Die Russen kommen! Nicht mit Kalaschnikows und Panzern. Die Russen kommen - mit Geld!
So hat Präsident Putin Russlands Strategie des 21. Jahrhunderts, die westliche Welt zu erobern, auf den Punkt gebracht. Eine Art der Landnahme hat vor ein paar Jahren begonnen und erinnert manchmal an einen modernen Alpenfeldzug. Der beginnt jedes Jahr im Januar, wenn wohlhabende Russen in ihren Feiertagsurlaub aufbrechen.
Weihnachten und Neujahr werden nach dem julianischen Kalender der russisch-orthodoxen Kirche zwei Wochen nach den hiesigen Festtagen begangen. Dann bringen Sonderflüge Scharen gut betuchter Touristen aus Moskau, St. Petersburg oder Kiew in die Schweiz. Flagge zeigen die Russen vor allem in den mondänen Nobel-Skiorten: in St. Moritz, Zermatt und Davos.
Dort hat man sich gerne auf die andere Zeitrechung und das ungewohnte Publikum eingelassen. Denn Russlands neue Reiche bescheren der ohnehin verwöhnten Schweizer Tourismusbranche noch mehr Wachstum. Es ist Kundschaft, die nachweislich länger bleibt und ihr Geld mit vollen Händen ausgibt. Kaviar zum Après-Ski - ein Luxus-Auftakt für das Jahr in Hotelbars, Restaurants und Boutiquen.
Die russische Schickeria allerdings hat in der exklusiven westlichen Urlaubswelt einen denkbar schlechten Ruf. Alteingesessener Geldadel bleibt immer öfter fort und zeigt so sein Naserümpfen über ungehobeltes Publikum, das in die vornehme alpine Schweizer Gesellschaft eindringe, die gediegene Atmosphäre vermiese und schwere Wolken von Wodka und Parfum hinterlasse. Die Wirklichkeit sieht in den Feriengebieten allerdings sehr unterschiedlich aus. Mancherorts wird wie bereits in Österreich über die Einführung einer sogenannten Russenquote diskutiert. In Davos geht es dagegen dezenter zu.
So hat Präsident Putin Russlands Strategie des 21. Jahrhunderts, die westliche Welt zu erobern, auf den Punkt gebracht. Eine Art der Landnahme hat vor ein paar Jahren begonnen und erinnert manchmal an einen modernen Alpenfeldzug. Der beginnt jedes Jahr im Januar, wenn wohlhabende Russen in ihren Feiertagsurlaub aufbrechen.
Weihnachten und Neujahr werden nach dem julianischen Kalender der russisch-orthodoxen Kirche zwei Wochen nach den hiesigen Festtagen begangen. Dann bringen Sonderflüge Scharen gut betuchter Touristen aus Moskau, St. Petersburg oder Kiew in die Schweiz. Flagge zeigen die Russen vor allem in den mondänen Nobel-Skiorten: in St. Moritz, Zermatt und Davos.
Dort hat man sich gerne auf die andere Zeitrechung und das ungewohnte Publikum eingelassen. Denn Russlands neue Reiche bescheren der ohnehin verwöhnten Schweizer Tourismusbranche noch mehr Wachstum. Es ist Kundschaft, die nachweislich länger bleibt und ihr Geld mit vollen Händen ausgibt. Kaviar zum Après-Ski - ein Luxus-Auftakt für das Jahr in Hotelbars, Restaurants und Boutiquen.
Die russische Schickeria allerdings hat in der exklusiven westlichen Urlaubswelt einen denkbar schlechten Ruf. Alteingesessener Geldadel bleibt immer öfter fort und zeigt so sein Naserümpfen über ungehobeltes Publikum, das in die vornehme alpine Schweizer Gesellschaft eindringe, die gediegene Atmosphäre vermiese und schwere Wolken von Wodka und Parfum hinterlasse. Die Wirklichkeit sieht in den Feriengebieten allerdings sehr unterschiedlich aus. Mancherorts wird wie bereits in Österreich über die Einführung einer sogenannten Russenquote diskutiert. In Davos geht es dagegen dezenter zu.
Ungeliebt, aber begehrt - Russen über Davos und Davoser
über ihre russischen Gäste
über ihre russischen Gäste
"Es gefällt uns sehr gut hier, wir sind in diesem Jahr schon das sechste Mal in Davos. Die Berge sind hier wunderbar, man kann Skilaufen, Skilanglaufen und Schlitteln. Und es gibt garantiert Schnee - im Unterschied zu anderen europäischen Regionen."
Eng untergehakt bummelt das russische Ehepaar durch das Schneegestöber, das auf der Davoser Promenade tobt. Umso verlockender glitzern die Schaufenster. Die beiden Moskauer lassen ihre Blicke prüfend über die Auslagen schweifen: Sportartikel, Petit Fours vom Konditor, Angebote für Ferienwohnungen. Sie ist eine dezent geschminkte Frau um die 40, an ihr Gesicht schmiegt sich der Fellbesatz eines langen, weißen Ledermantels. Er, schlank und sportlich, trägt eine Skijacke.
Das Paar ist auf der Suche nach Langlaufskiern. Die gebe es zwar auch in Moskau, plaudern sie gut gelaunt, bei Spezialanfertigungen aber vertrauen sie lieber auf die Fachverkäufer vor Ort. Ansonsten lassen sie sich in der entspannten Atmosphäre des Kurortes treiben.
"Wir haben uns hier einfach alles angeschaut, und es gefällt uns sehr gut. Die Leute sind sehr gastfreundlich, darum kommen wir jedes Jahr hierhin zurück."
Nickend pflichtet der Mann seiner Frau bei. Aber diese Küche, ergänzt er dann lachend und pustet in die Backen - puh: so viel Fleisch und Kartoffeln
Die Davoser Promenade ist ungewöhnlich belebt an diesem Tag: Der Neuschnee verdirbt die Lust aufs Skifahren. Das Jakobs- und das Rinerhorn, die sich steil zu beiden Seiten des langgestreckten Wintersportortes erheben, kann man hinter der Nebelwand nur ahnen, die Gondeln verschwinden in milchigem Nichts. Außer Russisch hört man Gesprächsfetzen in Switzerdütsch, Englisch und Deutsch. Touristen aus Osteuropa gibt es in Davos erst seit wenigen Jahren. Ein deutsches Rentner-Ehepaar, das mit Skiern auf den Bus wartet, hat persönlich noch keinen seiner neuen Miturlauber kennengelernt. Von ihnen gehört hat es dafür um so mehr.
"Soweit ich weiß, ist das in St. Moritz wie in London, und das ist eine Fehlentwicklung. Wenn soviel Geld vorhanden ist, dass die Einheimischen nichts mehr bezahlen können, dann ist das ungesund."
"Man ist tolerant. Aber dass es viel mehr wird, das will man auch nicht."
Auch eine deutsche Studentin erzählt, dass sie sich nicht besonders wohlfühlen würde in Urlaubsorten, die von vielen Russen besucht werden.
"Es ist nicht positiver. Es ist nicht so, dass ich das als Highlight sehen würde. Es ist ein bisschen abschreckend."
Beim Juwelier herrscht viel Betrieb an diesem Tag. Hier kaufen alle, die Deutschen, Schweizer und Italiener, die Studenten und die Geschäftsleute. Die neue Kundschaft aus dem Osten aber bringt die Geschäftsführerin zum Strahlen. Denn die kommt jetzt immer öfter, und sie kauft viel. Auch sonst hat sie nur gute Erfahrungen gemacht.
"Sehr, sehr viel und sehr, sehr gut. Das ist Wahnsinn. Es gibt kein Januar-Loch mehr wegen denen. Sehr, sehr viel. Die sprechen alle ein sehr gutes Englisch, wirklich sehr gutes Englisch, wir haben keine Probleme. Wenn einer kommt, dann gibt man sich ein bisschen Mühe, und er gibt sich ein bisschen Mühe, und wir verstehen uns trotzdem."
Bei den Geschäftsleuten von Davos sind die neuen Kunden aus dem Osten das Gesprächsthema Nummer eins - doch längst nicht alles, was da so gesprochen wird, ist für die Presse bestimmt. Auf der Piste seien sie blutige Anfänger, aber sie wollten trotzdem nur die teuersten Skier, lästert der junge Mann vom Skiverleih hinter vorgehaltener Hand. Und der Geschäftsführer des Casinos staunt noch heute über einen reichen Russen, der einmal an einem einzigen Abend mit großspurigem Gehabe 200.000 Schweizer Franken verzockt hat - umgerechnet 125.000 Euro.
Dass die osteuropäischen Touristen sich stärker als andere für hochwertige Ware im oberen Preissegment interessieren, diese Erfahrung teilen die meisten. Auch die Verkäuferin einer Boutique, die Designer-Pullover ab 500 und Ledermäntel ab 1000 Schweizer Franken anbietet:
"Sie gehen anders um mit den materiellen Dingen. Insgesamt sind die russischen Kunden leichter zu handhaben, sie geben das Geld leichter aus, das ist sicher ein bisschen so. Ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht mit russischen Kunden."
Dann bittet sie, das Aufnahmegerät abzustellen. Am vergangenen Wochenende war sie in St. Moritz, berichtet sie schließlich, um sich selbst ein Bild zu machen von dieser neuen Kundenschicht, von der jetzt alle so viel reden. Was sie dort sah, hat sie schockiert: Frauen mit Gucchi-Haute-Couture ausstaffiert wie Rassepferde, Männer, die in Gourmet-Restaurants das Menü immer wieder zurückgehen lassen. Da wusste sie: Solche Zustände will sie in Davos nicht. Auch nicht für ein schönes Zusatzgeschäft im Januar.
Die Touristen aus dem Osten knüpfen mit ihrem neuen Reichtum gerne an die vor-sowjetische Ära an. An die Zeit vor der Oktoberrevolution 1917, als man russischen Adel ganz selbstverständlich in westlichen Salons traf. Das Bergdorf Davos im Kanton Graubünden ist auch durch diese Reiselust wohlhabender Russen zu seiner späteren Blüte gelangt. Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem Beginn des Kurtourismus in Europa, erholten sich adelige Patienten im Reizklima der Schweizer Alpen von der Geißel der damaligen Zeit - von dem oft tödlichen Lungenleiden Tuberkulose. Heilsuchende Aristokraten aus dem Zarenreich fühlten sich hier besonders wohl.
