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Kaum Möglichkeiten zur Steuerentlastung

Der saarländischer Ministerpräsident Peter Müller (CDU) sieht kaum Möglichkeiten für Steuerentlastungen. Mindereinnahmen in Milliardenhöhe könnten die öffentlichen Haushalte nicht verkraften, sagte Müller am Freitag im Deutschlandfunk. Dennoch gebe es Gestaltungsspielraum, auch niedrigere Steuersätze seien möglich. Voraussetzung dafür sei die Abschaffung von Ausnahmetatbeständen. Gestaltungsspielraum sieht Müller auch bei der Mehrwertsteuer, die Verbrauchssteuer sei in Deutschland im europäischen Vergleich niedrig.

    Birke: In den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk darf ich nun recht herzlich Peter Müller begrüßen. Er ist CDU-Politiker und Ministerpräsident des Saarlandes. Einen schönen guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Guten Morgen!

    Birke: Herr Müller, Sie haben ja eine anstrengende und teilweise kontroverse Sitzung der Minister-präsidenten gestern über Elite-Unis und Rechtschreibereform hinter sich. Da hat es Sie doch sicher ge-freut, heute die Schlagzeile in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen, "Union will Mehrwertsteuer erhö-hen"?

    Müller: Also ich habe die "Süddeutsche Zeitung" heute Morgen noch nicht gelesen. Vor dem Hin-tergrund kann ich zu den Schlagzeilen und den Hintergründen der dortigen Schlagzeilen im Moment auch nichts sagen.

    Birke: Aber Sie haben ja immer für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer als solide Finanzierung der Vorhaben der Union nach einem möglichen Regierungswechsel plädiert. Also würde das doch Ihrer Li-nie entsprechen?

    Müller: Wir müssen ein politisches Gesamtkonzept entwickeln und im Rahmen dieses Gesamtkon-zeptes auch über die Frage des Verhältnisses von direkten und indirekten Steuern reden. Es geht also um das Thema wie gelingt es uns, die Erwerbsarbeit von Lohnzusatzkosten zu entlasten. Es geht um die Frage wie gelingt es uns, die Gesundheitsprämie einzuführen. Vor diesem Hintergrund stellt sich dann möglicherweise auch die Frage, wie geht es weiter im Bereich der Mehrwertsteuer. Der Mehr-wertsteuersatz in Deutschland ist im europäischen Vergleich niedrig.
    Im Übrigen glaube ich, dass die Mehrwertsteuer ja auch viele Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Es gibt die Güter des täglichen Bedarfes, die nur dem halben Mehrwertsteuersatz unterliegen. Die Frage ist, was in diesem Bereich passiert. Darüber hinaus ist sicherlich auch die Frage, ob wir durch eine entspre-chend intelligente Gestaltung der Mehrwertsteuer Anreize schaffen, um Schwarzarbeit besser zu be-kämpfen, etwa im Bereich der Bauleistung.

    Birke: Sie würden also dafür plädieren, den Bereich der Mehrwertsteuer, der unteren Sätze für Le-bensmittel etwa, niedrig zu lassen und dann vielleicht bei dem oberen Satz von 16% ein, zwei Prozent-punkte draufzuschlagen, um etwa Gesundheitsprämie, den sozialen Ausgleich dort zu finanzieren?

    Müller: Also ich glaube nicht, dass man die Diskussion so isoliert und so zugespitzt führen kann. Wir brauchen ein politisches Gesamtkonzept. Das entwickeln wir und das werden wir am 11. Juli vor-stellen. Im Rahmen dieses Gesamtkonzeptes werden wir auch die Frage nach der Mehrwertsteuer end-gültig entscheiden.

    Birke: Begeben sie sich dabei nicht als Union auf Kollisionskurs mit dem potenziellen Koalitions-partner FDP?

    Müller: Ich glaube, dass wir im Moment eine Situation der öffentlichen Finanzen haben, die Steuer-reformkonzepte mit Nettoentlastungsmöglichkeiten im zweistelligen Milliardenbereich nicht eröffnen. Wenn die FDP entsprechende Vorschläge macht, dann ist das mit der ruinösen Situation der öffentli-chen Haushalte schwer in Übereinstimmung zu bringen. Wir brauchen im Moment Wachstum. Wir brauchen eine Steuervereinfachung. Aber Steuerentlastungskonzepte zum jetzigen Zeitpunkt, große Nettoentlastungen im Milliardenbereich, das geben die öffentlichen Haushalte nicht her.

