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Kauder: Sicherheiten für Euro-Rettungsschirm "nicht zielführend"

Kritik kommt von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Christian Wulff. Und Parlamentarier fürchten um ihre Mitbestimmung beim Eurorettungsschirm. Schwierige Zeiten also auch für den CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder. "Ich bin einigermaßen erstaunt über die Diskussion", so seine Kritik.

Volker Kauder im Gespräch mit Stephan Detjen | 28.08.2011
    Stephan Detjen: Herr Kauder, Sie haben vor einer Woche in einem Zeitungsinterview gesagt, nach der Sommerpause gehe die Koalition frisch geduscht in die zweite Halbzeit der Legislaturperiode. Am Ende dieser Woche, nach einer schwierigen Sitzung der Fraktion, nach neuer massiver Kritik aus den eigenen Reihen – vom Bundespräsidenten bis zum Altbundeskanzler – sind die Trikots schon wieder ziemlich verschwitzt und mit Schmutz beworfen.

    Volker Kauder: Wir haben eine ausgezeichnete Fraktionssitzung in dieser Woche durchgeführt, wo wir intensiv fast vier Stunden lang diskutiert haben. Und das zeigt, wie groß die Herausforderung in Europa ist, das kann man nicht einfach nur so über das Knie brechen. Diese Fraktionssitzung hat im Übrigen auch gezeigt, dass alle Unkenrufe, die ganze Rettungsaktion in Europa laufe am Parlament vorbei, nicht zutreffend sind. Wir haben ausführlich diskutiert. Und ich bin der Auffassung, dass die Geschlossenheit in der Fraktion nach dieser Fraktionssitzung eher größer geworden ist.

    Stephan Detjen: Am Tag nach der Fraktionssitzung lesen die Abgeordneten in den Zeitungen Berichte darüber, dass doch möglicherweise viel mehr, als man gedacht hat, am Parlament vorbei geht. Und vor allen Dingen sind dann ihre Abgeordneten konfrontiert mit dieser massiven Kritik von Helmut Kohl – Stichworte "kein Standpunkt", "Prinzipienlosigkeit", "Führungsschwäche", "kein Mut zur Verantwortung", "kein Kompass in der Politik". Das muss doch massiv verunsichernd treffen.

    Volker Kauder: Also, ich bin einigermaßen erstaunt über die Diskussion, die auch vom Parlamentspräsidenten immer wieder geführt wird, dass am Parlament vorbei entschieden werde. Wir haben gerade mit dem Parlamentspräsidenten vereinbart, wie das Gesetzgebungsverfahren durchgeführt werden soll – zur Ertüchtigung oder auch Weiterentwicklung des Rettungsschirms, der auch in dem Kürzel "EFSF" genannt wird. Da wird es eine erste Lesung in der Haushaltswoche im September geben, Ende September soll das Verfahren in einer zweiten und dritten Lesung abgeschlossen werden. Es ist also alles gar nicht richtig. Im Übrigen kann ich nur sagen: Wir als Parlamentarier, ich als überzeugter Parlamentarier, der noch kein öffentliches Amt hatte, werde es gerade nicht zulassen, dass am Parlament vorbei Entscheidungen fallen.

    Stephan Detjen: Lassen Sie uns auf die Fragen der parlamentarischen Mitwirkung später noch mal zu sprechen kommen. Ich will noch mal Ihren Satz aufgreifen "die Fraktion ist geschlossener aus dieser Sondersitzung hervorgegangen". Wie hat dann diese ungewöhnlich deutliche Kritik von Helmut Kohl, dem "Altvorderen", für viele immer noch der "Übervater der CDU", auf die Abgeordneten gewirkt?