Die morbide Kur-Atmosphäre in den Davoser Sanatorien vor grandiosem Alpenpanorama hat Thomas Mann als Kulisse für seinen großen Roman "Der Zauberberg" gewählt. Er lässt die späteren Gegner auf dem europäischen Kriegsschauplatz auf den gleichen Südbalkonen dieselbe Krankheit auskurieren. Er entlarvt die bereits sichtbaren sozialen und politischen Widersprüche jener Zeit - die Gegensätze schließlich zwischen West und Ost.
"Gleichzeitig aber fasste (Hans Castorp) noch etwas anderes auf, etwas Hörbares, Geräusche, die aus dem Nachbarzimmer zur Linken, dem Zimmer des russischen Ehepaars, nach Joachims Angabe, kamen und gleichfalls nicht zu dem heiteren, frischen Morgen passen wollten, sondern ihn irgendwie klebrig zu verunreinigen schienen. (...) Es war ein Ringen, Kichern und Keuchen, dessen anstößiges Wesen dem jungen Mann nicht lange verborgen bleiben konnte, obgleich er sich anfangs aus Gutmütigkeit bemühte, es harmlos zu deuten.(...) Es war eine Jagd um die Möbel herum, wie es schien (...) es gab ein Klatschen und Küssen, und hierzu kam, dass es nun Walzerklänge waren, die verbraucht melodiösen Phrasen eines Gassenhauers, die von außen und fernher die unsichtbare Szene begleiteten. (...) Und plötzlich errötete er unter seinem Puder, denn was er deutlich hatte kommen sehen, war gekommen und das Spiel ohne allen Zweifel ins Tierische übergegangen. (...)
'Tag', sagte Joachim. 'Das war ja nun deine erste Nacht hier oben. Bist Du zufrieden?'
(...) 'Danke', erwiderte Hans Castorp, 'es geht.' (..) Mit dem russischen Ehepaar wünsche ich nicht bekannt zu werden, hörst Du? Das will ich ausdrücklich nicht. Es sind überaus unmanierliche Leute (...)
'Schön', sagte Joachim. 'Haben sie dich denn so gestört? Ja, es sind gewissermaßen Barbaren, unzivilisiert mit einem Wort, (..) Übrigens kannst du ganz unbesorgt sein, sie sitzen weit von uns fort, am Schlechten Russentisch, denn es gibt einen Guten Russentisch, wo nur feinere Russen sitzen -, und es ist kaum eine Möglichkeit, dass du mit ihnen zusammentriffst, selbst wenn du wolltest.'"
Die Russen kommen mit Geld. Sie kommen mit viel Geld in die Schweiz. Sie kaufen alles, was gut und teuer ist. Die Feiertagssaison macht allein vier Prozent des Jahresumsatzes der Schweizer Tourismusbranche aus. Mit 300.000 Übernachtungen pro Jahr rangieren Russen inzwischen unter den TopTen der eidgenössischen Wellness-Kunden.
In Davos verändert sich die touristische Welt nur langsam. Denn unter den russischen Besuchern gilt das Alpenstädtchen anders als das quirlige St. Moritz mehr als Geheimtipp. Die Distanz zwischen den Eidgenossen und ihren neuen Kunden aus dem Osten ist allerdings deutlich zu spüren. Davos, das Jahr für Jahr und auch jetzt wieder Gastgeber des exklusiven Weltwirtschaftsforums ist, will nichts von seiner Reputation einbüßen. Andererseits gilt es, sich den neuen gewinnträchtigen Markt behutsam zu erschließen. Doch die Barrieren sind noch hoch. Ungewohnte Umgangsformen und einander fremde Mentalitäten prallen aufeinander. Am meisten trennt allerdings die Sprache.
Eng untergehakt bummelt das russische Ehepaar durch das Schneegestöber, das auf der Davoser Promenade tobt. Umso verlockender glitzern die Schaufenster. Die beiden Moskauer lassen ihre Blicke prüfend über die Auslagen schweifen: Sportartikel, Petit Fours vom Konditor, Angebote für Ferienwohnungen. Sie ist eine dezent geschminkte Frau um die 40, an ihr Gesicht schmiegt sich der Fellbesatz eines langen, weißen Ledermantels. Er, schlank und sportlich, trägt eine Skijacke.
Das Paar ist auf der Suche nach Langlaufskiern. Die gebe es zwar auch in Moskau, plaudern sie gut gelaunt, bei Spezialanfertigungen aber vertrauen sie lieber auf die Fachverkäufer vor Ort. Ansonsten lassen sie sich in der entspannten Atmosphäre des Kurortes treiben.
"Wir haben uns hier einfach alles angeschaut, und es gefällt uns sehr gut. Die Leute sind sehr gastfreundlich, darum kommen wir jedes Jahr hierhin zurück."
Nickend pflichtet der Mann seiner Frau bei. Aber diese Küche, ergänzt er dann lachend und pustet in die Backen - puh: so viel Fleisch und Kartoffeln
Die Davoser Promenade ist ungewöhnlich belebt an diesem Tag: Der Neuschnee verdirbt die Lust aufs Skifahren. Das Jakobs- und das Rinerhorn, die sich steil zu beiden Seiten des langgestreckten Wintersportortes erheben, kann man hinter der Nebelwand nur ahnen, die Gondeln verschwinden in milchigem Nichts. Außer Russisch hört man Gesprächsfetzen in Switzerdütsch, Englisch und Deutsch. Touristen aus Osteuropa gibt es in Davos erst seit wenigen Jahren. Ein deutsches Rentner-Ehepaar, das mit Skiern auf den Bus wartet, hat persönlich noch keinen seiner neuen Miturlauber kennengelernt. Von ihnen gehört hat es dafür um so mehr.
"Soweit ich weiß, ist das in St. Moritz wie in London, und das ist eine Fehlentwicklung. Wenn soviel Geld vorhanden ist, dass die Einheimischen nichts mehr bezahlen können, dann ist das ungesund."
"Man ist tolerant. Aber dass es viel mehr wird, das will man auch nicht."
Auch eine deutsche Studentin erzählt, dass sie sich nicht besonders wohlfühlen würde in Urlaubsorten, die von vielen Russen besucht werden.
"Es ist nicht positiver. Es ist nicht so, dass ich das als Highlight sehen würde. Es ist ein bisschen abschreckend."
Beim Juwelier herrscht viel Betrieb an diesem Tag. Hier kaufen alle, die Deutschen, Schweizer und Italiener, die Studenten und die Geschäftsleute. Die neue Kundschaft aus dem Osten aber bringt die Geschäftsführerin zum Strahlen. Denn die kommt jetzt immer öfter, und sie kauft viel. Auch sonst hat sie nur gute Erfahrungen gemacht.
"Sehr, sehr viel und sehr, sehr gut. Das ist Wahnsinn. Es gibt kein Januar-Loch mehr wegen denen. Sehr, sehr viel. Die sprechen alle ein sehr gutes Englisch, wirklich sehr gutes Englisch, wir haben keine Probleme. Wenn einer kommt, dann gibt man sich ein bisschen Mühe, und er gibt sich ein bisschen Mühe, und wir verstehen uns trotzdem."
Bei den Geschäftsleuten von Davos sind die neuen Kunden aus dem Osten das Gesprächsthema Nummer eins - doch längst nicht alles, was da so gesprochen wird, ist für die Presse bestimmt. Auf der Piste seien sie blutige Anfänger, aber sie wollten trotzdem nur die teuersten Skier, lästert der junge Mann vom Skiverleih hinter vorgehaltener Hand. Und der Geschäftsführer des Casinos staunt noch heute über einen reichen Russen, der einmal an einem einzigen Abend mit großspurigem Gehabe 200.000 Schweizer Franken verzockt hat - umgerechnet 125.000 Euro.
Dass die osteuropäischen Touristen sich stärker als andere für hochwertige Ware im oberen Preissegment interessieren, diese Erfahrung teilen die meisten. Auch die Verkäuferin einer Boutique, die Designer-Pullover ab 500 und Ledermäntel ab 1000 Schweizer Franken anbietet:
"Sie gehen anders um mit den materiellen Dingen. Insgesamt sind die russischen Kunden leichter zu handhaben, sie geben das Geld leichter aus, das ist sicher ein bisschen so. Ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht mit russischen Kunden."
Dann bittet sie, das Aufnahmegerät abzustellen. Am vergangenen Wochenende war sie in St. Moritz, berichtet sie schließlich, um sich selbst ein Bild zu machen von dieser neuen Kundenschicht, von der jetzt alle so viel reden. Was sie dort sah, hat sie schockiert: Frauen mit Gucchi-Haute-Couture ausstaffiert wie Rassepferde, Männer, die in Gourmet-Restaurants das Menü immer wieder zurückgehen lassen. Da wusste sie: Solche Zustände will sie in Davos nicht. Auch nicht für ein schönes Zusatzgeschäft im Januar.
Die Touristen aus dem Osten knüpfen mit ihrem neuen Reichtum gerne an die vor-sowjetische Ära an. An die Zeit vor der Oktoberrevolution 1917, als man russischen Adel ganz selbstverständlich in westlichen Salons traf. Das Bergdorf Davos im Kanton Graubünden ist auch durch diese Reiselust wohlhabender Russen zu seiner späteren Blüte gelangt. Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem Beginn des Kurtourismus in Europa, erholten sich adelige Patienten im Reizklima der Schweizer Alpen von der Geißel der damaligen Zeit - von dem oft tödlichen Lungenleiden Tuberkulose. Heilsuchende Aristokraten aus dem Zarenreich fühlten sich hier besonders wohl.
Die morbide Kur-Atmosphäre in den Davoser Sanatorien vor grandiosem Alpenpanorama hat Thomas Mann als Kulisse für seinen großen Roman "Der Zauberberg" gewählt. Er lässt die späteren Gegner auf dem europäischen Kriegsschauplatz auf den gleichen Südbalkonen dieselbe Krankheit auskurieren. Er entlarvt die bereits sichtbaren sozialen und politischen Widersprüche jener Zeit - die Gegensätze schließlich zwischen West und Ost.
