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Kein Bildungsmonopol der Länder

Maleike: Frau Bulmahn, diese Woche sind die Ergebnisse der zweiten PISA-Studie vorgestellt worden. Im Vergleich zur Vorgängerstudie haben sich deutsche Schüler in Mathematik und Naturwissenschaften leicht verbessern können, sonst aber liegen wir nach wie vor im Mittelfeld. Und besonders erschreckend ist eigentlich, dass die Studie uns nach wie vor attestiert, dass in Deutschland der Bildungserfolg immer noch mit der sozialen Herkunft verbunden ist. Eine solche Nachricht muss Sie doch als Bundesbildungsministerin besonders nachdenklich stimmen?

    Bulmahn: Sie stimmt mich nachdenklich. Das Ergebnis zeigt für mich zwei Dinge. Zum einen, dass Veränderungen durchaus möglich sind, denn die Tatsache, dass sich Deutschland in Mathematik und Naturwissenschaften verändert hat, unterstreicht das ausdrücklich. Zum Zweiten zeigt es sich aber auch, und das ist schon bedrückend, dass gerade bei den schwächsten Schülern sich nichts verändert hat, und dass ganz offensichtlich das, was 1999 zumindest für den Mathematikunterricht und Naturwissenschaften begonnen worden ist, nämlich einen anderen Unterricht anzusetzen, bei den Leistungsstärkeren, bei den Gymnasiasten, vor allen Dingen Erfolg gezeigt hat - dort zwar im unteren Drittel vor allen Dingen, aber nichtsdestotrotz, da hat sich etwas verbessert, auch bei den Gesamtschülern und bei den Realschülern, aber wie gesagt, nicht bei den Hauptschülern. Das heißt, dass wir hier nach wie vor in Deutschland einfach zu viele Jugendliche haben, die eigentlich nicht das Leistungspotential, das sie haben, entfalten können. Das zeigt die Studie nämlich auch, und das ist für mich das dritte - sozusagen - wichtige Ergebnis, dass die Schülerinnen und Schüler mehr können als sie zeigen und als sie in den Schulen offensichtlich auch an Wissen erwerben. Bei der Problemlösungskompetenz schneiden sie nämlich deutlich besser ab als der Durchschnitt, und das zeigt ja, dass sie eigentlich mehr könnten.

    Maleike: Jetzt haben Sie ja als Konsequenz die Abschaffung dieses dreigliedrigen Schulsystems bei uns gefordert. Die zuständige Kultusministerkonferenz hat aber schon gesagt: "Den Zusammenhang zwischen dem Schulsystem und den schlechten Gesamtleistungen, den gibt's eigentlich nicht, und wir wollen deswegen am bestehenden System festhalten". Was erhoffen Sie sich also von Ihrer Forderung?