    Volker Kauder: Also, Helmut Kohl und Christian Wulff, der Bundespräsident, sind nicht Mitglied der Fraktion. Und Helmut Kohl hat ja im Kern über die Außenpolitik gesprochen. Und er hat darauf hingewiesen im Kern seiner Kritik, dass die Probleme in Europa entstanden sind durch die Aufnahme Griechenlands entgegen jeder ökonomischen Vernunft. Wir haben damals im Übrigen als CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag einen Antrag eingebracht, haben die Regierung Schröder aufgefordert, Griechenland nicht aufzunehmen. Da wurden wir höhnisch zur Seite geschoben. Wir haben dagegen gestimmt. Es kritisiert Helmut Kohl, dass die Stabilitätskriterien aufgeweicht worden sind – auch unter der Regierung Schröder geschehen. Und jetzt kommt diese rot-grüne Opposition, die in der Regierungszeit alles, was Europa betroffen hat, falsch gemacht hat und will einen zweiten schweren Fehler machen mit Eurobonds. Da teile ich die Kritik von Helmut Kohl zu hundert Prozent.

    Stephan Detjen: Der Kern dieser Kritik in einem langen ausführlichen Interview mit der Fachzeitschrift "Internationale Politik" – der Kern der Kritik richtet sich nicht gegen die Vergangenheit, gegen die rot-grüne Koalition, sondern gegen die gegenwärtige Politik. Der wirft er Orientierungslosigkeit und den fehlenden Kompass vor. Und er drückt ja damit etwas aus – eine Verunsicherung, die auch die Basis der Partei weitgehend ergriffen hat.

    Volker Kauder: Da müssen wir schon das sehr klar trennen. Er spricht über die Außenpolitik. In der Europapolitik geht es nun darum, dass wir das voranbringen müssen, was bei der Einführung des Euros – das sage ich ohne Vorwurf – nicht ging, nämlich einen gewaltigen Schritt hin auf die politische Union zu machen.

    Stephan Detjen: Bleiben wir zunächst noch einmal bei der Außenpolitik. Kohl kritisiert unmissverständlich die Haltung der Bundesregierung in der Libyenfrage. Ihre Koalition ist zusammengekommen in einem Moment, wo die westliche Allianz, wo die NATO als Sieger in der Libyen-Auseinandersetzung da steht. Deutschland unter Führung einer schwarz-gelben Regierung steht am Rande auf dem deutschen Sonderweg.

    Volker Kauder: Also, darüber hat es in unserer Bundestagsfraktion Diskussionen gegeben. Die Außenpolitiker waren damals der Meinung, man hätte sich bei Libyen beteiligen sollen. Dann gab es aber auch unterschiedliche Auffassungen. Wir haben darüber in der Fraktion gesprochen. Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass wir keinen Kompass haben. Ganz im Gegenteil! Wir stehen zum transatlantischen Bündnis, wir stehen zur NATO. Wir haben ja auch unseren Beitrag geleistet in der Arbeit der Stäbe. Das ist auch völlig richtig so. Und wir haben auch unsere klaren Prinzipien. Die Bundeskanzlerin hat mehrfach auf die Menschenrechtsthemen hingewiesen in den verschiedenen Besprechungen. Also da gibt es, glaube ich, keinen Grund, an den außenpolitischen Grundsätzen zu zweifeln.

    Stephan Detjen: Sie haben es gerade gesagt. Das war eine Entscheidung gegen den Rat, gegen die Haltung der eigenen außenpolitischen Fachleute, also eine Führungsentscheidung ...

    Volker Kauder: Na ja, die Entscheidung ist gefallen. Und dann haben wir es im Nachhinein diskutiert. Da gab es unterschiedliche Auffassungen, das muss man ganz offen sagen.

    Stephan Detjen: Wäre es Ihnen lieber, wenn es eine andere Führungsentscheidung gegeben hätte?

    Volker Kauder: Wenn Entscheidungen gefallen sind, dann schaue ich auf die nächsten Entscheidungen, die kommen müssen, und nicht auf das, was in der Vergangenheit war. Wir sind ein treuer und zuverlässiger Bündnispartner, das ist überhaupt keine Frage. Und da gibt es auch keinen Grund zu kritischen Anmerkungen.

    Stephan Detjen: Also, die Entscheidung war richtig dann?

    Volker Kauder: Ich habe die Entscheidung der Bundesregierung, so, wie sie gefallen ist, gestützt.