"Gleichzeitig aber fasste (Hans Castorp) noch etwas anderes auf, etwas Hörbares, Geräusche, die aus dem Nachbarzimmer zur Linken, dem Zimmer des russischen Ehepaars, nach Joachims Angabe, kamen und gleichfalls nicht zu dem heiteren, frischen Morgen passen wollten, sondern ihn irgendwie klebrig zu verunreinigen schienen. (...) Es war ein Ringen, Kichern und Keuchen, dessen anstößiges Wesen dem jungen Mann nicht lange verborgen bleiben konnte, obgleich er sich anfangs aus Gutmütigkeit bemühte, es harmlos zu deuten.(...) Es war eine Jagd um die Möbel herum, wie es schien (...) es gab ein Klatschen und Küssen, und hierzu kam, dass es nun Walzerklänge waren, die verbraucht melodiösen Phrasen eines Gassenhauers, die von außen und fernher die unsichtbare Szene begleiteten. (...) Und plötzlich errötete er unter seinem Puder, denn was er deutlich hatte kommen sehen, war gekommen und das Spiel ohne allen Zweifel ins Tierische übergegangen. (...)
'Tag', sagte Joachim. 'Das war ja nun deine erste Nacht hier oben. Bist Du zufrieden?'
(...) 'Danke', erwiderte Hans Castorp, 'es geht.' (..) Mit dem russischen Ehepaar wünsche ich nicht bekannt zu werden, hörst Du? Das will ich ausdrücklich nicht. Es sind überaus unmanierliche Leute (...)
'Schön', sagte Joachim. 'Haben sie dich denn so gestört? Ja, es sind gewissermaßen Barbaren, unzivilisiert mit einem Wort, (..) Übrigens kannst du ganz unbesorgt sein, sie sitzen weit von uns fort, am Schlechten Russentisch, denn es gibt einen Guten Russentisch, wo nur feinere Russen sitzen -, und es ist kaum eine Möglichkeit, dass du mit ihnen zusammentriffst, selbst wenn du wolltest.'"
Die Russen kommen mit Geld. Sie kommen mit viel Geld in die Schweiz. Sie kaufen alles, was gut und teuer ist. Die Feiertagssaison macht allein vier Prozent des Jahresumsatzes der Schweizer Tourismusbranche aus. Mit 300.000 Übernachtungen pro Jahr rangieren Russen inzwischen unter den TopTen der eidgenössischen Wellness-Kunden.
In Davos verändert sich die touristische Welt nur langsam. Denn unter den russischen Besuchern gilt das Alpenstädtchen anders als das quirlige St. Moritz mehr als Geheimtipp. Die Distanz zwischen den Eidgenossen und ihren neuen Kunden aus dem Osten ist allerdings deutlich zu spüren. Davos, das Jahr für Jahr und auch jetzt wieder Gastgeber des exklusiven Weltwirtschaftsforums ist, will nichts von seiner Reputation einbüßen. Andererseits gilt es, sich den neuen gewinnträchtigen Markt behutsam zu erschließen. Doch die Barrieren sind noch hoch. Ungewohnte Umgangsformen und einander fremde Mentalitäten prallen aufeinander. Am meisten trennt allerdings die Sprache.

Mischa lernt Skilaufen - Russisch-sprachiges Fachpersonal dringend gesucht
Es ist ein strahlender Wintertag. Gleißend weiß liegt der Neuschnee im Schein der Bergsonne. Die Hütte im Skigebiet Parsenn ist besetzt bis auf den letzten Platz: Mit roten Wangen und bestens gelaunt tanken hier die Wintersportler Kraft für die nächste Abfahrt. Nur wenige bemerken die kleine Szene, die sich am Rande der Sonnenterasse abspielt.
Tief beugen sich zwei Erwachsene in blau-gelben Skilehrer-Anzügen zu einem kleinen Jungen herunter - so tief, dass sie ihm jeden Laut von den Lippen ablesen können. Die jungen Schweizer üben Russisch-Vokabeln: Guten Tag! Und Tschüss! Und wie geht's? Der fünfjährige Mischa hört genau zu, er korrigiert die Aussprache und spricht richtig vor. Er strahlt.
Neben der völlig vertieften Gruppe steht Josef Slamcik und lacht in sich hinein. Er ist Slowake, und der einzige russisch sprechende Skilehrer im gesamten Davoser Skigebiet. Noch am Abend zuvor hat er seinen Schweizer Kollegen einen Crashkurs in slawischer Konversation gegeben. Jetzt in der Mittagspause soll Skischüler Mischa die Lektion vertiefen. Josefs Sprachkenntnisse sind auf den Davoser Pisten inzwischen fast mehr gefragt als seine Skipädagogik - selbst wenn er sich im Russischen weit weniger zuhause fühlt als im Englischen. Die Anfragen russischer Touristen kann er alleine nicht mehr decken.
"Hier spricht doch niemand Russisch. Und wenn sie hören, dass da ein Skilehrer Russisch spricht, dann wollen sie mich gleich für den nächsten Tag. Aber dann bin ich meistens schon ausgebucht und muss absagen. Oft kämpfen sie richtig um mich: 'Bitte, kommen Sie zu uns!' Das Problem sind weniger die Erwachsenen als die Kinder, denn die sprechen ja auch kein Englisch. Sobald sie auf die Toilette müssen, oder es passiert etwas, fangen sie an zu weinen. Und wenn dann die Panik kommt, dann wird es ziemlich schwierig ohne Sprache."
Mischa gehört nicht zu den weinerlichen Kindern. Breitbeinig und in sportlich geduckter Schussfahrt stürzt er sich den Hang hinunter. Nur in den Kurven ist er noch etwas wackelig. "Schau auf meine Beine, so musst du dich drehen!", mahnt Skilehrer Josef. Umgerechnet 300 Euro am Tag lassen sich die Eltern die Einzelstunden kosten, dafür bekommt Mischa vormittags und nachmittags jeweils zwei Stunden. Am Gondellift bekommen die beiden Gesellschaft: In flottem Tempo wedelt Mischas Opa den Hang herunter in die Einfahrtsschneise. Er stellt sich Josef als Anatolij vor: Ein schlanker, braungebrannter Mann in den 50ern mit Markenski. Zusammen helfen sie Mischa in die Gondel.
Möglichst zweimal pro Saison fährt der leidenschaftliche Skiläufer in den Winterurlaub - wenn es irgend geht mit der gesamten Großfamilie. Jetzt will er auch Enkel Mischa zum passionierten Wintersportler machen. Und wenn vor Ort noch kein russischsprachiger Gruppenunterricht angeboten wird, dann eben per Einzelstunde.
"In Frankreich gibt es inzwischen eine ganze Menge Russisch sprechender Skilehrer. Aber um ehrlich zu sein, geht es an französischen Wintersportorten, wo viele Russen sind, manchmal etwas vulgär zu. Leute wie wir, die Achtung vor sich selbst haben, fahren darum lieber nach Österreich oder in die Schweiz. Aber immerhin: Russischen Gruppenunterricht für Kinder gibt es jetzt in Frankreich."
Zuhause in Moskau hat Anatolij einen leitenden Posten in der Stadtverwaltung. Und verglichen mit dem Moskauer Preisniveau scheint ihm ein Urlaub in der Schweiz nicht übermäßig teuer zu sein. Davos gefällt ihm wegen des weitläufigen Skigebiets und seiner gelassenen Atmosphäre. Die exklusiven Geschäfte auf der Promenade, sagt er, interessieren ihn schon längst nicht mehr.
"Schweizer Uhren? Ach, ich habe schon so viele, ich brauche mir nicht noch mehr zu kaufen. Ich weiß ja nicht, wie es anderen Russen geht. Mich persönlich interessiert das Prestige eines Urlaubsortes überhaupt nicht. Mir ist völlig egal, wer was darüber sagt, wo ich Urlaub mache. Mich interessiert allein, ob das Skiwetter dort ist."
Dann ist die Gondel oben angekommen. In der Skihütte wartet Mischas Vater, Iwan. Er breitet die Arme aus, als der Fünfjährige ihm in seinen klobigen Skischuhen entgegenwatschelt. Dann erkundigt er sich bei Josef nach Mischas Fortschritten und vereinbart Termine und Konditionen des weitern Unterrichtsverlaufs. Schon Gespräche wie diese erfordern ein relativ spezifisches Geschäftsvokabular, und Iwan ist froh, dass er sie in seiner Muttersprache führen kann. Mit seinem ungeübten Englisch, fürchtet er, hätte er sich blamiert.
"Englisch muss ich noch besser lernen. Es ist mir unangenehm, wenn ich mich nicht richtig ausdrücken kann. Aber wenn man Russisch spricht, dann macht man ja sich auch gerade beliebt. Nicht überall mögen sie die Russen. Bei unserem letzten Skiurlaub in Frankreich haben wir das auf Schritt und Tritt zu spüren bekommen. Du siehst es in den Blicken der Franzosen, in ihrem ganzen Verhalten. Einmal haben sie uns eine Rechnung absichtlich zu hoch gestellt. Das war ein offener Betrugsversuch. Und er geschah mit einer Aggression, die mich erschreckt hat. Leider ist es so, dass das schlechte Benehmen von Einzelnen ein Vorurteil prägt, das dann allen Russen anhängt."
Denn die Zukunft des Schweizer Wintersporttourismus - da sind Iwan und Josef sich einig - ist russisch. Josef als Slowake hat er den Sinneswandel längst hinter sich. Früher, als er in der Tschechoslowakei in die Schule ging, hat er das Pflichtfach Russisch gehasst. Heute, in den multikulturellen Schmelztiegeln der Touristenhochburgen, bemerkt er, wie viele Gemeinsamkeiten er mit den Russen hat.
"Wir sind doch alle Slawen. Mit den Russen verstehe ich mich am besten von allen. Die Russen sind meine Landleute. Durch sie habe ich meinen Traumberuf gefunden. Ich kann Skilaufen, den ganzen Tag in den Bergen sein. Und ich kann mit Sprachen arbeiten. Mein Traum ist wahr geworden."
In den Schweizer Bergen, so kann man in Reiseführern lesen, soll man bis heute Russers serviert bekommen: ein einfaches Gericht, Kartoffeln mit Zwiebeln und Käse gebraten - Zeugnis einer langen russischen Tradition in der Alpenrepublik. Russische Künstler, Emigranten und Revolutionäre haben die Schweiz in den vergangenen Jahrhunderten mehr oder minder freiwillig zu ihrer zweiten Heimat gemacht. Lenin wartete seit 1914 ungeduldig im Exil in Bern auf seine Chance zur Revolution daheim. Andere Zentren der russischen Emigration waren Zürich und Genf. Umgekehrt wirkten bekannte Schweizer mit an der Modernisierung des feudalen Russland - als politische Berater, Architekten und Wissenschaftler.
