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"Wahlverhalten ist sehr ethnisch geprägt"

"Ich habe niemals zuvor eine solche Bewegung für Frieden gesehen", beschreibt Wahlbeobachter Heiko Meinhardt von "Brot für die Welt" den Wunsch nach friedlichen Wahlen in Kenia. Die "Konsolidierung des demokratischen Prozesses" sei aber noch lange nicht abgeschlossen, ethnische Zugehörigkeit bestimme das Abstimmungsverhalten.

Heiko Meinhardt im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: In Kenia erreichen wir Heiko Meinhardt von der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt, der dort die Wahlen beobachtet. Guten Tag, Herr Meinhardt!

    Heiko Meinhardt: Schönen guten Tag aus Nairobi.

    Dobovisek: Mussten Sie denn inzwischen auch Gewalttaten beobachten, Herr Meinhardt?

    Meinhardt: Gott sei Dank nicht. Ich bin im Wahlkreis Kibera, einem der größten Elendsviertel Nairobis, unterwegs und habe dort eine ganze Menge Wahllokale bereits angesehen und beobachtet. Und Gott sei Dank: Es ist mit Ausnahme von einigen kleinen Rangeleien unter den wartenden Wählerinnen und Wählern nicht zu Gewalt gekommen. Ich habe also keine beobachtet.

    Dobovisek: Wie ist denn die Stimmung unter den Wählern nach den Ausschreitungen mit vielen Hundert Toten vor fünf Jahren bei den Wählern? Haben Sie Angst?

    Meinhardt: Ja. Ich habe niemals zuvor eine solche Bewegung für Frieden gesehen. Mit allen möglichen Menschen, mit denen ich auch in der Wahlkampfzeit und vor den Wahlen gesprochen habe, aus der Zivilgesellschaft, aus den politischen Lagern, alle haben ganz deutlich gemacht, dass sie friedliche Wahlen sehen wollen, dass sie nicht die Katastrophe von 2007/2008 sehen wollen, wo ja über 1300 Menschen ihr Leben verloren haben, sondern die Kenianer wollen der Welt und sich selbst zeigen, dass sie die Wahlen eben auch friedlich über die Bühne bringen können.

    Dobovisek: Sie sind gerade in einem Wahllokal in Nairobi, wir hören das auch ein bisschen im Hintergrund. In Mombasa scheint die Lage etwas anders zu sein, wir hörten das gerade von unserer Korrespondentin. Da gibt es ja Separatisten, schwer bewaffnete Banden, die dort mehrere Menschen getötet haben sollen. Was wissen Sie über diese Banden?

    Meinhardt: Es geht wirklich vermutlich, soweit wir auch davon gehört haben, um Separatisten, also um eine Gruppe von Terroristen, die nicht auf der Grundlage der Verfassung steht und nun gerade am Wahltag diese Wahlen stören möchte. Ich glaube, der große Unterschied zu 2007 ist, dass diesmal keine der politischen Parteien, die an den Wahlen teilnehmen, an den Wahlen beteiligt sind, für die Gewalt zu verantworten sind, sondern dass es sich hier um nicht verfassungsgemäße Kräfte handelt. Und das wird natürlich hier auch von allen politischen Parteien und von allen, die sich an den friedlichen Wahlen beteiligen, abgelehnt und schon mit Sorge auch registriert.

    Dobovisek: Der frühere Finanzminister Kenyatta, er kandidiert ja für die Wahl zum Präsidenten, ist oder wird aber auch gleichzeitig dafür verantwortlich gemacht, für den Ausbruch der Unruhen 2007, gilt als Drahtzieher dieser Unruhen. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist er angeklagt. Was sagt uns das über die Demokratie in Kenia?

    Meinhardt: Ich kann als Wahlbeobachter zu so einer politischen Frage keine Stellung nehmen, weil es meine Aufgabe ist, praktisch dafür zu sorgen, ob die Wahlen nach internationalen Standards demokratisch über die Bühne gehen. Und dabei ist erst mal jeder, der hier von der Wahlkommission als Kandidat akzeptiert wurde, praktisch dabei. Im Hinblick auf diese politischen Dinge möchte ich, um die Mission auch nicht zu diskreditieren, keine Stellung beziehen.

    Dobovisek: Welchen Eindruck haben Sie von den Wählerinnen und Wählern um Sie herum? Spielt das eine Rolle für die Menschen dort?

    Meinhardt: Das Wahlverhalten ist sehr ethnisch geprägt und Kibera, das Elendsviertel von Kibera ist vornehmlich von Luos geprägt. Das bedeutet: Wir kennen natürlich das Ergebnis bisher nicht, aber die Stimmung hier auch im Wahlkampf war eben dann sehr für Luo und für den Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga hier. Das kann man wirklich so sagen. Parteiprogramme oder Ideologien spielen hier in diesen Wahlen sicherlich eine höchstens untergeordnete, vielleicht sogar gar keine Rolle.

    Dobovisek: Ist das aus Ihrer Sicht gut oder schlecht?

    Meinhardt: Ja, das ist natürlich schlecht für ein demokratisches System, denn da soll man sich ja wirklich orientieren an Fachfragen, vielleicht auch an Ideologien, aber zumindest an Programmen und nicht an Personen und ihrer ethnischen Herkunft. Aber Kenia ist eben ein Land, das immer so geprägt war. Und es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, bis das überwunden ist. Das hat sicherlich auch etwas mit der Konsolidierung des demokratischen Prozesses zu tun, der auf dem Wege ist, der aber noch längst nicht abgeschlossen ist.

    Dobovisek: Haben Sie den Eindruck, soweit Sie die Wahlen bisher beobachtet haben, dass sie frei, fair und ohne Druck stattfinden?

    Meinhardt: Das kann man natürlich jetzt letztendlich noch nicht sagen. Ich kann das auch nur für mich sagen. Frei sind sie sicherlich, weil alle wahlberechtigten Kenianer eine Möglichkeit hatten, sich registrieren zu lassen. Und die, die registriert sind, dürfen auch, jedenfalls das, was ich hier sehe, wählen. Ob und in welcher Form die Wahlen nachher als glaubwürdig zu sehen sind, das müsste man dann nach der Auszählung, nach dem Zusammenzählen der Ergebnisse sehen, denn das war ja gerade das Problem bei den Wahlen 2007.

    Dobovisek: Präsidenten- und Parlamentswahlen in Kenia – die Einschätzungen von Heiko Meinhardt von der Hilfsorganisation Brot für die Welt, der dort als Wahlbeobachter zugegen ist. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.

    Meinhardt: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.