    Bulmahn: Ich habe ein ganzes Bündel an Maßnahmen gefordert. Ich habe gefordert, und da bin ich mir auch einig mit den Kultusministern, dass wir den Weg konsequent weitergehen müssen, den wir beschritten haben bereits: Konsequent Ganztagsschulen ausbauen, aufbauen, denn die Vergleiche - weniger die PISA-Studie selbst - aber die Vergleiche mit den erfolgreichen Ländern zeigen, dass in allen erfolgreichen Ländern die Kinder pro Tag mehr Zeit haben zum Lernen, dadurch auch besser individuell gefördert werden, jedes einzelne Kind zu besseren Leistungen geführt werden kann. Deshalb müssen wir diesen Weg konsequent weitergehen, Ganztagsschulen aufzubauen, auszubauen. Und ich sage ganz ausdrücklich: Ich bin sehr froh, dass gerade hier in Nordrhein-Westfalen bei den Kleinsten begonnen wird. Ich finde das nämlich ganz wichtig, dass wir nicht erst mit 13 oder 15 oder 16 beginnen, sondern eben wirklich bei den Kleinen beginnen. Also, Ganztagsschulen in der Grundschule ausbauen, aber auch gerade noch in der Sekundärstufe I, dort ist es auch noch entscheidend. Der zweite wichtige Schritt ist die deutliche Verbesserung der frühkindlichen Bildung, das heißt der Bildung bereits im Kindergarten die sprachlichen Fähigkeiten gerade von Kindern dort deutlich stärker zu fördern, zu entwickeln, denn die PISA-Studie, auch die jetzige, zeigt, dass bei den sprachlichen Kompetenzen sich leider nichts zum Besseren wirklich spürbar verändert hat. Und auch gleichzeitig die Bildungsstandards konsequent umsetzen, die Lehrerfortbildung, -weiterbildung verbessern, und - das ist ein weiterer Punkt, den ich ausdrücklich unterstrichen habe - den Schulen in den sozialen Brennpunkten mehr Unterstützung zu geben. Ich glaube, dass immer noch unterschätzt wird - ich glaube, weniger von meinen Landeskolleginnen und -kollegen, sondern insgesamt in der Gesellschaft -, dass die Schulen in den sozialen Brennpunkten deutlich mehr Unterstützung brauchen. Und dann, in Ergänzung zu all diesen Punkten, glaub' ich auch, muß man auch wie gesagt überlegen, ob es auf Dauer richtig ist, dass man Kinder mit zehn Jahren schon zuweist - ob man das nicht ein wenig weiter nach hinten verlagert.

    Maleike: Es hat sich ja auch in den letzten Tagen ja eine Diskussion daran entzündet, dass Sie gefordert haben, die Hauptschule abzuschaffen. Sind Sie da einfach nur falsch verstanden worden?

    Bulmahn: Alleine nur die Hauptschule, eine Schulform zu verändern, würde überhaupt nichts verändern, sondern es kommt auf den Kontext an. Es gehört eben alles zusammen. All diese Maßnahmen - die deutliche Verbesserung der Kindergärten, Bildung, Ausbildung, dass alle Kinder einen Kindergarten besuchen. Es zeigt sich nämlich, dass die deutliche Fortschritte gegenüber den anderen haben, eine verbesserte Lehrerausbildung, die starke Unterstützung von Schulen in sozialen Brennpunkten, Bildungsstandards, Ganztagsschulen. All das gehört mit dazu. Mich bedrückt, dass es in der öffentlichen Debatte häufig auf einen einzigen Punkt reduziert wird. Das ist falsch. Im Grunde genommen wirft das PISA ja gerade vor den Deutschen, dass sie nicht kontextbezogen dann etwas wahrnehmen und aufnehmen. Das scheint sich leider als eine Wahrheit herauszustellen. Es ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen und Schritten notwendig, um unser Bildungssystem deutlich zu verbessern. Ich persönlich glaube, dass man die Frage, ob wir auf Dauer wirklich in den Hauptschulen ein Lernklima erzeugen können, herstellen können, das wirklich auch Lernfortschritte möglich macht, unterstützt, dass man diese Frage nicht tabuisieren soll. Das würde ich für falsch halten, da muss man sich schon sehr ernsthaft mit auseinandersetzen. Es gibt auch sehr unterschiedliche Hauptschulen, das weiß ich sehr wohl. Aber es gibt in einigen Stadtteilen eben auch inzwischen ein Klima in den Hauptschulen, was es extrem schwierig macht, überhaupt noch eine Lernumgebung, ein Lernklima herzustellen, das Lernen möglich macht und machbar macht. Und die Lehrerinnen und Lehrer damit einfach allein zu lassen und zu sagen: 'Ihr müsst das schon schaffen', da macht man es sich auch etwas zu einfach, wenn man so argumentieren würde.

