden, dass die Umwelt nachhaltig erhalten werden muss auch für zukünftige Generationen, das ist ein Punkt. Aber wenn eine nachwachsende Generation in einer nachhaltig geschützten Umwelt aufwachsen soll, aber ihr Leben nicht mehr gestalten kann, weil sie vor lauter Schulden nicht mehr weiß, was zu tun ist, dann ist dies mindestens für Nachhaltigkeit so wichtig wie bei der Umweltpolitik, dass wir endlich mit der Verschuldenspolitik aufhören.
Groth: Die Gewerkschaft ver.di hat jetzt Streiks im öffentlichen Dienst angekündigt. Sie will damit unter anderem gegen längere Arbeitszeit demonstrieren. Passt das in die Landschaft?
Kauder: Ich habe für viele Forderungen, die Arbeitnehmer aufstellen, Verständnis, aber dass man gerade im öffentlichen Dienst an der Arbeitszeit rummacht, dafür habe ich wenig Verständnis. Ich kann den Satz nicht teilen, dass man mit immer weniger Arbeit immer mehr Wohlstand erwirtschaften kann. Es muss nicht jeder 50 oder 60 Stunden arbeiten wie ich, es muss auch nicht in jedem Betrieb gleich viel gearbeitet werden. Wenn keine Arbeit da ist, kann die Arbeitszeit auch reduziert werden. Aber grundsätzlich muss gelten: Es ist überhaupt kein Problem, 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Schauen Sie in die Schweiz, dort arbeitet die Kassiererin in den Läden auch über 40 Stunden. Und man kann nicht sagen, dass die Schweiz ein Schwellenland sei.
Groth: Ein vor der Wahl von der CDU immer wieder genanntes Thema ist die Tarifautonomie. Flächentarifverträge sollten, so hieß es, zu Gunsten von betrieblichen Vereinbarungen zurücktreten. Mit der SPD ist das offenkundig nicht durchzusetzen. Also von der Agenda gestrichen für die nächsten Jahre?
Kauder: Diese Forderung, die wir erhoben haben im letzten Jahr, ist richtig, und sie könnte auch helfen, dass wir mit mehr Flexibilität, mehr Eigenverantwortung in den Betrieben bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein weiteres wichtiges Instrument in die Hand bekämen. Mit der SPD ist dies nach dem jetzigen Stand nicht zu machen. In einer großen Koalition kann man nicht 100 Prozent seines Programms durchsetzen. Jetzt müssen wir schauen, wie weit wir mit dem, was wir bisher haben vereinbaren können, kommen. Die Forderung ist aber damit im Programmatischen der Union nicht vom Tisch, auch wenn sie im Programmatischen der großen Koalition nicht auf der Tagesordnung steht.
Groth: Ein anderer schwieriger Fall ist die Energiepolitik. Das regelt zwar der Koalitionsvertrag. Man werde am von Rot-Grün beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie festhalten. Führende Unionspolitiker wünschen sich indes längere Laufzeiten, und der hessische Ministerpräsident denkt sogar laut über neue Kernkraftwerke nach. Wenn die Positionen offenkundig so festgefahren sind, wie es scheint, wozu dann der für April angekündigte Energiegipfel?
Kauder: Energie darf vor allem nicht zu einer neuen sozialen Frage werden, dass sich nur noch die wirklich ausreichend Energie leisten können, die Geld haben und die anderen nicht. Deswegen ist es eine der zentralen Aufgaben der Politik, die notwendige Energie zur Verfügung zu stellen. Da muss man die Frage beantworten: Wie machen wir dieses? Und ich glaube, dass es kaum ein Thema gibt in Deutschland, wo so viel Realitätsverweigerung stattfindet wie bei der Energie. Und deshalb ist es gut, wenn man in einem Energiegipfel mal die Positionen darstellt, auch mal Perspektiven entwickelt. Ich bin sehr für alternative, regenerative, ökologisch gewonnene Energie, aber das wird das Zukunftsproblem nicht lösen. Also, es muss an großtechnische Energiegewinnung nach wie vor herangegangen werden. Deswegen sind alle nun aufgerufen, Alternativen zur Kernenergie zu finden. Ich bin überhaupt keiner, der sagt: Kernenergie, eine ganz tolle Geschichte, ich kann mir überhaupt nichts schöneres vorstellen. Aber ich sehe die Alternative noch nicht. Ich bin schon der Meinung, dass wir uns natürlich an den Koalitionsvertrag halten müssen, dass wir aber auch die Frage klären müssen, und zwar ehrlich, woher kommt die Energie auch in den nächsten Jahrzehnten? Da muss man langfristig arbeiten. Und eines sage ich auch: Ich möchte nicht gerne mit der Energieversorgung von einem Land stark überproportional abhängig werden.