Manch einer der Exilanten aus dem Osten suchte die Abgeschiedenheit und fand sie in Davos in über 1500 Metern klarer Alpenluft. Besonders beliebt blieb das Städtchen allerdings für die "normale" Kundschaft, als Reiseziel für die adelige russische Kurgesellschaft. Um 1900 war die Anziehungskraft der Graubündner Berge so groß, dass die russische Gemeinde zeitweilig die größte Ausländer-Gemeinschaft im Ort bildete. Und das zeigte sie auch: Sie gründete eine eigene Bibliothek, eine Druckerei, eine russisch-sprachige Zeitung, "Davosskij vestnik", ein Theater und schließlich einen Verein. Damit unterstützte man finanzschwache Landsleute, die so ihr Lungenleiden behandeln lassen konnten. Der Beginn der Oktoberrevolution in der Heimat besiegelte gleichzeitig das Ende russischen Lebens in Davos. Heute muss man schon sehr genau hinschauen, um die Spuren dieser Vergangenheit zu entdecken.
Tief beugen sich zwei Erwachsene in blau-gelben Skilehrer-Anzügen zu einem kleinen Jungen herunter - so tief, dass sie ihm jeden Laut von den Lippen ablesen können. Die jungen Schweizer üben Russisch-Vokabeln: Guten Tag! Und Tschüss! Und wie geht's? Der fünfjährige Mischa hört genau zu, er korrigiert die Aussprache und spricht richtig vor. Er strahlt.
Neben der völlig vertieften Gruppe steht Josef Slamcik und lacht in sich hinein. Er ist Slowake, und der einzige russisch sprechende Skilehrer im gesamten Davoser Skigebiet. Noch am Abend zuvor hat er seinen Schweizer Kollegen einen Crashkurs in slawischer Konversation gegeben. Jetzt in der Mittagspause soll Skischüler Mischa die Lektion vertiefen. Josefs Sprachkenntnisse sind auf den Davoser Pisten inzwischen fast mehr gefragt als seine Skipädagogik - selbst wenn er sich im Russischen weit weniger zuhause fühlt als im Englischen. Die Anfragen russischer Touristen kann er alleine nicht mehr decken.
"Hier spricht doch niemand Russisch. Und wenn sie hören, dass da ein Skilehrer Russisch spricht, dann wollen sie mich gleich für den nächsten Tag. Aber dann bin ich meistens schon ausgebucht und muss absagen. Oft kämpfen sie richtig um mich: 'Bitte, kommen Sie zu uns!' Das Problem sind weniger die Erwachsenen als die Kinder, denn die sprechen ja auch kein Englisch. Sobald sie auf die Toilette müssen, oder es passiert etwas, fangen sie an zu weinen. Und wenn dann die Panik kommt, dann wird es ziemlich schwierig ohne Sprache."
Mischa gehört nicht zu den weinerlichen Kindern. Breitbeinig und in sportlich geduckter Schussfahrt stürzt er sich den Hang hinunter. Nur in den Kurven ist er noch etwas wackelig. "Schau auf meine Beine, so musst du dich drehen!", mahnt Skilehrer Josef. Umgerechnet 300 Euro am Tag lassen sich die Eltern die Einzelstunden kosten, dafür bekommt Mischa vormittags und nachmittags jeweils zwei Stunden. Am Gondellift bekommen die beiden Gesellschaft: In flottem Tempo wedelt Mischas Opa den Hang herunter in die Einfahrtsschneise. Er stellt sich Josef als Anatolij vor: Ein schlanker, braungebrannter Mann in den 50ern mit Markenski. Zusammen helfen sie Mischa in die Gondel.
Möglichst zweimal pro Saison fährt der leidenschaftliche Skiläufer in den Winterurlaub - wenn es irgend geht mit der gesamten Großfamilie. Jetzt will er auch Enkel Mischa zum passionierten Wintersportler machen. Und wenn vor Ort noch kein russischsprachiger Gruppenunterricht angeboten wird, dann eben per Einzelstunde.
"In Frankreich gibt es inzwischen eine ganze Menge Russisch sprechender Skilehrer. Aber um ehrlich zu sein, geht es an französischen Wintersportorten, wo viele Russen sind, manchmal etwas vulgär zu. Leute wie wir, die Achtung vor sich selbst haben, fahren darum lieber nach Österreich oder in die Schweiz. Aber immerhin: Russischen Gruppenunterricht für Kinder gibt es jetzt in Frankreich."
Zuhause in Moskau hat Anatolij einen leitenden Posten in der Stadtverwaltung. Und verglichen mit dem Moskauer Preisniveau scheint ihm ein Urlaub in der Schweiz nicht übermäßig teuer zu sein. Davos gefällt ihm wegen des weitläufigen Skigebiets und seiner gelassenen Atmosphäre. Die exklusiven Geschäfte auf der Promenade, sagt er, interessieren ihn schon längst nicht mehr.
"Schweizer Uhren? Ach, ich habe schon so viele, ich brauche mir nicht noch mehr zu kaufen. Ich weiß ja nicht, wie es anderen Russen geht. Mich persönlich interessiert das Prestige eines Urlaubsortes überhaupt nicht. Mir ist völlig egal, wer was darüber sagt, wo ich Urlaub mache. Mich interessiert allein, ob das Skiwetter dort ist."
Dann ist die Gondel oben angekommen. In der Skihütte wartet Mischas Vater, Iwan. Er breitet die Arme aus, als der Fünfjährige ihm in seinen klobigen Skischuhen entgegenwatschelt. Dann erkundigt er sich bei Josef nach Mischas Fortschritten und vereinbart Termine und Konditionen des weitern Unterrichtsverlaufs. Schon Gespräche wie diese erfordern ein relativ spezifisches Geschäftsvokabular, und Iwan ist froh, dass er sie in seiner Muttersprache führen kann. Mit seinem ungeübten Englisch, fürchtet er, hätte er sich blamiert.
"Englisch muss ich noch besser lernen. Es ist mir unangenehm, wenn ich mich nicht richtig ausdrücken kann. Aber wenn man Russisch spricht, dann macht man ja sich auch gerade beliebt. Nicht überall mögen sie die Russen. Bei unserem letzten Skiurlaub in Frankreich haben wir das auf Schritt und Tritt zu spüren bekommen. Du siehst es in den Blicken der Franzosen, in ihrem ganzen Verhalten. Einmal haben sie uns eine Rechnung absichtlich zu hoch gestellt. Das war ein offener Betrugsversuch. Und er geschah mit einer Aggression, die mich erschreckt hat. Leider ist es so, dass das schlechte Benehmen von Einzelnen ein Vorurteil prägt, das dann allen Russen anhängt."
Denn die Zukunft des Schweizer Wintersporttourismus - da sind Iwan und Josef sich einig - ist russisch. Josef als Slowake hat er den Sinneswandel längst hinter sich. Früher, als er in der Tschechoslowakei in die Schule ging, hat er das Pflichtfach Russisch gehasst. Heute, in den multikulturellen Schmelztiegeln der Touristenhochburgen, bemerkt er, wie viele Gemeinsamkeiten er mit den Russen hat.
"Wir sind doch alle Slawen. Mit den Russen verstehe ich mich am besten von allen. Die Russen sind meine Landleute. Durch sie habe ich meinen Traumberuf gefunden. Ich kann Skilaufen, den ganzen Tag in den Bergen sein. Und ich kann mit Sprachen arbeiten. Mein Traum ist wahr geworden."
In den Schweizer Bergen, so kann man in Reiseführern lesen, soll man bis heute Russers serviert bekommen: ein einfaches Gericht, Kartoffeln mit Zwiebeln und Käse gebraten - Zeugnis einer langen russischen Tradition in der Alpenrepublik. Russische Künstler, Emigranten und Revolutionäre haben die Schweiz in den vergangenen Jahrhunderten mehr oder minder freiwillig zu ihrer zweiten Heimat gemacht. Lenin wartete seit 1914 ungeduldig im Exil in Bern auf seine Chance zur Revolution daheim. Andere Zentren der russischen Emigration waren Zürich und Genf. Umgekehrt wirkten bekannte Schweizer mit an der Modernisierung des feudalen Russland - als politische Berater, Architekten und Wissenschaftler.
Manch einer der Exilanten aus dem Osten suchte die Abgeschiedenheit und fand sie in Davos in über 1500 Metern klarer Alpenluft. Besonders beliebt blieb das Städtchen allerdings für die "normale" Kundschaft, als Reiseziel für die adelige russische Kurgesellschaft. Um 1900 war die Anziehungskraft der Graubündner Berge so groß, dass die russische Gemeinde zeitweilig die größte Ausländer-Gemeinschaft im Ort bildete. Und das zeigte sie auch: Sie gründete eine eigene Bibliothek, eine Druckerei, eine russisch-sprachige Zeitung, "Davosskij vestnik", ein Theater und schließlich einen Verein. Damit unterstützte man finanzschwache Landsleute, die so ihr Lungenleiden behandeln lassen konnten. Der Beginn der Oktoberrevolution in der Heimat besiegelte gleichzeitig das Ende russischen Lebens in Davos. Heute muss man schon sehr genau hinschauen, um die Spuren dieser Vergangenheit zu entdecken.
Eine Kirche und ein Krieg - Die frühere russische Gemeinde
in Davos
in Davos
"Wir gehen Skalettastrasse hoch. Wir suchen russische Kirche Skalettastraße 9. Überall, wo man nur hinblickt, sieht man Hotels, Häuser und alte Sanatorien. Da zum Beispiel, Bergsonne. Eindeutig war das früher eine Pension für TBC-Patienten. Die Bauten aus der Zeit haben Davos geprägt. Man kann sich Davos gar nicht anders vorstellen als überall mit Balkons gen Süden. Auch wenn es ein Hotel ist oder ein Wohnhaus, es ist irgendwie alles ein bisschen sanatorienartig."
