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Kaum bekannte Details aus Bin Ladens Leben

In den Monaten vor seinem Tod hatten die Abgesänge auf den Anführer von Al Kaida längst begonnen. In Amerikas Debatten über den Terrorismus war er kaum noch präsent, die US-Bürger gruselte eher vor einheimischen Schläferzellen oder Terrorfürsten aus dem Jemen.

Von Gregor Peter Schmitz | 02.05.2011
    Selbst seine Botschaften, die Bin Laden in regelmäßigen Abständen noch veröffentlichte, sorgten in den USA immer seltener für Schlagzeilen. Er galt nicht länger die globale Terror-Führungsfigur, analysiert Michael Scheuer in seiner jüngst erschienen Bin Laden-Biografie. Der Autor lässt aber keinen Zweifel daran, dass er dies für ein sträfliches Versäumnis hielt. Osama Bin Laden war die größte Gefahr für die Sicherheit Amerikas – bis zur vergangenen Nacht:

    "Bin Laden ist nicht die Karikatur, die wir aus ihm gemacht haben. Wenn ich nur zehn Qualitäten aufzählen müsste, um eine Kurzbiografie von ihm zu erstellen, würden mir diese einfallen: fromm, mutig, großzügig, intelligent, charismatisch, geduldig, visionär, störrisch, für Chancengleichheit und, vor allem, realistisch. Er hatte die zeitlose Wahrheit verinnerlicht, dass Kriege nur durch Töten gewonnen werden können."

    Laut Scheuers Buch war Bin Laden eben kein verblendeter Abweichler vom reinen Islam, wie es vor allem saudi-arabische Kreise den Amerikanern weismachen wollten - sondern im Gegenteil ein Produkt der radikalen Whahabi-Kultur, welche die islamische Scharia besonders streng auslegt und die von der saudischen Regierung mit Milliardensummen gefördert wurde. Deren Propaganda war bei Bin Laden auf besonders fruchtbaren Boden gefallen, denn:

    "Er verfügte über umfassende Kenntnis des Koran und verstand es als begabter Polemiker, mit den 1,3 Milliarden Muslimen effektiv zu kommunizieren...er hatte ein gutes Verständnis aktueller globaler Entwicklungen, er vertraute auf die neuesten Informationen, um seine Entscheidungen zu lenken. Er nutzte seine Managementfähigkeiten, um eine multiethnische, multinationale und multilinguale Organisation zu führen, die in der muslimischen Welt einmalig war. Und er zeigte die coole Kalkulationsgabe eines Geschäftsmannes, der Kosten und Nutzen abwägt, ebenso wie die Weltläufigkeit eines Medienmoguls."

    Überraschen kann kaum, dass Scheuer so argumentiert. Er hat viele Jahre lang bin Laden gejagt, er war einst Kopf der CIA-Gruppe, die den Top-Terroristen suchte, lange bevor dieser mit den Anschlägen vom 11. September 2001 berühmt wurde. In dieser Zeit lernte er viel über die Qualitäten bin Ladens. Scheuer verließ den Öffentlichen Dienst, er verfasste ein zorniges Buch, in dem er dem Westen vorrechnete, warum er dabei sei, den Sieg im Krieg gegen den Terror zu verspielen. So viel Aufsehen erregte er, dass Bin Laden laut US-Medienberichten einmal selbst mitteilen ließ, er lese Scheuers Schriften. Der Ex-CIA-Mann schreibt also mit enormer Sachkenntnis, aber auch mit einer ganz eigenen Agenda, die sich durch sein Buch zieht. Scheuer schildert virtuos viele bislang kaum bekannte Details aus Bin Ladens Leben. Doch anders als etwa das Standardwerk von Steve Coll über die Bin Laden-Familie macht es Scheuers schmales Werk dem gemeinen Leser nicht leicht. Der Autor setzt viel Sachkenntnis über die verschiedenen Strömungen des globalen Terrorismus voraus, ein Manko, das durch die bisweilen schwergängige Schreibweise noch unterstrichen wird. Vor allem aber vernachlässigt Scheuer neuere Entwicklungen, die auch erklären, warum Bin Laden in seiner Spätphase derart an Einfluss verlor - und Al Kaida beim aktuellen Umbruch im Nahen Osten kaum eine Rolle spielte. Etwa die Unfähigkeit der Organisation, soziale Netzwerke für sich zu nutzen. Es gehe ihm nicht einfach nur um die Person Bin Laden, beharrt der Ex-CIA-Mann Scheuer in seinem Buch, er wolle vielmehr einen Wandel in der Anti-Terror-Strategie des Westens erreichen:

    "Die meisten unserer gängigen Annahmen über Bin Laden sind schlicht falsch - ob nun aus Bequemlichkeit, Langeweile, Faulheit oder Selbstgerechtigkeit. Aber er gönnt uns keine Ausrede, uns selber zu täuschen."

    Das schrieb Autor Scheuer, bevor die sensationelle Nachricht in der vergangenen Nacht um die Welt ging. Die Chance, Amerika zu zeigen, dass er noch immer zuschlagen kann, hat der Al Kaida-Gründer zum Glück nicht mehr erhalten. Das heißt aber nicht, dass - wie manche Kommentatoren nun vorschnell urteilen - der Kampf gegen den Terrorismus vorbei sei. Um bin Ladens Nachfolger zu verstehen, ist Scheuers außergewöhnlich kenntnisreicher Einblick in dessen Gedankenwelt äußerst hilfreich.

    Gregor Peter Schmitz war das über: Michael Scheuer: Osama Bin Laden. Erschienen in der Oxford University Press, 304 Seiten kosten ca. 12 Euro 95.