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Kaufen, mästen, verkaufen

18 Kilo Geflügel verzehrt der Durchschnittsdeutsche im Jahr. Doch mit der Vogelgrippe ändert sich das gerade. Um 15 Prozent ist die Nachfrage inzwischen zurückgegangen. Und das Virus rüttelt inzwischen an den Grundfesten des Geschäftsmodells, in dem ein landwirtschaftlicher Hähnchenmastbetrieb auch nur noch ein kleines Rädchen ist. Küken kaufen, im Lohnauftrag mästen und an den Schlachthof verkaufen wird immer schwieriger - auch für Jan-Bernd Stolle aus Großenkneten im Oldenburger Land.

Von Dorothee Krumpipe |
    Besucher lässt Jan-Bernd Stolle nicht mehr auf seinen Hof. Jeder Eindringling könnte schließlich das Virus mitbringen. Und an diesem Morgen hatte die Nordwest-Zeitung die Landwirte in der Region auch noch gewarnt: Journalisten könnten das Virus nach Frankreich eingeschleppt haben. Das erhöhte die Nervosität von Jan-Bernd Stolle noch mehr. Seitdem duldet der Hähnchenzüchter keinen Besuch mehr. Auch nicht die Leute vom Katasteramt. Die hat er gleich wieder weggeschickt. Die Pläne für einen neuen Stall müssen deshalb erstmal warten -ohnehin ist es derzeit unsicher, wie es weitergehen könnte. Auch dieses Interview möchte Stolle am liebsten absagen: Bloß nicht noch mehr Schlagzeilen....

    " Abends im stillen Kämmerlein spielt man doch schon mal den ein oder anderen Gedanken durch. Aber: Man kann es bald nicht mehr hören oder sehen. Man möchte da vielleicht eine Zeitlang gar nichts mehr von hören. Das wäre das schönste. "

    Fast schon konspirativ treffen wir uns am Ende ein paar Kilometer entfernt von Stolles bedrohten Hähnchen - an einem Rastplatz in der Nähe von Wildeshausen. Hier fängt das niedersächsische Geflügel-Land gerade erst an. Ringsum: vorwiegend Familienbetriebe mit durchschnittlich etwa 70.000 Hähnchen. Stolles Hof gehört hier zu den größeren. Er hat 130.000 Hähnchen in den Ställen - und 900 Schweine.

    " Ich hab damals vor 15 Jahren den elterlichen Betrieb übernommen. Da war schwerpunktmäßig eben Rinder- und Schweinemast. Und da hat man so als junger Kerl bisschen andere Gedanken, wie man seinen Betrieb weiterentwickeln möchte. Und da war das die Zeit, in der der Weißfleischsektor - also sprich Hähnchen- und Putenfleisch, im Kommen war. "

    37 Jahre ist der Landwirtschaftsmeister alt. Im Lauf der Jahre hat er auf die Rinderzucht ganz verzichtet. Dafür hat er neue Ställe für die Hähnchen gebaut. High-Tech-Gehege. Computer überwachen hier alles - vom Futter bis zum Raumklima. Jeder neue Mast-Platz kostet durchschnittlich 10 Euro. Macht für seinen Hof insgesamt rund 1,3 mio Euro Investitionen, rechnet Jan-Bernd Stolle. Eine richtige Entscheidung, sagt er: Bis Dezember. Bis das Vogelgrippe-Virus immer näher rückte und die Verbraucher anfingen, Geflügelfleisch zu meiden.

    " Seit letztes Jahr Dezember weiß man immer schon, wenn ein Brief von einer Schlachterei kommt, dass da drin steht: "Wir müssen ihnen leider mitteilen aufgrund der Marktlage, dass die Hähnchen wieder um einen gewissen Prozentsatz gefallen sind." "

    Vieles in der Hähnchen-Mast läuft automatisch. Jan-Bernd Stolle muss vor allem die Technik kontrollieren. 130.000 Tiere für einen Mann alleine - das ist gerade an der oberen Grenze, sagt er. Aber um jemanden zusätzlich zu beschäftigen, müsste er den Betrieb vergrößern. Doch das hat sich auf absehbare Zeit wohl erstmal erledigt, denn das H5N1-Virus trifft das Geschäftsmodell in dem Jan-Bernd Stolle auch nur eines von vielen Rädchen ist...