    Stephan Detjen: Bundesaußenminister Westerwelle hat uns im Deutschlandfunk erklärt, der Sieg der westlichen Allianz sei auf die internationale Isolierung zurückzuführen, also Deutschland stehe da mit auf der Siegerseite. Hat er recht?

    Volker Kauder: Die Sanktionen, die ausgesprochen wurden, haben sicher auch einen Beitrag geleistet. Klar ist aber, dass der Erfolg auch in der jetzt dann doch überraschenden Schnelligkeit im Wesentlichen auf das Engagement der Streitkräfte zurückgeht. Und ich bin der Auffassung, wir sollten uns als Deutsche im Augenblick jetzt zurückhalten. Wenn wir gefragt werden, wenn wir um Hilfe gebeten werden – selbstverständlich müssen und werden wir unseren Beitrag leisten. Aber wir stehen jetzt nicht auf Platz 1 bei der Siegerehrung.

    Stephan Detjen: Aber es geht da nicht um die Siegerehrung, es geht da um das künftige Verhalten. Und auch in Ihrer Fraktion gibt es ja schon Stimmen, die sagen: Aus den Zweifeln, die man an der damaligen Entscheidung im Frühjahr hat, kann man jetzt lernen, dass Deutschland aktiv sich an einer auch militärischen Stabilisierung Libyens beteiligen sollte. Auch Bundesverteidigungsminister De Maizière hat schon gesagt, so etwas werde man dann prüfen.

    Volker Kauder: Thomas De Maizière hat selbstverständlich richtigerweise erklärt, dass er natürlich, wenn er mal um Hilfe gebeten wird, diese Hilfe leisten wird. Er hat aber auch darauf hingewiesen, dass wir jetzt uns zunächst einmal zurückhalten müssen und sollen. Dort, wo um Hilfe gebeten wird, tun wir das. Ich möchte aber in dem Zusammenhang schon auf einen Punkt hinweisen. Wir haben natürlich die Situation in Libyen, aber auch die Situation in Syrien ist doch um kein Haar besser. Und wir hören schon gar nichts mehr über Tunesien. Wir haben Situationen in Afrika, die sind dramatisch – wie dort Menschen hingemetzelt werden. Also ich würde mal sagen: Das war eine singuläre Entscheidung, die aber viele Fragen, was andere Länder betrifft, offen lässt.

    Stephan Detjen: Ja richtig, es gibt eine weitgehende, weitreichende dramatische Entwicklung in der arabischen Welt. Kann Deutschland da überall mit Zurückhaltung reagieren, oder ist von einer Führung ...

    Volker Kauder: ... es kann überall militärisch eingegriffen werden, es wird überall militärisch eingegriffen. Deswegen sage ich mal, die Fragen, die sich mit Libyen, mit der Situation der UNO befassen müssen, sind noch lange nicht zu Ende. Ich sehe mit großer Sorge, wie beispielsweise Christen bedrängt werden. Was ich da über die Situation in Eritrea höre, was ich über manches afrikanische Land höre, wo man sagt, da könne man aber nicht hin, weil da Rebellen so stark unterwegs sind, dass das Risiko zu groß ist. Also, ich habe da schon auch große Bedrängungen, vor allem wenn ich an verfolgte Christen beispielsweise in einigen Ländern Afrikas oder auch in Nordkorea denke. Also, wir haben ...

    Stephan Detjen: ... was kann Deutschland, was kann die Bundesregierung tun?

    Volker Kauder: Wir müssen, wie ich finde, überall dort, wo es ungerecht zugeht, dieses öffentlich ansprechen. Ich setze sehr darauf, dass Öffentlichkeit, Transparenz, dass die auch zu Veränderungen führt. Ich freue mich über die Entwicklung in Libyen. Man wird jetzt sehen müssen, was passiert. In Libyen ist es kein Aufstand des Volkes gewesen, sondern es handelt sich dort um Stammeskämpfe. Ich bin mal gespannt, wie es geht. Und über die Entwicklung in Ägypten, die ich etwas genauer kenne, weil ich mich dort um die Situation koptischen Christen kümmere, kann man sich auch nur fragen, wie es weiter geht. Da bleiben auch noch einige Fragen offen. Wir werden dort Wahlen haben. Und es ist nicht erkennbar, dass wir dort eine Demokratieentwicklung bekommen, die Christen gleichberechtigt mit den Mehrheitsreligionen in Ägypten macht. Also, wir haben noch eine ganze Reihe von Fragen, die wir politisch erklären müssen, wo wir die Diskussion führen müssen, wo Deutschland seinen wichtigen Beitrag leisten kann.