Steil führt die Straße den Hang hinauf. Die Höhenluft ist klirrend kalt. Der schlanke Amerikaner strebt einem asphaltierten Seitenweg zu. Timothy Nelson trägt ein gepflegtes Bärtchen und eine kleine Brille. Kurz schweift sein Blick über die mit Balkonen übersäte Fassade des Waldhotels, wo vor fast 100 Jahren Katja Mann kurte und für Ehemann Thomas die Sanatoriumsgäste nach literarisch verwertbaren privaten Details ausspionierte. Über die "Villa am Stein", wo Robert Luis Stevenson die letzten Kapitel seiner "Schatzinsel" schrieb. Und über die zahllosen Flachdach-Wohngebäude, die die bewegte Geschichte des Ortes hinter einem von Zweckarchitektur geprägten Stadtbild verbergen. Vor sieben Jahren zog der US-amerikanische Historiker Nelson nach Davos, um in den städtischen Archiven nach den multikulturellen Wurzeln der Kongress- und Wintersporthochburg zu suchen. Heute leitet er hier die Dokumentationsbibliothek. Er findet ein Stückchen Weltgeschichte auch an Orten, die sogar einheimische Davoser mit keinem Blick würdigen.
"Das ist die Skalettastraße. 9. Wir stehen direkt vor der ehemaligen russisch-orthodoxen Kirche. Sie ist überhaupt nicht als Kirche erkennbar. Wenn man das nicht wüsste, die ganze Geschichte dahinter - niemand könnte überhaupt wissen, dass das einst ein Sakralbau war."
Hier wohnt Nelsons Hausarzt - und der Historiker ist sicher, dass dieser keine Ahnung hat, in welch geschichtsträchtigem Gebäude er da wohnt. Das Einfamilienhaus ist eher klein - weiß getüncht, mit Veranda, Balkon und dem obligatorischen Flachdach. Und doch gibt es Zeugnis vom kulturellen Aufblühen und dem jähen Ende der russischen Gemeinde in Davos. Nelson deutet mit seiner Hand auf die stark gewölbte Rückwand des Wohnhauses. Tatsächlich erinnert sie an den Chorraum einer russisch-orthodoxen Kirche. Diese Kirche hätte die kulturelle Heimat der russischen Kurgäste werden sollen, die hier Heilung vor der tödlichen Krankheit suchten. Ihr Fundament stand schon. Doch zum Bau des Zwiebelturms sollte es nicht mehr kommen.
"Zwei Sachen sind geschehen, die der russischen Gemeinde den Garaus gemacht haben. Der Weltkrieg und dann die russische Revolution. Wenige sind geblieben nach 1917. Nach der Revolution gab es keine finanzielle Quelle, da war man so verunsichert, dass man zurückgegangen ist, um zu retten, was noch zu retten ist. Ich vermute, dass sie ab 1917 schlicht nicht mehr haben bezahlen können."
Die "Davoser Blätter" - eine in Nelsons Bibliothek archivierte Boulevardzeitung, die das Leben der illustren Kurgesellschaft bis in den zweiten Weltkrieg hinein dokumentiert - offenbaren die Dramatik dieser Zeit. Die russische Gemeinde war seit der Jahrhundertwende stark gewachsen, sie verlustierte sich bei heimischer Kultur und Küche, sie unterhielt in Davos ein Vizekonsulat, eine eigene Bibliothek und ein Sanatorium für mittellose Landsleute. Als bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Westeuropäer abreisten, finanzierte sich der Luftkurort ganz mit dem Geld der russischen Kurgäste. 1917 aber, bei Ausbruch der Oktoberrevolution, reisten auch sie ab. Die meisten gen Russland - direkt in die Arme der Bolschewiki.
Nachdenklich blickt Nelson auf das schmucklose Einfamilienhaus. Die Europäer, damals noch im gemeinsamen Lungenleiden vereint, standen sich fortan als feindliche Weltmächte gegenüber. Die Spuren, die die blühende russische Gemeinde hinterlassen hat, sind verwischt. Als Vladimir Nabokov, Autor des weltberühmten Skandalromans "Lolita", in den Davoser Bergen abstürzte und sich ein Bein brach, nahm die Öffentlichkeit von dem prominenten Exilrussen nicht einmal Kenntnis.
"Das kam nicht vor in der Davoser Zeitung von dieser Zeit. Es war 1975 im Juni, ich habe es mit einem Literaturwissenschaftler mal angeschaut, die Blätter aus dieser Zeit. In der Tageszeitung, Tag für Tag, ob er da ist oder nicht. Mit keinem Wort ist es erwähnt. Ich glaube, es steht ein kurzes Inserat: 'Tourist verunglückt auf Jakobshorn'."
"Clawdias Profil sei von der weichsten Jugendlichkeit und Süsse, wenn es natürlich ein interessantes Profil sei und nicht das irgendeiner gesunden Gans."
Russischer Adel trifft in Thomas Manns "Zauberberg" auf Deutsche, Österreicher, Engländer, Italiener und Franzosen gleichen Standes. Alle von Schwindsucht heimgesucht, aber darüber hinaus einander fremd. Der biedere Hans Castorp kann sich der Faszination dieses Fremden bald nicht mehr entziehen. Er verliebt sich in die Russin Clawdia Chauchat.
"Nur ein paar Handbreit Raum war es gewesen zwischen seinem Gesicht und dem ihren in seiner wundersamen, ihm aber von langer Hand her vertrauten Bildung, die ihm zusagte wie nichts in der Welt: eine Bildung, fremdartig und charaktervoll (denn nur das Fremde scheint uns Charakter zu haben), von nördlicher Exotik und geheimnisreich, zur Ergründung auffordernd, insofern ihre Merkmale und Verhältnisse leicht zu bestimmen waren. (....) Dann aber waren da namentlich die Augen selbst gewesen, die so schmal und (so fand Hans Castorp) schlechthin zauberhaft geschnittenen Kirgisenaugen, deren Farbe das Graublau oder Blaugrau ferner Berge war und die sich zuweilen, bei einem gewissen Seitenblick, der nicht zum Sehen diente, auf eine schmelzende Weise völlig ins Schleierig-Nächtige verdunkeln konnten - Clawdia's Augen, die ihn rücksichtslos und etwas finster aus nächster Nähe betrachtet hatten.(..)"
Die Tradition russischer Emigration in der Schweiz blieb nicht nur streitbaren Literaten, Revolutionären oder den rebellischen Sprösslingen russischer Adeliger vorbehalten. Die Zarenfamilie, die vor dem Schicksalsjahr 1917 wegen der guten Luft und der spektakulären Bergkulisse in die Schweiz und nach Davos kam, suchte hier später ihr Exil.
Die Ermordung von Zar Nikolaus II. beendete jäh die Herrschaft der Romanow-Dynastie. Wer sich dem Zugriff der Bolschewiki noch rechtzeitig entziehen konnte, ließ Hab und Gut zurück und floh Richtung Westen. Großfürst Dimitrij Romanow, ein Cousin des Zaren, kam 1928 nach Davos - tuberkulosekrank und geschwächt von seiner Odyssee durch ganz Europa. Er starb 14 Jahre später an seinem Lungenleiden - im berühmtesten Sanatorium von Davos, auf der "Schatzalp"
Russisches Leben in der Schweiz ist bis heute zu entdecken. Viele Schweizer Familien haben ihre Wurzeln in Osteuropa. Ein Urahn des weitverzweigten Zarenclans lebt in der Alpenrepublik. Auch er zieht sich regelmäßig in die Abgeschiedenheit der Graubündner Berge zurück. Seine Durchlaucht Prinz Youriewski hat sich unweit von Davos niedergelassen nur einige Kilometer Luftlinie entfernt: im schicken Flims.
Steil führt die Straße den Hang hinauf. Die Höhenluft ist klirrend kalt. Der schlanke Amerikaner strebt einem asphaltierten Seitenweg zu. Timothy Nelson trägt ein gepflegtes Bärtchen und eine kleine Brille. Kurz schweift sein Blick über die mit Balkonen übersäte Fassade des Waldhotels, wo vor fast 100 Jahren Katja Mann kurte und für Ehemann Thomas die Sanatoriumsgäste nach literarisch verwertbaren privaten Details ausspionierte. Über die "Villa am Stein", wo Robert Luis Stevenson die letzten Kapitel seiner "Schatzinsel" schrieb. Und über die zahllosen Flachdach-Wohngebäude, die die bewegte Geschichte des Ortes hinter einem von Zweckarchitektur geprägten Stadtbild verbergen. Vor sieben Jahren zog der US-amerikanische Historiker Nelson nach Davos, um in den städtischen Archiven nach den multikulturellen Wurzeln der Kongress- und Wintersporthochburg zu suchen. Heute leitet er hier die Dokumentationsbibliothek. Er findet ein Stückchen Weltgeschichte auch an Orten, die sogar einheimische Davoser mit keinem Blick würdigen.
"Das ist die Skalettastraße. 9. Wir stehen direkt vor der ehemaligen russisch-orthodoxen Kirche. Sie ist überhaupt nicht als Kirche erkennbar. Wenn man das nicht wüsste, die ganze Geschichte dahinter - niemand könnte überhaupt wissen, dass das einst ein Sakralbau war."
Hier wohnt Nelsons Hausarzt - und der Historiker ist sicher, dass dieser keine Ahnung hat, in welch geschichtsträchtigem Gebäude er da wohnt. Das Einfamilienhaus ist eher klein - weiß getüncht, mit Veranda, Balkon und dem obligatorischen Flachdach. Und doch gibt es Zeugnis vom kulturellen Aufblühen und dem jähen Ende der russischen Gemeinde in Davos. Nelson deutet mit seiner Hand auf die stark gewölbte Rückwand des Wohnhauses. Tatsächlich erinnert sie an den Chorraum einer russisch-orthodoxen Kirche. Diese Kirche hätte die kulturelle Heimat der russischen Kurgäste werden sollen, die hier Heilung vor der tödlichen Krankheit suchten. Ihr Fundament stand schon. Doch zum Bau des Zwiebelturms sollte es nicht mehr kommen.
"Zwei Sachen sind geschehen, die der russischen Gemeinde den Garaus gemacht haben. Der Weltkrieg und dann die russische Revolution. Wenige sind geblieben nach 1917. Nach der Revolution gab es keine finanzielle Quelle, da war man so verunsichert, dass man zurückgegangen ist, um zu retten, was noch zu retten ist. Ich vermute, dass sie ab 1917 schlicht nicht mehr haben bezahlen können."