    Birke: Das heißt, dass man Ihrer Meinung nach, Herr Müller, eigentlich auch an den Spitzen und an den Steuersätzen nichts verändern sollte?

    Müller: Doch! Natürlich muss man die Steuersätze verändern. Wir brauchen niedrige Steuersätze und gleichzeitig weniger Ausnahmetatbestände. Das Problem, das wir in unserem Steuersystem haben, ist doch, dass Steuersatz und Steuerlast nicht übereinstimmen. Wir haben nominal sehr hohe Steuersät-ze, aber in vielen, vielen Fällen werden diese Steuersätze überhaupt nicht gezahlt. Die nominal hohen Steuersätze belasten den Standort und die Tatsache, dass insbesondere diejenigen, die über hohe Ein-kommen verfügen, durch die zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten des Steuerrechts eigentlich relativ niedrige Steuerlasten tragen, hat mit einer gerechten Ausgestaltung unseres Steuersystems nichts zu tun. Insofern brauchen wir Steuervereinfachung, Steuergerechtigkeit, aber Nettoentlastungsmöglichkeiten in der Summe sehe ich kaum.

    Birke: Herr Müller, ich möchte aber noch mal nachhaken, weil die Union ist ja vor zwei Jahren auch mit dem Konzept angetreten, sie wollte den Spitzensteuersatz senken. Nun tritt ja die Konkurrenz, die aktuelle Regierung, an mit der Forderung einer Reichensteuer. Kann man den Spitzensteuersatz auch jetzt noch senken, wie die Union das ursprünglich geplant hat?

    Müller: Ich halte diese Millionärssteuer für einen Wahlkampf-Gag. Das ist nicht ernst zu nehmen. Es nutzt überhaupt nichts, wenn ein Spitzensteuersatz noch einmal um einen bestimmten Betrag erhöht wird, wenn in Wahrheit dieser auf dem Papier stehende Satz überhaupt nicht gezahlt wird. Im Übrigen ist es ja auch unglaubwürdig. Die ganze Zeit hat rot/grün erzählt, eine der größten Leistungen sei, dass man den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 gesenkt hat. Jetzt geht es wieder in die andere Richtung. Das zeigt ja nur, dass hier keine Richtung ist.
    Ich glaube, dass wir wirklich vor der Aufgabe stehen, Steuersatz und Steuerlast in Übereinstimmung zu bringen. Da kann man die Steuersätze insbesondere im unteren Bereich deutlich nach unten senken. Man muss eben nur die zahlreichen Ausnahmetatbestände beseitigen, damit der Satz, der auf dem Pa-pier steht, am Ende dann tatsächlich auch gezahlt wird.

    Birke: Herr Müller, ich bleibe hartnäckig und im oberen Bereich. Sie gelten ja als Linker in der Partei.

    Müller: Also diese politische Gesäßphilosophie links und rechts wird ja auch den Wirklichkeiten in Deutschland längst nicht mehr gerecht. Natürlich müssen hohe Einkommen und damit starke Schultern einen größeren Beitrag zur Finanzierung des Staates leisten, und zwar auch vom Steuersatz, von der prozentualen Steuerbelastung her, als niedrige Einkommen. Daran orientiert werden wir über die Aus-gestaltung der direkten Steuern zu reden haben und das muss man sich noch mal genau anschauen.

    Birke: Sie haben ja immer für einen linear progressiven Tarif in der Einkommenssteuer plädiert. Ist der vom Tisch?

    Müller: Ich persönlich glaube, dass der linear progressive Tarif Vorteile hat. Es ist halt so, dass bei einem Stufentarif sie im Bereich der Stufen selbst Unwuchten im System haben. Der Vorteil des Stufen-tarifs ist natürlich seine Einfachheit. Beides muss gegeneinander abgewogen werden. Wir werden dar-über noch einmal zu reden haben. Meine persönliche Präferenz liegt dabei beim Beibehalten des linear progressiven Tarifs.

    Birke: Herr Müller, die Union hatte sich ja mit der Regierung auf eine Unternehmenssteuersenkung zur Belebung der Konjunktur auf dem so genannten Job-Gipfel verständigt. Das ist jetzt geplatzt. Aus rein wahltaktischem Kalkül?