    Maleike: Wie würde denn diese Unterstützung nach Ihrer Meinung aussehen? Also, der Caritasverband zum Beispiel hat ja gesagt, dass er sich vorstellen könnte, dass man Sozialarbeiter eben in diese Schulen auch mit einbaut. Und dann müsste man natürlich auch mehr Lehrer haben. Aber genau das machen die Länder ja eigentlich nicht.

    Bulmahn: Also ich glaube, dass man beides braucht. Ich glaube auch, dass man Personen mit anderen Kompetenzen gerade in den Schulen in den sozialen Brennpunkten braucht, teilweise im übrigen auch in anderen Schulen, also zum Beispiel Sozialpädagogen, aber zum Beispiel auch Leute, die Kinder einfach über andere Wege erreichen können, seien es Musiker oder seien es auch Theaterpädagogen oder seien es zum Beispiel Berufsausbilder aus kleinen Betrieben, mittleren, großen Betrieben, die sehr viel Erfahrung auch haben auch darin, wie sie auch mit schwierigeren Jugendlichen zusammenarbeiten können und sie trotzdem zum Lernen wieder motivieren können und auch dazu bringen können. Wir machen ja die Erfahrung, dass wir zum Beispiel in unseren Modellprogrammen, in denen Jugendliche ganz oft sind, die mit extrem schlechten schulischen Voraussetzungen dann eine berufliche Ausbildung beginnen, trotzdem wieder zum Lernen motiviert werden, auch zu einer erfolgreichen Berufsausbildung geführt werden können. Das sind eben auch Kompetenzen, die da auch erforderlich sind, die die Ausbilder einbringen. Und warum soll man diese Kompetenzen nicht auch in der schulischen Ausbildung bereits einsetzen und nutzen. Ich würde mir das wünschen. Deshalb plädiere ich ja auch ausdrücklich für eine viel stärkere engere Zusammenarbeit zwischen Betrieben und Schulen. Aber es kann natürlich auch nicht jeder aus einem Betrieb, sondern es sind schon diejenigen Menschen, die auch mit ihren Qualifikationen, mit ihren Kompetenzen, mit ihren Erfahrungen genau diese Jugendlichen packen können.

    Maleike: Sie haben, wie gesagt, die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems - ich sage es mal - 'angeschoben'. Würden wir vielleicht nicht auch schon mit einem kleineren Schritt Erfolge erreichen können, zum Beispiel, indem man einfach dafür sorgt, dass nicht so viel Unterricht ausfällt, dass es mehr Lehrer gibt, dass es kleinere Klassen gibt?

    Bulmahn: Ja sicher, deshalb sage ich auch: Nicht immer in Gegensätzen denken. Das ist völlig falsch. Eine Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems alleine würde auch nichts verbessern, das glaube ich jedenfalls. Es geht mir auch nicht um die Abschaffung, sondern ich sage ausdrücklich: Wenn man an den anderen Stellschrauben, an den anderen notwendigen Veränderungen nichts tut, wäre es völlig verkehrt. Und deshalb ist es doch richtig, wenn man anfängt, die frühkindliche Bildung zu verbessern, Grundschulen zu Ganztagsschulen auszubauen, die Kindergartenausbildung zu verbessern, die Lehrerfortbildung, -weiterbildung ausweiten, auch an den Schulen in den sozialen Brennpunkten unserer Städte und Gemeinden eine bessere Personalausstattung herbeizuführen. Das ist ja einer der Gründe, warum die Bundesregierung vorgeschlagen hat, die Eigenheimzulage zu streichen, damit wir eben Mittel freibekommen, um zum Beispiel mehr Lehrerinnen und Lehrer beschäftigen zu können, um Sozialpädagogen beschäftigen zu können, um auch Fachpersonal auch aus anderen Bereichen in die Schule mit hineinkriegen zu können, sie hier einsetzen zu können, weil wir natürlich auch wissen, dass das auch zusätzliche Finanzen erfordert, die wir aber durch den Wegfall der Eigenheimzulage ja eben erhalten würden und haben würden. Das bedeutet ja für die Länder 3,4 Milliarden und für die Städte und Gemeinden 3,4 Milliarden mehr pro Jahr, nicht für den Bund, sondern für die Länder. Und deshalb bedrückt es mich, wenn praktisch das zur Zeit jetzt einfach auch so von der CDU so einfach weggewischt wird und so getan wird, als ob man das Geld nicht brauchen würde. Ich glaube, dass wir für unsere Schulen einfach auch mehr Investitionen benötigen, aber nicht nur, sondern dass auch diese Änderungen, die ich beschrieben habe, stattfinden müssen. Und viele Schulen im übrigen haben sich ja auf diesen Weg bereits gemacht. Auch das wäre ja falsch, so zu tun, als wenn jetzt überhaupt nichts passiert ist in den letzten Jahren. Es ist eine ganze Menge geschehen, es ist eine ganze Menge passiert. Aber man darf jetzt eben nicht aufhören, es muss fortgesetzt werden.