Die "Davoser Blätter" - eine in Nelsons Bibliothek archivierte Boulevardzeitung, die das Leben der illustren Kurgesellschaft bis in den zweiten Weltkrieg hinein dokumentiert - offenbaren die Dramatik dieser Zeit. Die russische Gemeinde war seit der Jahrhundertwende stark gewachsen, sie verlustierte sich bei heimischer Kultur und Küche, sie unterhielt in Davos ein Vizekonsulat, eine eigene Bibliothek und ein Sanatorium für mittellose Landsleute. Als bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Westeuropäer abreisten, finanzierte sich der Luftkurort ganz mit dem Geld der russischen Kurgäste. 1917 aber, bei Ausbruch der Oktoberrevolution, reisten auch sie ab. Die meisten gen Russland - direkt in die Arme der Bolschewiki.
Nachdenklich blickt Nelson auf das schmucklose Einfamilienhaus. Die Europäer, damals noch im gemeinsamen Lungenleiden vereint, standen sich fortan als feindliche Weltmächte gegenüber. Die Spuren, die die blühende russische Gemeinde hinterlassen hat, sind verwischt. Als Vladimir Nabokov, Autor des weltberühmten Skandalromans "Lolita", in den Davoser Bergen abstürzte und sich ein Bein brach, nahm die Öffentlichkeit von dem prominenten Exilrussen nicht einmal Kenntnis.
"Das kam nicht vor in der Davoser Zeitung von dieser Zeit. Es war 1975 im Juni, ich habe es mit einem Literaturwissenschaftler mal angeschaut, die Blätter aus dieser Zeit. In der Tageszeitung, Tag für Tag, ob er da ist oder nicht. Mit keinem Wort ist es erwähnt. Ich glaube, es steht ein kurzes Inserat: 'Tourist verunglückt auf Jakobshorn'."
"Clawdias Profil sei von der weichsten Jugendlichkeit und Süsse, wenn es natürlich ein interessantes Profil sei und nicht das irgendeiner gesunden Gans."
Russischer Adel trifft in Thomas Manns "Zauberberg" auf Deutsche, Österreicher, Engländer, Italiener und Franzosen gleichen Standes. Alle von Schwindsucht heimgesucht, aber darüber hinaus einander fremd. Der biedere Hans Castorp kann sich der Faszination dieses Fremden bald nicht mehr entziehen. Er verliebt sich in die Russin Clawdia Chauchat.
"Nur ein paar Handbreit Raum war es gewesen zwischen seinem Gesicht und dem ihren in seiner wundersamen, ihm aber von langer Hand her vertrauten Bildung, die ihm zusagte wie nichts in der Welt: eine Bildung, fremdartig und charaktervoll (denn nur das Fremde scheint uns Charakter zu haben), von nördlicher Exotik und geheimnisreich, zur Ergründung auffordernd, insofern ihre Merkmale und Verhältnisse leicht zu bestimmen waren. (....) Dann aber waren da namentlich die Augen selbst gewesen, die so schmal und (so fand Hans Castorp) schlechthin zauberhaft geschnittenen Kirgisenaugen, deren Farbe das Graublau oder Blaugrau ferner Berge war und die sich zuweilen, bei einem gewissen Seitenblick, der nicht zum Sehen diente, auf eine schmelzende Weise völlig ins Schleierig-Nächtige verdunkeln konnten - Clawdia's Augen, die ihn rücksichtslos und etwas finster aus nächster Nähe betrachtet hatten.(..)"
Die Tradition russischer Emigration in der Schweiz blieb nicht nur streitbaren Literaten, Revolutionären oder den rebellischen Sprösslingen russischer Adeliger vorbehalten. Die Zarenfamilie, die vor dem Schicksalsjahr 1917 wegen der guten Luft und der spektakulären Bergkulisse in die Schweiz und nach Davos kam, suchte hier später ihr Exil.
Die Ermordung von Zar Nikolaus II. beendete jäh die Herrschaft der Romanow-Dynastie. Wer sich dem Zugriff der Bolschewiki noch rechtzeitig entziehen konnte, ließ Hab und Gut zurück und floh Richtung Westen. Großfürst Dimitrij Romanow, ein Cousin des Zaren, kam 1928 nach Davos - tuberkulosekrank und geschwächt von seiner Odyssee durch ganz Europa. Er starb 14 Jahre später an seinem Lungenleiden - im berühmtesten Sanatorium von Davos, auf der "Schatzalp"
Russisches Leben in der Schweiz ist bis heute zu entdecken. Viele Schweizer Familien haben ihre Wurzeln in Osteuropa. Ein Urahn des weitverzweigten Zarenclans lebt in der Alpenrepublik. Auch er zieht sich regelmäßig in die Abgeschiedenheit der Graubündner Berge zurück. Seine Durchlaucht Prinz Youriewski hat sich unweit von Davos niedergelassen nur einige Kilometer Luftlinie entfernt: im schicken Flims.
Der Prinz aus Graubünden - Der letzte lebende Urenkel eines Zaren ist Schweizer und fühlt sich als Russe
"Flims bietet alles, ist Ganzjahreskurort - im Sommer und im Winter machen hier viele junge Leute Urlaub. Dort, wo die Piste ist, da wir laufen wir um die Kurve herum, dann sind wir schon da. Und zurück können wir direkt bis zur Haustür fahren. Wir können durch den Garten zurück."
Hans-Georg Yourievsky lächelt. Er blickt in das majestätische Alpen-Panorama, das sich direkt vor ihm eröffnet. Seine Ferienwohnung liegt auf dem Plateau eines Hanges. Unterhalb im Alpenstädtchen Flims flammen in der Abenddämmerung die Straßenlaternen auf. Oberhalb präpariert die Schneekatze die weiße Pistenlandschaft. Hier zieht sich der passionierte Skiläufer mit seiner Ehefrau zurück, so oft er nur kann - auch wenn die Geschäfte das nicht so oft zulassen, wie er sich das wünschen würde. Zuhause, im Hauptwohnsitz des Paares nahe Zürich, wartet schon wieder die Arbeit: Private Placement heißt die Branche, in der der 44-Jährige tätig ist - das diskrete Makeln mit exklusiven Liegenschaften und Kulturgütern im zweistelligen Millionenbereich. Besonders das Russland-Geschäft läuft so gut, dass das Paar auch in Flims kaum Ruhe findet.
"Wir waren noch nie so lange hier: Zwei Wochen. Ich habe jeden zweiten Tag für zwei Stunden gearbeitet, meine Sachen hierhin mitgebracht, wenn man plant, kann man etwas länger überbrücken."
Nach dem ausgiebigen Skitag zündet Yourievsky mit Zeitungspapier ein Kaminfeuer an. Hier in Flims ist er aufgewachsen - wie ein ganz normaler Graubündner Bub. Das aber war er nie. Sogar den alten Bekannten, die den umgänglichen Unternehmer mit dem verschmitzten Lachen gern besuchen, ist nicht immer klar, dass sie einen hohen Adeligen aus der Romanov-Dynastie vor sich haben: seine Durchlaucht Prinz Yourievski, der letzte lebende Urenkel eines russischen Zaren.
"Das glaubt niemand, weil es so unglaublich nahe ist. Alexander II., auch Zar Liberator genannt, war der drittletzte Zar von Russland, und das ist mein Urgroßvater in direkter männlicher Linie. Er hat ein zweites Mal geheiratet, als seine Frau gestorben ist. Und zwischen der offiziellen orthodoxen Heirat und der Krönung meiner Urgroßmutter ist er ermordet worden. Das ist, wo die wunderbare Kathedrale steht, da ist er ermordet worden. Man sagt, es ist das erste klassische Terrorismus-Attentat gewesen."
Eine Familiengeschichte wie eine Zeitreise durch die russische Historie: Geprägt durch höfisches Leben und Adelsetikette, grenzüberschreitende Eheschließungen und internationale Diplomatie, gebrochen durch politische Morde und Weltkriege, Revolution und erzwungene Emigration. Yourievsky erzählt sie mit der Routine eines Menschen, der nie etwas anderes gekannt hat. Der Schweizer ist russisch-orthodox getauft. An der Wand über dem Kamin hängen Ikonenbildchen, auf der Anrichte: eine kleine Büste des letzten Zaren Nikolaus II.. Als dieser von den Bolschewiki abgesetzt wurde, war Yourievskys Vater 18 Jahre alt. Er hatte die ganze Zarenfamilie persönlich gekannt, mit den Zarenkindern hatte er im Garten gespielt. Als diese unter den Gewehrschüssen von Lenins Schergen starben, studierte er in Cambridge.
"Für meinen Vater war das zu schmerzhaft, zu nahe. Das letzte Zarenehepaar hatte eine sehr enge Beziehung zu meiner Urgroßmutter. Sie hat sie immer Babjuschka genannt. Für die Generation meines Vaters, das war schlimm, weil die haben alles in einem Alter mitgekriegt, wo man alles mitkriegt. Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, die Revolution nicht nur mitbekommen, auch mitgemacht."
Der Vater kehrte nie nach Russland zurück, er sprach nie mehr Russisch. Er heiratete eine Graubündnerin und zog mit ihr nach Flims. Die Schweiz wurde seine letzte Zufluchtsstätte. Seinem Sohn erscheint das kurios und logisch zugleich: Schließlich hat die Schweiz für das Schicksal Russlands eine ambivalente Rolle gespielt.
"Die Schweiz hat indirekt eine schlechte Rolle gespielt, indem sie Lenin rausgeschmissen haben, hier hat er ja nicht unbedingt Erfolgt gehabt. Eine negative Rolle, aber das muss ich im Scherz sagen. Die Schweiz war ein neutrales Land, wie es heute ist, intensiver wirtschaftlicher und kultureller Austausch, das hat sich bis heute nicht geändert."
Heute profitiert der kosmopolitische Unternehmer von seinen russischen Wurzeln. Doch nicht deshalb paukt er russische Vokabeln, nicht deshalb hat er sich eine Wohnung in St. Petersburg gekauft und denkt sogar daran, ganz dorthin zu ziehen. Er hat in Russland seine Familie wiedergefunden: Im Jahr 2000, als Patriarch Aleksey den letzten Zaren und seine Familie heilig sprach, lernte Prinz Yourievsky bei den Feierlichkeiten endlich seine Verwandten kennen - die Romanovs waren aus Amerika, Australien und Europa angereist. Dass er eigentlich nach Russland gehört, das wusste er da schon längst. Das war ihm schlagartig klar geworden, schon als er direkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das erste Mal aus dem Flugzeug stieg und russischen Boden betrat.