Volker Kauder: Zunächst einmal gilt unsere ganze Sorge den beiden Geiseln, das Mitgefühl den Angehörigen. Und wir wissen, dass der Irak ein schwieriges Feld ist, und deswegen muss man leider Gottes immer damit rechnen, wenn Ausländer im Irak sind, dass da etwas passiert. Und mit dem Fall Osthoff und mit dem, was dort geschehen ist, hat das überhaupt nichts zu tun.
Groth: Aus der Unionsfraktion werden Forderungen laut, die Firma der beiden Entführten solle sich an den Kosten beteiligen, die den deutschen Steuerzahlern in dem Fall entstehen. Können Sie sich solchen Forderungen anschließen?
Kauder: Im Augenblick habe ich wirklich nur den Gedanken daran, dass wir diese beiden Deutschen frei bekommen müssen, dass alles getan werden muss, damit sie lebend nach Deutschland zurück kommen können. Sie haben immerhin in einer ganz bestimmten Notsituation Menschen helfen wollen. Und deswegen beteilige ich mich an solchen Diskussionen nicht, für die ich auch im Augenblick kein Verständnis habe.
Groth: Einen Untersuchungsausschuss über die Rolle, die der Bundesnachrichtendienst im Irak spielte, wird es wohl nicht geben. Die Regierung will Ende Februar einen Bericht vorlegen, der die Fragen der Opposition beantwortet. Sollte darin nach Ihrer Ansicht auch der Fall el-Masri berücksichtigt werden, also der von den Amerikanern nach Afghanistan verschleppte Deutsch-Libanese, sowie die Befragungen von Verdächtigen, etwa in Syrien oder Guantanamo, die in Gefängnissen sitzen, wo Folter nicht auszuschließen ist?
Kauder: Das parlamentarische Kontrollgremium hat die Aufgabe, die Arbeit der Dienste in der Bundesrepublik Deutschland zu kontrollieren und die Dienste der Bundesrepublik Deutschland zu kontrollieren. Deswegen wird es einen Bericht geben über das, was der Bundesnachrichtendienst im Irak getan hat. Und der Bericht wird, so wie ich die Dinge im Augenblick sehe und wie ich informiert bin, keinerlei Anhaltspunkte dafür geben, dass rechtswidrig gehandelt wurde. Die anderen Fragen, die Sie angesprochen haben, die sind einer allgemeinen politischen Diskussion bereits jetzt zugänglich, weil wir wissen, was in Guantanamo passiert und weil wir auch wissen, dass Leute vom Bundeskriminalamt an Verhören teilgenommen haben. Darüber kann man jetzt in den zuständigen Ausschüssen diskutieren, ob dies in Zukunft möglich sein soll oder nicht. Ich kann nur sagen, die Sicherheitslage in unserem Land erfordert notwendige Maßnahmen. Eines ist für mich aber auch klar. Erstens: In einem demokratischen System darf es keine rechtlosen Menschen geben. Zweitens: Wir dürfen uns nicht an Folter beteiligen, Folter ist zu ächten, Folter darf nicht zum Mittel der Politik werden. Und deswegen lehne ich dies auch radikal ab. Eine ganz andere Frage ist natürlich – und da sieht man, auf welchem schmalen Grat man sich bewegt –, wenn man Informationen bekommt, dass irgend jemand gesagt hat, an diesem oder jenem Tag wird ein Anschlag dort oder dort passieren und man weiß, dass diese Aussage unter Folter heraus gekommen ist, dürfte es sehr schwer werden zu sagen, deswegen mache ich überhaupt keine Sicherheitsmaßnahmen, ich nehme das nicht zur Kenntnis.