    Maleike: Sie haben die CDU angesprochen. Dann spiele ich den Ball mal weiter. Kommen wir mal zur Föderalismuskommission und zu der Debatte. Die Länder haben sich in dieser Woche speziell geäußert und haben gesagt: Also die Bildung ist ganz klar Ländersache und soll sie auch bleiben, die Bundesministerin soll da nicht viel reinreden können. Was sagen Sie dazu?

    Bulmahn: Also erstens ist Schulpolitik jetzt schon hundertprozentig Ländersache. Hier hat die Bundesministerin und eine Bundesregierung niemals Zuständigkeiten gehabt, wird sie meiner Einschätzung nach auch in Zukunft sicherlich nicht haben. Das habe ich im Übrigen auch nicht beansprucht. Eine ganz andere Frage ist, ob es nicht auch weiterhin notwendig ist, dass wir zum Beispiel über die Übergänge miteinander reden. Die Bundesregierung wird ihre Zuständigkeit für die berufliche Bildung behalten. Wenn Sie einfach berücksichtigen und sich anschauen: Die Bundesregierung, auch diese Bundesministerin muss sich damit auseinandersetzen, dass wir zur Zeit 491.000 Jugendliche in berufsvorbereitenden Maßnahmen haben, in die sie kommen, damit sie besser für eine berufliche Ausbildung qualifiziert werden, vorbereitet werden, ausgebildet werden. Und das ist im Übrigen keine neue Entwicklung, die gibt es schon ungefähr seit mehr als zehn Jahren inzwischen, diese Entwicklung. Ich plädiere dafür, das nicht einfach zu ignorieren, sondern das schon als ein sehr ernstes Problem zu betrachten, was viele im Übrigen auch tun. Aber ich finde, dem wird noch nicht genügend Aufmerksamkeit insgesamt geschenkt. Und das ist jetzt kein Vorwurf an Bildungsministerinnen und Bildungsministern in den Ländern, weil die es alleine auch nicht bewältigen können, sondern es ist schon ein Appell, dass wir uns insgesamt alle als Gesamtgesellschaft dafür verantwortlich fühlen. Und deshalb sage ich ganz offen: Wenn Herr Koch aus Hessen sagt, die Länder müssten ein Monopol auf Bildung erhalten, dann glaube ich, ist das etwas sehr schlicht. Monopol auf Bildung gibt's nicht, sondern für Bildung sind alle verantwortlich: Die Eltern sind verantwortlich in einem ganz großen Maße und haben hier eine sehr hohe Verantwortung, Lehrerinnen und Lehrer haben eine sehr hohe Verantwortung. Aber auch diejenigen, die zum Beispiel in Unternehmen verantwortungsvolle Positionen haben, müssen auch ihren Teil Verantwortung übernehmen. Die Bundesregierung hat ein Stück Verantwortung übernommen, indem wir gesagt haben: Wir unterstützen die Länder zum Beispiel bei der Entwicklung, bei dem Aufbau von Ganztagsschulen finanziell, damit die es einfach besser und schneller schaffen können, weil wir alle wissen: Das ist ein wichtiger Schritt. Am Anfang war der ja auch heftig umstritten, einige können sich ja noch daran erinnern. Aber wir unterstützen sie. Und solche Maßnahmen, glaube ich, müssen und sollten auch weiterhin möglich sein.