    Müller: Nein, es ist nicht aus rein wahltaktischem Kalkül geplatzt. Es ist deshalb geplatzt, weil rot/grün nicht in der Lage war, ein Konzept vorzulegen, das demjenigen entsprach, was beim Job-Gipfel vereinbart worden ist. Dort ist vereinbart worden eine Absenkung der Körperschaftssteuer voll gegen-finanziert. Diesem Anspruch der Gegenfinanzierung trägt das Konzept von rot/grün nicht Rechnung. Deshalb gab es keine Möglichkeit der Einigung.

    Birke: Wenig Möglichkeiten der Einigung, sagen Sie. War das dann schon auch eine mehr oder weni-ger direkte Absage an eine große Koalition nach der Wahl?

    Müller: Also die Frage stellt sich nun wirklich nicht. Ich persönlich mag das Konzept der großen Koalition alleine deshalb nicht, weil ich glaube, dass in einer Demokratie man nicht nur eine starke Re-gierung braucht, sondern eine starke Opposition auch notwendig ist. Die SPD ist als Regierung geschei-tert. Vielleicht kann sie sich als Opposition ja ein bisschen besser in die Rolle, die ihr dann zugewiesen ist, einfinden.

    Birke: Herr Müller, vielleicht noch die Frage an den potenziellen künftigen Arbeitsminister. Was würden Sie an Hartz IV ändern wollen?

    Müller: Zunächst einmal reden wir jetzt überhaupt nicht über Personalkonstellationen. Das macht auch wenig Sinn und es macht schon gar keinen Sinn, da einzelne Ministerpräsidenten mit Blick auf künftige Kabinette in den Verdacht zu bringen, bestimmte Positionen dann wahrzunehmen. Darüber wird nach der Wahl entschieden und nicht vor der Wahl.
    Ich glaube, dass ein wichtiger Gestaltungspunkt und eine Gestaltungsnotwendigkeit bei Hartz IV die Frage ist, wann findet überhaupt der Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II statt. Das muss abhängig sein von der Beitragszeit in die Arbeitslosenversicherung und nicht primär vom Lebensalter.
    Der zweite Punkt: wir haben organisatorische Probleme, organisatorische Mängel und unklare Kompe-tenzzuweisungen im Bereich der Arbeitsgemeinschaften, im Bereich der Job-Center. Das muss abge-stellt werden.

    Birke: Herr Müller, Sie haben eben ja die Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes angesprochen. Wird denn die Union im Bundesrat die gestern von der Regierung beschlossene längere Bezugsdauer des re-gulären Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer mittragen?

    Müller: Das ist ja genau der falsche Ansatzpunkt, der da von rot/grün gewählt worden ist. Das stellt man ja ab auf das Lebensalter. Der längere Bezug des Arbeitslosengeldes ist abhängig davon, ob man ein bestimmtes Lebensalter erreicht hat. Entscheidend muss aber doch sein, wie lange hat jemand in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt und danach muss sich die Länge des Bezuges des Arbeitslosengel-des I richten. Dem trägt der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht Rechnung.

    Birke: Herr Müller, Sie waren ja auch in der Partei zuständig für Zuwanderung. Ihre Parteifreunde Bosbach und Beckstein erwecken den Eindruck, als würde jetzt nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und Holland hierzulande so die Angst vor der Türkei in der EU und vor Zuwanderung zum Wahlkampfthema?

    Müller: Natürlich müssen wir über die Frage, wie geht der Prozess der Erweiterung der Europäischen Union in den nächsten Jahren vor sich, reden. Dieser Prozess war viel zu schnell. Das hat die Menschen überfordert. Natürlich müssen wir mit Blick auf die Türkei über die Frage reden, wie verstehen wir die Europäische Union. Definieren wir sie militärgeographisch, definieren wir sie ökonomisch, oder definieren wir Europa als eine Wertegemeinschaft und wo sind die Grenzen dieser Wertegemeinschaft. Deshalb glaube ich, dass das Konzept der privilegierten Partnerschaft gegenüber der Türkei das richtige Konzept ist. Dafür wird die Union eintreten.
    Im Bereich der Zuwanderung haben wir insbesondere ein Integrationsproblem. Es gibt Fälle gelungener Integration. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Integration geschei-tert ist. Da darf man nicht wegschauen, sondern damit muss man sch auseinandersetzen. Darüber muss man reden und darüber kann man auch im Wahlkampf reden.

    Birke: Das war hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk der CDU-Politiker Peter Müller. Er ist Ministerpräsident des Saarlandes. Vielen Dank für dieses Interview!

    Müller: Bitte schön!