Groth: Glauben Sie, dass der Bericht die Opposition zufrieden stellen wird, oder anders herum gefragt: Ist der Untersuchungsausschuss endgültig vom Tisch?
Kauder: Ich glaube schon, dass der Bericht all die Fragen klären kann, die die Opposition hat. Ob der Untersuchungsausschuss endgültig vom Tisch ist, muss die Opposition entscheiden. Ich sehe aber nach wie vor für einen solchen Ausschuss keine Notwendigkeit.
Groth: Die Debatte über die Familienpolitik beherrscht seit Wochen die Schlagzeilen. Aus dem auf der Kabinettsklausur in Genshagen beschlossenen 25-Milliarden-Investitionspaket sind 460 Millionen Euro als Steuererleichterung für die Kinderbetreuung von Familien vorgesehen. Nach dem Wunsch der Bundesregierung sollte dies von einem Sockelbetrag von 1000 Euro an geschehen und maximal bis 4000 Euro reichen. Kaum war der Beschluss gefasst, da wurden Forderungen nach Korrekturen laut, etwa vom SPD-Vorsitzenden Platzeck. Der wünscht sich mehr Verteilungsgerechtigkeit. Die CSU schließt sich an. Streit gab es dann auch darüber, ob die Regelung nur für Doppelverdiener gelten soll oder auch für Familien, in denen nur ein Partner den Lebensunterhalt verdient. Seither wird diskutiert, wird nachgebessert. Ist das eine Vorschau darauf, wie die große Koalition auch in Zukunft ihre Kompromisse schmiedet?
Kauder: Die große Koalition hat in Genshagen und auch in den Fraktionen in großer Einmütigkeit das 25-Milliarden-Investitionsprogramm auf den Weg gebracht. Sie hören nirgendwo Diskussionen über die Frage der zusätzlichen Investitionen in der Wissenschaft, über die zusätzlichen Investitionen im Straßenbau, bei der Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen, Dienstleistungen hören Sie überhaupt nicht. Also es ist ein Beispiel dafür, wie eine Regierung perfekt arbeitet. Es gibt bei einem Thema tatsächlich Diskussionen, und das ist ein sehr sensibles Thema und ein auch grundsätzliches und mit Werten besetztes Thema. Man muss wissen, was man will. Die Bundesregierung wollte, dass zusätzliche Arbeit geschaffen wird, damit wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen, und da soll der Haushalt ein Arbeitgeber sein. Und da hat man dann gesagt: Okay, wer im Haushalt einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz schafft, soll Kosten in einem bestimmten Umfang auch von der Steuer absetzen können. Da man Grenzen einziehen musste, damit es nicht zu viel kostet, hat man gesagt, es soll vor allem dort geschehen, wo beide Eltern berufstätig sind, weil sie ja auch in besonderer Weise Betreuungsbedarf haben und in den Familien, wo nur einer berufstätig ist, könne die Betreuung ja auch leichter in der Familie selbst organisiert werden. Nach dem Beschluss wurde dann darüber diskutiert, dass der Eigenbehalt von 1000 Euro zu hoch sei, damit könnten Kindergartenbeiträge nur begrenzt abgesetzt werden. Das war die SPD, die diese Diskussion geführt hat. Damit ist sie schon auf eine familienpolitische Fährte gebracht worden. Es ging nicht darum, Kindergartenbeiträge von der Steuer abzusetzen, sondern es ging darum, Arbeit im Haushalt zu schaffen. Nach dieser von der SPD begonnenen Diskussion begann die Diskussion auch innerhalb der Union und auf einmal hatten wir eine familienpolitische und keine arbeitspolitische Debatte mehr. Bei einer familienpolitischen Debatte ist natürlich immer die Frage, muss man dort hin verteilen, wo weniger ist – was die SPD jetzt vor hat – oder muss man alle Familien gleich behandeln – in der Diskussion befinden wir uns. Ich kann nur dringend raten, dass wir uns wieder auf das besinnen, worum es ging: Zusätzliche Arbeit zu schaffen. Dazu braucht man jetzt noch etwas Zeit, es müssen noch Berechnungen angestellt werden. Aber diese Diskussion, die im übrigen auch deswegen gar nicht so problematisch ist, wie manche sehen, zeigt ja, dass wir uns mit Familie und mit den verschiedenen Lebensformen der Familie sehr intensiv auseinandersetzen. Und darüber kann es ruhig mal Diskussionen geben. Es ist ja ein wichtiges Thema, das sehr viele Menschen, fast alle in unserem Land, betrifft.