    Maleike: Die PISA-Studie führt auch immer wieder dazu, dass man gerne in andere Länder guckt. Schauen wir mal nach Österreich. Österreich hat relativ schlecht abgeschnitten dieses mal. Und jetzt hat man kurzerhand einen Bildungsgipfel für Anfang des Jahres anberaumt. Regierung und Opposition wollen sich treffen. Aber es heißt auch, dass finnische Experten dazu kommen sollen. Wäre so etwas nicht bei uns auch mal längst überfällig?

    Bulmahn: So etwas hat es bei uns schon einmal gegeben. Ich habe den 99 einberufen. Wir haben ihn nicht Bildungsgipfel genannt, weil der unter der alten Kohl-Regierung damals schon einmal gescheitert war, überhaupt nicht zustande gekommen ist. Damals hat es eben auch schon so einen Versuch gegeben, der ist damals gescheitert. Das Forum Bildung hat ja zwei Jahre sehr erfolgreich gearbeitet. Und wir haben viele der Vorschläge, die dann von der Kultusministerkonferenz, auch von mir, vorgeschlagen worden sind, im Forum Bildung erarbeitet. Im Forum Bildung war die Bundesministerin aber auch Länderminister aus SPD- und CDU-regierten Ländern. Es waren Vertreter der Arbeitgeberverbände, der Wirtschaft dabei, es waren Wissenschaftler dabei, es waren auch Vertreter der Kirchen dabei. Also das war wirklich ein Gipfel im echten Sinne des Wortes. Es waren Jugendliche im übrigen selber auch dabei. Und die Empfehlungen haben Gültigkeit. Sie sind wichtige, wertvolle Empfehlungen für die Veränderung unseres Bildungssystems. Ich glaube nicht, dass durch ein erneutes Zusammenrufen jetzt etwas Besseres oder Neueres dabei rauskommen würde. Es kommt einfach darauf an, dass wir sie umsetzen. Und manchmal, ganz offen gesagt, würde ich mir wünschen, dass es nicht Bücher sind, die ungelesen im Regal stehen, sondern dass man sie sich wirklich zu Herzen nehmen würde und umsetzen würde. Ich bemühe mich jedenfalls darum.

    Maleike: Das Stichwort Föderalismuskommission ist schon gefallen. Da geht es heftig um den Streit, um die Bildungskompetenz zwischen Bund und Ländern. Wie stellen Sie sich das in Zukunft vor?