"Eine ganz überwältigende Situation. Dass mich das so mitgenommen hat, das hat mich selbst erstaunt. Das Heimkommen vielleicht, das Bewusstsein, keine Ahnung, wie sich das zusammengesetzt hat. Meine Vaterland ist Russland, da gibt es nichts. Auch wenn ich einen Schweizer Pass habe."
"Der Zauberberg" zeigt europäische Befindlichkeiten am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Eines der Motive der Weltliteratur, eines der langlebigen Ressentiments, ist die Angst vor dem, was aus dem Osten kommt, was fremd und ungeheuer wirkt. Der italienische Kurgast, der Humanist Settembrini, erteilt Hans Castorp auf den Fluren des Davoser Waldsanatoriums die entsprechende Lektion:
"Hier liegt vor allem viel Asien in der Luft, - nicht umsonst wimmelt es von Typen aus der moskowitischen Mongolei!
Diese Leute' - und Herr Settembrini deutete mit dem Kinn über die Schulter hinter sich - 'richten Sie sich innerlich nicht nach ihnen, lassen Sie sich von ihren Begriffen nicht infizieren (...) halten Sie heilig, was Ihnen, dem Sohn des Westens, des göttlichen Westens, - dem Sohn der Zivilisation, nach Natur und Herkunft heilig ist, zum Beispiel die Zeit!(...) Haben Sie nie bemerkt, dass, wenn ein Russe 'vier Stunden' sagt, es nicht mehr ist, als wenn unsereins 'eine' sagt? Leicht zu denken, dass die Nonchalance dieser Menschen im Verhältnis zur Zeit mit der wilden Weiträumigkeit ihres Landes zusammenhängt. Wo viel Raum ist, da ist viel Zeit, - man sagt ja, dass sie das Volk sind, das Zeit hat und warten kann. Wir Europäer, wir können es nicht. Wir haben so wenig Zeit, wie unser edler und zierlich gegliederter Erdteil Raum hat, wir sind auf genaue Bewirtschaftung des einen wie des anderen angewiesen, auf Nutzung, Nutzung! (...) Carpe diem! Das sang ein Großstädter!'"
Rund ein Drittel der über 140 Millionen Russen soll sich laut Statistik eine Auslandsreise leisten können. Es sind also nicht mehr nur Milliardäre, die es in die Schweiz zieht. Das Gros der neuen Kundenschicht verdient ihr Vermögen in gängigen Branchen: in der Werbung, im Bankenbusiness oder im Baugewerbe. Die Jahreswende in den mondänen Ski-Orten zu verbringen, gehört für sie zum guten Ton. Dass die russisch-orthodoxen Feiertage etwa zwei Wochen nach der hiesigen Weihnachtszeit liegen und die russischen Gäste dann in Scharen in die Schweiz kommen, war dem eidgenössischen Tourismusgewerbe lange nicht bewusst. Das ist inzwischen anders. Doch der Erholungsbranche fehlt immer noch eine strategische Entscheidung: darüber, ob man die neue Klientel eher weniger oder mehr an sich binden möchte.
In Davos suchen die ersten Unternehmer eigene Wege. Sie wollen mit exklusiven Angeboten eine gut verdienende Mittelschicht als Stammkunden für die russischen Feiertage gewinnen. Das kostet oft weitaus mehr Mühe, als westliche Gäste zu halten. Neben dem kulinarischen und sprachlichen Aufwand müssen die Gastgeber auch der Bürokratie Genüge tun. Denn immer noch brauchen Touristen aus Osteuropa, aus Russland, Kasachstan, der Ukraine und Weißrussland ein Visum. Die Schweizer Vorschriften dafür sind äußerst streng und die Hoteliers am Ende verantwortlich. Der Aufwand wird sich lohnen, meint beispielsweise der Hotelbesitzer Andreas Gredig. Denn sie sollen auch in Zukunft kommen - die Russen: als treue und zahlungskräftige Gäste.

Russische Weihnacht in den Alpen - Davoser Hoteliers
lernen russische Traditionen
lernen russische Traditionen
Es ist der 6. Januar, früher Abend, im Fünf-Sterne-Hotel "Flüela". Hinter der Fensterfront mit ihren schweren Vorhängen funkeln die Lichter eines riesigen Weihnachtsbaums. Im Kamin flackert ein Feuer, Marmorsäulen und Stuck im Gesellschaftsraum geben Kunde von der 120-jährigen Tradition des Hauses. Die Gäste aus Russland und der Ukraine sind in Feststimmung, und der Pianist kommt ihren Musikwünschen gerne nach.
Hotelinhaber Andreas Gredig eilt zwischen Lobby, Küche und Restaurant hin und her. Er ist ein hochgewachsener Mann Mitte 60, dessen wettergegerbtes Gesicht in reizvollem Widerspruch zu seinem schwarzen Anzug steht. Er führt das "Flüela" in der vierten Generation. Ein Weihnachtsfest für die Gäste aus dem Osten gibt er zum zweiten Mal - und damit ist er, soweit er weiß, der erste und einzige Hotelier in Davos. Für den Kulturkreis interessiert er sich auch privat.
"Und so sind wir da reingeschlittert, dass wir jetzt auch ein russisches Weihnachtmenü anbieten, präsentiert auf einer kyrillischen Weihnachtskarte, damit sie fühlen, dass sie willkommen sind. Gestern habe ich erfahren, dass dort auch noch Kutja gegessen wird: eine Art Hirsebrei, der scheinbar bei den Orthodoxen vor der Mahlzeit eingenommen wird. Da hat mich gestern ein Gast drauf angesprochen, und dann habe ich mich heute morgen noch schlau gemacht."
Küchenchef Peter Portmann tut, was er kann, um die spontanen Einfälle von Gredig kulinarisch umzusetzen: Seine Version der russischen Kutja steht auf dem Servierwagen am Kücheneingang bereit. Seit Tagen wälzt Portmann russische Kochbücher. Die unverzichtbare Krönung des Fünf-Gänge-Menüs schüttet er aus einem großen Einkaufskorb auf den Tisch.
"Kaviar, alle möglichen Sorten, nur Osierta-Kaviar, von Rotem Lachs, Rogen vom fliegenden Fisch, Heringsrogen, das ist echter Osietrakaviar."
Umgerechnet 60 Euro kostet so ein Gourmet-Weihnachtsessen, 50 Portionen hat Portmann vorbereitet: Hähnchenleberpastete und Russisch Ei, Blinis und Bortschtsch, gedämpfter Stör und Flusskrebse. In einer Pfanne von der Größe einer Tischplatte brutzelt der Hauptgang: ein Spanferkel und gefüllte Enten.
"Es ist ein Spanferkel und die ganzen Enten. Gefüllt mit Äpfeln und Rosinen, es sind etwa zwölf Enten. Da ist das Spanferkel."
Zufrieden betrachtet sein Chef die goldbraun gebratenen Tiere. Die Portionen sind nicht groß, aber mit Sorgfalt zubereitet. Gredig tut viel dafür, um aus den neuen Besuchern Stammgäste zu machen. Das war nicht immer so.
"Zu Beginn dieses Trends sind Gäste abgestiegen, die fühlten sich bei uns absolut nicht wohl, das habe ich gemerkt, die gehören in die ganz großen Häuser in St. Moritz. Um so mehr, als diese Gäste unter sich sein wollten und wir nicht das Haus waren, das sie suchten. Das war aber eine gegenseitige Einschätzung, wir hatten das Gefühl, sie sind laut, anforderungsreich, benehmen sich nicht immer sehr vorbildlich. Es hat sich dann gelöst, dass sich die Spreu vom Weizen getrennt hat. Und wir haben eine sehr - wie ich angetönt habe - Familien, die der oberen, aber nicht der obersten Schichte angehören."
Dann wird das Weihnachtsmenü serviert. Der schummrig beleuchtete Speisesaal ist ganz für die Gäste aus dem Osten reserviert. Die meisten sitzen in größeren Gruppen, sie speisen oder studieren die Speisekarten in kyrillischer Schrift.
"Hier gibt es ja sogar: Kutja. Bei uns ist es das eine traditionelle Weihnachtsspeise aus Honig, Weizen und Rosinen. Na gut, dieses Kutja hier ist nicht ganz so geworden, wie es hätte sein müssen. Aber es ist doch ein Beweis dafür, wie viel Mühe man sich hier um uns gibt. Das habe ich in anderen Ländern noch nie erlebt. Was für eine schöne Überraschung, dass die Schweizer uns so ein traditionelles Weihnachtsmenü bereiten! Und das auch noch so lecker."
Was im Raum fehlt, ist ein Christbaum. Auch passende Musik gibt es nicht. Im Vergleich zum Weihnachtsfest am 24. Dezember, das im "Flüela" mit Kutschfahrten und Andacht aufwendig begangen wird, ist diese Festlichkeit höchst dezent gehalten. Die übrigen Gäste, von denen im Januar immerhin zwei Drittel aus Westeuropa kommen, sollen von der Sonderveranstaltung möglichst nichts bemerken.
"Wir möchten das nicht allzu betonen, weil: Von den anderen Gästen könnte das falsch verstanden werden. Ich möchte, dass sich das möglichst diskret abspielt."
An den Tischen fließen edle Weine, Sekt und Champagner. Besonders an einem steigt die ausgelassene Albernheit hörbar mit jeder neuen Flasche. Als Tourismusagentur reisen die Ukrainer durch die Ferienorte Westeuropas, um Geschäftskontakte für neue Urlaubsangebote zu knüpfen. Mit dem "Flüela" sind sie zufrieden. Ansonsten aber hat Davos eher keine Chance auf einem Listenplatz. Der kleine Skiort erntet höchstens Gelächter.
"In der Ukraine assoziiert man Davos vor allem mit dem Weltwirtschaftsforum. Aber das Spektakulärste, was wir getroffen haben, war ein schrecklich dicker Kater. Also - da bin ich gekommen, habe gedacht, jetzt kommt das Forum. Da hätte ich doch nie erwartet, dass es hier so klasse Berge gibt."