Groth: Kann es sein, dass dieser oder jener Spitzenpolitiker da auch in einen Konflikt zwischen Sachpolitik und Profilierungszwängen gerät?
Kauder: Diese Gedanken habe ich nicht. Das sehe ich auch nicht, sondern es geht hier wirklich ernsthaft um verschiedene gesellschaftspolitische Ansätze. Und an diesem Thema wird deutlich, dass die Union, CDU/CSU, und SPD zwei verschiedene Parteien sind.
Groth: Am Freitag gab es Meldungen, dass neben Doppelverdienen und Alleinerziehenden auch Alleinverdiener den Steuervorteil für Kinder unter 14 Jahren nutzen können. Darüber hinaus hieß es, dass der Sockelbetrag von 1000 auf 750 bis 700 Euro gesenkt werde. Stimmt das?
Kauder: Bei so vielen, sich auch zum Teil widersprechenden Meldungen wird es gut sein, wenn der Vorsitzende der größten Fraktion im deutschen Bundestag sich dann äußert, wenn wir zu Ergebnissen gekommen sind.
Groth: Wann wird das sein, Herr Kauder?
Kauder: Das wird im Laufe der nächsten Woche so sein.
Groth: Steht hinter dieser öffentlich geführten Debatte auch eine Auseinandersetzung über ein neues Familienbild?
Kauder: Ich habe ja gesagt: Familie ist ein sehr sensibles Thema. Jeder hat eine Vorstellung davon, weil jeder in einer Familie lebt und aus einer Familie kommt. Jeder hat ganz bestimmte Vorstellungen, wie er Familie gestalten will. Ich glaube, dass wir zwei Dinge sehen sollten. Erstens: Junge Leute müssen ihre Familie so gestalten können, wie sie es wollen. Der Staat hat sich in die Gestaltung der Familie, in das Privatleben von Menschen nicht einzuschalten. Zweitens: Der Staat muss Bedingungen schaffen, dass möglichst viele Menschen ihr vielfältiges Familienbild auch tatsächlich gestalten können. Das heißt, wir müssen einmal Möglichkeiten schaffen, dass Familie und Beruf vereinbar ist. In der Altersgruppe um die 30 Jahre herum, wo sehr viele Frauen ihr erstes Kind bekommen, haben wir eine Frauenerwerbstätigkeit, die liegt über 80 Prozent. Da hat sich radikal etwas verändert zur Zeit meiner Mutter. Das heißt, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sehr viele Frauen dann, wenn sie ihr erstes Kind bekommen, im Beruf sind. Jetzt gibt es Frauen, die sagen, da bleibe ich zuhause, die ganz bewusst sagen, ich will ausschließlich mich meinem Kind in den ersten Jahren zumindest widmen. Und es gibt Frauen, die sagen, ich möchte in meinem Beruf weiter machen. Jede dieser Entscheidungen ist für mich gleichwertig, und jede muss möglich sein. Da darf nicht diejenige Frau, die in den Beruf zurückgeht, scheel auf die gucken, die zu Hause ihre Kinder betreut, und auch die andere nicht. Und jede Frau muss dann dafür auch die Konsequenzen tragen für das, wie sie sich entschieden hat. Aber wir müssen es beiden ermöglichen, so zu leben wie sie leben wollen. Das heißt, ich muss Betreuungsangebote machen für die Frauen, die in den Beruf zurück wollen und ich muss auch Angebote machen in den Familien über diese Betreuungsangebote hinaus, in den Familien Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und die Betreuung in der Familie zu organisieren. Beides muss ich tun und natürlich muss ich auch noch den Familien finanzielle Möglichkeiten geben, dass sie ihre Entscheidung auch wirklich leben können.