    Bulmahn: Ich stelle mir das auch für die Zukunft so vor, dass wir natürlich zusammen arbeiten müssen. Denn wie kann man erfolgreich eine berufliche Bildung zum Beispiel organisieren, vernünftige Inhalte festlegen, gemeinsam mit den Sozialpartnern, wenn wir überhaupt nicht auch auf die schulische Vorbildung zurückgreifen? Das heißt, hier müssen auch in Zukunft Bund und Länder zusammen arbeiten, ob man das will oder nicht. Zu glauben, dass man Bildung sozusagen in völlig voneinander losgelöste Bereiche abtrennen könnte, wo diejenigen, die für die einzelnen Bereiche zuständig sind, überhaupt sich nicht mehr austauschen, miteinander kommunizieren, halte ich für grenzenlos naiv. Das wird praktisch überhaupt nicht möglich sein. Und diejenigen, die praktisch das umsetzen, ausführen, finden die Debatte sowieso gelegentlich, schlicht gesagt, etwas abgehoben. Deshalb, sage ich, wird die Zusammenarbeit auch in Zukunft notwendig sein vor Ort, genau so, wie diejenigen, die - wie gesagt - Berufsausbildungsordnungen machen werden, natürlich auch mit den Lehrerinnen und mit denjenigen, die die Verantwortung für schulische Bildung haben, sich austauschen und zusammen auch gemeinsam beraten müssen, wie können wir das vernünftig aufeinander abstimmen. Das gleiche gilt im übrigen auch für die Hochschulausbildung. Der Bund soll ja weiterhin auch mitwirken können für die Forschung an den Hochschulen. Wer glaubt, dass man Forschung und Lehre schön sauber völlig von einander trenne könne, wer glaubt, dass es dort überhaupt keinen Zusammenhang gäbe, sage ich ganz offen, halte ich auch etwas für schwierig, um es einmal zu sagen. Schlichtweg, das ist überhaupt nicht machbar, auch nicht möglich. Natürlich hängen Lehre und Forschung zusammen. Natürlich sind diejenigen, die in der Forschung tätig sind, ja auch wichtig für die Ausbildung und für die Lehre. Und da gibt es doch Verbindungen, gibt es Zusammenhänge, gibt es Hin- und Herflüsse, gibt es sozusagen ein dialektisches Verhältnis. Deshalb finde ich manche der Diskussionen sehr theoretisch, sehr abgehoben. In der Realität wird es dann etwas anders gemacht werden müssen.

    Maleike: Es heißt auch, der Bund besteht auf der Qualitätssicherung bei den Hochschulen. Das heißt, das Thema Studiengebühren soll da auch eine Rolle spielen und es geht auch um die Anerkennung der Abschlüsse, die Vergleichbarkeit der Abschlüsse. Beharren Sie da weiter auf Ihrer Kompetenz?

    Bulmahn: Ich sage ganz ausdrücklich: Dort, wo wir sinnvollerweise und vernünftigerweise bundesweite Regelungen brauchen, und das gilt für den Zugang zu Hochschulen, das gilt für die Abschlüsse und das gilt auch für die Grundsätze der Qualitätssicherung, darüber reden wir, denn sonst sind Hochschulen nicht miteinander vergleichbar, wenn man sich auf die Grundsätze verständigt, also dort, wo man bundesweite Regelungen braucht, ist es auch richtig, dass wir dann bundesgesetzliche Kompetenzen haben. Denn zu glauben, dass man bundeseinheitliche Regelungen darüber erreicht, indem 16 Länder sich über Punkt und Komma verständigen müssen, ist auch etwas weltfremd. Das zeigt sich ja im übrigen auch daran, dass wir sowieso nur zwei Staatsverträge haben. Der eine war der Staatsvertrag über die ZVS, der ja nun gerade nicht auf die ungeteilte breite Zustimmung gestoßen ist, und der zweite ist ein Staatsvertrag über den Fernunterricht, und der steht weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Aber ein Staatsvertrag, wenn er einmal erreicht ist, ist auch höchst unflexibel, ist ein Instrument, das kaum weiterentwickelt werden kann. Deshalb hat die Hochschulrektorenkonferenz ja zum Beispiel auch gesagt: "Um Gottes Willen keinen Staatsvertrag", sondern hat ja ausdrücklich sich auch weiterhin für eine Bundeskompetenz ausgesprochen. Das tut sie ja aus guten Gründen. Und die Hochschulrektorenkonferenz ist nun diejenige, die es wirklich am besten weiß. Also da sollte man doch den fachlichen, sachlichen Verstand nicht völlig ausblenden sondern den zugrunde legen und damit dann gleichzeitig den Hochschulen selber erheblich mehr Eigenständigkeit und Rechte übertragen. Das ist meine Zielsetzung: Den Hochschulen selber viel stärker auch Eigenständigkeit übertragen, Freiheiten übertragen - das gilt im übrigen für Schulen aus meiner Sicht auch -, Dienstherreneigenschaften übertragen, den Weg würde ich für sinnvoll und richtig halten. Aber das ist - Sie haben Recht - ein heftiger Streitpunkt in der Föderalismuskommission.