Nein, ein Urlaubsort für prunksüchtige Neureiche ist Davos nicht - darin sind sich die Gäste an diesem Abend einig. Den meisten aber gefällt er gerade deshalb, sogar der blondierten Frau am Fenstertisch, die mit hohen Stiefeln, weißen Leggins und tiefem Ausschnitt ganz dem Klischee einer reichen Russen-Gattin entspricht. Tatsächlich hat sie schon Urlaub in St. Moritz, Zermatt, Kitzbühel und anderen Hochburgen des Geldadels gemacht.
"Ich verdiene genug, um mitreden zu können. Ich schäme mich nicht, das zu sagen. Aber dieses Hotel hier gefällt mir, weil es Seele hat. Hier lächeln sie mich an, auch wenn ich mit gebrochenem Englisch und russischem Akzent spreche. In vielen, vielen Ferienorten Europas ist das anders. Da fangen sie mit Lächeln erst wieder an, wenn ich ihnen meine Kreditkarte gezeigt habe. Ich verstehe gut, warum die Westeuropäer keine besonders hohe Meinung von den Russen haben. Aber glauben Sie mir, nicht alle Russen sind so."
Nach dem Menü begeben sich die Feiernden zurück in den Gesellschaftsraum, wo der Pianist mal zum Disko-Tanz aufspielt, mal die Gäste in ihrer weinseligen Sentimentalität begleitet. Andreas Gredig ist zufrieden mit dem Abend: Die neue Kundenschicht wird sein Hotel auch zukünftig sicher durch die traditionelle Januarflaute tragen. Zu manchen Gästen pflegt er persönliche Kontakte, eine russische Freundin hat er sogar auf Hotelkosten eingeladen. Und so antwortet er nicht nur als Geschäftsmann, wenn man ihn nach der ambivalenten Beziehung der Tourismusbranche zu den Besuchern aus dem Osten befragt.
"Das ist ein heikler Punkt. Vom Beginn her wird nicht allzu viel vom Schweizer Tourismus unternommen. Es sind noch keine russischen Prospekte hier vor Ort, und die Leute müssen sich auf Englisch orientieren. Dabei spielt es für sie eine große Rolle, ob sie hier erwünscht sind oder nicht. Ich habe den Eindruck, man bemüht sich viel zu wenig um die russischen Gäste. Und ich meine, dass hier doch einiges Umdenken gefragt ist."
Literatur:
Thomas Mann, "Der Zauberberg", S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. April 1991, 18. Auflage, Juli 2007 / Sprecher: Richard Hucke
Hotelinhaber Andreas Gredig eilt zwischen Lobby, Küche und Restaurant hin und her. Er ist ein hochgewachsener Mann Mitte 60, dessen wettergegerbtes Gesicht in reizvollem Widerspruch zu seinem schwarzen Anzug steht. Er führt das "Flüela" in der vierten Generation. Ein Weihnachtsfest für die Gäste aus dem Osten gibt er zum zweiten Mal - und damit ist er, soweit er weiß, der erste und einzige Hotelier in Davos. Für den Kulturkreis interessiert er sich auch privat.
"Und so sind wir da reingeschlittert, dass wir jetzt auch ein russisches Weihnachtmenü anbieten, präsentiert auf einer kyrillischen Weihnachtskarte, damit sie fühlen, dass sie willkommen sind. Gestern habe ich erfahren, dass dort auch noch Kutja gegessen wird: eine Art Hirsebrei, der scheinbar bei den Orthodoxen vor der Mahlzeit eingenommen wird. Da hat mich gestern ein Gast drauf angesprochen, und dann habe ich mich heute morgen noch schlau gemacht."
Küchenchef Peter Portmann tut, was er kann, um die spontanen Einfälle von Gredig kulinarisch umzusetzen: Seine Version der russischen Kutja steht auf dem Servierwagen am Kücheneingang bereit. Seit Tagen wälzt Portmann russische Kochbücher. Die unverzichtbare Krönung des Fünf-Gänge-Menüs schüttet er aus einem großen Einkaufskorb auf den Tisch.
"Kaviar, alle möglichen Sorten, nur Osierta-Kaviar, von Rotem Lachs, Rogen vom fliegenden Fisch, Heringsrogen, das ist echter Osietrakaviar."
Umgerechnet 60 Euro kostet so ein Gourmet-Weihnachtsessen, 50 Portionen hat Portmann vorbereitet: Hähnchenleberpastete und Russisch Ei, Blinis und Bortschtsch, gedämpfter Stör und Flusskrebse. In einer Pfanne von der Größe einer Tischplatte brutzelt der Hauptgang: ein Spanferkel und gefüllte Enten.
"Es ist ein Spanferkel und die ganzen Enten. Gefüllt mit Äpfeln und Rosinen, es sind etwa zwölf Enten. Da ist das Spanferkel."
Zufrieden betrachtet sein Chef die goldbraun gebratenen Tiere. Die Portionen sind nicht groß, aber mit Sorgfalt zubereitet. Gredig tut viel dafür, um aus den neuen Besuchern Stammgäste zu machen. Das war nicht immer so.
"Zu Beginn dieses Trends sind Gäste abgestiegen, die fühlten sich bei uns absolut nicht wohl, das habe ich gemerkt, die gehören in die ganz großen Häuser in St. Moritz. Um so mehr, als diese Gäste unter sich sein wollten und wir nicht das Haus waren, das sie suchten. Das war aber eine gegenseitige Einschätzung, wir hatten das Gefühl, sie sind laut, anforderungsreich, benehmen sich nicht immer sehr vorbildlich. Es hat sich dann gelöst, dass sich die Spreu vom Weizen getrennt hat. Und wir haben eine sehr - wie ich angetönt habe - Familien, die der oberen, aber nicht der obersten Schichte angehören."
Dann wird das Weihnachtsmenü serviert. Der schummrig beleuchtete Speisesaal ist ganz für die Gäste aus dem Osten reserviert. Die meisten sitzen in größeren Gruppen, sie speisen oder studieren die Speisekarten in kyrillischer Schrift.
"Hier gibt es ja sogar: Kutja. Bei uns ist es das eine traditionelle Weihnachtsspeise aus Honig, Weizen und Rosinen. Na gut, dieses Kutja hier ist nicht ganz so geworden, wie es hätte sein müssen. Aber es ist doch ein Beweis dafür, wie viel Mühe man sich hier um uns gibt. Das habe ich in anderen Ländern noch nie erlebt. Was für eine schöne Überraschung, dass die Schweizer uns so ein traditionelles Weihnachtsmenü bereiten! Und das auch noch so lecker."
Was im Raum fehlt, ist ein Christbaum. Auch passende Musik gibt es nicht. Im Vergleich zum Weihnachtsfest am 24. Dezember, das im "Flüela" mit Kutschfahrten und Andacht aufwendig begangen wird, ist diese Festlichkeit höchst dezent gehalten. Die übrigen Gäste, von denen im Januar immerhin zwei Drittel aus Westeuropa kommen, sollen von der Sonderveranstaltung möglichst nichts bemerken.
"Wir möchten das nicht allzu betonen, weil: Von den anderen Gästen könnte das falsch verstanden werden. Ich möchte, dass sich das möglichst diskret abspielt."
An den Tischen fließen edle Weine, Sekt und Champagner. Besonders an einem steigt die ausgelassene Albernheit hörbar mit jeder neuen Flasche. Als Tourismusagentur reisen die Ukrainer durch die Ferienorte Westeuropas, um Geschäftskontakte für neue Urlaubsangebote zu knüpfen. Mit dem "Flüela" sind sie zufrieden. Ansonsten aber hat Davos eher keine Chance auf einem Listenplatz. Der kleine Skiort erntet höchstens Gelächter.
"In der Ukraine assoziiert man Davos vor allem mit dem Weltwirtschaftsforum. Aber das Spektakulärste, was wir getroffen haben, war ein schrecklich dicker Kater. Also - da bin ich gekommen, habe gedacht, jetzt kommt das Forum. Da hätte ich doch nie erwartet, dass es hier so klasse Berge gibt."
Nein, ein Urlaubsort für prunksüchtige Neureiche ist Davos nicht - darin sind sich die Gäste an diesem Abend einig. Den meisten aber gefällt er gerade deshalb, sogar der blondierten Frau am Fenstertisch, die mit hohen Stiefeln, weißen Leggins und tiefem Ausschnitt ganz dem Klischee einer reichen Russen-Gattin entspricht. Tatsächlich hat sie schon Urlaub in St. Moritz, Zermatt, Kitzbühel und anderen Hochburgen des Geldadels gemacht.
"Ich verdiene genug, um mitreden zu können. Ich schäme mich nicht, das zu sagen. Aber dieses Hotel hier gefällt mir, weil es Seele hat. Hier lächeln sie mich an, auch wenn ich mit gebrochenem Englisch und russischem Akzent spreche. In vielen, vielen Ferienorten Europas ist das anders. Da fangen sie mit Lächeln erst wieder an, wenn ich ihnen meine Kreditkarte gezeigt habe. Ich verstehe gut, warum die Westeuropäer keine besonders hohe Meinung von den Russen haben. Aber glauben Sie mir, nicht alle Russen sind so."
Nach dem Menü begeben sich die Feiernden zurück in den Gesellschaftsraum, wo der Pianist mal zum Disko-Tanz aufspielt, mal die Gäste in ihrer weinseligen Sentimentalität begleitet. Andreas Gredig ist zufrieden mit dem Abend: Die neue Kundenschicht wird sein Hotel auch zukünftig sicher durch die traditionelle Januarflaute tragen. Zu manchen Gästen pflegt er persönliche Kontakte, eine russische Freundin hat er sogar auf Hotelkosten eingeladen. Und so antwortet er nicht nur als Geschäftsmann, wenn man ihn nach der ambivalenten Beziehung der Tourismusbranche zu den Besuchern aus dem Osten befragt.
"Das ist ein heikler Punkt. Vom Beginn her wird nicht allzu viel vom Schweizer Tourismus unternommen. Es sind noch keine russischen Prospekte hier vor Ort, und die Leute müssen sich auf Englisch orientieren. Dabei spielt es für sie eine große Rolle, ob sie hier erwünscht sind oder nicht. Ich habe den Eindruck, man bemüht sich viel zu wenig um die russischen Gäste. Und ich meine, dass hier doch einiges Umdenken gefragt ist."
Literatur:
Thomas Mann, "Der Zauberberg", S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. April 1991, 18. Auflage, Juli 2007 / Sprecher: Richard Hucke