Groth: Die große Koalition regiert jetzt bald 100 Tage, geprägt bislang von Friedfertigkeit zwischen Union und SPD. Gehen die Flitterwochen langsam zu Ende, auch mit Blick auf drei Landtagswahlen, die jetzt im März stattfinden werden?
Kauder: Die große Koalition hat ja einen bemerkenswerten Start, der natürlich auch mit der Arbeit der Bundeskanzlerin zusammenhängt, wie sie auch zusammenführt und wie sie auch mit schwierigen Partnern, beispielsweise Russland, umgeht. In der Innenpolitik fangen wir jetzt an mit der Umsetzung. Wie gesagt, wir haben ja bereits doch schon viel erreicht mit dem 25-Milliarden-Paket, das weitgehend geräuschlos bis auf die schwierige Familienfrage gegangen ist. Wir haben jetzt schwierige Fragen vor uns. Da geht es um die Arbeitsmarktpolitik, dann kommt die Gesundheitsreform. Es gibt im Leben nicht nur Freudenfeste, sondern es gibt auch harte Arbeit, wo man auch mal das Ächzen und Stöhnen derjenigen hört, die diese Arbeit machen müssen. Das darf man nicht gleich als Ende der Flitterwochen betrachten. Aber wenn Sie das Beispiel schon so nehmen wollen, ja, es zieht überall, auch nach schönen Erlebnissen, Alltag ein. Alltag ist nicht immer nur eine durchweg fröhliche Geschichte.
Groth: Sie haben die hohen Zustimmungswerte für die Kanzlerin angesprochen. Andererseits ist die SPD in Umfragen weiter auf Talfahrt. Muss das nicht Auswirkungen auf die Koalition haben?
Kauder: Es sollte keine Auswirkungen auf die Koalition haben. Wir haben uns eine Arbeitszeit von vier Jahren verordnet und dafür einen Vertrag unterschrieben. Und in vier Jahren kann sich viel ändern. Also, wenn man schon zum Start dadurch ein bisschen in Straucheln gerät, weil jetzt die Meinungsumfragen nicht ganz so optimal laufen, da kann ich nur daran erinnern: Was haben uns Meinungsforscher im Jahr 2005 alles vorausgesagt und wie kam es dann? Da würde ich mal zu mehr Gelassenheit raten. Im Übrigen kann ich nur sagen: Wer jetzt in der großen Koalition Sand ins Getriebe streut – das werden die Menschen ja sehen, die erwarten ja, dass wir arbeiten –der wird in den Meinungsumfragen nicht nach vorne kommen.
Groth: Sie kommen aus Baden-Württemberg. Auch da wird im März gewählt. Wie können sich Ihre Parteifreunde dort profilieren einerseits, ohne andererseits – ich greife Ihre Worte auf – Sand ins Getriebe des Berliner Betriebes zu werfen?
Kauder: Also, in Baden-Württemberg ist die Argumentation auch für einen, der in der großen Koalition mit arbeitet, einfach. In Baden-Württemberg können wir sagen, da haben wir eine von der CDU geführte Landesregierung, die eine hervorragende Arbeit macht. Und in Berlin haben wir eine jetzt von der CDU geführte Regierung. Gleich bessert sich die Stimmung. Es ist also gut, wenn die CDU-Regierung führt. Dort, wo sie es schon jetzt tut, soll es so bleiben, und dort, wo es noch nicht so ist, soll es so werden.