    Stephan Detjen: Das Deutschlandfunk-Interview der Woche mit dem Vorsitzenden der CDU-CSU Bundestagsfraktion Volker Kauder. Herr Kauder, lassen Sie uns jetzt auf die Euro-Frage, auf die bevorstehenden Entscheidungen des Bundestages zu sprechen kommen, über die wir schon am Anfang geredet haben. Die nächste "harte Nuss" – das ist die Bundestagsabstimmung über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms. Am 22./23. September soll das im Parlament verhandelt und entschieden werden. Sie haben eben gesagt, die Fraktion ist geschlossener aus der Sondersitzung hervorgegangen. Aber es gibt ja nach wie vor erhebliche Widerstände, auch offene Ankündigungen, etwa von Wolfgang Bosbach, dem Vorsitzenden des Innenausschusses – ein wortmächtiger und einflussreicher Vertreter Ihrer Fraktion. Die sagen: Da stimmen wir nicht mit, das können wir nicht mitgehen. Denn wir haben den Wählerinnen und Wählern etwas anderes versprochen: keine Ausweitung.

    Volker Kauder: Also, wir haben den Wählerinnen und Wählern zunächst einmal versprochen, dass der Euro stabil und stark sein wird wie die D-Mark. Das ist bis zum heutigen Zeitpunkt erreicht. Der Euro ist eine stabile Währung. Wir haben keine Euro-Krise, wir haben eine Schuldenkrise in den Ländern. Und wir müssen alles dafür tun, um diesen Euro, der unsere Währung ist, zu stützen. Es geht um die Stützung unserer Währung, es geht darum, die Ersparnisse der Bevölkerung zu schützen. Und da glaube ich, dass das Rettungspaket, das aufgelegt worden ist, der richtige Weg ist. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen, aber wir müssen in Europa ja auch handlungsfähig sein. Ein Teil der Probleme, dass die Märkte sich so aufführen können, wie sie sich aufführen, hängt auch damit zusammen, dass wir in Europa miteinander diskutieren und unterschiedliche Auffassungen vertreten. Wenn die Märkte spüren, dass wir uns einig sind, wird manches auch so ohne Weiteres nicht mehr möglich sein. Ja, es gibt unterschiedliche Auffassungen, auch in der Fachwelt, wo gesagt wird, man könnte dieses oder jenes machen. Ich bin der Auffassung, wir müssen in der Bundestagsfraktion und in der Koalition sehr offen miteinander reden, wir müssen auch kritische Fragen und Anmerkungen miteinander besprechen. Die Regierung muss klar Auskunft geben. Und wir in der Fraktion werden alles daran setzen, dass die wesentlichen, die Kernentscheidungen im Deutschen Bundestag fallen.

    Stephan Detjen: Also klare Auskunft in der Sache. Diese Bundesregierung stand immer dafür, dass die Eurogemeinschaft nicht zu einer Schuldengemeinschaft, nicht zu einer Transferunion wird, was sie faktisch immer weiter wird. Der Rettungsschirm wird von 440 auf 780 Milliarden Euro fast verdoppelt, das ist das Doppelte des Bundeshaushaltes. Das ist eine gemeinsame Haftung der Eurozone für die Schulden der hochverschuldeten Länder.

