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Kaum eine Woche ohne Anschlag

Mit der Aushebung des Terrorrings "17. November" im Sommer 2002 in Athen schien es, als wäre das Kapitel Terrorismus in Griechenland abgeschlossen. Und tatsächlich war es bis zu den Olympischen Spielen von Athen weitgehend ruhig in der griechischen Hauptstadt. Doch nun scheint eine neue Generation von Terroristen am Werk zu sein.

Von Alkyone Karamanolis |
    Abgesperrte Straßen, Polizeiautos, Beamte in Ganzkörperanzügen. Nachrichten von Terrorakten, Bilder, die sich wiederholen. Nach Jahren relativer Ruhe hat es allein in den vergangenen elf Monaten rund 15 Anschläge in Athen gegeben. Eine der Hauptursachen für diese Welle der Gewalt: der Tod eines Jugendlichen durch eine Polizeikugel im Dezember vergangenen Jahres. Der renommierte Kriminologe Theodoros Papatheodorou:

    "Die politische Führung damals war unfähig, die wütenden Reaktionen auf den Tod des Jugendlichen richtig zu deuten. Diese Reaktionen offenbarten eine tiefe soziale Krise. Die Regierung hätte zumindest Verantwortung übernehmen müssen für das, was passiert war - was sie nicht getan hat. Das war das eine. Und dann brannte Athen. Jeder konnte tun und lassen, was er wollte. So hat sich der Staat damals in den Augen der Bürger vollkommen diskreditiert. Und damit den Boden für Extremisten geebnet."
    Seither gab es Bombenanschläge auf das Gebäude der Börse, auf Banken, auf Büros von Politikern, auf einen privaten Fernsehsender. Rechtzeitige Drohanrufe verhinderten, dass es zu Opfern kam. Anders bei den Polizeiwachen, die mit Maschinengewehren angegriffen wurden - bisher mit mehreren teils schwer Verletzten. Politische Beobachter sprechen von einer bisher nicht gekannten Gewalt. Die Terrorgruppen erscheinen unter laufend wechselnden Namen und bezeichnen sich in ihren Bekennerschreiben als Stadtguerilla.
    "Der neue Terror verwendet eine Kriegsrhetorik, und er richtet sich potenziell gegen alle. Hatten wir es früher mit einem wie auch immer politisch motivierten, von links bis ultralinks zu verortenden Block zu tun, so sehen wir uns nun Tätern ohne politische Kultur gegenüber. Ihre Bekennerschreiben sind ohne ideologische Färbung. Und: Sie schließen zufällige Opfer nicht aus. Ich weiß nicht, ob diese neue Gewalt von links kommt. Ich sehe eher eine faschistische Motivation, und ich erinnere an frühere Anschläge in Italien, etwa 1980 in Bologna, die auch nicht von links kamen."
    Der Terror in Griechenland ist nicht neu. Nach dem Fall der Militär-Junta 1974 war vor allem die sogenannte Gruppe des "17. November" aktiv. Erst 2002, kurz vor den Olympischen Spielen, gelang es den Antiterror-Experten in Athen, den Terorring aufzudecken. Doch als kurze Zeit später die konservative Nea Dimokratia an die Macht kam, folgten, so die weitverbreitete Überzeugung unter Experten, strategische Fehler in Politik und Verwaltung. Theodoros Papatheodorou:
    "Die neue Regierung damals hat niedergerissen, was die vorherige aufgebaut hatte. Sie hat sich einerseits in falscher Sicherheit gewiegt, und vor allem: Ihre Personalentscheidungen waren parteipolitisch motiviert. Leute mit einschlägiger Erfahrung in der Antiterroreinheit wurden zwangsversetzt, an ihre Stelle traten unerfahrene Kollegen. Sicher wirkt sich ein Regierungswechsel auf einzelne Posten in der Verwaltung aus. Hier aber haben die politischen Gefälligkeiten die Verwaltungspolitik diktiert. Bis hin zu den untersten Posten."
    Wer die Unterstützung eines einflussreichen Politikers hatte, konnte sich als Polizist seinen Posten quasi aussuchen. So kommt es auch, dass die griechische Polizei, obwohl sie prozentual gesehen europaweit das meiste Personal hat, weitgehend handlungsunfähig ist. Seitdem die sozialistische Pasok im Oktober die Macht übernahm, hat sie eine grundlegende Umstrukturierung bei der Polizei angekündigt und erste Personalentscheidungen getroffen: Beamte, die bis 2004 in der Terrorbekämpfung aktiv waren, sind wieder im Amt. Doch um dem Terror in Griechenland zu begegnen, müssten Politik und staatliche Institutionen insgesamt wieder Glaubwürdigkeit erlangen, meint der Kriminologe Theodoros Papatheodorou:
    "Wir haben die letzten Jahre Korruption und Skandale erlebt auf einem Niveau wie niemals zuvor. Vor allem ab 2005 gab es praktisch jeden Monat einen neuen Politskandal. Und die inzwischen ja abgewählte Regierung hat diese Skandale noch nicht einmal als verwerflich gebrandmarkt. Es ist auch niemand bestraft worden. Beim Bürger hat sich also der Eindruck verfestigt, dass selbst schlimme Straftaten, wenn sie von der finanziellen, beziehungsweise der politischen Oberschicht begangen werden, gedeckt und vertuscht werden. Und das ist für Moral und Zusammenhalt der Gesellschaft der Todesstoß."