Groth: Herr Kauder, jede Regierung ist gut beraten, die schmerzhaften Entscheidungen zu Beginn der Legislaturperiode zu treffen. Roland Koch hat während der Koalitionsberatungen Heulen und Zähneklappern angekündigt. Nun herrscht überall Frieden und Freude. Ist das angesichts der Probleme des Landes wirklich der richtige Weg?
Kauder: Die Menschen wissen doch ganz genau, dass es ohne Veränderungen nicht gehen wird. Wir haben den Menschen ein Investitionsprogramm angekündigt und setzen es um. Wir haben ihnen aber auch gesagt, dass wir ohne Belastungen nicht auskommen. Wir müssen deshalb die Verbrauchssteuer, die Mehrwertsteuer ab dem 1.1.2007 erhöhen. Dafür versprechen wir, die Absenkung in fast gleicher Höhe bei den Lohnzusatzkosten und Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Also, wir haben den Menschen klar gesagt, was wir vorhaben. Solche martialischen Begriffe wie Heulen und Zähneklappern sind nicht so meine Sprache. Wir werden in kleinen Schritten vorankommen, weiterkommen, die Arbeitslosigkeit bekämpfen, unser Land modernisieren und reformieren. Wenn wir dieses nicht tun, dann könnte es ein böses Erwachen geben.
Groth: Noch vor einem halben Jahr war die SPD Ihr großer politischer Gegner. Die können es nicht, hieß es in der Union und vice versa in der SPD. Nun können es offenkundig alle. Was ist da passiert? Wie ist die Stimmung in der Fraktion?
Kauder: Also, natürlich haben wir uns im Jahr 2005 auf eine ganz andere Regierungskonstellation vorbereitet. Wir haben auch eine andere Konstellation erwartet. Und das Wahlergebnis hat uns dann schon zunächst einmal Probleme gemacht, mir auch. Ich als Generalsekretär war doch zunächst enttäuscht über das Wahlergebnis. Aber dann ist man als in die Verantwortung gestellter Politiker ja aufgerufen, zunächst das Land, die Menschen und dann die Interessen der eigenen Partei und dann vor allem ganz zum Schluss seine eigenen zu sehen. Und diese Sichtweise hat erfordert, dass wir dem Land eine Regierung stellen, eine Regierung, die das Land voran bringen kann. So sind wir aufeinander zugegangen. Und wir haben jetzt ein Zweckbündnis, mit dem wir vier Jahre lang versuchen wollen, das Land voran zu bringen und bis jetzt lässt es sich ganz gut an. Die Unterschiede sind nach wie vor da. Ich habe es ja vorhin schon bei der Familienpolitik gesagt. Wir fusionieren ja nicht, wir werden auch keine Einheitspartei, sondern es bleiben unterschiedliche Parteien, die sich für eine ganz bestimmte Zeit mit einem ganz konkreten Auftrag – Arbeitslosigkeit bekämpfen, Land modernisieren, neue Chancen schaffen – auf den Weg gemacht hat.
Groth: Gibt es in der Fraktion noch Widerstandsnester?
Kauder: Die Fraktion ist in der großen Koalition wirklich angekommen. Und ich kann nur sagen, die letzten Monate habe ich eine großartige Fraktion erlebt. Also, ich kann nur sagen, diese Fraktion ist toll und ohne eine solche tolle Fraktion wären wir nicht so weit gekommen, wie wir jetzt gekommen sind. Dass natürlich bei der einen oder anderen Frage, jetzt Familienpolitik oder bei der Umsetzung von Gesetzen, die Fraktion nicht nur oder überhaupt nicht Abnickverein der Regierung sein kann, ist doch selbstverständlich. Da muss sie auch ihre eigene Identität wahren können. Das heißt also, wir diskutieren über die Gesetze, die die Bundesregierung vorlegt, und da haben wir auch unsere eigenen Vorstellungen, die dann wieder mit der SPD abgestimmt werden müssen. Also, wir zeigen, dass wir es miteinander können, aber guter Umgang, gute Stimmung, auch Harmonie heißt noch lange nicht, dass man alles einfach bloß so macht, sondern es geht schon um die Sache. Und da gibt es auch mal unterschiedliche Vorstellungen, und da darf nicht jede Diskussion gleich als Streit betrachtet werden.