    Volker Kauder: Wenn wir einen anderen Weg einschlagen würden, was der eine oder andere Kollege empfiehlt, Beispiel einen Schuldenschnitt bei Griechenland – ich finde, das ist eine ganz tolle Diskussion. Ich würde auch gerne haben, dass die Bundesrepublik Deutschland um die Hälfte ihrer Schulden erleichtert wird. Aber wer trägt das Ganze? Wenn wir das in Griechenland gemacht hätten, hätte die Bundesrepublik Deutschland Milliarden bezahlen müssen, weil wir auch Griechenlandanleihen beispielsweise bei der Hypo Real Estate haben, die zu 100 Prozent dem Bund gehört. Dann hätte man gesagt, das ist jetzt keine Transferunion, obwohl wir 20 Milliarden da einfach mal locker ausgeben. Da ist manches nicht ganz schlüssig. Richtig ist, dass wir eine Transferunion nicht wollen. Deswegen haben wir uns klar und eindeutig gegen Anleihen der EU, sogenannte Euro-Bonds, ausgesprochen, weil die genau eine Vergemeinschaftung der Schulden in die Zukunft hinein wären. In die Zukunft.

    Stephan Detjen: Aber eine Vergemeinschaftung ist doch schon da.

    Volker Kauder: Im Rettungspaket selbstverständlich. Anders können Sie die Dinge ja auch nicht machen, wenn Sie ein Rettungspaket machen.

    Stephan Detjen: Aber warum erklären Sie das den Leuten dann nicht viel deutlicher und offensiver, dass man eben schon in einer Schuldengemeinschaft ist. Das ist eine ...

    Volker Kauder: Nein, wir sind nicht in einer Schuldengemeinschaft, sondern wir sind im Augenblick dabei, den Euro zu stützen und Rettungsschirme aufzuspannen. Eine Transferunion wäre, wenn wir in die Zukunft hinein gemeinsame Staatsanleihen aufnehmen würden, was bedeuten würde, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland wesentlich höhere Zinsen zahlen müssten. Was bedeuten würde - was im Augenblick ja gerade nicht der Fall ist - dass wir jährlich mindest 20 wenn nicht sogar mehr Milliarden zusätzlich bezahlen müssten, weil unsere Schulden, die wir ja auch haben, mit höheren Zinsen bedient werden müssten. Also, man muss trennen zwischen dem Rettungsschirm auf der einen Seite, der gemacht werden muss, um den Euro zu stabilisieren. Wir haben übrigens in der Finanz- und Wirtschaftskrise, die durch die Amerikaner und Lehman Brothers ausgelöst worden ist, auch Milliarden in die Hand nehmen müssen, um Banken zu stützen, damit die Sparvermögen gerettet werden können. Aber wir werden keine Transferunion, was die zukünftigen Aufgaben anbelangt, haben. Das muss man trennen.

    Stephan Detjen: Der Transfer findet doch auch im Bereich der Europäischen Zentralbank statt, in der durch den Aufkauf der Schuldentitel von Banken, von Versicherungen eine Vergemeinschaftung bewerkstelligt hat. Und auch der Bundespräsident hat das in dieser Woche ja – ähnlich wie die Bundesbank, fast wortgleich – scharf kritisiert.

    Volker Kauder: Ja. Das habe ich übrigens in einem Interview vor einigen Tagen auch gemacht. Der Punkt, wir würden den Menschen das nicht erklären, stimmt nicht. Aber das hat niemand so richtig zur Kenntnis genommen, wenn ich es gesagt habe, dass ich das kritisch betrachte, dass ich darum bitte, dass in der Europäischen Zentralbank die Position des Chefs der Deutschen Bundesbank Weidmann ernster genommen wird. Nur, jetzt muss man auch immer dabei bleiben, wie Bosbach gesagt hat, was wir den Menschen versprochen haben. Wir haben gesagt, wir wollen eine unabhängige Zentralbank in Europa. Und um dieses auch klar und deutlich zu machen, haben wir darauf bestanden, dass der Sitz der EZB in Frankfurt ist. Diese Bank ist unabhängig von politischer Einflussnahme. Ich teile eher die Sorge von Weidmann, dass wir diesen Ankauf von Staatsanleihen nicht machen sollten. Aber dies hat doch diese unabhängige Bank zu entscheiden.

    Stephan Detjen: Also hat dann im Umkehrschluss der Bundespräsident mit seiner massiven Kritik an der Europäischen Zentralbank die Unabhängigkeit der Zentralbank infrage gestellt?

