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Kaum Menschen, aber jede Menge

Hooksiel Außenhafen morgens kurz vor acht. Scheinbar mühelos bahnt sich die

Joachim Reinshagen |
    "MS Möwe" ihren Weg hinaus auf die Nordsee. An Bord: Eine kleine
    Expeditionsgruppe unter der Leitung von Biologe Thomas Clemens auf dem Weg
    zur Vogelschutzinsel Mellum:

    Die Insel Mellum liegt mitten im Herzen des Nationalparks
    Niedersächsisches Wattenmeer. Sie ist eine Vogelinsel und auf ihr ist von
    Anfang an Naturschutz betrieben worden. Es gab außer im Zweiten Weltkrieg,
    als eine Befestigungsanlage errichtet wurde, keine anderen Eingriffe des
    Menschen, das heißt sie ist ein Musterbeispiel natürlicher Dynamik im
    Wattenmeer, weil sie nur durch Wind und Wellen und durch Vögel,
    Mikroorganismen usw. beeinflußt worden ist.


    Nach knapp einer Stunde schaukelnder Fahrt ist die Insel in Sicht. Am
    Horizont ragen ein paar Baumspitzen über die Dünen ? eine Schar Ringelgänse
    landet auf einer der zahlreiche Sandbänke, die Mellum umgeben.

    Wir fahren mit einem Ruck jetzt gleich auf die Insel rauf und
    können dann mit einer Leiter vom Boot gehen, was das Ausbooten erspart in
    diesem Fall.


    Einen Schiffsanleger gibt es nicht. Die Besucher stapfen bis zu den Knien
    im Wasser zu Fuß an Land. Vielleicht war es genau an dieser Stelle, an der
    vor 100 Jahren der Oldenburger Lehrer und Küstengeologe, Heinrich Schütte,
    als wahrscheinlich erster Mensch die Insel betrat:

    Er hat von Anwohnern hier von der Küste, von Fischern aus dem
    Jeverland erfahren, dass sich eine Sandbank, die sicherlich schon seit
    hunderten von Jahren hier existiert hat, plötzlich erhoben hat aus dem
    Meer. Sie ist bewachsen mit Vegetation, damit eine Insel geworden, es haben
    sich Vögel angesiedelt. Und dieser Dr. Schütte ist im Oktober 1903 das
    erste Mal hierher gekommen und damit wurde die Insel Mellum dann bekannt.



    Seit 1921 steht Mellum unter Naturschutz, seit 1925 betreut die Forschungs-
    und Naturschutzgemeinschaft Mellumrat die Insel und unterhält dort ein
    Stationshaus. Darin lebt Naturschutzwart Christoph Geibel. Der 33-jährige
    ist angehender Geographie-Student und schon seit März auf der Insel.
    Regelmäßig beobachtet er mit dem Fernglas die Vögel und notiert die
    Bestände:

    Wir haben 14-tägig die Rastvogelerfassung, wir haben alle
    drei Tage eine Pflicht Runde, wo unter anderem auch verölte Vögel
    aufgenommen werden und auch diese Müll-Monitoring gemacht wird. Im Sommer,
    im Juli, ist es natürlich auch die Aufgabe zu gucken, dass die Insel hier
    in Ruhe gelassen wird und das es hier keine Besucher gibt.


    Im Jahr brüten über 10.000 Silbermöwen-Paare auf Mellum. Jetzt im Herbst
    kommen die Rastvögel aus Skandinavien hinzu. Außerdem zählt Christoph
    Geibel im Auftrag der Nationalparkverwaltung die Seehundbestände auf der
    Insel. Per e-mail schickt er alle Daten zum Mellumrat nach Dangast, dort
    werden sie ausgewertet. Neben dem Mobiltelefon ist dies die einzige
    Verbindung aufs Festland. Lediglich alle zwei Wochen kommt das
    Versorgungsschiff:

    Also der Reiz ist einmal das einfache Leben. Man ist ja hier
    nicht so verwöhnt wie zu Hause. Es gibt keine Waschmaschine, es gibt keine
    Dusche, es gibt keine Zentralheizung. Und man lernt die Artenvielfalt hier
    kennen und man ist den ganzen Tag an der frischen Luft.


    Ständig verändert die Insel ihr Gesicht. Wind und Wellen formen neue
    Sandbänke, Sturmfluten nagen an den Dünen und spülen sie davon. Bei der
    ersten Vermessung vor rund 100 Jahren hatte Mellum eine Fläche von gerade
    einmal 10 Hektar, heute sind es rund 75 Hektar. Vom Menschen unbeeinflusst
    gestalten nur die Naturkräfte sowie Vögel und Pflanzen das Aussehen der
    Insel. Thomas Clemens vom Mellumrat ist fasziniert:

    Wenn man vergleichbares erleben wollte, müsste man in der
    Sahara eine Oase besuchen ? hier ist man von Wasser umgeben. Es ist ein
    Paradies vor unserer Küste in der südlichen Nordsee.