Groth: Die Gesundheitsreform wurde im Koalitionsvertrag ausgeklammert, weil sich die Positionen, SPD Bürgerversicherung, Union Gesundheitspauschale, nicht zusammenbringen ließen. Wann werden in dieser Sache koalitionsinterne Gespräche beginnen?
Kauder: Also, wir haben gesagt, dass wir im zweiten Quartal dieses Jahres mit den Gesprächen beginnen wollen. Es sind noch eine ganze Reihe von Vorklärungen zu machen. Ich finde, dass man zunächst einmal alle Fakten zusammentragen soll und nicht in eine Kommission hinein gehen soll nach dem Motto, also, jetzt treffen wir uns in einer Kommission und dort machen wir uns einmal sachkundig miteinander und dann schauen wir mal, was da raus kommt, sondern man muss schon die genauen Positionen kennen. Also, im zweiten Quartal werden wir die Arbeit beginnen. Das wird eine schwere Arbeit, weil es da natürlich darum geht, unterschiedlichste Interessen zunächst einmal im Gesundheitssystem selber zusammen zu bringen. Denn unabhängig von der politischen Ausgangslage der Koalitionsparteien geht es darum, dass die Leistungsanbieter, die Ärzte, die pharmazeutische Industrie, Krankenhäuser ihre Vorstellungen haben, dass die Krankenkassen ihre Vorstellungen haben, und wir, die wir die Interessen natürlich auch der Beitragszahler und der Arbeitsplatzsituation bedenken müssen, und dann gibt es auch unterschiedliche gesellschaftspolitische Vorstellungen und dann vor allem begrenzte Mittel.
Groth: Wo sehen Sie eher einen Lösungsansatz, auf der Einnahmenseite oder auf der Ausgabenseite?
Kauder: Ich glaube, wir brauchen sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite Bewegung. Die Ausgabenseite ist dann am besten zu bewerkstelligen, wenn wir mehr Transparenz und mehr Wettbewerb bekommen. Da wäre eine Prämie, die wir zur Verfügung stellen an die Krankenkassen und die dann in den Wettbewerb treten können, ob sie mit dieser Prämie auskommen oder ob sie auch billiger sein können, wäre eine gute Lösung. Und auf der Einnahmenseite sollten wir es auf jeden Fall erreichen, dass die Kosten der Krankenversicherung nicht immer die Löhne so belasten, dass wir im Wettbewerb Schwierigkeiten haben. Das werden die großen Themen sein.
Groth: Der Finanzminister mahnt zu Haushaltsdisziplin. Demnächst wird über ein Haushaltsbegleitgesetz beraten. Stehen Sie, was den strikten Sparkurs anbelangt, unverrückbar an der Seite Steinbrücks?
Kauder: Da kann ich ein uneingeschränktes Ja sagen. Die Frage der Nachhaltigkeit ist immer bei der Umweltpolitik gemacht worden, dass die Umwelt nachhaltig erhalten werden muss auch für zukünftige Generationen, das ist ein Punkt. Aber wenn eine nachwachsende Generation in einer nachhaltig geschützten Umwelt aufwachsen soll, aber ihr Leben nicht mehr gestalten kann, weil sie vor lauter Schulden nicht mehr weiß, was zu tun ist, dann ist dies mindestens für Nachhaltigkeit so wichtig wie bei der Umweltpolitik, dass wir endlich mit der Verschuldenspolitik aufhören.
Groth: Die Gewerkschaft ver.di hat jetzt Streiks im öffentlichen Dienst angekündigt. Sie will damit unter anderem gegen längere Arbeitszeit demonstrieren. Passt das in die Landschaft?
