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Kaum ein Fluss ohne Staudamm

Zahlreiche Staaten wollen entlang ihrer Flüsse neue Wasserkraftwerke errichten. Welche Dimensionen diese Ausbaupläne weltweit haben, berichten jetzt Umweltforscher auf einer Fachkonferenz in Münster. Und sie warnen vor negativen Folgen für die Artenvielfalt.

Von Volker Mrasek | 08.07.2013
    "Also, ich denke, dass das auf großes Interesse stoßen wird, weil es diese Daten in dieser gesammelten Form noch nicht gibt."

    Christiane Zarfl spricht von der künftigen Entwicklung der Wasserkraftnutzung. Wie viele neue Staudämme an Flüssen dafür im Bau oder geplant sind - und zwar weltweit - das wurde jetzt am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin recherchiert. Christiane Zarfl ist dort als Umweltwissenschaftlerin tätig.

    "Dass man das mal konzentriert zusammenträgt und zeigt: Wo sind denn die Hot Spots zu erwarten, wo Wasserkraft-Ausbau stattfinden wird? Das gibt es damit dann zum ersten Mal."

    Die Daten zusammengetragen hat Alex Lumsdon. Acht Monate investierte der englische Geograf in diese Arbeit. Er durchforstete Regierungsdokumente, Firmenprospekte und Zeitungsartikel aus aller Welt. Und kam so am Ende auf über 360 Quellen, die er als seriös einschätzte. Lumsdon forscht ebenfalls am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und ist zugleich Doktorand an der Freien Universität Berlin.

    "Wir wollten abschätzen, wie groß der erwartete weltweite Boom der künftigen Wasserkraftnutzung sein wird. Nach unseren Studien sind etwas mehr als 3000 Staudämme in der Umsetzung. Die meisten von ihnen, rund 80 Prozent, sind derzeit noch in der Planung und knapp 20 Prozent bereits im Bau. In der Regel dauert es drei bis acht Jahre, einen größeren Staudamm zu errichten. Aber solche Projekte sind dafür bekannt, dass sie sich sehr verzögern können. Oft werden sie von starken Protesten der Bevölkerung begleitet, vor allem in Entwicklungsländern."

    Die neuen Studienergebnisse stellte Alex Lumsdon jetzt zum ersten Mal in Münster vor, auf einem Symposium europäischer Süßwasserforscher.

    "Eine Vielzahl von Projekten wird es vor allem am Amazonas geben und in der Himalaya-Region, im Einzugsgebiet der beiden großen Ströme Ganges und Brahmaputra. Länder, die die Projekte vorantreiben, sind Brasilien, Argentinien, die Türkei, Indien und Nepal. Aber auch in China tut sich viel."

    Die Wasserkraft gilt als klimafreundlicher Energieträger, denn sie verursacht keine Treibhausgas-Emissionen wie zum Beispiel fossile Kraftwerke, die Kohle oder Erdgas verfeuern. Daher der bevorstehende Boom im Ausbau von Wasserkraftwerken und Staudämmen. Christiane Zarfl sieht aber auch Schattenseiten dieser Entwicklung:

    "Weil wir Gewässerökologen sind, haben wir eben auch eine Verantwortung aufzuzeigen, dass Wasserkraft nicht nur Vorteile hat. Also, da sind zum Beispiel die sozialen Auswirkungen wie Umsiedlungen. Da gibt es aber natürlich auch ökologische Auswirkungen. Also, einmal allein durch die Dämme selbst schon, dass die Gewässer fragmentiert werden. Also, dass zum Beispiel wandernde Fische nicht mehr wandern können. Dann gibt es aber auch Änderungen halt im Fließverhalten der Gewässer, dadurch, dass nur zu bestimmten Zeiten eben das Wasser auch durchgelassen wird."

    Alex Lumsdon bereitet vor allem Sorge, in welchen Regionen die meisten der neuen Staudämme gebaut werden sollen:

    "An vielen Hot Spots der künftigen Wasserkraftnutzung gibt es bisher nur ganz wenige Staudämme. Das gilt zum Beispiel für den Amazonas. Da haben wir heute weniger als zehn in unserer Datenbank. Geplant sind aber mehr als 100 neue Dämme. Am Mekong in Asien ist es ähnlich. Im Hauptstrom gibt es bisher noch gar keine Staudämme. Für die Zukunft sind aber mehr als 70 im Mekong und seinen Zuflüssen geplant. In diesen Gebieten müssen wir mit einem Rückgang der Süßwasser-Arten rechnen."

    Ein Rückgang, der schon für viele Wasserkraft-Projekte belegt sei, wie Lumsdon sagt. Eben weil Staudämme ein Hindernis im Fluss darstellten; Wanderfische wie Lachse oder Aale könnten es nicht mehr überwinden. Die Berliner Forscher würden sich deshalb wünschen, dass es überall Umweltverträglichkeitsprüfungen für Wasserkraft-Projekte gibt. In vielen Ländern fehlen sie heute noch.