    Volker Kauder: Nein, überhaupt nicht. Ich habe die Unabhängigkeit ja auch nicht infrage gestellt, indem ich gesagt habe, ich sehe das mit Sorge. Aber man muss doch wissen, wo kann man als Politiker eine Sorge formulieren und wo kann man eingreifen. Kein Politiker in der Europäischen Union kann die Entscheidung des Direktoriums der Zentralbank verändern. Das wollen wir ja auch gerade nicht, sondern das soll ja unabhängig sein. Deswegen würde ich schon darum bitten, dass man sagt: Ja, einige sehen das mit Sorge. Man muss immer sehen, wir in Deutschland haben in vielen dieser Fragen eine Sondersituation. Viele andere in Europa sehen das ganz anders. Und man muss natürlich wissen, wenn wir sagen, wir wollen ein gemeinsames Europa, dann kann dieses gemeinsame Europa eben nicht immer nur nach den Vorstellungen der Deutschen funktionieren, sondern da müssen wir schon für unsere Position werben. Ich kann nur sagen: Jawohl, die Sorge, die der Bundespräsident ausdrückt, teile ich. Die Bundesbank ist unabhängig und die Europäische Zentralbank auch. Sonst müssen wir sagen, in Zukunft wird die Politik der Europäischen Zentralbank durch das Europäische Parlament bestimmt oder durch wen auch immer.

    Stephan Detjen: Aber da sehen wir ja, das ist ein Prozess, den wir sehen, dass immer mehr Kompetenzen auf die europäischen Institutionen verlagert werden. Die Zentralbank, der europäische Rettungsschirm, der EFSF, wird durch das Gesetz, das jetzt in den Bundestag eingebracht werden soll, mit erheblichen neuen Kompetenzen ausgestattet. Angela Merkel will jetzt so wie Nikolas Sarkozy seit Langem eine – wie sie sagen – echte Wirtschaftsregierung in Europa. Wo bleiben da die Mitbestimmungsrechte des nationalen Parlaments?

    Volker Kauder: Also, ich glaube schon, wenn man eine gemeinsame Währung hat, muss dieser gemeinsamen Währung auch mehr, als das bis jetzt der Fall war, ein gemeinsamer Wirtschafts- und Finanzraum gegenübergestellt werden. Das hat damals auch Helmut Kohl klar und deutlich formuliert, als der Euro eingeführt wurde, dass er glaubt, dass wir dann auf den Weg zu einer politischen Union kommen. Weil es nicht gelungen ist, haben wir dann den Stabilitätspakt, den Weigel entworfen hat, beschlossen, der dann gebrochen worden ist unter maßgeblicher Führung des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Das müssen wir nun wieder auf den richtigen Weg zurückführen.

    Stephan Detjen: Die Sorge ist ja, dass wir jetzt in einem Prozess sind, wo die substanziellen Mitbestimmungsrechte, wie das Bundesverfassungsgericht es im Lissabon-Urteil fordert, der nationalen Parlamente nicht mehr hinreichend gegeben wird - eine Sorge, die ja auch der Bundestagspräsident teilt. Sie haben das schon angesprochen.

    Volker Kauder: Also, das Bundesverfassungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass dort, wo es um das Kernrecht, nämlich das Budgetrecht des Deutschen Bundestages geht, das natürlich nicht untergraben werden kann. Und das werde ich auch nicht zulassen.

    Stephan Detjen: Aber es gibt ja keine Möglichkeit mehr, jetzt die Vorschläge, die auf das Parlament zukommen, noch in irgendeiner Weise durch das parlamentarische Verfahren hier zu gestalten, mit zu verändern. Der Vorschlag der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, die künftigen neuen Garantien für hochverschuldete Staaten durch Absicherung ihrer Goldreserven zu garantieren, ist sofort weggebügelt worden.