    Maleike: Glauben Sie, dass die Debatte daran scheitern könnte?

    Bulmahn: Ich hoffe nicht, dass die Debatte daran scheitert und dass die Arbeit daran scheitert, denn wir brauchen sicherlich auch eine klarere Zuordnung von Verantwortlichkeiten, eine größere Handlungsfähigkeit auch der verschiedenen politischen Ebenen. Ich hoffe, dass man hier zu einer vernünftigen Lösung kommt. So, wie ich sie beschrieben habe, wäre es eine vernünftige Lösung. Damit hätten die Länder ja ganz viel Freiräume erhalten in der Hochschulpolitik, zum Beispiel für den Rechtsstatus, für die gesamte Organisation der Hochschule, für das gesamte Personalwesen, für das gesamte Prüfungswesen, für die Studiengänge, alles was mit Studiengängen zusammenhängt, haben die Länder völlige Gestaltungsfreiheit. Ich würde mir wünschen, dass sie davon viel an die Hochschulen weitergeben. Aber dass wir bundesweit die gleichen Zugangsbedingungen haben, dass wir bundesweit die gleichen Abschlüsse haben und dass wir auch die generellen Qualitätsgrundsätze haben, das halte ich von der Sache her für notwendig.

    Maleike: Der lebende Beweis dafür oder der lebende Garant ist ja das Hochschulrahmengesetz, und gerade das ist vor dem Bundesverfassungsgericht momentan in Behandlung, muss man sagen. Es geht um das Studiengebührenverbot im Erststudium, in der Regelstudienzeit, für das Sie sich persönlich auch immer eingesetzt haben. Sie haben immer gesagt: Das ist ein Markstein meiner Politik. Was wäre denn, wenn die Verfassungsrichter im Frühjahr sagen würden, dass das Hochschulrahmengesetz da irrt und dass Studiengebühren in Deutschland eingeführt werden könnten? Würden Sie das unter Umständen auch mit ihrem persönlichen politischen Schicksal verbinden?

    Bulmahn: Also der Markstein meiner Politik sind nicht die Studiengebühren an sich, sondern der Markstein meiner Politik ist, dass der Zugang zu Bildungswegen offen sein muss, und zwar nicht nur theoretisch sondern auch real, also auch wirklich, dass der Zugang auch wahrgenommen werden muss und nicht davon abhängig sein darf: Wie ist das Einkommen meiner Eltern oder mein persönliches Vermögen? Das ist der Markstein meiner politischen Überzeugung, und deshalb werde ich auch alles dafür tun, dass das auch weiterhin gewährleistet ist, egal, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Wenn der Zugang zu den Bildungswegen oder der Zugang zur Hochschule abhängig davon ist, ob meine Eltern Studiengebühren bezahlen können oder nicht, dann, sage ich Ihnen ganz offen, verabschiedet sich die Demokratie von einem ihrer wichtigsten Grundsätze. Es ist dann nicht mehr eine Frage der Bildungsministerin, das ist dann eine Grundsatzfrage unserer Demokratie. Denn eine demokratisch verfasste Gesellschaft muss ihren Bürgerinnen und Bürgern gewährleisten, dass die Lebenschancen nicht davon abhängig sind, welchen Status die Eltern haben. Das ist ein Grundprinzip einer demokratisch verfassten Gesellschaft. Dass das nicht mehr alle in Erinnerung haben, ist eigentlich betrüblich. Ich kann mir nicht vorstellen, hoffe ich jedenfalls nicht, dass die deutsche demokratische Gesellschaft sich von diesem Grundsatz verabschiedet.

    Maleike: Wenn es denn aber so käme, wäre es ja für Sie eine ziemlich herbe Niederlage, oder?