Kauder: Ich habe für viele Forderungen, die Arbeitnehmer aufstellen, Verständnis, aber dass man gerade im öffentlichen Dienst an der Arbeitszeit rummacht, dafür habe ich wenig Verständnis. Ich kann den Satz nicht teilen, dass man mit immer weniger Arbeit immer mehr Wohlstand erwirtschaften kann. Es muss nicht jeder 50 oder 60 Stunden arbeiten wie ich, es muss auch nicht in jedem Betrieb gleich viel gearbeitet werden. Wenn keine Arbeit da ist, kann die Arbeitszeit auch reduziert werden. Aber grundsätzlich muss gelten: Es ist überhaupt kein Problem, 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Schauen Sie in die Schweiz, dort arbeitet die Kassiererin in den Läden auch über 40 Stunden. Und man kann nicht sagen, dass die Schweiz ein Schwellenland sei.
Groth: Ein vor der Wahl von der CDU immer wieder genanntes Thema ist die Tarifautonomie. Flächentarifverträge sollten, so hieß es, zu Gunsten von betrieblichen Vereinbarungen zurücktreten. Mit der SPD ist das offenkundig nicht durchzusetzen. Also von der Agenda gestrichen für die nächsten Jahre?
Kauder: Diese Forderung, die wir erhoben haben im letzten Jahr, ist richtig, und sie könnte auch helfen, dass wir mit mehr Flexibilität, mehr Eigenverantwortung in den Betrieben bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein weiteres wichtiges Instrument in die Hand bekämen. Mit der SPD ist dies nach dem jetzigen Stand nicht zu machen. In einer großen Koalition kann man nicht 100 Prozent seines Programms durchsetzen. Jetzt müssen wir schauen, wie weit wir mit dem, was wir bisher haben vereinbaren können, kommen. Die Forderung ist aber damit im Programmatischen der Union nicht vom Tisch, auch wenn sie im Programmatischen der großen Koalition nicht auf der Tagesordnung steht.
Groth: Ein anderer schwieriger Fall ist die Energiepolitik. Das regelt zwar der Koalitionsvertrag. Man werde am von Rot-Grün beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie festhalten. Führende Unionspolitiker wünschen sich indes längere Laufzeiten, und der hessische Ministerpräsident denkt sogar laut über neue Kernkraftwerke nach. Wenn die Positionen offenkundig so festgefahren sind, wie es scheint, wozu dann der für April angekündigte Energiegipfel?
Kauder: Energie darf vor allem nicht zu einer neuen sozialen Frage werden, dass sich nur noch die wirklich ausreichend Energie leisten können, die Geld haben und die anderen nicht. Deswegen ist es eine der zentralen Aufgaben der Politik, die notwendige Energie zur Verfügung zu stellen. Da muss man die Frage beantworten: Wie machen wir dieses? Und ich glaube, dass es kaum ein Thema gibt in Deutschland, wo so viel Realitätsverweigerung stattfindet wie bei der Energie. Und deshalb ist es gut, wenn man in einem Energiegipfel mal die Positionen darstellt, auch mal Perspektiven entwickelt. Ich bin sehr für alternative, regenerative, ökologisch gewonnene Energie, aber das wird das Zukunftsproblem nicht lösen. Also, es muss an großtechnische Energiegewinnung nach wie vor herangegangen werden. Deswegen sind alle nun aufgerufen, Alternativen zur Kernenergie zu finden. Ich bin überhaupt keiner, der sagt: Kernenergie, eine ganz tolle Geschichte, ich kann mir überhaupt nichts schöneres vorstellen. Aber ich sehe die Alternative noch nicht. Ich bin schon der Meinung, dass wir uns natürlich an den Koalitionsvertrag halten müssen, dass wir aber auch die Frage klären müssen, und zwar ehrlich, woher kommt die Energie auch in den nächsten Jahrzehnten? Da muss man langfristig arbeiten. Und eines sage ich auch: Ich möchte nicht gerne mit der Energieversorgung von einem Land stark überproportional abhängig werden.