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Kaum Hoffnung auf Gerechtigkeit

William Ruto, der zweitmächtigste Mann Kenias, muss sich derzeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten. Ihm wird vorgeworfen, die Gewaltexzesse während der Wahlen vor sechs Jahren mit geschürt zu haben. Konsequenzen hätte eine Verurteilung wohl nicht.

Von Antje Diekhans |
    Zelte stehen dicht an dicht. Frauen kochen davor einen Brei aus Mais und Bohnen. Ein billiges Essen für die Bewohner eines Flüchtlingslagers nahe der kenianischen Hauptstadt. Die Männer, Frauen und Kinder hier gehören zu den mehr als 600.000 Menschen, die während der Unruhen nach den Wahlen 2007 in dem ostafrikanischen Land vertrieben wurden.

    "Es war wie ein Blutrausch, Banden sind herumgezogen. Sie haben Menschen niedergemetzelt und Häuser in Brand gesetzt. Ich bin um mein Leben gerannt und musste dabei über viele Leichen springen, die am Boden lagen,"

    erinnert sich Geoffrey, einer der Flüchtlinge. Über Wochen stand Kenia am Rande eines Bürgerkriegs. Anhänger des damaligen Präsidenten Kibaki und seines Herausforderers gingen aufeinander los. Am Ende lag die Zahl der Toten bei mehr als 1000. Zur Rechenschaft gezogen für die Gewalt wurde bisher niemand. Der Internationale Strafgerichtshof hat drei mutmaßliche Drahtzieher angeklagt. Darunter der heutige Präsident Uhuru Kenyatta, ein Sohn des Staatsgründers. Und sein Stellvertreter, William Ruto. Der musste sich in der vergangenen Woche zum ersten Mal in Den Haag verantworten.

    In einem Slum in Nairobi verfolgen etwa ein Dutzend Frauen und Männer den Prozess. Einen Fernseher hat hier kaum jemand, darum haben sie sich in einem Friseursalon versammelt. Der Besitzer hat ein altes Gerät aufgetrieben und davor Bänke aus Latten und Kisten aufgebaut. Ein kenianischer Sender überträgt aus dem Gerichtssaal.

    "Ich erwarte, dass jetzt Gerechtigkeit geschieht. Es sollte keine Rolle spielen, dass Ruto inzwischen Vizepräsident ist. Er muss genau wie jeder andere Angeklagte behandelt werden. In die Gerichte hier habe ich schon lange kein Vertrauen mehr,"

    sagt ein junger Zuschauer, der damals nur knapp einem mordenden Mob entkam. Mehrere Anläufe, ein nationales Tribunal in Kenia einzurichten, scheiterten. Nach langem Hin und Her sicherten Kenyatta und Ruto zu, sich dem Verfahren in Den Haag zu stellen. Die beiden hatten während der Auseinandersetzungen noch auf unterschiedlichen Seiten gestanden. Die Anklage des Strafgerichtshofs machte sie zu Verbündeten.

    Rückblick auf das Wochenende vor Prozessbeginn. Ruto und Kenyatta haben ihre Unterstützer zusammengetrommelt, um mit ihnen zu beten. Sie rufen Gott als Instanz noch weit über dem Strafgerichtshof an. Er soll helfen, damit sich ihre angebliche Unschuld beweist.

    "Wir werden den Teufel besiegen. Ich werde die Wahrheit aussagen und meine Feinde beschämen",

    gibt sich Ruto siegesgewiss. Die Angeklagten verstanden es im Wahlkampf in diesem Jahr, das Verfahren für ihre Zwecke zu nutzen. Tenor in all ihren Reden: Der Gerichtshof mischt sich in die internen Angelegenheiten Kenias ein. Der Präsident wiederholte diesen Vorwurf.

    "Ich habe es schon gesagt, als wir um Stimmen geworben haben und ich bekräftige es jetzt: Wir werden unseren Ruf und den Ruf unseres Landes wiederherstellen."

    Kenia hat sich in Ostafrika an die Spitze einer Bewegung gesetzt, die Stimmung gegen den Strafgerichtshof macht. Auch aus Uganda, Äthiopien und anderen Ländern wird inzwischen der Vorwurf laut, Den Haag klage nur Afrikaner an. Der äthiopische Regierungschef warf dem Tribunal sogar Rassismus vor. Mit ähnlichen Argumenten setzten Kenyatta und Ruto eine Entscheidung im kenianischen Parlament durch.

    Kurz vor Abreise des Vizepräsidenten nach Den Haag stimmten die Abgeordneten dafür, künftig nicht mehr mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten. Die Allianz von Kenyatta und Ruto hat eine große Mehrheit - da half auch der Protest der übrigen Parteien nichts.

    "Während der Debatte vor den Wahlen hat unser Präsident noch anders geklungen, regte sich der Oppositionsführer auf. Er hat zugesagt, sich der Anklage zu stellen."

    Auf die schon eröffneten Prozesse in Den Haag wird die Entscheidung - rein juristisch gesehen - keine Auswirkung haben. Aber Menschenrechtler in Kenia befürchten, dass die Angeklagten den Beschluss irgendwann nutzen, um sich den Verfahren zu entziehen. Das Argument könnte dann sein: Das Volk hat sowieso kein Vertrauen mehr in den Gerichtshof – und die Staatsgeschäfte sind dringlicher.

    Für viele Menschen in den Slums von Nairobi wäre dieser Schritt allerdings das endgültige Signal, dass ihr Schicksal nicht interessiert.

    "Die Politiker haben bekommen, was sie wollten. Aber um uns kümmert sich keiner,"

    regt sich ein Mann bei der Fernsehübertragung aus Den Haag auf. Die Gruppe in dem kleinen Friseursalon fragt sich, welche Chancen die Anklage in Den Haag hat. Die Zahl der Zeugen in den Verfahren ist stark gesunken. Einige sind gestorben, andere haben ihre Aussage zurückgezogen.

    "Wenn ich sehe, dass sie nicht mehr vor Gericht erscheinen wollen, fallen mir nur zwei Gründe dafür ein. Entweder sind sie eingeschüchtert worden oder jemand hat sie bestochen."

    Nach zwei Tagen musste der Prozess in der vergangenen Woche unterbrochen werden, weil Zeugen fehlten. Die Zuschauer hoffen, dass das die Ausnahme bleibt.

    "”Es sind ja genügend Zeugen da, die ihre Aussage machen werden. Die Anklage hat viele Beweise gesammelt.""

    Im Flüchtlingslager nahe Nairobi verfolgen die meisten über Zeitungen, was sich in Den Haag tut. Ruto auf der Anklagebank zu wissen, gibt einigen ein wenig das Gefühl von Gerechtigkeit. Aber viele sagen: Zu viele Täter sind nie belangt worden.

    "Die Menschen, die zu den Waffen gegriffen haben, sind immer noch frei. Ich kann nicht in mein Dorf zurück, denn dann würde ich den Tätern wieder gegenüberstehen. Das wäre, als würde ich Selbstmord begehen,"

    meint Geoffrey. Das Leben würde für ihn erst wieder richtig anfangen, wenn er ein neues Zuhause hätte.