    Bulmahn: Mich ärgert ja etwas ganz anderes. Mich ärgert es, dass die Länder ja zum Beispiel in dieser Frage auch keinen Staatsvertrag abgeschlossen haben. Ich habe ja als Bundesminister drei Jahre darauf gewartet, dass die Länder hier einen Staatsvertrag abschließen. Das ist nicht gelungen innerhalb von drei Jahren. Dann haben wir die bundesgesetzliche Regelung verfasst. Wenn ich eine Landesministerin gewesen wäre, hätte ich im übrigen ein Modell von Studienkonten eingeführt. Das ist etwas anders als das, was wir nur als Grundsatz in das Bundesgesetz hinein schreiben könnten. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Länder sich auf ein Modell von Studienkonten verständigen können. Ich sage ganz klar, die Chancen sind zur Zeit nicht gut dafür, weil die Länder sich hier nicht auf so ein Modell bisher verständigt haben. Sie hatten sich mal verständigt, dann haben sie sich wieder nicht verständigt, das zeigt im übrigen die Schwierigkeit, die ich vorhin angesprochen habe. Das halte ich für ein vernünftiges Modell, ein sehr gutes Modell, weil es auf der einen Seite den Studierenden klar sagt: "Du hast ein bestimmtes Guthaben, was du einsetzen kannst und nutzen kannst, aber das ist auch zeitlich begrenzt, das ist ein wertvolles Guthaben, was du hier hast", auf der anderen Seite auch den Universitäten einen klaren Anreiz gibt, die Lehre gut zu organisieren, gute Lehrer anzubieten. Das konnte ich leider so in ein Bundesgesetz nicht hinein schreiben, weil wir in einem Bundesgesetz nur Grundsätze niederlegen dürfen. Das haben wir, und deshalb sind auch alle Spekulationen über den Ausgang der Bundesverfassungsgerichtsverhandlung Spekulation. Daran werde ich mich nicht beteiligen, aber ich halte an dem Grundsatz fest, dass der Zugang zu Bildung nicht von der familiären Herkunft her abhängig sein darf.

    Maleike: Wenn man das Abschneiden bei PISA sieht und auch sonst sich die Bildungslandschaft in Deutschland anschaut, würden Sie sagen, dass wir ein bisschen daran kranken, dass es dieses ewige Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern gibt?

    Bulmahn: Teilweise vielleicht auch. Das macht es manchmal doch wesentlich schwerer, solche grundsätzlichen Weichenstellungen durchzusetzen. Es ist aber nicht nur ein Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern, sondern was sich schon zeigt, dass Staaten, in denen praktisch dann an einer Stelle Entscheidungen getroffen werden können, solche notwendigen grundlegende Veränderungen einfach schneller schaffen. Das ist bei uns dadurch sicherlich deutlich schwieriger geworden. Dass es aber auch möglich ist, zeigt Kanada, die ja auch ein föderales System haben, wo auch die Kultuszuständigkeit auf Länder-, auf Provinzebene liegt. Kanada schneidet trotzdem hervorragend ab. Kanada hat sich trotzdem auch sehr zügig, sehr schnell auf bestimmte grundlegende Reformen verständigt, allerdings viel früher als Deutschland, schon in den 90er Jahren. Und der Erfolg zeigt sich da, obwohl Kanada zum Beispiel eben auch einen ganz hohen Migrantenanteil hat, ganz unterschiedliche Sprachkulturen hier aufeinander treffen, unterschiedliche Kulturen. Und deshalb, finde ich, ist das schon ein gutes Beispiel dafür, dass vieles von dem, was wir immer auch so heranführen als Gründe, ganz offensichtlich nicht wirklich alleine das erklärt. Und deshalb sage ich immer: Wir können das auch packen, wir müssen es aber wollen.

    Maleike: Wir müssen leider zum Ende kommen, Frau Bulmahn. Vielen Dank für das Gespräch.

    Bulmahn: Bitte