    Volker Kauder: Weil der Vorschlag nicht zielführend ist. Wir haben den Finnen erklärt, dass das, was sie vorhaben, nicht geht. Wenn jemand die Goldreserven Deutschlands anpacken wollte, könnte er das nicht, weil nämlich darüber die Bundesbank verfügt und nicht die Politik. Und so ist es in anderen Ländern auch. Man kann nicht auf der einen Seite verlangen, dass Beteiligungen privatisiert werden, um Geld in die Kasse Griechenlands zu bringen. Und auf der anderen Seite will man sie als Sicherheit. Es ist auch nicht zielführend, wenn man Rettungsschirme aufbaut und sagt, damit wollen wir eine Stabilität erreichen und dann das Signal an die Märkte gibt, wir trauen dem Frieden nicht ganz und wollen deswegen eine Absicherung. Aber die Schirme, die aufgespannt sind, sind um ein Vielfaches höher als überhaupt jede Absicherung. Das ist eine Diskussion, die nicht zielführend ist. Der Bundesfinanzminister hat das abgelehnt, die Bundeskanzlerin hat das abgelehnt, deswegen meine ich, dass das Mitglied der Regierung Ursula von der Leyen die Diskussion nicht weiter führen sollte. Ich halte es nicht für zielführend.

    Stephan Detjen: Welche Möglichkeit hat der Bundestag noch, gestaltend in diesen Prozess einzugreifen? Es gehörte ja mit zu den Ereignissen dieser Woche, dass die Abgeordneten Ihrer Fraktion am nächsten Morgen aus der Zeitung – konkret aus dem Handelsblatt – von einem geheimen Schreiben des Bundesfinanzministers erfahren haben, in dem als streng vertrauliche Verschlusssache deutlich gemacht wurde, wie massiv hier ohne Gestaltungsmöglichkeiten des Bundestages der künftige Rettungsschirm erweitert werden soll.

    Volker Kauder: Der Bundesfinanzminister hat die Fraktionsvorsitzenden darüber informiert, wie im Augenblick der Zwischenstand der Verhandlungen der Regierungen über die Ausgestaltung des EFSF sind. Das wird immer wieder verlangt. Aber wenn man über einen Zwischenstand von Verhandlungen spricht, muss man auch wissen, das ist noch nicht das Endergebnis.

    Stephan Detjen: Warum musste er das als Geheimpapier verschicken? Konnte er es nicht am Abend den Abgeordneten ...

    Volker Kauder: Es ist nicht als Geheimpapier verschickt worden. Also es ist jedem Bundesfinanzminister klar ...

    Stephan Detjen: ... ist das falsch berichtet worden in der Presse?

    Volker Kauder: Wenn ein Papier verschickt wird an die fünf Fraktionsvorsitzenden, dass das dann nicht geheim bleibt, das ist ja völlig klar.

    Stephan Detjen: Hätte er dann nicht am Abend vorher die Fraktionen entsprechend informieren müssen? Das war ja das, was so verstört hat. Er ist am Abend in der Fraktion und am nächsten Morgen lesen die Abgeordneten exklusive Geheimpapiere.

    Volker Kauder: Also, jetzt wollen wir doch mal nicht die Aufregung zum Maßstab der Diskussion machen, sondern die Bundestagsfraktion wird in ihrer Sitzung am 5. September das, was ins Gesetzgebungsverfahren kommen muss und worüber sie entscheiden muss, diskutieren. Dann wird es eine erste Lesung geben. Dann wird es eine parlamentarische Beratung geben, die in einer zweiten und dritten Lesung Ende September abgeschlossen ist. Dort steht drin, wie dann tatsächlich der neue EFSF ausgestaltet werden soll. Und dann werden wir darüber diskutieren, ob wir das so mitmachen. In dem vorläufigen Text, der nur in englischer Fassung vorliegt, weil er eben noch nicht als Vorlage für den Bundestag dient, steht drin, dass ein Direktorium Entscheidungen vorzubereiten hat und dass es für diese Entscheidungen sich selber Kriterien geben kann. Aber diese Entscheidungen selber treffen die Finanzminister, nicht ein vorbereitendes Direktorium. Und wir wollen nun – das ist in anderen europäischen Ländern anders – wir wollen nun, dass die Entscheidung des deutschen Finanzministers in diesem Gremium von einer parlamentarischen Beteiligung abhängig gemacht wird. Und da werden wir nun in der Bundestagsfraktion und vor allem auch in der Koalition – denn wir müssen in der Koalition ja Mehrheiten haben – darüber diskutieren, wie das ausgestaltet werden kann. Da gibt es Fälle, wo wir uns vorstellen können, dass da der Haushaltsausschuss entscheidet. Und da gibt es Fälle, wo wir der Überzeugung sind, dass der gesamte Deutsche Bundestag entscheiden muss. Also, darüber wird gerade noch gesprochen. Wir lassen uns das Recht nicht nehmen. Da wird auch in den Zeitungen gesagt, die Bundesregierung sähe gar nicht vor, dass der Deutsche Bundestag beteiligt wird. Ich habe dem Bundesfinanzminister gesagt, er möge bitte gar keinen Vorschlag machen, weil das machen wir. Wir lassen uns nicht von der Regierung einen Vorschlag machen, wie die Beteiligung aussieht. Das machen wir selber, da sind wir Manns genug.

