Archiv


Kein Auskommen mit dem Einkommen

Frankreichs junge Generation könnte mit den scharfen Protesten gegen die Arbeitsmarktreform zum europäischen Vorläufer werden. Denn auch anderswo haben junge Leute immer größere Probleme, feste Anstellungen zu finden. In Italien gibt es für sie oft nur noch schlechte bezahlte Zeitverträge. Aus Mailand berichtet Claudia Russo.

    18 Uhr in einer Bar am Mailänder Stadtrand: Paolo, 32 Jahre alt, hat nicht einmal die Zeit, seine rote Steppjacke auszuziehen. Schnell bestellt er einen Toast und einen Espresso – sein kleines Intermezzo zwischen einer Arbeitstelle und der nächsten. Denn der hagere, groß gewachsene Mailänder braucht zum Überleben zwei Jobs: Tagsüber führt er Schulklassen durchs Museum für Naturwissenschaften, abends jobbt er in einem Call Center. Mit beiden Einkommen schafft er es gerade eben, sich bis zum Monatsende über Wasser zu halten. Dass er zwischendurch auch noch Biologie und Chemie an der Uni studiert, vergisst Paolo bei all dem Stress manchmal.

    "Nach einem dreijährigen Kampf haben wir es endlich geschafft, im Call Center einen Stundenlohn von 7,50 Euro durchzudrücken. Doch weil unsere Arbeit teurer wurde, hat unsere Firma Aufträge verloren. Am Ende haben wurden uns Arbeitsstunden gestrichen und wir haben weniger verdient."

    Das Call Center am Mailänder Stadtrand zahlt seine 200 Mitarbeiter nach Stunden. Anspruch auf einen Mindestlohn, Krankheits- oder Urlaubsgeld haben die meist jungen Beschäftigten nicht. So verdient Paolo im Durchschnitt 400 bis 500 Euro Brutto im Monat, je nach Auftragslage. Nur wenig besser ergeht es ihm im Mailänder Museum für Naturwissenschaften. Auch dort bekommt er nur einen Stundenlohn. Normalerweise schafft es Paolo, 800 Euro im Monat mit nach Hause zu nehmen – vorausgesetzt, dass keine Schichten ausfallen. Außerdem überweist ihm das Museum nur alle drei Monate das Geld – aus Kostengründen. Für Paolo bedeutet das, dass sein Portmonee meistens leer ist. Ein Problem, das viele Jugendliche in Italien haben, meint Stefano Landini, Arbeitsmarktexperte der italienischen Gewerkschaft CGIL.

    "Die Gehälter der jungen Italiener sind viel zu niedrig. Das liegt auch am neuen Ausbildungssystem, das jetzt in den Firmen eingeführt wurde. Die Lehrlinge werden extrem unterbezahlt. Die Unternehmer haben sechs Jahre Zeit, die Gehälter der jungen Angestellten an den nationalen Tarifvertrag anzupassen. Aber auch Studienabsolventen verdienen im Durchschnitt weniger als 1000 Euro netto im Monat. Erst nach fünf Jahren kommen sie, wenn sie viel Glück haben, auf 1300 Euro Netto im Monat."

    Kein Wunder, dass die Italiener immer länger zu Hause leben und oft als "Mamasöhnchen Europas" bezeichnet werden. Bei ihrem niedrigen Einkommen und der angespannten Lage des Arbeitsmarktes bleiben viele Italiener zu Hause, auch wenn sie die 30 schon überschritten haben. Carla Facchini, Soziologin an der Mailänder Universität:

    "Die meisten italienischen Jugendlichen werden von ihren Familien durchgefüttert. Wir haben die höchste Rate von Jugendlichen in Europa, die immer noch zu Hause bei ihren Eltern wohnen, und zwar nicht nur 18-jährige Studenten, die wenig Geld haben, sondern auch 30-Jährige, die längst im Berufsleben stehen. Dieses Phänomen ist sehr stark auch in norditalienischen Regionen mit wenig Arbeitslosen, wie etwa der Lombardei, dem Veneto und der Emilia Romagna verbreitet. Das heißt, junge Leute verdienen zu wenig, um sich ein selbstständiges Leben leisten zu können."

    Paolo hat den Sprung in die Unabhängigkeit erst vor ein paar Monaten geschafft. 350 Euro Miete zahlt er für eine 20-Quadratmeter-Wohnung am Mailänder Stadtrand – schwarz und ohne Mietvertrag. Dabei wird es in Zukunft auch bleiben, an Kinder und Familienplanung können er und Seinesgleichen überhaupt nicht denken.

    "Ich kann leider nur in den Tag hinein leben und meine Zukunft nicht planen. Ich kann nicht einmal zu einer Bank gehen und nach einem Kredit fragen, weil ich keinen festen Arbeitsvertrag habe. Und auch meine Eltern können nicht mehr für mich bürgen, weil sie über 65 sind. Eine Familie zu gründen, kommt für mich nicht in Frage: Ich komme ja kaum selber über die Runden."