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Keifen, reizen und sticheln

"Wer hat Angst vor Virginia Woolf" ist das bekannteste Stück von Edward Albee und ein Klassiker der Filmgeschichte. Ein Theaterprojekt der Regisseurin Barbara Weber und Micha Gmaj bringt den legendären Ehekrieg aus heutiger Sicht im Züricher Theater Neumarkt auf die Bühne.

Von Cornelie Ueding | 27.11.2010
    Von wegen Partystimmung. Martha und George kommen angeödet von einem gesellschaftlichen Pflichttermin. Im Zürcher Neumarkttheater flimmert eine Videokamera die beiden herbei. Schon bevor sie den Theaterraum betreten, erscheinen sie als Filmpaar, kommen durch die Altstadtgasse, sind im Haus. Die Kamera folgt ihnen, wie sie ohne Schwung die Treppe hochsteigen. Und dann sind sie da – und streiten. Immer noch. Schon wieder. Über einen Film.

    Er ist müde und muffelt, sie schmollt und zickt herum und übt, was sonst: Kino-Posen à la Bette Davis. Unschwer zu erkennen: Auch sie ist mit dem Leben unzufrieden, wie die Kinoheldin. Und weil ihr Ehemann dieses Spiel auch schon lange spielt und den Zyniker gibt, braucht’s noch ’ne Nach-Mitternachts-Party. So richtig schön ist der Ehekrieg doch nur, wenn andere zuschauen und sich beim Stellung nehmen selbst verheddern.

    Ein junges Paar muss als Publikum herhalten. Es folgt eine kurze Stehparty-Karikatur: Übereifriger junger Wissenschaftler, Nick, mit wohlerzogenem kleinen Frauchen Putzi trifft auf angestrengte (gleichfalls dem Kino abgeschaute) Gastgeberglätte. Natürlich tun sich die jungen Leute das nicht uneigennützig an. Für Nick jedenfalls ist das ein Pflichttermin. Martha ist die Tochter des Universitätspräsidenten. Und er will hochkommen. Karriere machen. Um jeden Preis.

    Die Regisseurin Barbara Weber und der Dramaturg Michael Gmaj stellen mit dem Titel ihres Theater-Projekts die Frage an uns, die Zuschauer, ob Edward Albees mittlerweile zum Klassiker avanciertes Ehedrama mit seinen perfiden Gesellschaftsspielen den Nerv auch unserer Zeit noch trifft: "Are you still afraid of Virginia Woolf?" Zur neuen Sicht auf das alte Stück dienen Videozuspielungen, die suggerieren, die Kamera würde den Figuren, die gerade nicht auf der Bühne sind, in Echtzeit auf Schritt und Tritt folgen, das Mikro ihre Reaktionen einfangen. Man erfährt also nicht nur, dass sich Putzi im Bad die Seele aus dem Leib kotzt – man sieht sie schon mal da hocken – zum Beispiel, wenn sie 'ich habe mich vergiftet’ spielt. Und wenn die beiden im Bühnenraum zurückgebliebenen Männer mangels anderer Themen rätseln, was die Frauen nur so lange da oben machen, sieht man sie auf der Leinwand die Köpfe zusammenstecken und gackern. Wie sie es in Gegenwart anderer auf der Bühne nie tun.

    Schließlich ist das Personal in diesem Projekt um ein drittes, überwiegend schwarz-weiß gekleidetes Paar erweitert. Man weiß nicht recht: Sind das Gäste aus dem Stummfilm-Zeitalter der großen Gefühle und ausgiebigen Lachorgien, Besserwisser oder routinierte Partygänger, die hohle Phrasen und tönende Abstraktionen von sich geben. Sie kommen aus dem Nirgendwo, flanieren über die Bühne, mischen sich unter die Akteure, unterbrechen deren Spiele, wenden sich ans Publikum und haben off-Stage ihren Spaß.

    Beim ehelichen "Showdown" zwischen Martha und George, wenn er den Phantasiesohn, der in beider Innen-Leben die Hauptrolle spielt, sterben lässt, lachen sich die beiden da hinten im Video scheckig, bis sie vor Wonne unter den Tisch rutschen. Das sind die wahrhaft köstlichen Beziehungsspiele, wenn der Schmerz so groß wird, dass er das Gefühl erreicht. Und zwischen diesen Empfindungen: dem Mitfühlen und dem Mitlachen sollten vermutlich die Zuschauer hin- und hergerissen sein.

    Doch man verliert in Zürich viel zu schnell überhaupt das Interesse an den Figuren, ob sie jemanden beleidigen oder verführen oder Kinder wollen, ob sie outriert sind, gemein oder verheult. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie sich langweilen; dass sie widerwärtig sind, lasziv oder provokativ, dass sie keifen, reizen und sticheln, weil sie nur eines wollen: sich selbst spüren, sich lebendig fühlen. Doch leider sind und bleiben Barbara Webers Bühnen-Party-Figuren aller Aktivitäten zum Trotz spannungslos, denn was immer sie sagen oder tun, ob auf der Bühne oder im off: alles ist zur reinen Show verkommen - ganz ohne Subtext. Die Inszenierung ignoriert ihre ambivalenten Gefühle. Statt zu zeigen, wie die Spaß-Gesellschaft ihre Kinder deformiert, begnügt sich die Regie damit, in der Art eines technisch hochgefahrenen Play Albee Theater im Zeitalter seiner medialen Reproduzierbarkeit zu machen.