    " In der Hähnchenmast ist das ja so ein Verbund. Man ist Brütereien angeschlossen, wo man die Küken kriegt. Als Eintags-Küken werden die dann zugekauft. Und die Landwirte so wie ich mästen die Hähnchen bis zu einem gewissen Alter und bis zu einem gewissen Gewicht. Und dann wiederum in einem Verbund mit einer Schlachterei. Die dann bis auf ein zwei Tage genau wissen: dann und dann kriegen wir die Hähnchen von mir oder von Berufskollegen. "

    Durchschnittlich 38 bis 42 Tage bleiben die Hähnchen bei Stolles. Dann wird geschlachtet. Ein Teil seiner Tiere landet zum Beispiel bei McDonalds. Viele andere in der Region produzieren aber auch für die Marke Wiesenhof. Schlachter, Mast- und Brutbetriebe arbeiten hier Hand in Hand. Gegenseitige Abnahme garantiert - solange der Verbraucher mitspielt. Bleibt der Umsatz aber dauerhaft niedrig, wird die Zahl der Eier nach unten korrigiert. Entsprechend weniger Tiere kommen bei den angeschlossenen Geflügelzüchtern und Schlachtern an.

    " Letztendlich trägt aber jeder sein eigenes Risiko. Das ist nur so eine Art Abnahmegarantie. Man weiß genau: dann kommen Küken, dann - plus/minus ein/zwei Tage - werden die geschlachtet. Und dann kriegt man auch irgendwann neue. Das ist der Verbund. "

    Und weil es ein Verbund ist, hat auch Jan-Bernd Stolle nur wenige Möglichkeiten, auf den rückläufigen Absatz zu reagieren. Derzeit streckt er noch die Mastzeiten: Blieb ein Stall früher acht Tage leer, vergehen inzwischen bis zu drei Wochen bis eine neue Küken-Generation kommt. Immer seltener bringen deshalb die großen LKWs den Hähnchen-Nachwuchs auf den Hof. Immer häufiger wird in den Schlachtbetrieben das Fleisch eingefroren. Keine Hähnchen - kein Umsatz - kein Gewinn. So einfach ist das.
    Doch es kommt noch schlimmer: Je mehr der Absatz zurückgeht, desto billiger wird das Fleisch. Bis Dezember verdiente Stolle pro Hähnchen brutto noch 1,15 - 1,20 Euro. Im Moment kriegt er gerade mal ein Euro pro Hähnchen. Verdienen kann Stolle daran nicht mehr, denn von dem Brutto-Erlös muss er alles bezahlen - das Futter, die Technik, die Ställe, alles eben.

    " Sonst ist ungefähr alle zwei Monate eine Preisversammlung. Solange wie ich die Hähnchen mäste, wie gesagt seit 15 Jahren, hab ich so was noch nicht erlebt, dass wochenweise der Preis so rapide gefallen ist, wie jetzt durch die Unsicherheit der Verbraucher. "

    Die 15 bis 20 Cent weniger pro Hähnchen entscheiden bei Stolle über Gut und Böse, über Gewinn und Verlust. Geht der Preis noch weiter runter, wird er einige Ställe schließen, ansonsten zahlt er drauf.

    Wirtschaftlich absichern kann man sich nicht. Zwar gibt es teure Risiko-Versicherungen. Doch die würde bei Geflügelpest nicht einspringen, meint Stolle. Um sich selbst hat der 37-Jährige keine Angst. Auch wenn er zu gefährdeten Berufsgruppe gehört, hat er sich nicht impfen lassen. Und natürlich kommt bei ihm Geflügel auf den Tisch. Bedenkenlos. Schließlich weiß er selbst, wie genau kontrolliert wird, bevor die Hähnchen geschlachtet werden. Angst machen ihm vor allem die Absatz-Zahlen oder die Vorstellung wie in Frankreich eines Morgens 400 Kadaver im Stall zu finden.