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Kaum Perspektive für Bosnien-Herzegowina

Schon im Juni 2003 haben die EU-Regierungschefs den Staaten des Westbalkans eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union versprochen. Doch zurzeit scheint ein EU-Beitritt vor allem für Bosnien-Herzegowina in weite Ferne zu rücken.

Von Doris Simon | 25.06.2009
    "In diesem Teil Europas leben wir in einem unfertigen Frieden, in einer Atmosphäre des nicht abgeschlossenen Übergangs, wo sich gesellschaftliche und staatliche Institutionen in vielen Bereichen noch nicht herausgebildet haben."

    Hido Biscevic ist der Generalsekretär des Regionalen Kooperationsrates, der die Zusammenarbeit zwischen den Ländern Südosteuropas fördert. Der 57-jährige Kroate hat sein Büro in Sarajevo und kennt die Situation in Bosnien-Herzegowina gut. Biscevic will nicht aufgeregt klingen, aber er macht sich Sorgen:

    "Was wir in Bosnien-Herzegowina erleben, ist das ganze Spektrum der Probleme auf dem westlichen Balkan, nur gibt es sie in Bosnien-Herzegowina alle auf einmal."

    Daran verzweifeln nicht nur die Menschen im Land, sondern auch manche Europapolitiker, die die EU in Bosnien-Herzegowina durchaus besonders in der Pflicht sehen: weil Europa versagt hat vor und während des Krieges, aber vor allem, weil der Frieden in Europa ohne die Befriedung Bosnien-Herzegowinas immer brüchig bleiben wird.

    Aber trotz aller Bemühungen bewegt sich nichts in Bosnien-Herzegowina. Die Wirtschaft ist schon in den guten Zeiten weit hinter den Balkannachbarn zurückgeblieben. Junge Leute haben im Land keine Zukunft. Nun, in der Wirtschaftskrise sieht es ganz schwarz aus. Vor allem kommen die dringend nötigen Reformen, etwa im Justizwesen, nicht voran. Im dreiköpfigen Staatspräsidium des schwachen Zentralstaates, aber auch innerhalb der muslimisch-kroatischen Föderation bekämpfen und lähmen sich die Vertreter der Volksgruppen. EU-Chefdiplomat Javier Solana sagte in dieser Woche, in Bosnien-Herzegowina laufe derzeit einiges verkehrt.
    "Wir würden uns wünschen", so Solana, "dass sich vor allem die politischen Führer so verhielten, dass der Weg Bosniens nach Europa so kurz wie möglich sei."
    Wie weit diese Hoffnung von der Wirklichkeit entfernt ist, demonstrierte zuletzt die Republika Srpska. Das Parlament der serbischen Landeshälfte beschloss im Mai, sämtliche Zuständigkeiten zurückzuholen, die seit dem Dayton-Friedensabkommen beim Zentralstaat liegen. Dazu gehört auch das Recht, in allen Landesteilen Kriegsverbrechern zu verfolgen und zu verhaften.

    Frontal ging das bosnisch-serbische Parlament auch den Hohen Repräsentanten an: Valentin Inzko, der Beauftragte der internationalen Staatengemeinschaft, hat in vielen Dingen das letzte Wort. Er sollte nach dem Willen der bosnischen Serben keine Gesetze mehr erlassen und keine Politiker mehr entlassen dürfen. Dahinter steckt auch der bosnisch-serbische Premier Dodik: Der fürchtet wegen massiver Korruptionsvorwürfe die Justiz des Zentralstaates, den Dodik ohnehin verachtet. Er würde den serbischen Landesteil Bosnien-Herzegowinas am liebsten an Serbien anschließen. Am letzten Wochenende setzte der Hohe Repräsentant das umstrittene Dekret der bosnischen Serben außer Kraft. Eine richtige Entscheidung, findet EU-Chefdiplomat Javier Solana:

    "Aus unserer Sicht war das eine Entschließung, die gegen das Dayton-Abkommen verstößt. Deshalb gab es Handlungszwang. Ich kann Ihnen versichern, dass der Hohe Repräsentant alles unternommen hat, damit es nicht soweit kommt. Aber es gab keine Einigung. Deshalb musste der Hohe Repräsentant schließlich seine umfassenden Rechte nutzen."
    Leidtragende des Stillstands in Bosnien-Herzegowina sind die Menschen: keine Arbeit, keine Perspektive, eingesperrt in ihrem Land. Denn auch die Reisefreiheit in die EU liegt ein Jahr nach dem Beginn der Verhandlungen immer noch in weiter Ferne: Bosnien-Herzegowina müsste biometrische Pässe einführen, die Grenzen besser schützen, illegale Einwanderung und organisierte Kriminalität bekämpfen. Das Beispiel Mazedonien zeigt, dass auch diese schwierigen Bedingungen mit gutem Willen zu erfüllen sind. Der aber fehlt den verantwortlichen Politikern in Bosnien-Herzegowina. Deshalb werden Serben, Kroaten und Muslime noch lange Schlange stehen müssen für ein teures Visum, wenn sie die Verwandtschaft in Deutschland oder anderswo in der EU besuchen wollen.

    Hido Biscevic vom Regionalen Kooperationsrat fürchtet, angesichts des Stillstands in Bosnien-Herzegowina könnte die EU das Interesse an dem Land verlieren und sich anderen Problemen zuwenden. Das sei verständlich, sagt der Balkanexperte, aber sehr gefährlich:
    "In Bosnien-Herzegowina geht es um alles oder nichts. Die EU muss dem Land und der Region weiterhin ihre volle Aufmerksamkeit widmen und den Ländern in dieser schwierigen Zeit zur Seite stehen."