    Stephan Detjen: Letzte Frage: Da wird vorher noch jemand anders mitsprechen, nämlich das Bundesverfassungsgericht. Am 7. September wird es das Urteil über den europäischen Rettungsschirm sprechen, Übrigens ein historischer Tag: 62 Jahre auf den Tag genau nach der ersten Sitzung des Bundestages und genau 60 Jahre nach der ersten Sitzung des Bundesverfassungsgerichtes kommt dann ein weiteres möglicherweise historisches Urteil aus Karlsruhe. Rechnen Sie damit, kann es aus Ihrer Sicht sein, dass das Bundesverfassungsgericht als drastischsten Schritt den Rettungsschirm oder die Zustimmung des Bundestages noch einmal aufhält. Oder erwarten Sie sich eine Stärkung der parlamentarischen Mitspracherechte?

    Volker Kauder: Also, wir haben unsere Beratungen ja so angelegt, dass wir noch vor der ersten Lesung des Gesetzes die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes haben. Wir werden in unseren Gremien in der Koalition eben darüber diskutieren, wie wir die Beteiligung des Deutschen Bundestages ausgestalten wollen. Es muss ja auch praktisch machbar sein, einmal Haushaltsausschuss, einmal der gesamte Deutsche Bundestag. Und dann werden wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes da mit einbeziehen können. Zur Ausgestaltung will ich noch Folgendes sagen: Das Bundesverfassungsgericht hat uns Richtlinien gegeben, die wir im Parlamentsbeteiligungsgesetz bei dem Einsatz der Bundeswehr ja auch so übernommen haben. Und dort ist auch, die Bundesregierung stellt einen Antrag, der kann vom Deutschen Bundestag nicht gestaltet werden, weil die Exekutive sagt, so stellen wir uns das vor, so meinen wir, muss es sein. Und der Deutsche Bundestag kann dann sagen ja oder nein. Aber er kann nicht den Vorschlag verändern. Es geht also darum, dass der Deutsche Bundestag in seinen Kompetenzen nicht beschnitten wird und dass der Deutsche Bundestag auch Entscheidungen dann von entsprechender Tragweite treffen muss, in voller Transparenz. Und ich würde mir wünschen, dass über all diese Beratungen des Deutschen Bundestages, sowohl was den Haushalt anbelangt als auch was die Entscheidungen beim Einsatz der Bundeswehr und bei Europa in den öffentlich-rechtlichen Medien immer ganz genau übertragen werden, damit die deutsche Bevölkerung das auch alles nachvollziehen kann. Übrigens eine Kritik, die der Bundestagspräsident regelmäßig macht, die allerdings von den Medien nicht in gleicher Weise kommentiert wird, wie wenn er kritisiert, dass der Bundestag nicht ausreichend beteiligt wird.

    Stephan Detjen: Im Deutschlandfunk werden wir die Debatten des Bundestages wie immer auch übertragen, aber intensiv, genau, aber auch kritisch beobachten. Herr Kauder, vielen Dank für dieses Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.